Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 26.11.2001 - (3) 1 Ss 185/01 (106/01) - Eine Verurteilung wegen (fahrlässigen) Fahrens ohne Haftpflichtversicherungsschutz setzt die Beendigung des Versicherungsvertrages voraus

KG Berlin v. 26.11.2001: Eine Verurteilung wegen (fahrlässigen) Fahrens ohne Haftpflichtversicherungsschutz setzt die Beendigung des Versicherungsvertrages voraus


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 26.11.2001 - (3) 1 Ss 185/01 (106/01)) hat entschieden:
  1. Bei einer Verurteilung wegen (fahrlässigen) Fahrens ohne Haftpflichtversicherungsschutz muss das Urteil im Falle der Auflösung des Versicherungsvertrages die Tatsachen feststellen, aus denen sich die Wirksamkeit der Vertragsauflösung ergibt. Insoweit sind auch Feststellungen dazu erforderlich, dass sowohl die Mahnung nach VVG § 39 Abs 1 als auch die Kündigung nach VVG § 39 Abs 3 dem Versicherungsnehmer zugegangen ist.

  2. Der Nachweis des Zugangs des Mahn- und des Kündigungsschreibens kann nur durch positive Beweisanzeichen festgestellt werden. Hierfür reicht allein der Nachweis der Aufgabe zur Post nicht aus (Anschluss OLG Köln, 29. August 1986, Ss 472/86, VRS 73, 153 (1987)). Auch die Grundsätze des Anscheinsbeweises greifen insoweit nicht ein. Ist nicht auszuschließen, dass zumindest eines der Schreiben auf dem Postweg verloren gegangen sein könnte, ist nicht nachgewiesen, dass der Versicherungsvertrag durch Kündigung aufgelöst worden ist.

  3. Ist der Tatbestand des PflVG § 6 objektiv erfüllt, kommt eine Bestrafung des Versicherungsnehmers dann in Betracht, wenn er davon, dass der Versicherungsvertrag bei Nichtzahlung der Erstprämie drei Monate nach ihrer Fälligkeit auch ohne Benachrichtigung kraft Gesetzes endet, Kenntnis hatte oder Kenntnis hätte haben können.

Siehe auch Verstöße gegen die gesetzliche Pflichtversicherung


Zum Sachverhalt: Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässigen Fahrens ohne Haftpflichtversicherungsschutz zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 40,-- DM verurteilt. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten am 8. September 1999 mit der Maßgabe verworfen, dass es die Geldstrafe auf zehn Tagessätze zu je 40,-- DM herabgesetzt hat. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat dieses Urteil mit Beschluss vom 5. Juni 2000 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. In der neuen Hauptverhandlung am 6. Februar 2001 ist die Berufung des Angeklagten von dem Landgericht verworfen worden.

Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat wiederum mit der Sachrüge (vorläufigen) Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel folgendermaßen Stellung genommen:
"Die Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht. Eine Strafbarkeit gemäß § 6 PflVG setzt voraus, dass ein Versicherungsvertrag entweder nicht abgeschlossen oder durch Kündigung, Rücktritt, Anfechtung oder in anderer Weise aufgelöst worden ist. Im Falle der Vertragsauflösung muss das Urteil die Tatsachen feststellen, aus denen sich die Wirksamkeit der Vertragsauflösung ergibt (vgl. KG Beschluss vom 5. Juni 2000 - (3) 1 Ss 5/00 (31/00) - m.w.N.). Daran fehlt es hier.

Die Urteilsgründe weisen zwar aus, dass der Haftpflichtversicherungsvertrag, den der frühere Eigentümer und Halter des Pkws, der inzwischen verstorbene D., abgeschlossen hatte, von der Versicherungsgesellschaft "gekündigt" wurde, weil D. die Versicherungsprämie "zu keinem Zeitpunkt" gezahlt hatte, und dass die Übersendung der "Kündigung" an D. "nach entsprechenden Mahnungen" und "einer entsprechenden Androhung" mit Einschreiben erfolgte, bevor D. im Dezember 1997 einen erneuten Versicherungsantrag ("Doppelkartenantrag") stellte (UA S. 7). Diese Feststellungen belegen aber nicht den für die Wirksamkeit sowohl einer Mahnung nach § 39 Abs. 1 VVG als auch der Kündigung nach § 39 Abs. 3 VVG erforderlichen Zugang der jeweiligen Schreiben (§ 130 Abs. 1 BGB).

Der Zugang von Briefsendungen kann nur durch positive Beweisanzeichen festgestellt werden (vgl. OLG Köln VRS 73, 153 m.w.N.). Als positives Beweisanzeichen kommt hier allein die Absendung der genannten Schreiben in Betracht. Das reicht jedoch nicht aus. Denn in der Rechtsprechung ist anerkannt, dass im Zivilprozess der Nachweis für den Zugang eines Schreibens an den Empfänger auch nach den Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins nicht allein durch den Nachweis der Aufgabe zur Post geführt werden kann; das gilt selbst bei Übersendung durch eingeschriebenen Brief (vgl. BGH VRS 13, 183, 185). Im Strafverfahren, in dem die Rechtsgrundsätze über den Beweis des ersten Anscheins unanwendbar sind, können an die Beweisführung zu Lasten des Angeklagten keine geringeren Anforderungen gestellt werden (vgl. BayObLG VRS 66, 34, 35; OLG Düsseldorf VRS 71, 73, 74; OLG Köln a.a.O., S. 153/154).

Diese Grundsätze gelten auch für den (schriftlichen) Rücktritt des Versicherers nach § 38 Abs. 1 Satz 1 VVG, der ebenfalls erst wirksam wird, wenn er dem Versicherungsnehmer zugeht (§§ 349, 130 Abs. 1 BGB) und nach den Urteilsfeststellungen auch hier vorgelegen haben dürfte, da schon die erste Prämie und nicht erst eine Folgeprämie nicht gezahlt wurde (UA S. 7).

Dass vorliegend sowohl die mit Einschreiben übersandte "Androhung der Kündigung" als auch die mit Einschreiben übersandte "Kündigung" selbst den Adressaten nicht erreicht haben, mag zwar unwahrscheinlich sein. Ein zusätzliches positives Beweisanzeichen für deren Zugang lässt sich daraus aber nicht herleiten, weil mit dieser Begründung nicht auszuschließen ist, dass zumindest eines der Schreiben, z.B. das entscheidende "Kündigungsschreiben", auf dem Postweg verlorengegangen sein könnte (vgl. OLG Köln a.a.O., S. 154). Auch die Tatsache, dass D. im Dezember 1997 einen erneuten Versicherungsantrag stellte (UA S. 7), kann nicht als zusätzliches positives Beweisanzeichen dafür gewertet werden, dass ihn jedenfalls das "Kündigungsschreiben" erreicht hat. Denn D. könnte sich zur Stellung eines erneuten Versicherungsantrags für den in Rede stehenden Pkw im Dezember 1997 beispielsweise schon deshalb veranlasst gesehen haben, weil er trotz der ihm zugegangenen "Androhung der Kündigung" die Versicherungsprämie nicht gezahlt hatte und deshalb befürchtete, dass für das Auto kein Versicherungsschutz mehr bestand.

Dass der Versicherungsvertrag mit D. aufgrund der spätestens im Dezember 1997 abgesandten "Kündigung" der Versicherungsgesellschaft zur Auflösung gebracht worden ist und daher am Tattag, dem 18. Januar 1998, nicht mehr bestand, ist den Feststellungen des Landgerichts somit nicht zu entnehmen.

Die unzureichenden Feststellungen (zur äußeren Tatseite) führen zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung an die Vorinstanz (§ 354 Abs. 2 StPO), da - entgegen der Ansicht der Revision - nicht auszuschließen ist, dass weitere Feststellungen getroffen werden können, die zur Verurteilung des Angeklagten ausreichen. Bei der gegebenen Sachlage liegt es nämlich nicht fern, dass der von D. für das Fahrzeug abgeschlossene Haftpflichtversicherungsvertrag vor dem 18. Januar 1998 nach § 38 Abs. 1 Satz 2 VVG in Wegfall gekommen sein kann. Danach gilt es als Rücktritt, wenn die Erstprämie nicht bezahlt und der Anspruch auf die Prämie nicht innerhalb von drei Monaten vom Fälligkeitstag an gerichtlich geltend gemacht worden ist. Diese Vorschrift ist immer dann mit in Betracht zu ziehen, wenn der Versicherungsnehmer - wie hier - die Erstprämie nicht bezahlt und der Versicherer - wie anscheinend auch hier - deshalb Schritte mit dem Ziel unternommen hat, sein Rücktrittsrecht nach § 38 Abs. 1 Satz 1 VVG auszuüben (vgl. OLG Zweibrücken DAR 1989, 274, 275). Letzteres deutet darauf hin, dass der Anspruch auf die Erstprämie nicht gerichtlich geltend gemacht worden ist, so dass das Wirksamwerden des Rücktritts kraft der Fiktion in § 38 Abs. 1 Satz 2 VVG nur noch vom Ablauf der Dreimonatsfrist abhängt (vgl. OLG Zweibrücken a.a.O.). Sobald diese Frist abgelaufen ist, besteht für das Fahrzeug kein Haftpflichtversicherungsschutz mehr und der Tatbestand des § 6 PflVG ist objektiv erfüllt, wenn das Fahrzeug danach auf öffentlichen Wegen oder Plätzen gebraucht oder der Gebrauch gestattet wird. Sollte sich ergeben, dass der Tatbestand des § 6 PflVG objektiv verwirklicht worden ist, so kommt eine Bestrafung des Angeklagten wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz dann in Betracht, wenn er davon, dass der Versicherungsvertrag bei Nichtzahlung der Erstprämie drei Monate nach ihrer Fälligkeit auch ohne Benachrichtigung durch den Versicherer kraft Gesetzes endet, - etwa aufgrund seiner Erfahrung als Kfz- Händler oder entsprechender auch für Laien verständlicher Hinweise in den Vertragsunterlagen, die den Versicherungsnehmern regelmäßig überlassen werden, - Kenntnis hatte oder hätte Kenntnis haben können."
Der Senat tritt diesen zutreffenden Ausführungen bei. ..."



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