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Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 28.11.1969 - VII C 18.69 - Eine MPU-Anordnung ist kein anfechtbarer Verwaltungsakt

BVerwG v. 28.11.1969: Die Anordnung der Verwaltungsbehörde nach StVZO § 3 Abs 2, die dem Inhaber einer Fahrerlaubnis aufgibt, das Gutachten einer medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beizubringen, ist kein anfechtbarer Verwaltungsakt


Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 28.11.1969 - VII C 18.69) hat entschieden:
Die Anordnung der Verwaltungsbehörde nach StVZO § 3 Abs 2, die dem Inhaber einer Fahrerlaubnis aufgibt, das Gutachten einer medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beizubringen, ist kein anfechtbarer Verwaltungsakt.


Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)


Zum Sachverhalt: Der 1911 geborene Kläger, der seit 1929 die Fahrerlaubnis für die Klassen I, II und III besitzt, ist in den Jahren 1960 bis 1964 fünfmal wegen verkehrsrechtlicher Verfehlungen bestraft worden. Drei dieser Verfehlungen betrafen Überschreitungen der höchstzulässigen Fahrgeschwindigkeit; eine weitere Verurteilung wurde wegen fahrlässiger Körperverletzung ausgesprochen, weil der Kläger bei Nebel auf der Autobahn auf ein anderes Fahrzeug aufgefahren war und dabei den Fahrer dieses Wagens verletzt hatte. Die letzte Verurteilung beruhte auf der Anzeige eines anderen Kraftfahrers, der sich auf der Überholfahrbahn befand und sich durch das dichte Auffahren des Klägers unter gleichzeitiger Abgabe optischer und akustischer Signale belästigt fühlte.

Die Beklagte gab dem Kläger auf, das Gutachten eines medizinisch psychologischen Instituts beizubringen, um die im Hinblick auf seine Bestrafungen bestehenden Zweifel an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auszuräumen. Der Kläger unterzog sich der Untersuchung, lehnte jedoch die Vorlage des Gutachtens ab. Er legte gegen die Anordnung auf Beibringung eines Gutachtens Widerspruch ein, der als unzulässig zurückgewiesen wurde. Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die von der Beklagten erlassene Anordnung kein Verwaltungsakt, sondern lediglich eine, die künftige Regelung des Einzelfalles vorbereitende Maßnahme sei. Die Berufung hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Es hat sich im Gegensatz zum Verwaltungsgericht auf den Standpunkt gestellt, die Anordnung nach § 3 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung sei ein Verwaltungsakt, weil sie dem Betroffenen eine Verpflichtung auferlege. Es hat jedoch diese Anordnung für gerechtfertigt gehalten und deshalb die Klage als unbegründet abgewiesen.

Der Kläger verfolgt mit der Revision seinen Klageantrag weiter. Die Revision blieb erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Anfechtungsklage ist nicht zulässig, weil ein nach § 42 Abs. 1 VwGO anfechtbarer Verwaltungsakt nicht vorliegt.

Die Anordnung der Beklagten, durch die dem Kläger die Beibringung eines Gutachtens einer anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle aufgegeben worden ist, beruht auf § 3 Abs. 2 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Dezember 1960 (BGBl. I S. 898) - StVZO -. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde zur Vorbereitung der Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis die Beibringung eines solchen Gutachtens anordnen, wenn Anlaß zu der Annahme besteht, daß der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges nicht mehr geeignet ist. Wie Wortlaut und Zweck dieser Vorschrift ergeben, greift diese Anordnung noch nicht in die Rechte des Betroffenen ein. Sie dient vielmehr der Aufklärung des Sachverhalts und der Vorbereitung einer den Einzelfall regelnden Entscheidung, die allein angefochten werden kann.

Die Anordnung begründet nicht, wie das Berufungsgericht angenommen hat, eine selbständige Pflicht des Betroffenen, sich einer Untersuchung zu unterziehen, sondern konkretisiert lediglich seine schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen bestehende Mitwirkungspflicht an der Aufklärung des Sachverhalts. Der Unterschied zwischen beiden Arten von Pflichten wird an den Folgen deutlich, die ihre Nichtbefolgung auslöst. Kommt der Betroffene einer ihm besonders auferlegten Pflicht nicht nach, so kann er dazu gezwungen werden. Die in § 3 Abs. 1 Satz 2 des Wehrpflichtgesetzes in der Fassung vom 14. Mai 1965 (BGBl. I S. 391) - WpflG - begründete Pflicht des Wehrpflichtigen, sich zu melden, vorzustellen, sich auf die geistige und körperliche Tauglichkeit untersuchen und auf die Eignung für bestimmte Verwendung prüfen zu lassen, wird, wenn er ihr nicht nachkommt, nach § 44 Abs. 2 WpflG zwangsweise durchgesetzt. Ebenso stellt § 42 Abs. 1 Satz 3 des Bundesbeamtengesetzes in der Fassung vom 22. Oktober 1965 (BGBl. I S. 1776) - BBG - die Pflicht des Beamten auf, sich nach Weisung der Behörde ärztlich untersuchen und, falls ein Amtsarzt dies für erforderlich hält, auch beobachten zu lassen. Kommt er dieser Weisung nicht nach, so können gegen ihn wegen Verletzung der Gehorsamspflicht Disziplinarmaßnahmen ergriffen werden. Die Anordnung nach § 3 Abs. 2 StVZO kann dagegen, wie auch das Berufungsgericht erkannt hat, nicht zwangsweise durchgesetzt werden. Wird sie nicht befolgt, so kann die Verwaltungsbehörde aus diesem Verhalten des Betroffenen Schlüsse auf seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ziehen und auf Grund der gegen seine Eignung bestehenden Bedenken zu der Annahme gelangen, daß der Betroffene geistige oder körperliche Mängel verbergen will, die seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen. Der auf Grund bestimmter Bedenken bestehende Verdacht auf Ungeeignetheit kann sich dadurch bei der Verwaltungsbehörde zu der Gewißheit verdichten, daß der Betroffene zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist und daß ihm deshalb die Fahrerlaubnis zu entziehen ist (BVerwGE 11, 274). Die Behörde nimmt also bei Nichtbefolgung ihrer Anordnung eine Beweiswürdigung vor, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zu einer in den Rechtsstatus des Betroffenen eingreifenden Maßnahme führen kann. Damit wird deutlich, daß es sich bei der Anordnung nach § 3 Abs. 2 StVZO um eine der eigentlichen Entscheidung vorausgehende und diese vorbereitende Maßnahme handelt, deren Voraussetzungen nicht selbständig, sondern nur mit der das Verfahren abschließenden Entscheidung überprüft werden können.

Der Auffassung des Berufungsgerichts wäre allerdings dann zuzustimmen, wenn der Rechtsschutz des Betroffenen, könnte er die Anordnung nach § 3 Abs. 2 StVZO nicht anfechten, geschmälert oder jedenfalls nicht ausreichend sichergestellt wäre. Bei der Frage, ob ein Verwaltungsakt vorliegt, muß diesem Gesichtspunkt entscheidende Bedeutung beigemessen werden. Der Begriff des Verwaltungsakts ist eine Zweckschöpfung der Verwaltungsrechtswissenschaft. Durch ihn soll ein wirksamer Rechtsschutz des Bürgers gegen die öffentliche Gewalt gewährleistet werden. Deshalb ist bei der Auslegung und Anwendung dieses Begriffes das Rechtsschutzbedürfnis des Bürgers von wesentlicher Bedeutung (BVerwGE 3, 258 <262>). Aber auch bei dieser Betrachtungsweise ist nicht erforderlich, die Anordnung nach § 3 Abs. 2 StVZO als Verwaltungsakt anzusehen, weil der Betroffene seine Rechte durch die ihm sonst zur Verfügung stehenden Möglichkeiten hinreichend wahrnehmen kann.

Das Berufungsgericht sieht eine Schmälerung des Rechtsschutzes vor allem darin, daß der Betroffene auch bei erfolgreicher Anfechtung der Entziehung der Fahrerlaubnis mit den Kosten des Gutachtens belastet bleibt. Das ist jedoch nicht zutreffend. Die Anforderung der Gebühr für das Gutachten ist ein Verwaltungsakt, der selbständig angefochten werden kann. Nach Art. V der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr in der Fassung vom 18. Mai 1961 (BGBl. I S. 611) - GebOStV -, ist nur derjenige zur Zahlung der Gebühr verpflichtet, der die Maßnahme veranlaßt hat. Darauf hat der Senat bereits in BVerwGE 11, 274 (275) hingewiesen. Haben begründete Anhaltspunkte für die Annahme bestanden, daß der Betroffene zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet ist, so hat er die Gebühr selbst dann zu zahlen, wenn das Gutachten zu seinen Gunsten ausgeht. Dem Betroffenen können mithin dadurch, daß er die Anordnung der Verwaltungsbehörde, ein Gutachten beizubringen, nicht anfechten kann, erhebliche Nachteile oder eine Beschränkung seines Rechtsschutzes hinsichtlich der ihm dadurch erwachsenen Kosten nicht entstehen.

Dasselbe gilt auch für den Hinweis, der Betroffene sei dann ohne Rechtsschutz, wenn die Verwaltungsbehörde nach Beibringung des Gutachtens von einer Entziehung der Fahrerlaubnis absehe. Dem Berufungsgericht ist zwar darin zuzustimmen, daß die bloße Mitteilung der Verwaltungsbehörde, sie sehe von einer Entziehung ab, kein Verwaltungsakt ist, weil dieser Mitteilung die für den Begriff des Verwaltungsaktes typische Regelungsfunktion fehlt. Dem Betroffenen entstehen aber auch in diesem Fall keinerlei rechtliche Nachteile. Das einzige, was ihn in diesem Falle belasten kann, ist die für das beigebrachte Gutachten bezahlte Gebühr. Gegen ihre Anforderung kann aber der Betroffene mit der Anfechtungsklage vorgehen. Hat der Betroffene dagegen ein Gutachten überhaupt nicht beigebracht, und hat die Behörde trotz dieses Verhaltens von einer Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen, dann liegt eine Beschwer des Betroffenen nicht vor. Deshalb vermag auch dieser vom Berufungsgericht angeführte Gesichtspunkt es nicht zu rechtfertigen, die Anordnung auf Beibringung eines Gutachtens als Verwaltungsakt anzusehen. ..."



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