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BayObLG Beschluss vom 20.09.1999 - 1St RR 215/99 - Zur Abgrenzung vom Tatbestandsirrtum vom Verbotsirrtum

BayObLG v. 20.09.1999: Zur Abgrenzung vom Tatbestandsirrtum vom Verbotsirrtum


Das BayObLG (Beschluss vom 20.09.1999 - 1St RR 215/99) hat zur Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum entschieden:
Nimmt der Täter trotz Kenntnis eines gegen ihn mit Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbots irrig an, dieses sei noch nicht rechtskräftig, handelt er jedenfalls dann im den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum, wenn sein Irrtum darauf beruht, dass ihm nicht alle zur Rechtskraft führenden tatsächlichen Umstände bekannt waren.

Ob dann, wenn der Annahme fehlender Rechtskraft des Fahrverbots lediglich eine rechtsirrige Bewertung aller dem Täter bekannten tatsächlichen Umstände zugrunde liegt, Verbotsirrtum gegeben ist, bleibt offen.


Siehe auch Tatumstandsirrtum und Verbotsirrtum im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht


Zum Sachverhalt: Am 17.11.1998 hat das Amtsgericht Laufen den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zur Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 100 DM verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht Traunstein am 17.5.1999 unter Herabsetzung der Anzahl der Tagessätze auf 20 als im übrigen unbegründet verworfen.

Nach den Feststellungen führte der Angeklagte am 14.12.1997 einen Pkw auf der Bundesstraße 20 bei Bad Reichenhall, obwohl gegen ihn mit einem seit 28.10.1997 nach Niederlegung am 11.10.1997 rechtskräftigen Bußgeldbescheid vom 8.7.1997 unter anderem ein Fahrverbot nach § 25 StVG für die Dauer eines Monats angeordnet worden war. Da der Angeklagte den Bußgeldbescheid am 11.12.1997 abgeholt habe, sei ihm die Existenz des Fahrverbots auch bekannt gewesen. Seine - vom Landgericht ersichtlich für unwiderlegt erachtete - Einlassung, davon ausgegangen zu sein, die Einspruchsfrist gegen den Bußgeldbescheid beginne erst mit der Abholung, so dass im Zeitpunkt der Fahrt am 14.12.1997 das Fahrverbot nicht rechtskräftig gewesen sei, führe lediglich zur Annahme eines (vermeidbaren) Verbotsirrtums aufgrund falscher Wertung, so dass der Vorsatz unberührt bleibe. Denn der Angeklagte habe nicht über den Bestand des Fahrverbots geirrt, sondern lediglich darüber, "ab wann das Fahrverbot seine Wirksamkeit entfalten würde".

Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten war vorläufig erfolgreich.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte habe vorsätzlich gehandelt, wird von den bisherigen Feststellungen nicht getragen.

1. Vorsatz (in direkter oder bedingter Form) ist gegeben, wenn sich Wissen und Wollen des Täters auf diejenigen Tatumstände erstrecken, die nach dem jeweiligen Deliktstypus den sogenannten äußeren Tatbestand bilden (Schönke/Schröder/Cramer StGB 25. Aufl. § 15 Rn. 9; Lackner StGB 23. Aufl. § 15 Rn. 4). Vorsatz fehlt daher, wenn der Täter bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB).

Daraus folgt für die vom Landgericht angewendete Vorschrift des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, derzufolge bestraft wird, wer ein Kraftfahrzeug führt, obwohl ihm das Führen nach § 25 StVG verboten ist, dass die verwaltungsbehördliche oder gerichtliche Anordnung eines Fahrverbots ein äußerer Tatumstand ist, auf den sich der Vorsatz des Täters erstrecken muss. Das gilt unzweifelhaft für die Anordnung des Fahrverbots durch die Verwaltungsbehörde oder durch gerichtliche Entscheidung als solcher. Für die hier gegebene Fallgestaltung kommt es allerdings auf die - schwieriger zu beantwortende - Frage an, inwieweit auch die Unanfechtbarkeit der Anordnung vom Wissen des Täters umfasst sein muss.

a) Der Senat hat in einer Entscheidung vom 19.3.1982 (VRS 62, 460) die Annahme, ein Täter handle lediglich fahrlässig, der nach Rücknahme des Einspruchs in der Hauptverhandlung und unterbliebener Belehrung über den Beginn der Verbotsfrist irrig der Auffassung gewesen war, diese beginne erst mit Abgabe des Führerscheins, gebilligt (vgl. auch Jagusch/Hentschel Straßenverkehrsrecht 35. Aufl. § 21 StVG Rn. 15). Waren dem Täter Bußgeldbescheid und verwaltungsbehördliche Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins unbekannt geblieben und war er lediglich von dem mit der Beschlagnahme beauftragten Polizeibeamten auf die Existenz eines Fahrverbots hingewiesen worden, befand er sich in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum, weil er über die tatsächlichen Voraussetzungen der Fahrerlaubnis irrte und weil ein - den Vorsatz unberührt lassender - Verbotsirrtum nur dann vorgelegen hätte, wenn sich der Irrtum bei Kenntnis der tatsächlichen Vorgänge lediglich auf deren rechtliche Tragweite bezogen hätte (BayObLG, Urteil vom 24.10.1980 - RReg 2 St 278/80, mitgeteilt, von Bär DAR 1981, 242). Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf (VerkMitt 1976, 26) soll lediglich ein Verbotsirrtum in der Form des Subsumtionsirrtums vorliegen, wenn der Täter infolge rechtsirriger Bewertung der Wirkung des gegen die verwaltungsbehördliche Entziehung seiner Fahrerlaubnis eingelegten Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung glaubt, die Entziehung sei noch nicht wirksam geworden.

Der Senat hat diese Frage in einem ähnlichen Fall ausdrücklich unentschieden gelassen (Beschluss vom 15.10.1980 - RReg 1 St 360/80) und jedenfalls für den Fall Tatbestandsirrtum angenommen, dass dem Angeklagten die Anordnung des sofortigen Vollzugs nicht bewusst geworden war.

b) Die Entscheidung des OLG Düsseldorf (aaO) ist allerdings mit beachtlicher Begründung auf Kritik gestoßen (KK/Rengier OWiG § 11 Rn. 39; vgl. dort auch Rn. 18, 37 sowie Göhler OWiG 12. Aufl. § 11 Rh. 31). In der Tat stellt sich die Frage, ob nicht, ohne dass auf die Problematik des Irrtums über eine zivil- oder verwaltungsrechtliche Vorfrage (vgl. BayObLGSt 1973, 13/15) oder allgemein auf die Folgen irriger Vorstellungen des Täters über die Beachtlichkeit verwaltungsrechtlicher Pflichten (vgl. Schönke/Schröder/Cramer aaO vor §§ 324 ff. Rn. 23; § 325 Rn. 26) eingegangen werden muss, dem Begriff "Fahrverbot" (und vergleichbaren Merkmalen), dessen Rechtskraft als gleichsam ungeschriebenes normatives Tatbestandselement begriffsimmanent ist und daher vom Vorsatz des Täters umfasst sein muss unabhängig davon, worauf gegebenenfalls dessen Fehlvorstellung beruht. Das erscheint besonders deutlich im Fall einer Anordnung durch Bußgeldbescheid, bei dem es sich zunächst lediglich um eine vorläufige Entscheidung der Verwaltungsbehörde im Sinn eines Angebots zur Selbstunterwerfung handelt (Göhler aaO vor § 65 Rn. 6). Ist der Betroffene der irrigen Auffassung, eine wirksame verwaltungsbehördliche Anordnung liege mangels "Annahme" des Bußgeldbescheids und mangels Selbstunterwerfung nicht vor, liegt es nahe, ihm die Unkenntnis eines tatsächlichen Merkmals der Verbotsnorm und damit einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum zubilligen unabhängig davon, ob der Irrtum auf der Unkenntnis tatsächlicher Umstände oder auf einer Falschbewertung der ihm bekannten Umstände und insoweit lediglich auf einem Rechtsirrtum beruht.

2. Die Frage kann für den hier gegebenen Fall jedoch zunächst auf sich beruhen, weil die Gründe des angefochtenen Urteils nicht erkennen lassen, worauf der Irrtum des Angeklagten, das Fahrverbot sei noch nicht rechtskräftig, im einzelnen beruhte. Denkbar ist, dass er lediglich in Kenntnis aller Umstände rechtsirrig der Meinung war, die Einspruchsfrist beginne stets erst mit dem tatsächlichen Erhalt des Bußgeldbescheids; dann stellt sich die oben offen gelassene Frage, ob es sich bei einem solchen Rechtsirrtum lediglich um einen den Vorsatz unberührt lassenden Verbotsirrtum handelt. Die äußerst knappen Darlegungen des Landgerichts lassen es aber auch als möglich erscheinen, dass dem Angeklagten nicht alle äußeren, zur Unanfechtbarkeit des Bußgeldbescheids führenden Umstände bekannt waren, weil er beispielsweise von dem erfolglosen Zustellungsversuch und der deshalb erfolgten Niederlegung des Bußgeldbescheids keine Kenntnis hatte, und dass sein Irrtum hierauf beruhte oder dies nicht ausgeschlossen werden kann. Jedenfalls in diesem Fall wären dem Angeklagten nicht alle zur Erfüllung des objektiven Tatbestands führenden tatsächlichen Umstände bekannt gewesen, so dass er sich in einem nach § 16 Abs. 1 StGB zu beurteilenden Tatbestandsirrtum befunden hätte und lediglich fahrlässige Tatbegehung in Betracht käme.

Da das Landgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil hierauf beruht.

III.

Auf die Revision des Angeklagten ist daher das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO). Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Traunstein zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 StPO). ..."



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