Das Verkehrslexikon

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OLG Dresden (Urteil vom 30.01.2004 - 1 U 1731/03 - Zum rechtlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem verkehrswidrigen Verhalten eines Kraftfahrers und seiner späteren Beteiligung an einem Verkehrsunfall

OLG Dresden v. 30.01.2004: Zum rechtlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem verkehrswidrigen Verhalten eines Kraftfahrers und seiner späteren Beteiligung an einem Verkehrsunfall


Das OLG Dresden (Urteil vom 30.01.2004 - 1 U 1731/03) hat zur Kausalität zwischen Unfall und Verkehrsverstoß entschieden:
Es genügt für den rechtlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem verkehrswidrigen Verhalten eines Kraftfahrers und seiner späteren Beteiligung an einem Verkehrsunfall nicht schon, dass der Unfall ohne den Verkehrsverstoß vermieden worden wäre, weil der Kraftfahrer mit seinem Fahrzeug bei verkehrsordnungsgemäßer Fahrweise sich nicht an der Unfallstelle befunden hätte. Vielmehr muss sich im Unfall gerade die Gefahr ausgewirkt haben, die zu vermeiden dem Kraftfahrer durch die in Frage stehende Norm aufgegeben worden war.


Siehe auch Kausalzusammenhang und Zurechnungszusammenhang


Zum Sachverhalt: Der Ehemann der Beklagten setzte zum Überholen einer hinter einem langsamen Fahrzeug sich aufstauenden Kolonne an, als die Straße noch durch eine durchgezogene Linie geteilt war. Die Zeugin K. führte das Klägerfahrzeug und scherte sodann ihrerseits vor dem sich nähernde Beklagtenfahrzeug aus der Kolonne aus, um zu überholen. Dies geschah, als sich der Ehemann der Beklagten bereits 24 m hinter dem Ende der durchgezogenen Linie befand. Es kam zur Kollision.

Das Landgericht nahm Schadensteilung vor. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten, die volle Klageabweisung begehrte, hatte Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

"... Entgegen der Auffassung des Landgerichts, scheidet eine Haftung der Beklagten auch aus §§ 823 ff. BGB, 3 PflVG aus. Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Ehemanns der Beklagten, die ursächlich für den Unfall war, kann nicht festgestellt werden.

1. Zwar hat der Ehemann der Beklagten zu Beginn seines Überholvorganges die durchgehende Linie (Zeichen 295 zu § 41 StVO) überfahren, sein Verkehrsverstoß war jedoch nicht kausal für den streitgegenständlichen Unfall.

Es genügt für den rechtlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem verkehrswidrigen Verhalten eines Kraftfahrers und seiner späteren Beteiligung an einem Verkehrsunfall nicht schon, dass der Unfall ohne den Verkehrsverstoß vermieden worden wäre, weil der Kraftfahrer mit seinem Fahrzeug bei verkehrsordnungsgemäßer Fahrweise sich nicht an der Unfallstelle befunden hätte. Vielmehr muss sich im Unfall gerade die Gefahr ausgewirkt haben, die zu vermeiden dem Kraftfahrer durch die in Frage stehende Norm aufgegeben worden war. So kann beispielsweise ein späterer Unfall einer Geschwindigkeitsüberschreitung nicht allein schon deshalb zugerechnet werden, weil das Fahrzeug bei Einhaltung der verlangten Geschwindigkeit erst später an die Unfallstelle gelangt wäre, sondern in dem Unfall muss sich die auf das zu schnelle Fahren zurückzuführende erhöhte Gefahrenlage aktualisiert haben. War in dem Augenblick des Unfalls die Gefahrerhöhung bereits abgeklungen, dann fehlt es an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang mit dieser Verkehrswidrigkeit (vgl. zu Vorstehendem nur BGH, VersR 1987, 821 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen; Geigel, Der Haftpflichtprozess, 23. Aufl., 1. Kap. Rz.9; Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl., 2. Kap. Rz. 100). Der Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation ist bei der Betrachtung des Zurechnungszusammenhanges für die Frage von Bedeutung, ob bei Einhaltung der Verkehrsregeln zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Unfall vermeidbar gewesen wäre. Die kritische Verkehrslage beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann (vgl. BGH, VersR 2003, 783).

Vorliegend hat sich die Gefahr, die zu vermeiden dem Kraftfahrer durch die betreffende Norm (§ 41 StVO Zeichen 295) aufgegeben worden ist, im Unfall nicht ausgewirkt.

Zwar hat der Ehemann der Beklagten vorliegend den Überholvorgang im Bereich einer durchgehenden Linie - Zeichen 295 - begonnen, die (vorausfahrende) Unfallgegnerin K. hat nach den Feststellungen des Landgerichts jedoch erst hinter dem Ende der Fahrstreifenbegrenzung ihr Überholmanöver eingeleitet, wobei sich der Ehemann der Beklagten mit dem von ihm geführten Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt ebenfalls schon hinter der durchgehenden Linie befand. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr das von dem Ehemann der Beklagten gesteuerte Fahrzeug bereits ca. 24 m hinter dem Ende der Fahrstreifenbegrenzung als die Unfallgegnerin K. begann, nach links auszuscheren, wobei diese sich zu diesem Zeitpunkt mit ihrem Fahrzeug bereits 45 m bis 48 m hinter dem Ende der durchgehenden Linie befand.

...

Nachdem die Unfallgegnerin K. ihr Überholmanöver erst in einem Abstand von mindestens 24 m zu dem Ende der Fahrstreifenbegrenzung eingeleitet hat (Gegenteiliges hat die Klägerin jedenfalls nicht bewiesen), fehlt es vorliegend an dem erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem verkehrswidrigen Verhalten des Ehemanns der Beklagten und dem Unfall, da sich die Gefahr, die es durch die maßgebliche Norm (§ 41 StVO, Zeichen 295) zu vermeiden gilt, in dem Unfall nicht niedergeschlagen hat.

...

3. Es kann darüber hinaus entgegen der Auffassung der Klägerin nicht festgestellt werden, dass eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h (§ 3 Abs. 3 StVO) durch den Ehemann der Beklagten ursächlich für den Unfall war.

Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin annimmt, das der Ehemann der Beklagten tatsächlich, wie von der Klägerin behauptet, , mit einer Geschwindigkeit von 130 km/h gefahren ist, kann nach dem Vortrag der Klägerin nicht festgestellt werden, dass der Unfall bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h für den Ehemann der Beklagten vermeidbar gewesen wäre. Denn die Klägerin behauptet - auch nach entsprechendem Hinweis des Senates mit Beschluss vom 06.01.2004 - selbst nicht, dass ihr Ehemann bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h unter Einleitung eines entsprechenden Bremsmanövers die Kollision hätte verhindern können. ..."



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