Das Verkehrslexikon

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OLG Hamm Beschluss vom 13.11.1978 - 6 Ss OWi 2744/78 - Zur Pfliht des Kraftfahrers, sich über die Erlaubnis zum Halten und Parken zu vergewissern

OLG Hamm v. 13.11.1978: Zur Pfliht des Kraftfahrers, sich über die Erlaubnis zum Halten und Parken zu vergewissern


Das OLG Hamm (Beschluss vom 13.11.1978 - 6 Ss OWi 2744/78) hat entschieden:
Ein Kraftfahrer, der über eine Ausfahrt aus einem Parkplatz eine Straße erreicht und dort alsbald nach dem Auffahren parken will, muss sich darüber vergewissern, dass nicht in relativ kurzer Entfernung von seinem Abstellplatz (hier: ca. 30 m) im rückwärtigen Straßenverlauf ein Verkehrszeichen angebracht ist, das für den von ihm gewählten Abstellplatz ein Halteverbot anordnet.


Siehe auch Stichwörter zum Thema Halten und Parken


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass das Amtsgericht die Halteverbotsregelung auch für den Betroffenen als verbindlich und seine Zuwiderhandlung dagegen als fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 12 Abs 1 Ziff 6b in Verbindung mit §§ 41 Abs 2 Ziff 8 (Zeichen 286), 49 Abs 1 Ziff 12 StVO, 24 StVG geahndet hat. Das etwa 30 m vor dem Abstellplatz des Betroffenen angebrachte Verkehrszeichen 286 begründete das Verbot, in der Fahrtrichtung des Betroffenen auf der Fahrbahn zu halten, ausgenommen zum Einsteigen oder Aussteigen oder zum Beladen oder Entladen (§ 41 Abs 2 Ziff 8 StVO). Dieses Verbot galt vom Anbringungsort des Verkehrsschildes ab für die Straßenseite, auf der das Schild angebracht war, bis zu seiner Aufhebung durch Beschilderung gemäß § 41 Abs 2 Ziff 8 Buchstabe c StVO, äußerstenfalls bis zur nächsten Kreuzung oder zur nächsten Einmündung auf derselben Straßenseite (Buchstabe b aaO). Da eine solche Beendigung des Halteverbots nach den Feststellungen des Urteils zwischen dem Standort des Zeichens 286 und dem von dem Betroffenen beim Abstellen seines PKWs benutzten Straßenteil nicht eingetreten war, erstreckte es sich objektiv auch hierauf. Dass der Betroffene dieses Verbot nicht erkannt hat, gereicht ihm, wie das Amtsgericht zutreffend erkannt hat, unter den hier vorliegenden Umständen selbst dann zum Verschulden, wenn er entsprechend seiner Einlassung aus einer gegenüberliegenden Parkplatzausfahrt kommend die Straße erst auf einem hinter dem Verkehrszeichen 286 liegenden Straßenstück befahren hat.

Zwar gilt im Interesse der Verkehrssicherheit für verkehrsbeschränkende Anordnungen der Grundsatz, dass sie nur für denjenigen Verkehrsteilnehmer wirksam werden und verbindlich sind, dem sie auf seiner Fahrt in Gestalt sichtbarer Verkehrszeichen begegnen (sog Sichtbarkeitsprinzip; vgl zB Cramer, Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl, Rdn 11 zu § 39 StVO; Mühlhaus, Kommentar zur StVO, 8. Aufl, Anm 4a zu § 39; BGHSt 11, 7 ff). Es ist jedoch in der Rechtsprechung anerkannt, dass dieser Grundsatz nicht in völliger begrifflicher Absolutheit ohne jede Rücksicht auf ein sinnvolles Verständnis anzuwenden ist. So hat der Bundesgerichtshof (aaO) ein durch Verkehrszeichen angeordnetes Streckenverbot - Gewichtsbeschränkung - auch in dem Fall für verbindlich erachtet, in welchem ein Kraftfahrer die betreffende Straße nach Passieren des Verbotsschildes über einen abzweigenden Weg verlässt und später in Fortsetzung seiner Fahrt mit einem infolge aufgenommener Ladung nunmehr unzulässig hohen Gewicht wieder auf die gesperrte Straßenstrecke zurückfährt, ohne hierbei abermals an einem entsprechenden Verbotsschild vorbeizufahren. Aus ähnlichen Erwägungen hat das OLG Köln ( VRS 19, 148 ) für den Fall der Geschwindigkeitsbeschränkung durch Ortstafeln ausgesprochen, dass derjenige, der eine durch Verkehrszeichen getroffene Anordnung zunächst ohne Verschulden nicht kennt, mit ihr zu rechnen aber triftige Veranlassung hat, seine unverschuldete Unkenntnis nicht einfach hinnehmen und sein objektiv falsches Verkehrsverhalten nicht ohne weiteres fortsetzen darf (für den Fall eines Haltegebots durch Ampelsignal ebenso der 3. Strafsenat des OLG Hamm, Urteil vom 9. September 1960 in 3 Ss 770/60 ). Für ein Halteverbot hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm (Urteil vom 31. Januar 1964 in 3 Ss 1529/63 ) entschieden, dass ein Kraftfahrer, der nicht aus der normalen Fahrtrichtung, sondern durch Wenden in eine Straßenzone einfährt, sich mit besonderer Sorgfalt über eine dort etwa bestehende Einschränkung des Halterechts vergewissern muss. Weiterhin ist bereits ausgesprochen worden, dass ein Kraftfahrer in einer Großstadt und dort vor allem auf schmalen Straßen gerade mit Parkverboten und Halteverboten zu rechnen hat und sich daher nach etwa vorhandenen entsprechenden Verkehrszeichen mit aller Sorgfalt umsehen muss (OLG Hamm, 4. Strafsenat, VRS 29, 139 , 141). Schließlich hat nach der Entscheidung des 3. Strafsenats des OLG Hamm (VM 1964, 94) derjenige, der mit seinem Kraftfahrzeug eine Straße über die Ausfahrt aus einem Parkplatz erreicht hat und dort parken will, sich darüber zu vergewissern, dass nicht ein in kurzem Abstand (dort: ca 7 m) von der Parkplatzausfahrt entfernt stehendes Verkehrszeichen, von dem er nur die Rückseite sehen kann, ihn betreffende Verkehrsbeschränkungen anordnet.

Den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Rechtsgedanken, wonach bei einer Verkehrsregelung durch Verkehrszeichen an dem Sichtbarkeitsprinzip zwar im Grundsatz festzuhalten ist, bei der Anwendung jedoch unter Vermeidung seiner allzu weit gehenden Übersteigerungen auch die sonstigen Belange und Gegebenheiten des Straßenverkehrs im Einzelfall zu berücksichtigen sind, tritt auch der Senat bei. Danach ist es nicht zu beanstanden, wenn das Amtsgericht den Betroffenen für verpflichtet erachtet hat, sich vor dem Abstellen seines PKWs über ein etwaiges Halteverbot an dem beabsichtigten Abstellplatz durch Rückschau auf die Beschilderung jedenfalls an den letzten 30 m des zurückliegenden Straßenstücks zu vergewissern (vgl dazu Cramer aaO, Rdn 11 zu § 39 StVO; Mühlhaus aaO, Anm 4a). Der Betroffene ist aus einer Parkplatzausfahrt über Überquerung der Straße auf diejenige Straßenseite gelangt, an der er sein Fahrzeug anschließend abstellte. Bei dieser Straße handelt es sich um eine im Geschäftszentrum einer Ruhrgebietsstadt von mehr als 50.000 Einwohnern gelegenen Straße, für die sich nach der Lebenserfahrung die Erwägung geradezu aufdrängte, dass sie zur Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs durch entsprechende Beschilderung von einer Belastung durch ruhenden Verkehr möglichst weitgehend freigehalten werden sollte. Dabei konnte der Betroffene schlechterdings nicht davon ausgehen, dass bei Anordnung eines Halteverbots für den von dem Parkplatz abfahrenden Verkehr gezielt und besonders ein zusätzliches Verkehrszeichen aufgestellt sein würde. Denn andernfalls würde gerade in städtischen Kernbereichen häufig die Notwendigkeit gegeben sein, selbst auf verhältnismäßig kurzen bis sehr kurzen Strecken das Halteverbot durch rasche und ständige Wiederholung jeweils für einen unter Umständen nur kleinen Kreis von Verkehrsteilnehmern gesondert zu deklarieren, obwohl bereits nach der rechtlichen Ausgestaltung des § 41 Abs 2 Ziff 8b StVO der Geltungsbereich des Halteverbots sich über eine gewisse räumliche Entfernung hinweg erstreckt. Das würde insbesondere auch dem gleichfalls beachtlichen Grundsatz zuwiderlaufen, dass eine Häufung von Verkehrsschildern möglichst zu vermeiden ist (vgl die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur StVO zu den §§ 39 bis 43, dort Ziffer 14), um ein sicheres und rasches Erfassen der Beschilderung durch die Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten und einer "Schilderinflation" entgegenzuwirken. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass es gerade einem Verkehrsteilnehmer, der sich aus dem Verkehrsfluss ausgegliedert hat und sein Fahrzeug verlässt, nur eine sehr geringe Mühe abverlangt, sich durch einen kontrollierenden Blick und ggfls durch einen kurzen Fußweg über das Vorhandensein einer in der Nähe befindlichen Beschilderung zu vergewissern, die er wegen seiner außergewöhnlichen, nicht dem Verlauf des Straßensystems folgenden Fahrtstrecke nicht passiert hat. An dieser Beurteilung ändert sich entgegen der Auffassung des Betroffenen auch dadurch nichts, dass nicht in überschaubarer Entfernung von seinem Abstellplatz in seiner Fahrtrichtung ein Verkehrsschild "Ende des Halteverbots" (gemeint ist ersichtlich Zeichen 286 mit einem entsprechenden waagerechten weißen Pfeil im Schild gemäß § 41 Abs 2 Ziff 8c StVO) aufgestellt war. Ein solches Verkehrsschild kann zwar zur Kennzeichnung des Endes der Verbotsstrecke aufgestellt werden, seine Anbringung ist jedoch nicht zwingend vorgeschrieben (vgl § 41 Abs 2 Ziff 8c StVO). Von seinem Nichtvorhandensein werden die vorstehenden Erwägungen zur Nachschaupflicht nach rückwärts deshalb nicht berührt.

Dass der Betroffene im vorliegenden Fall bei einem solchen Blick auf den zurückliegenden Straßenverlauf trotz des nach seiner Einlassung dort geparkten Möbelwagens die Rückseite des in etwa 30 m Entfernung angebrachten Verkehrszeichens 286 hätte sehen können, hat das Amtsgericht in nicht zu beanstandender Weise festgestellt. Unter diesen Umständen hätte der Betroffene sich aber von dem Gebotsinhalt oder Verbotsinhalt jenes Schildes Gewissheit verschaffen können und müssen. Soweit er hierzu geltend macht, das Verkehrsschild sei so an einer Hauswand angebracht, dass man es mit einem Blick entlang der Bordsteinkante nicht sehen könne, handelt es sich um einen im Rahmen der Rechtsbeschwerde unzulässigen Angriff gegen die tatrichterlichen Feststellungen, an die der Senat bei seiner Entscheidung gebunden ist. ..."



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