Das Verkehrslexikon

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Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 09.06.2005 - 3 C 21.04 - Keine Gutachten-Anordnung mehr, wenn eine zurückliegende Tat einem Verwertungsverbot unterliegt

BVerwG v. 09.06.2005: Keine Gutachten-Anordnung mehr, wenn eine zurückliegende Tat einem Verwertungsverbot unterliegt


Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 09.06.2005 - 3 C 21.04) hat entschieden, dass beim Bestehen eines Verwertungsverbots bezüglich eines Drogendelikts vor der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis eine MPU nicht mehr angeordnet werden darf; es hat gleichzeitig entschieden, dass für sog. Altfälle (Eintragungen vor dem 01.01.1999) die derzeitigen Neuregelungen des § 29 StVG gelten, d. h. dass auch diese Altfälle einer höchstens 5-jährigen Tilgungsbeginnhemmung bis zur Neuerteilung einer Fahrerlaubnis unterliegen.
Ist die Fahrerlaubnis wegen eines Drogendelikts im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr entzogen worden, so ist bei Neuerteilung der Fahrerlaubnis die Anordnung der Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 FeV nicht mehr zulässig, wenn die Tat wegen Zeitablaufs einem Verwertungsverbot unterliegt.


Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)


Zum Sachverhalt: In der Zeit von 1981 bis 1987 war die Klägerin mehrfach wegen Vergehen nach dem BTMG verurteilt worden. Eine MPU im Jahre 1987 war negativ, so daß ihr Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis abgelehnt wurde.

Nach einer positiven MPU aus dem Jahre 1993 wurde ihr ebenfalls noch 1993 eine neue Fahrerlaubnis erteilt.

Am 16. Mai 1995 verursachte die Klägerin einen Verkehrsunfall, infolge dessen sie mit Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 18. August 1995 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40 DM verurteilt wurde. Zugleich wurde ihre Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen und eine Sperre für die Wiedererteilung von zehn Monaten verhängt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts stand die Klägerin unter dem Einfluss von Heroin, Kokain und Haschisch, als sie in einer leichten Rechtskurve von der Fahrbahn abkam, gegen die Leitplanke prallte und dabei ihren mitfahrenden Ehemann konkret gefährdete.

Im Zuge der Bearbeitung eines im Jahre 2002 gestellten Antrags auf Wiedererteilung verweigerte die Klägerin die Beibringung einer MPU, da der Vorfall aus dem Jahre 1995 nach 7 Jahren eine derartige Anordnung nicht rechtfertige.

Ihr Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid sowie Klage, Berufung und Revision gegen die Ablehnung ihres Antrags blieben erfolglos.

Zum Urteil der Berufungsinstanz:

Mit Urteil vom 18. Mai 2004 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Fahrerlaubnis nach Bestehen der Fahrerlaubnisprüfung. Das Landratsamt B. habe gemäß § 20 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV von der Nichteignung der Klägerin ausgehen dürfen, weil sie sich geweigert habe, entsprechend der Anordnung des Landratsamtes vom 19. August 2002 ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Die Anordnung erfülle die Voraussetzungen von § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV. Der Klägerin sei die Fahrerlaubnis durch Strafbefehl vom 18. August 1995 im Zusammenhang mit der Drogenfahrt vom 16. Mai 1995 und damit aus einem der in § 14 Abs. 1 FeV genannten Gründe entzogen worden. Entgegen der Auffassung der Klägerin finde § 14 Abs. 2 FeV nicht nur dann Anwendung, wenn die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zu einem früheren Zeitpunkt in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren festgestellt worden sei. Aus der in § 14 Abs. 1 und 2 FeV zum Ausdruck kommenden Konzeption des Verordnungsgebers folge, dass nach einer erfolgten Entziehung der Fahrerlaubnis im Zusammenhang mit der Einnahme von Betäubungsmitteln nicht nur ein ärztliches Gutachten, sondern ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen sei. Der Zulässigkeit der Gutachtenanordnung stehe nicht entgegen, dass die Klägerin seit 1995 hinsichtlich des Konsums von Betäubungsmitteln nicht mehr auffällig geworden sei. Das Fehlen von Hinweisen im Bundeszentralregister auf derartige Verstöße seit 1995 spreche nicht zwingend für eine tatsächliche Drogenabstinenz. Es lägen keinerlei Nachweise für die Drogenabstinenz der Klägerin durch einen negativen Laborbefund vor. Zudem müsse nach den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung zu einer in der Regel einjährigen Abstinenz, die durch mindestens vier unvorhersehbar anberaumte Laboruntersuchungen nachzuweisen sei, ein tiefgreifender und stabiler Einstellungswandel hinzutreten, der es wahrscheinlich mache, dass der Betroffene auch in Zukunft die Abstinenz einhalte. Hierfür habe der Verordnungsgeber in § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vorgesehen. Die Zulässigkeit der Gutachtenanordnung könne auch nicht im Hinblick auf den Grundsatz der Erforderlichkeit mit dem Argument angegriffen werden, anstelle des medizinisch-psychologischen Gutachtens könne die Drogenfreiheit mit Hilfe eines bloßen ärztlichen Gutachtens belegt werden. Nach den Aussagen des eingeholten Sachverständigengutachtens sei der Zeitraum, auf den sich eine Untersuchung von Blut oder Urin erstrecke, sehr begrenzt.


Aus den Gründen der Entscheidung des BVerwG:

"... Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verletzt kein Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse 3 nach Bestehen der Fahrerlaubnisprüfung hat.

1. Über den geltend gemachten Anspruch ist nach dem materiellen Recht zu entscheiden, das sich im Zeitpunkt der (revisions-)gerichtlichen Entscheidung Geltung beimisst. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist dies das Straßenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1952 (BGBl I S. 837), zuletzt geändert durch Art. 11 des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 24. August 2004 (BGBl I S. 2198), sowie die Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. August 1998 (BGBl I S. 2214) in der Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 9. August 2004 (BGBl I S. 2092) im Folgenden: Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV).

Die Voraussetzungen für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis bestimmen sich nach § 2 Abs. 2, Abs. 7 und Abs. 8 StVG i.V.m. § 20 Abs. 1, § 22 Abs. 2 Satz 4, §§ 11 und 14 FeV. Ermächtigungsgrundlage für die genannten Bestimmungen der Fahrerlaubnis-Verordnung ist § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StVG. Danach wird das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ermächtigt, Regelungen über die Anforderungen an die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, die Beurteilung der Eignung durch Gutachten sowie die Feststellung und Überprüfung der Eignung durch die Fahrerlaubnisbehörde nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4, 7 und 8 StVG zu erlassen. Damit genügt die Ermächtigungsgrundlage den Bestimmtheitsanforderungen von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 89, 69 <84>).

2. Der Antrag der Klägerin auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis ist zu Recht abgelehnt worden, weil ihr die erforderliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen fehlt.

Nach § 20 Abs. 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften für die Ersterteilung. Ein Anspruch auf (Erst)Erteilung besteht nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 StVG nur, wenn der Bewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV ist geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen nur derjenige, der die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt. Konkretisierend bestimmt § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV, dass diese Anforderungen nicht erfüllt sind, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 der Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegt. Zur Klärung der Eignung kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 2 Abs. 8 StVG anordnen, dass der Antragsteller ein ärztliches Gutachten oder ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) beibringt, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers begründen.

Eine solche Anordnung ist hier ergangen. Da die Klägerin sich geweigert hat, ihr Folge zu leisten und das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten beizubringen, ist nach § 11 Abs. 8 FeV von ihrer Nichteignung auszugehen.

Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Damit hat der Verordnungsgeber in der Fahrerlaubnis-Verordnung erstmals normiert, was unter der Geltung von § 15 b StVZO a.F. nur richterrechtlich anerkannt war. Nach der zur alten Rechtslage ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts war der Schluss auf die Nichteignung nur zulässig, wenn die Anordnung der Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1985 BVerwG 7 C 26.83 BVerwGE 71, 93 <95>; Urteil vom 13. November 1997 BVerwG 3 C 1.97 Buchholz 442.16 § 15 b StVZO Nr. 28, Urteil vom 5. Juli 2001 BVerwG 3 C 13.01 Buchholz 442.16 § 15 b StVZO Nr. 29, S. 3). Diese Grundsätze sind auch bei der Anwendung der Fahrerlaubnis-Verordnung zu beachten (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl. 2003, § 11 FeV Rn. 24; Jagow in: Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 17. Aufl. 2002, § 3 StVG Rn. 7 e). Der Verordnungsgeber hat in der Begründung zu § 11 Abs. 8 FeV ausdrücklich auf die zur alten Rechtslage ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Bezug genommen (BRDrucks 443/98, S. 257).

3. Der Beklagte durfte aus der mehrfachen schriftlichen Weigerung der Klägerin, sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen, gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf ihre fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen, da die Gutachtenanordnung vom 19. August 2002 formell und materiell rechtmäßig war. Die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, genügte den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV. Das Landratsamt hat darin mitgeteilt, dass die Frage der Kraftfahreignung der Klägerin zu klären sei, nachdem die Fahrerlaubnis wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz durch das Amtsgericht K. am 18. August 1995 entzogen worden war. Die Anordnung enthält auch die erforderliche Fristsetzung, einen Hinweis auf die Kostentragungspflicht des Betroffenen und die Angabe, dass das Gutachten von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zu erstellen ist. Außerdem ist die Klägerin auf die Folgen einer Weigerung, sich untersuchen zu lassen, oder einer nicht fristgerechten Vorlage des Gutachtens hingewiesen worden (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV).

Die Gutachtenanordnung war auch materiell rechtmäßig. Sie hatte ihre Grundlage in § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV. Danach ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der in Absatz 1 genannten Gründe entzogen war. Der Klägerin ist die Fahrerlaubnis wegen einer unter Drogeneinfluss begangenen fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung durch Strafbefehl vom 18. August 1995 nach § 69 StGB entzogen worden. Die Entziehung muss wegen fehlender Kraftfahreignung im Zusammenhang mit dem Konsum von Betäubungsmitteln erfolgt sein. Eine solche Maßnahme kann sowohl durch die Fahrerlaubnisbehörde ausgesprochen werden (vgl. § 4 StVG i.V.m. § 46 FeV) als auch durch strafgerichtliches Urteil, wenn sich aus einer Straftat, die bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges begangen wurde, ergibt, dass der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist (vgl. § 69 Abs. 1 StGB). Letzteres war hier der Fall.

4. Zu Unrecht meint die Klägerin, die Entziehung der Fahrerlaubnis im Jahre 1995 könne wegen der inzwischen verstrichenen Zeit nicht mehr als Rechtfertigung für eine Gutachtenanforderung herangezogen werden. Sie übersieht, dass der Gesetzgeber selbst Fristen festgelegt hat, nach deren Ablauf Taten der hier in Rede stehenden Art einem Verwertungsverbot unterliegen. Die insoweit maßgebliche Frist ist hier noch nicht abgelaufen.

Allerdings darf dem Betroffenen nach § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG eine Tat für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr vorgehalten werden, wenn die Eintragung der gerichtlichen Entscheidung im Verkehrszentralregister getilgt ist. Die Regelung beinhaltet ein Verwertungsverbot für diejenigen Fälle, in denen wie im vorliegenden Fall eine im Verkehrszentralregister getilgte gerichtliche Entscheidung noch im Bundeszentralregister eingetragen ist (vgl. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des StVG und anderer Gesetze vom 8. November 1996, Einzelbegründung zu § 29 Abs. 8 StVG, BRDrucks 821/96, S. 79). Nach § 29 Abs. 8 Satz 3 StVG dürfen hiervon abweichend Entscheidungen der Gerichte nach §§ 69 bis 69 b StGB für die Prüfung der Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen verwertet werden (vgl. § 28 Abs. 2 Nr. 2 StVG). Um eine solche Prüfung geht es hier jedoch nicht. Im Verfahren der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ist nicht die Berechtigung, sondern die Eignung der Klägerin zum Führen von Kraftfahrzeugen (vgl. § 28 Abs. 2 Nr. 1 StVG) zu prüfen. Das in § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG konstituierte Verwertungsverbot wäre daher an sich einschlägig.

Besonderheiten gelten im vorliegenden Fall jedoch deshalb, weil § 29 Abs. 8 StVG mit dem Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24. April 1998 (BGBl I S. 747) am 1. Januar 1999 zu einem Zeitpunkt in Kraft getreten ist, als die mit Strafbefehl vom 18. August 1995 getroffenen Entscheidungen bereits im Verkehrszentralregister eingetragen waren. § 65 Abs. 9 StVG enthält eine spezielle Übergangsregelung für Entscheidungen, die bereits vor dem In-Kraft-Treten der gesetzlichen Neuregelung in das Verkehrszentralregister eingetragen worden waren. Der 1. Halbsatz der Vorschrift verweist für vor dem 1. Januar 1999 eingetragene Entscheidungen hinsichtlich der Tilgungsbestimmungen auf die bis zum 31. Dezember 1998 geltende Rechtslage. Danach galt eine fünfjährige Tilgungsfrist für in das Verkehrszentralregister einzutragende Geldstrafen und Freiheitsstrafen von nicht mehr als drei Monaten (vgl. § 13 a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. 1 StVZO a.F.). Die Verurteilung der Klägerin mit Strafbefehl vom 18. August 1995 war daher unter Anwendung der alten Tilgungsbestimmungen mit Ablauf des 18. August 2000 im Verkehrszentralregister zu tilgen. Die Übergangsvorschrift des § 65 Abs. 9 Satz 1 StVG n.F. verweist jedoch auch hinsichtlich der Verwertbarkeit auf die alte Rechtslage: Nach dem 2. Halbsatz dieser Vorschrift dürfen die vor dem 1. Januar 1999 im Verkehrszentralregister eingetragenen Entscheidungen grundsätzlich nach § 52 Abs. 2 BZRG in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung verwertet werden. Diese Vorschrift lautete wie folgt: "Abweichend von § 51 Abs. 1 darf eine frühere Tat ferner in einem Verfahren berücksichtigt werden, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat, wenn die Verurteilung wegen dieser Tat in das Verkehrszentralregister einzutragen war". Hiernach konnten Eintragungen im Verkehrszentralregister trotz Tilgungsreife in einem Verfahren ohne zeitliche Begrenzung berücksichtigt werden, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hatte so genannte ewige Verwertung (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 BVerwG 3 C 14.01 Buchholz 442.10 § 65 StVG Nr. 1, S. 4; Götz/Tolzmann, BZRG, 4. Aufl. 2000, § 52 Rn. 16.).

Der in § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG enthaltene Verweis auf die Geltung der Verwertungsvorschriften nach altem Recht ist jedoch beschränkt auf eine Verwertbarkeit bis längstens "zu dem Tag, der einer zehnjährigen Tilgungsfrist entspricht". Der Inhalt dieser Regelung erschließt sich bei Betrachtung von Sinn und Zweck der Norm sowie der Entstehungsgeschichte. § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG wurde eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des StVG und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 19. März 2001 (BGBl I S. 386). Mit dem Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24. April 1998 waren die Tilgungsfristen für alkohol- und drogenbedingte Verkehrsstraftaten einheitlich auf zehn Jahre festgesetzt und damit die frühere als nicht sachgerecht empfundene Differenzierung nach dem Strafmaß (fünf Jahre Tilgungsfrist bei Ahndung durch Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis drei Monate, sonst zehn Jahre) aufgegeben worden.

In der neu eingeführten Übergangsregelung für nach altem Recht im Verkehrszentralregister eingetragene Entscheidungen hat der Gesetzgeber die Fortgeltung der alten häufig fünfjährigen Tilgungsfristen bestimmt, jedoch übersehen, dass nach der alten Rechtslage eine Verwertung über die Tilgungsreife hinaus nach § 52 Abs. 2 BZRG a.F. möglich war und somit die vom Übergangsrecht erfassten Antragsteller unbeabsichtigt privilegiert wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 BVerwG 3 C 14.01 Buchholz 442.10 § 65 StVG Nr. 1). Diese Lücke sollte dadurch geschlossen werden, dass für die bis Ende 1998 im Verkehrszentralregister eingetragenen Straftaten nicht nur die alten Tilgungsfristen, sondern auch die alte Verwertungsvorschrift des § 52 Abs. 2 BZRG a.F. weiter anzuwenden waren, allerdings bis maximal zu dem Tag, der einer zehnjährigen Frist entspricht. Mit der Befristung auf zehn Jahre sollte ein Gleichstand mit der ab 1. Januar 1999 geltenden Neuregelung hergestellt werden, die generell eine Tilgungsfrist und damit auch eine Verwertbarkeit von zehn Jahren vorsieht (vgl. BTDrucks 14/4304 S. 14). Es sollte eine Gleichbehandlung von den unter die Übergangsregelung fallenden "Altfällen" mit den unter das neue Recht fallenden Sachverhalten hergestellt werden, für die nach § 29 Abs. 1 StVG n.F. in der Regel eine Tilgungsfrist von zehn Jahren gilt. Für diese "Neufälle", d.h. Eintragungen ab dem 1. Januar 1999, beginnt der Lauf der zehnjährigen Tilgungsfrist gemäß § 29 Abs. 5 StVG - und damit abweichend von der alten Rechtslage - bei Versagung oder Entziehung der Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung erst mit der Erteilung oder Neuerteilung der Fahrerlaubnis, spätestens jedoch fünf Jahre nach der beschwerenden Entscheidung. Wäre im Falle der Klägerin die Entziehung der Fahrerlaubnis durch strafgerichtliche Verurteilung erst nach dem 31. Dezember 1998 in das Verkehrszentralregister eingetragen worden, hätte die Tilgungsfrist von zehn Jahren, da eine zwischenzeitliche Neuerteilung nicht in Rede steht, erst fünf Jahre nach der Unterzeichnung des Strafbefehls, also mit Ablauf des 18. August 2000 zu laufen begonnen. Die zehnjährige Tilgungsfrist würde unter Geltung des neuen Rechts daher erst am 18. August 2010 ablaufen. Nichts anderes kann auf Grund der Übergangsbestimmung gemäß § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG gelten, wenn mit der auf zehn Jahre befristeten Weitergeltung der "alten" Verwertungsvorschrift des § 52 Abs. 2 BZRG der Gleichstand mit der ab 1. Januar 1999 geltenden Neuregelung hergestellt werden soll. Hierfür spricht auch der Wortlaut der Übergangsbestimmung, denn dort heißt es, dass die vor dem 1. Januar 1999 eingetragenen Entscheidungen längstens bis zu dem Tag, der einer zehnjährigen Tilgungsfrist "entspricht", verwertet werden dürften. Was einer zehnjährigen Tilgungsfrist "entspricht", ergibt sich aber aus § 29 StVG n.F. einschließlich der Regelung über den Beginn der Tilgungsfrist in § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG (OVG Saarland, Urteil vom 24. Mai 2004 1 R 25/03 DAR 2004, 546 f., Kalus in: Drogen und Straßenverkehr, § 2 Rn. 59 und 60).

Gegen die Anwendung der Übergangsregelung des § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Rückwirkungsverbots. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt eine unechte Rückwirkung vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (BVerfG, Urteil vom 23. November 1999 1 BvF 1/94 BVerfGE 101, 239 <263>). Derartige Gesetze sind grundsätzlich zulässig. Durch das Gesetz zur Änderung des StVG und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 19. März 2001 wurde ausdrücklich geregelt, dass eine Verwertbarkeit von Eintragungen im Verkehrszentralregister über den Zeitpunkt der Tilgungsreife hinaus, begrenzt auf den Tag, der einer zehnjährigen Tilgungsfrist entspricht, zulässig ist. Die Neuregelung trat am 27. März 2001 in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt war zwar hinsichtlich der Verurteilung der Klägerin vom 18. August 1995 nach den alten Tilgungsvorschriften bereits Tilgungsreife eingetreten. Unabhängig davon, ob man annimmt, dass § 65 Abs. 9 Satz 1 StVG in der seit dem 1. Januar 1999 bis zum 26. März 2001 geltenden Fassung dahin auszulegen war, dass die dort genannten Eintragungen auch nach Eintritt der Tilgungsreife verwertet werden durften (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 15. März 2000 RO 9 K 99.00696 NZV 2000, 223 <224>), liegt ein Fall unechter Rückwirkung vor. Denn selbst wenn nach der am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Fassung von § 65 Abs. 9 Satz 1 StVG ein Verwertungsverbot für nach altem Recht tilgungsreife Eintragungen im Verkehrszentralregister eingetreten sein sollte, so würde sich die Wiedereinführung der Verwertbarkeit auf einen gegenwärtigen, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt beziehen. Relevant wird die Verwertbarkeit im vorliegenden Fall nur im Zusammenhang mit dem im August 2002 und damit nach den Rechtsänderungen gestellten Antrag der Klägerin auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis.

Selbst wenn man annehmen wollte, die Wiedereinführung der Verwertbarkeit einer getilgten Eintragung begründe eine echte Rückwirkung, bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 29. Juli 2003 10 S 2316/02 DAR 2003, 577 <578>; offen gelassen: BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 BVerwG 3 C 14.01 Buchholz 442.10 § 65 StVG Nr. 1). Die echte Rückwirkung ist u.a. dann ausnahmsweise zulässig, wenn die Rechtslage "unklar und verworren" ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Mai 1993 1 BvR 345/83 BVerfGE 88, 366 <404>). Dies war hier der Fall. Wie dargestellt, führte die am 1. Januar 1999 in Kraft getretene Regelung bei einer am Wortlaut orientierten Auslegung dazu, dass bezüglich einer kleinen Gruppe von Betroffenen die kurzen Tilgungsfristen nach altem Recht und zugleich das unmittelbar mit der Tilgung eintretende Verwertungsverbot nach neuem Recht anwendbar waren. Damit wären diese Personen besser gestellt gewesen, als wenn entweder altes oder neues Recht auf ihren Fall angewendet worden wäre. Diese Ungereimtheit hatte der Gesetzgeber übersehen und durfte sie mit der Neuregelung bereinigen. Im Übrigen ist der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verfassungsrechtlich nicht gehindert, eine ursprünglich eingetretene Unverwertbarkeit bestimmter Arten von getilgten oder tilgungsreifen Straftaten nachträglich wieder zu beseitigen, wenn er später erkennt, dass der Schutz eines höherwertigen Rechtsgutes wie der Verkehrssicherheit durch die ursprüngliche Gesetzesfassung nicht oder nicht genügend gewährleistet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1976 BVerwG VII C 69.74 BVerwGE 52, 1 <3> = VRS 52, 393 <395>). Der Gesetzgeber durfte im vorliegenden Fall davon ausgehen, dass bei der Unverwertbarkeit von drogen- und alkoholbedingten Straftaten nach bereits fünf Jahren den Belangen der Verkehrssicherheit nicht ausreichend Rechnung getragen würde.

Die hiernach gesetzlich festgelegten Fristen können nicht unter Hinweis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beiseite geschoben oder relativiert werden. Angesichts der großen Gefahren, die die Teilnahme am Straßenverkehr unter dem Einfluss harter Drogen für die Allgemeinheit mit sich bringt, ist es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber eine relativ lange Zeit ansetzt, bevor ein Verwertungsverbot greift. Eine bereits manifest gewordene Drogenauffälligkeit im Straßenverkehr begründet eine große Rückfallgefahr. Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass zum Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs diesem Risiko im Rahmen des Möglichen vor Neuerteilung einer Fahrerlaubnis für längere Zeit durch die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens begegnet werden muss, erscheint sachgerecht und trägt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung.

5. Die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens war auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil die Frage eines andauernden Drogenkonsums der Klägerin durch ein ihre Persönlichkeitsrechte weniger beeinträchtigendes ärztliches Gutachten hätte geklärt werden können. § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV sieht bei Vorliegen seiner tatbestandlichen Voraussetzungen zwingend die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vor. Nach dem normativen System von § 14 FeV ist im Falle eines Antrages auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung aus Gründen des Absatz 1 nicht nur ein ärztliches Gutachten, sondern ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Der Grund liegt darin, dass die Feststellung der Abhängigkeit bzw. der Einnahme von Betäubungsmitteln eine ärztliche Fragestellung ist (Absatz 1), während bei der nach Absatz 2 zur beurteilenden Frage, ob eine Abhängigkeit nicht mehr besteht oder bei beendeter Drogeneinnahme mit einem Rückfall zu rechnen ist, für die positive Beurteilung entscheidend ist, ob ein stabiler Einstellungswandel erfolgt ist. Hierzu ist auch eine psychologische Bewertung erforderlich (vgl. Begründung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 7. Mai 1998, BRDrucks 443/98, S. 263). ..."



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