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Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil vom 26.06.2003 - 3 K 2573/02 - Zur Zulässigkeit einer Gutachten-Anordnung auch noch viele Jahre nach der Entziehung der Fahrerlaubnis

VG Sigmaringen v. 26.06.2003: Zur Zulässigkeit einer Gutachten-Anordnung auch noch viele Jahre nach der Entziehung der Fahrerlaubnis


Das Verwaltungsgericht Sigmaringen (Urteil vom 26.06.2003 - 3 K 2573/02) hat entschieden:
Im Rahmen eines Verfahrens auf Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis nach einer im Hinblick auf einen früheren Drogenkonsum erfolgten strafgerichtlichen Fahrerlaubnisentziehung ist die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 Abs 2 Nr 1 FeV auch dann rechtmäßig, wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis viele Jahre zurückliegt und für den Zeitraum seit der Entziehung der Fahrerlaubnis keine Hinweise auf einen erneuten Drogenkonsum des Betreffenden vorliegen.


Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)


Zum Sachverhalt: Die Klägerin erstrebt die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis Klasse B.

Die 1963 geborene verheiratete Klägerin erhielt erstmals am 20.06.1981 die Fahrerlaubnis der Klasse 3. Bereits damals konsumierte sie bis 1986 Haschisch und von 1983 bis 1986 ferner Heroin und Kokain. Wegen zahlreicher Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz kam es ausweislich des Strafregisterauszugs vom 19.06.1995 zu einschlägigen Verurteilungen (Amtsgericht Riedlingen vom 12.08.1985; Landgericht Ravensburg vom 06.05.1986; Amtsgericht Sigmaringen vom 13.04.1987 und 28.10.1987; Bl. 15 der Behördenakten). In seinem Gutachten vom 05.03.1987 gelangte das medizinisch-psychologische Institut für Verkehrs- und Betriebssicherheit beim Technischen Überwachungsverein Stuttgart - Untersuchungsstelle Ulm - zu der abschließenden Beurteilung, dass bei der Klägerin eine erhöhte Rückfallgefahr bezüglich des Drogenkonsums gegeben ist. Trotz vorausgegangener Verurteilungen habe sie weiterhin gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen; die charakterliche Eignung der Klägerin zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse 3 sei somit nicht gegeben. Im oben genannten Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 06.05.1986 war eine Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bis 09.1986 festgelegt worden.

Aufgrund ihres Wiedererteilungsantrags unterzog sich die Klägerin am 05.01.1993 einer abermaligen medizinisch-psychologischen Begutachtung; die medizinisch-psychologische Untersuchungsstelle des TÜV Berlin-Brandenburg, Untersuchungsstelle Frankfurt/Oder gelangte in ihrem Gutachten vom 05.02.1993 zusammenfassend zum Ergebnis, dass kein überzeugender Nachweis dafür bestehe, wonach der Klägerin die Kraftfahreignung weiterhin abgesprochen werden müsste. Die Klägerin könne deshalb nach absolvierter Fahrausbildung und bestandener Prüfung erneut Kraftfahrerin am motorisierten Straßenverkehr sein. Daraufhin erhielt die Klägerin im Februar 1995 wiederum die beantragte Fahrerlaubnis.

Am 16.05.1995 kam es auf der B 33 zwischen Konstanz und der Waldsiedlung Reichenau um 2.35 Uhr zu einem von der Klägerin verursachten Verkehrsunfall mit Totalschaden an ihrem Fahrzeug. Ursache dieses Unfalls waren die Einnahme von Heroin, Kokain und Haschisch im Zusammenwirken mit einer starken Übermüdung der Klägerin (vgl. das von der Staatsanwaltschaft Konstanz eingeholte Gutachten beim Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Freiburg Prof. Dr. Stefan Pollak; Bl. 19 der Behördenakten). Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Konstanz vom 18.08.1995 wurde gegen die Klägerin eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je DM 40,00 festgesetzt und die Fahrerlaubnis entzogen. Für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis wurde eine Sperrfrist von weiteren 10 Monaten verfügt.

Am 12.08.2002 beantragte die Klägerin die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis. Mit Schreiben vom 19.08.2002 forderte die Fahrerlaubnisbehörde beim Landratsamt Biberach die Klägerin zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstellung für Fahreignung auf. Dem trat die Klägerin mit Anwaltsschriftsatz vom 11.09.2002 entgegen; zur Begründung wurde ausgeführt, eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen sei zu keinem Zeitpunkt in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren festgestellt worden.

Mit Verfügung vom 21.10.2002 wurde der Antrag der Klägerin auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B abgelehnt.

Der Widerspruch hiergegen blieb erfolglos.

Im Klageverfahren erließ das Verwaltungsgericht einen Beweisbeschluss zur Frage, ob die Klägerin geeignet ist, ein Kraftfahrzeug der Klasse B im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, durch Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens durch den Leiter des TÜV Ulm, Medizinisch-Psychologisches Institut. Die genannte Begutachtungsstelle sandte am 15.04.2003 die einschlägigen Akten an das Verwaltungsgericht zurück - mit dem Vermerk, dass der Bevollmächtigte der Klägerin mitgeteilt habe, dass diese die vorgeschlagenen Termine vom 01. bzw. 16.04.2003 nicht wahrnehmen werde.

Die Klage hatte keinen Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Wiedererteilung der Fahrerlaubnis der Klasse 3 nach bestandener Fahrerlaubnisprüfung (§ 113 Abs. 5 VwGO); die angefochtenen Bescheide vom 21.10.2002 und 09.12.2002 sind somit rechtmäßig und verletzen daher die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Um Wiederholungen zu vermeiden, wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 09.12.2002 Bezug genommen.

Ergänzend ist auszuführen, dass sich das Verwaltungsgericht nicht der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin dahingehend anzuschließen vermag, dass eine frühere Ungeeignetheit der Klägerin zum Fahren von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr die diesbezügliche Feststellung im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Fahreignungsüberprüfungsverfahren voraussetze.

Angesichts des Inhalts der seit 1981 geführten Behördenakten, wie sie dem Gericht vorgelegen haben, muss im Fall der Klägerin von einer „Drogenkarriere“ gesprochen werden. Jedenfalls sind die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Rahmen des Verfahrens beim Amtsgericht Konstanz dergestalt, dass auch ein Verwaltungsgericht zu keinem anderem Ergebnis hinsichtlich der Einschätzung der Fahreignung der Klägerin gelangte wäre. Die Tatsache, dass die Klägerin in der Nacht vom 16.05.1995 eine Drogenfahrt absolviert hat, kann in keiner Weise in Abrede gestellt werden. Die diesbezüglichen Feststellungen des Polizeireviers Konstanz (Bl. 10 der Behördenakten) sind ebenso eindeutig wie die daraufhin eingeholten Gutachten beim Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Freiburg und Chemischen Institut des Amts für Umweltschutz Stuttgart vom 14.06.1995. Auch die bei der Klägerin vorgenommene Blutprobe gab im letztgenannten Gutachten den Nachweis einer Einnahme von Heroin, Kokain und Haschisch (vgl. Bl. 16 bis 25 der Behördenakten). Die tatbestandlichen Voraussetzungen zur Aufforderung an die Klägerin, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, haben somit gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 der Fahrerlaubnisverordnung vorgelegen; d.h. bei dieser Sachlage hatte die Fahrerlaubnisbehörde zu klären, ob die Klägerin noch abhängig ist oder - ohne abhängig zu sein - weiterhin Betäubungsmittel einnimmt. Die Tatsache, dass die Klägerin seit der genannten Drogenfahrt nicht mehr in einschlägiger Weise in Erscheinung getreten ist, mag ein Indiz zu ihren Gunsten sein; dies allein entbindet die Fahrerlaubnisbehörde aber nicht von ihrer Pflicht, die Fahreignung der Klägerin zu klären. Aufgabe der genannten Bestimmung ist es, zu prüfen, ob durch den früheren Drogenkonsum körperliche Schäden eingetreten sind; ferner hat der Psychologe die Stabilität der Abstinenz i.S. eines stabilen Einstellungswandels zu untersuchen (so auch: OVG Bremen NJW 2000, 2438; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.05.2002, VBlBW 2003, 23; Beschluss vom 15.05.2002, VBlBW 2002, 389; Geiger, Maßnahmen der Verkehrsbehörden bei Alkohol- und Drogenauffälligen, BayVBl 2001, 586).

Da die vorliegende Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die getroffene Entscheidung von einer Entscheidung eines Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht, war die Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg nicht zuzulassen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 VwGO). ..."



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