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OVG Greifswald Beschluss vom 28.10.2005 - 1 M 123/05 - Zur Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik hat die Behörde auch bei Radfahrern mit mehr als 1,6 ‰ eine MPU anzuordnen

OVG Greifswald v. 28.10.2005: Zur Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik hat die Behörde auch bei Radfahrern mit mehr als 1,6 ‰ eine MPU anzuordnen


Das OVG Greifswald (Beschluss vom 28.10.2005 - 1 M 123/05) hat entschieden:
Zur Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik hat die Behörde zwingend, ohne dass ihr ein Ermessen eingeräumt wäre, gemäß §§ 46 Abs. 3, 13 Nr. 2 Buchst. c FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu fordern, wenn, ein Fahrrad im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr" geführt wurde.


Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Der Antragsteller wendet sich dagegen, dass der Antragsgegner ihm sofort vollziehbar seine Fahrerlaubnis entzogen hat, weil er sich mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,61 Promille mit dem Fahrrad im Straßenverkehr bewegt hat.

Die nach Zustellung des angegriffenen Beschlusses am 08. September 2005 unter dem 21.September 2005 fristgerecht ( § 147 VwGO ) eingelegte und ebenso fristgerecht ( § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO ) begründete Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

...

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die auf § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1, 3 FeV gestützte Entziehungsverfügung des Antragsgegners vom 05. August 2005, deren sofortige Vollziehung angeordnet worden ist, rechtmäßig sein dürfte. Auf die entsprechenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts, denen sich der Senat anschließt, wird verwiesen ( § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO ). Das Beschwerdevorbringen vermag die Richtigkeit dieser Erwägungen nicht in Frage zu stellen.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Gutachtenanforderung als solche gemäß § 13 Nr. 2 Buchst. c FeV rechtmäßig war, ist nicht zu beanstanden. Die Vorschrift findet gemäß § 46 Abs. 3 FeV entsprechende Anwendung, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder bedingt geeignet ist.

Zur Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik hat die Behörde zwingend, ohne dass ihr ein Ermessen eingeräumt wäre, gemäß §§ 46 Abs. 3, 13 Nr. 2 Buchst. c FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu fordern, wenn, ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr" geführt wurde. Dies ist vorliegend der Fall.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist es insoweit unerheblich, dass er die von der Polizei entdeckte Alkoholfahrt mit dem Fahrrad und nicht mit einem Kraftfahrzeug unternommen hat. § 13 Nr. 2 Buchst. c FeV setzt nicht die Verkehrsteilnahme mit einem Kraftfahrzeug voraus, sondern hält bereits die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem,Fahrzeug" für ausreichend. Demgemäss ist in der Rechtsprechung geklärt, dass auch bei einem Ersttäter, der, obwohl er einen Alkoholisierungsgrad hat, der die Grenzwerte des § 13 Nr. 2 Buchst. c FeV übersteigt, mit seinem Fahrrad am Straßenverkehr teilnimmt, ein medizinisch-psychologisches Gutachten verlangt werden muss (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 16.03.2005 - 3 L 372/05 -, NJW 2005, 2471 ; OVG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 31.01.2003 - 4 B 10/03 -, juris; OVG Lüneburg, Beschl. vom 14.01.2000, - 12 O 136/00 -, juris; OVG Münster, Beschl. vom 22.01.2001 - 19 B 1757, 19 E 886/00 -, NJW 2001 - zitiert nach juris, 394 ; VG Dresden, Beschl. v. 02.09.2005 - 14 K 774/05 -, juris; VG Potsdam, Beschl. v. 08.07.2005 - 10 L 279/05 -, juris; VG Neustadt/Weinstraße, Beschl. v. 16.03.2005 - 3 L 372/05.NW -, juris; VG Düsseldorf, Urt. v. 30.09.2004 - 6 K 2533/03 -, juris; VG Braunschweig, Beschl. vom 13.06.2003 - 6 B 212/03 -, NVwZ 2003, 1284 - zitiert nach juris; vgl. ferner zum alten Recht BVerwG, Beschl. vom 09.09.1996, - 11 B 61/96 -, juris; Urt. vom 27.09.1995 - 11 C 34/94 -, BVerwGE 99, 249 - zitiert nach juris; VGH Mannheim, Beschl. v. 16.07.1998 - 10 S 1461/97 -, VBlBW 1999, 106 - zitiert nach juris).

Nach Nr. 8.2 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV kann nach einem Alkoholmissbrauch die Fahreignung grundsätzlich erst dann wieder angenommen werden, wenn die missbräuchlichen Alkoholtrinkgewohnheiten beendet sind und die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist. Ein Fall des Alkoholmissbrauchs liegt u.a. dann vor, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber in einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Maße alkoholische Getränke konsumiert, sodass von einer Trennung des Alkoholkonsums und dem Führen von Kraftfahrzeugen ohne Alkoholeinfluss nicht sicher ausgegangen werden kann. Nach den von der Fahrerlaubnisverordnung aufgegriffenen gesicherten Erkenntnissen der Alkoholforschung (vgl. dazu auch die Begr. des Bundesrats, BRDrucks 443/98, abgedr. bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 13 FeV m. w. N.) besteht die Gefahr - wie vorliegend - auch bei einem Fahrerlaubnisinhaber, der so alkoholgewöhnt ist, dass er die in § 13 Nr. 2 Buchst. c FeV genannten Werte erreicht (und überschreitet) und gleichwohl noch mit einem Fahrzeug am Straßenverkehr teilnimmt. Umso eher ist es die Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde, bei gegebenem Anlass mit einer Eignungsuntersuchung festzustellen, ob der Betreffende angesichts seiner erheblich normabweichenden Trinkgewohnheiten noch in der Lage ist, den Genuss von größeren Mengen Alkohol und das Führen von Kraftfahrzeugen strikt zu trennen.

Soweit der Antragsgegner sich demgegenüber auf das Verwaltungsgericht Bremen und dessen Urteil vom 11.12.1991 - 5 A 462/90 - ( NZV 1992, 295 ) beruft, ist die darin geäußerte Auffassung schon nach altem Recht vereinzelt geblieben und durch das neue Recht nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen jedenfalls überholt.

Die "Tilgungsproblematik" hat das Verwaltungsgericht entgegen dem Vorbringen des Antragstellers in seine Überlegungen eingestellt. Es ist insoweit zu der nicht zu beanstandenden Auffassung gelangt, dass das TÜV-Gutachten vom 23. Juni 2005 fehlerhaft und nicht verwertbar ist, soweit von einer Mehrfachtäterschaft des Antragstellers ausgegangen wird und daraus Schlussfolgerungen und Prognosen hergeleitet werden. Soweit das Verwaltungsgericht im Übrigen insbesondere die Exploration berücksichtigt und eine eigene Bewertung der Tatsachen vorgenommen hat, begegnet dies ebenfalls keinen Bedenken. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der ausdrücklich vom Antragsteller angegriffenen Feststellung,
"Der Antragsteller schildert in der Exploration sein jahrelanges Trinkverhalten, die Steigerung der Alkoholmengen und zunehmende Alkoholgewöhnung."
Der Antragsteller hat in der Exploration im Kern eingeräumt, etwa seit 1979 bis 1990 erhebliche Mengen Alkohol konsumiert und zunehmend im Sinne einer Gewöhnung "vertragen" zu haben ("Das ist bis 1990 so geblieben, das ist nicht blitzschnell nach oben gegangen, das hat sich langsam so entwickelt."). Bis 2002 - aber offensichtlich auch danach ("Das hat sich nicht so sehr verändert") - hat er "vielleicht einmal im Monat" vergleichbare Trinkmengen zu sich genommen. Der Antragsteller stellt also dar, dass er über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren regelmäßig erhebliche Mengen an Alkohol konsumiert. Nimmt man hinzu, dass er am 21. Dezember 2002 von der Polizei mit 2,61 Promille bei einer Alkoholfahrt mit dem Fahrrad entdeckt wurde, verdichtet sich dieses Bild dahin, dass der Antragsteller nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Alkoholforschung zur Gruppe der Personen mit deutlich normabweichenden Trinkgewohnheiten bzw. zur Risikogruppe der überdurchschnittlich alkoholgewöhnten Kraftfahrer gehört (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.09.1995 - 11 C 34/94 -, BVerwGE 99, 249 - zitiert nach juris). Auch wenn der Antragsteller in "Schlangenlinien" gefahren ist, so ist doch entgegen dem Beschwerdevorbringen hervorzuheben, dass er bei einer derartigen Blutalkoholkonzentration überhaupt noch Fahrrad fahren konnte. Die in "Protokoll u. Antrag zur Feststellung d. Alkoholkonzentration im Blut" im Ärztlichen Untersuchungsbericht enthaltenen Feststellungen stützen ebenfalls diese Einschätzung: Der Gesamteindruck des Antragstellers wird trotz der Promillezahl von 2,61 lediglich als "deutlich" alkoholbeeinflusst beschrieben, der Gang beispielsweise sowohl mit offenen als auch geschlossenen Augen als "sicher"; auch im Übrigen überwiegen unter den Punkten 30 bis 42 Feststellungen, die im mittleren bzw. oberen Bereich und nicht am untersten Ende der Skala liegen. Seine vom Antragsteller in Bezug genommenen Leberwerte können all dies nicht erschüttern. Im Gegenteil erscheint angesichts der offensichtlich bestehenden Alkoholgewöhnung fraglich, ob die Angabe in der Exploration, er trinke (nur) einmal im Monat die näher bezeichneten Mengen an Alkohol, glaubhaft ist. Nach Auffassung des erkennenden Senats kann ebensowenig davon die Rede sein, beim Antragsteller handele es sich um einen sogenannten "Geselligkeitstrinker".

Wesentlich gegen die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen spricht ebenfalls, dass die Fahrt mit dem Fahrrad trotz erheblicher Alkoholisierung und "Schlangenlinienfahrens" nicht vom Antragsteller umgehend nach ihrem Beginn selbst beendet worden ist. Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass der Antragsteller sein Verhalten als Verkehrsteilnehmer nicht mehr richtig einschätzen bzw. nicht mehr im erforderlichen Maße verantwortungsbewusst handeln konnte, obwohl er nach Maßgabe des Polizeiberichts Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern nur "gerade noch" entging. Insoweit drängt sich die Frage auf, warum zu erwarten sein sollte, dass er sich als Führer eines Kraftfahrzeuges anders verhalten würde.

Dass der Antragsteller trotz seiner offenbar erreichten Giftfestigkeit bislang und insbesondere in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren, in denen er bis zu 60.000 km im Jahr zurückgelegt haben will, noch nicht durch das Führen von Kraftfahrzeugen in alkoholisiertem Zustand auffällig geworden ist, kann ihn nicht entscheidend entlasten. Dies kann seinen Grund auch darin haben, dass eine Verkehrsteilnahme unter dem Einfluss von Alkohol oft nicht entdeckt wird, bzw. schon allein aus der Lückenhaftigkeit der Verkehrsüberwachung folgen. Es unterliegt mehr oder weniger dem Zufall, ob Trunkenheitsfahrten entdeckt werden. Dass der Antragsteller nicht mit einem Kraftfahrzeug auffällig geworden ist, ist deshalb nicht hinreichend aussagekräftig. ..."



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