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OLG Düsseldorf Urteil vom 05.04.2001 - 1 U 9/00 - Zur Einhaltung der 130-%-Grenze durch Reparatur mit Gebrauchtteilen

OLG Düsseldorf v. 05.04.2001: Der Integritätszuschlag hängt nicht davon ab, dass das Unfallfahrzeug nach den Richtlinien des Herstellers instandgesetzt wird.


Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 05.04.2001 - 1 U 9/00) hat entschieden:

  1.  Der Integritätszuschlag hängt nicht davon ab, dass das Unfallfahrzeug nach den Richtlinien des Herstellers instandgesetzt wird. Auch das Schadensgutachten schreibt die Reparaturmethode nicht verbindlich vor. Ob und inwieweit alternative Verfahren wie eine Reparatur mit Gebrauchtteilen genügen, hängt zunächst von der technischen Würdigung des Reparaturergebnisses ab. Technische oder optische Defizite schaden nicht, wenn sie nach umfassender Bewertung der Interessenlage des Geschädigten mit Blick auf den Zustand des Fahrzeugs vor dem Unfall nicht entscheidend ins Gewicht fallen (ergänzend zu OLG Düsseldorf, 10. März 1997, 1 U 118/96, NZV 1997, 355 = RuS 1997, 286).

  2.  Darf der Geschädigte verlässlich erwarten, dass die Kosten einer technisch vertretbaren Reparatur 130% des (ungekürzten) Wiederbeschaffungswertes nicht wesentlich überschreiten, so ist die Erteilung eines Reparaturauftrags nicht schon deshalb wirtschaftlich unvernünftig, weil die Instandsetzungskosten laut Schadensgutachten deutlich über der 130%-Grenze liegen.


Siehe auch
Abstrakte bzw. sog. fiktive Schadensabrechnung - Abrechnung auf Gutachtenbasis
und
Integritätsinteresse und Ersatz der Reparaturkosten bis zu 130-% des Wiederbeschaffungswertes - die sog. 130-%-Grenze

Zum Sachverhalt:


Der Kläger nahm die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf restlichen Schadensersatz in Anspruch.

Der PKW des Klägers, ein BMW 735i, Erstzulassung 11/87, wurde am 06.01.1999 bei einer Kollision mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 2), haftpflichtversichert bei der Drittbeklagten, im Bereich des Vorderwagens erheblich beschädigt.

Die volle Einstandspflicht der Beklagten für die Unfallschäden des Klägers war außer Streit. Die Parteien stritten in erster Linie um die Höhe des Fahrzeugschadens. Die Beklagte zu 3) hat ihn auf Totalschadensbasis abgerechnet, während der Kläger unter Inanspruchnahme des Integritätszuschlags von bis zu 30 % Erstattung von Reparaturkosten in Höhe von 12.180,- DM beansprucht, 4.180,- DM mehr als die Beklagte zu 3) gezahlt hat.

Der vom Kläger beauftragte KFZ-Sachverständige ... schätzte die Kosten einer Werkstattreparatur bei Verwendung von Originalersatzteilen auf 17.705,98 DM (einschließlich Mehrwertsteuer). Den Wiederbeschaffungswert gab er mit 9.500,- DM und den Restwert mit 1.500,- DM an. Sämtliche Schätzwerte sind als solche unstreitig. Einen Minderwert stellte der Sachverständige nicht fest.

Der Kläger sah davon ab, für den im Mai 1998 erworbenen, mit umfangreicher Sonderausstattung ausgerüsteten 7er BMW ein Ersatzfahrzeug anzuschaffen. Er will sein Fahrzeug in dem KFZ-Betrieb ... unter Verwendung von Gebrauchtteilen repariert haben lassen. Zum Nachweis der Reparatur und der dabei angefallenen Kosten von 12.180,- DM berief er sich auf den Auftragsschein. In dieser Urkunde war eine "Komplettreparatur für 12.180,- DM incl. MWSt. 16 %" notiert.

Über die Qualität der Reparatur und deren Wirtschaftlichkeit gehen die Meinungen der Parteien auseinander.

Das Landgericht hat der Klage nur teilweise stattgegeben.

Der Kläger bekämpft das Urteil des Landgerichts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und wendet sich dabei insbesondere gegen die ihm nachteilige Bemessung des Fahrzeugschadens.

Die Berufung des Klägers hatte hinsichtlich des Fahrzeugschadens Erfolg.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... 1. Zum Fahrzeugschaden

Entgegen der Ansicht des Landgerichts beträgt der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag (§ 249 Satz 2 BGB) nicht 8.000 DM, sondern 12.180,- DM. Denn der Kläger ist berechtigt, auf Reparaturkostenbasis abzurechnen.

a) Nach ständiger Rechtsprechung, auch des Senats, kann der Geschädigte, der nach einem Unfall sein Kraftfahrzeug reparieren läßt und damit sein Interesse an dessen Erhalt bekundet, gemäß § 249 Satz 2 BGB vom Schädiger den zur Instandsetzung erforderlichen Geldbetrag verlangen, sofern sich die Reparaturkosten auf nicht mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswerts belaufen (BGHZ 115, 364 = NJW 1992, 302; BGH NJW 1999, 500).

b) Der vom Kläger aufgewandte und geltend gemachte Betrag von 12.180,- DM überschreitet die 130 %-Grenze nicht. Voraussetzung für die Zubilligung des so genannten Integritätszuschlags von bis zu 30 % über dem (ungekürzten) Wiederbeschaffungswert ist allerdings, daß der Geschädigte sein Fahrzeug tatsächlich repariert hat, um es anschließend weiter zu benutzen. Diese beiden Voraussetzungen liegen hier unzweifelhaft vor.

Die Beklagten haben zwar die Reparatur als solche noch in ihrer Berufungserwiderung in Abrede gestellt. Nach Vorlage des Gutachtens des Sachverständigen ... vom 15.01.2001 scheinen sie aber nicht mehr behaupten zu wollen, daß der Kläger auf eine Reparatur völlig verzichtet habe. Nunmehr bezweifeln sie im Wesentlichen nur noch die Qualität der Reparatur und deren Wirtschaftlichkeit.

Daran, daß der Kläger sein Fahrzeug in der Werkstatt des KFZ-Betriebs ... hat instandsetzen lassen, hat der Senat keinen Zweifel. Der gerichtlich bestellte Sachverständige ... hat das Fahrzeug am 11.01.2001 besichtigt. Die seinem Gutachten beigefügten Fotos belegen, daß der Unfallschaden äußerlich behoben ist.

c) Reparieren und Behalten des Fahrzeugs stellen indessen nur die Mindestanforderungen für die Bewilligung des "Integritätszuschlags" dar. Darüber hinaus muß die Reparatur weitere Anforderungen erfüllen, wobei zwischen der technischen und der wirtschaftlichen Seite unterschieden wird. Gefordert wird zum einen eine vollständige und fachgerechte Instandsetzung. Eine "Teilreparatur" oder eine "Billigreparatur" soll nicht genügen. Zum anderen muss die Instandsetzung wirtschaftlich vernünftig sein, damit die Aufwendungen als erforderlich anerkannt werden können.

Mit dem "Integritätszuschlag" hat nur die erste Voraussetzung etwas zu tun. Sie hat der Kläger erfüllt.

aa) Der Kläger hat schon im ersten Rechtszug behauptet, seinen BMW fachgerecht repariert zu haben. Zum Beweis dafür hat er sich auf eine Begutachtung durch einen Sachverständigen berufen. Ferner hat er den Mitinhaber des KFZ-Betriebes ... als Sachverständigen Zeugen angeboten. Zur Unterstützung seines Sachvortrags hat er darüber hinaus die von ihm als Werkstattrechnung bezeichnete Urkunde Bl. 5 d.A. vorgelegt. Daraus geht hervor, daß der Kläger zur Beseitigung des Unfallschadens den Auftrag erteilt hat, für 12.180,- DM (einschließlich Mehrwertsteuer) eine "Komplettreparatur" durchzuführen.




Unter diesen Umständen durfte das Landgericht ohne Beweisaufnahme nicht zu Lasten des Klägers davon ausgehen, er habe sein Fahrzeug nicht fachgerecht reparieren lassen. Von einem unzulässigen "Ausforschungsbeweis" kann keine Rede sein. Angesichts des behaupteten und urkundlich belegten Pauschalauftrags an die Firma ... bestand keine Veranlassung, dem Kläger eine spezifizierte Rechnung zu erteilen. Schon von daher gesehen war es ihm als technischem Laien nicht möglich, jedenfalls nicht zumutbar, der Auflage des Landgerichts nachzukommen, die Reparaturarbeiten im Einzelnen darzulegen. Eine nur oberflächliche Beschreibung, mehr hätte der Kläger ohne Zuhilfenahme eines Sachverständigen nicht bewerkstelligen können, wäre zwecklos gewesen. Deshalb war es prozessual sinnvoll, wenn der Kläger nachdrücklich geltend gemacht hat, die von ihm behauptete Fachgerechtigkeit der Reparatur von einem neutralen Sachverständigen klären zu lassen.

bb) Der Senat hat dies nachgeholt. Der Sachverständige ... ist in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass das Fahrzeug bis auf die Ausbesserung eines Lackschadens an der rechten Vordertür und den Nichtwiedereinbau des Fahrerairbags "ordnungsgemäß" repariert worden ist. Bei der Instandsetzung seien zwar fast ausnahmslos Gebrauchtteile verwendet worden, was jedoch die Reparaturqualität nicht gemindert habe. Auch im Hinblick auf die fachliche Ausführung der Reparatur könne von einer "Billigreparatur" nicht ausgegangen werden. Die Betriebs- und Verkehrssicherheit des Fahrzeugs seien wieder ordnungsgemäß hergestellt.

Diese gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen ... - ... rechtfertigen es, eine Reparaturqualität anzunehmen, die in der Rechtsprechung meist mit den Begriffen "fachgerecht" und "vollständig" beschrieben wird.

aaa) Der Bundesgerichtshof hat sich zu diesen Kriterien bislang nicht ausdrücklich geäußert. Seinen maßgeblichen Entscheidungen kann jedoch entnommen werden, daß er nicht jede Art von Reparatur genügen läßt, um den Geschädigten in den Genuss des "Integritätszuschlags" kommen zu lassen. Stillschweigend scheint er davon auszugehen, daß die Reparaturarbeiten im Wesentlichen vollständig und fachgerecht ausgeführt worden sein müssen, damit das Fahrzeug zumindest annähernd wieder in dem Zustand ist, in dem es vor dem Unfall war.

bbb) Das entspricht vom Ansatz her auch der Auffassung des erkennenden Senats. In einer Reihe von Entscheidungen hat er zu dieser Thematik Stellung genommen (vgl. NJW 1989, 1041; NZV 1995, 232 = r + s 1995, 416 = OLGR 1995, 120; NZV 1996, 279 = r + s 1996, 182; NZV 1997, 355 = r + s 1997, 286). Wie er im Urteil vom 10.03.1997, NZV 1997, 355, abweichend von früheren Entscheidungen, ausgeführt hat, setzt der Nachweis des so genannten Integritätsinteresses nicht notwendigerweise eine Vollreparatur in einer Kundendienstwerkstatt (Vertragswerkstatt) nach Maßgabe des Schadensgutachtens voraus. Daran ist festzuhalten.

Für die Qualität einer Unfallreparatur ist es unerheblich, ob die Werkstatt fabrikatsgebunden oder "frei" ist. Wesentliche Qualitätsunterschiede sind nach Kenntnis des Senats nicht zu beobachten. Das gilt auch für größere Reparaturen von unfallbeschädigten Fahrzeugen der Oberklasse wie einem BMW der 7er-Reihe. Bei Kleinbetrieben, die nicht über den notwendigen technischen Apparat und das erforderliche Know-how und Personal verfügen, ist indes - ebenso wie im Fall der Eigenreparatur - von vornherein Misstrauen angebracht und der Frage der Reparaturqualität besondere Aufmerksamkeit zu schenken, zumal bei umfangreichen Beschädigungen in Strukturbereichen und/oder an sicherheitsrelevanten Bauteilen.

Diese Befürchtung ist im Fall des KFZ-Betriebs, bei dem der Kläger hat arbeiten lassen, unbegründet. Das ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen ....

Als Voraussetzung für eine fachgerechte Fahrzeugreparatur wird nicht selten gefordert, daß sie nach den Richtlinien des betreffenden Automobilherstellers bzw. Importeurs durchgeführt worden ist. Unvereinbar damit wäre eine Instandsetzung unter Verwendung von Gebrauchtteilen, sofern nach den Herstellerrichtlinien mit fabrikneuen Original-Ersatzteilen zu reparieren ist.

Um sein Integritätsinteresse zu bekunden, muß der Geschädigte nicht in jedem Fall eine Reparatur nach Maßgabe der Herstellerrichtlinien in Auftrag geben. Auch die Material- und Arbeitsvorgaben im Schadensgutachten, die sich regelmäßig an den Herstellerrichtlinien orientieren, legen die Reparaturmethode nicht verbindlich fest (Senat, Urteil vom 10.03.1997, a.a.O.).




Ob und inwieweit alternative Verfahren und Praktiken zu akzeptieren sind, hängt zunächst von der kraftfahrtechnischen Würdigung des Reparaturergebnisses im konkreten Einzelfall ab. Auch durch alternative Reparaturmaßnahmen und/oder Verwendung bereits gebrauchter Ersatzteile kann durchaus ein Zustand erreicht werden, der schon aus technischer Sicht der tatsächlichen Beschaffenheit vor dem Schadensereignis weitgehend entspricht. Eine technisch vollkommene Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands ist bei erheblichen Unfallbeschädigungen, etwa im Bereich tragender bzw. mittragender Teile, selbst bei einer Instandsetzung nach den Herstellerrichtlinien ohnehin nicht immer gewährleistet, wie nicht zuletzt die Anerkennung eines merkantilen Minderwerts belegt.

Dass eine Unfallreparatur mit gebrauchten Ersatzteilen technisch einwandfrei möglich ist, steht grundsätzlich außer Frage (vgl. Kfz-Betrieb 8/2001, S. 18). Das vom Senat eingeholte Gutachten bestätigt die Richtigkeit dieser Erkenntnis. Es beweist auch, dass die in Fachkreisen unbestrittene Einschätzung zutrifft, wonach mit einer Reparatur technisch gleich gute Ergebnisse wie mit der Erneuerung von Teilen erreicht werden können.

Der werkvertragsrechtliche Fehlerbegriff ist in diesem Zusammenhang (Integritätsinteresse) nicht der geeignete Maßstab. Wenn der Senat eine vollständige und fachgerechte Instandsetzung verlangt, so versteht er diese Merkmale nicht vertragsrechtlich auf der Grundlage eines objektiven Fehlerbegriffs. Sie dienen lediglich zur Abgrenzung gegen minderwertige Instandsetzungen, die in der Rechtsprechung meist als "Teilreparatur", "Behelfsreparatur" oder "Billigreparatur" bezeichnet werden (vgl. OLG Oldenburg DAR 2000, 359 m.w.N.). Eine Instandsetzung, die deutlich billiger ist als eine Reparatur in einer fabrikatsgebunden Fachwerkstatt, kann, muß aber nicht unfachmännisch sein. Nicht die Aufwendungen für Material und Lohn entscheiden, sondern das tatsächliche Reparaturergebnis im Vergleich mit dem schadenfreien Zustand (bedenklich deshalb LG Freiburg VersR 1994, 832).

Wenn und soweit die kraftfahrtechnische Würdigung ergibt, dass die Instandsetzung technisch oder optisch hinter dem ursprünglichen Zustand zurückgeblieben ist, so kann das Sacherhaltungsinteresse (Substanzinteresse) gleichwohl gewahrt sein. Allgemeine Regeln darüber, welche Defizite noch hinnehmbar und welche mit der Wahrung des Integritätsinteresses unvereinbar sind, lassen sich nach Ansicht des Senats nicht aufstellen. Erforderlich ist eine fallbezogene Betrachtung. Die Gesichtspunkte, nach denen das Integritätsinteresse zu bewerten ist, sind von Fall zu Fall verschieden. Seine Intensität und damit sein Stellenwert sind nicht immer gleich hoch zu veranschlagen.

Im Rahmen des § 287 ZPO sind sämtliche Einzelfallumstände in die Bewertung einzubeziehen. So gesehen sind die Begriffe "fachgerecht" und "vollständig" relativer Natur. Sie sind nicht rein technisch, sondern vor allem normativ zu verstehen. Art und Ausmaß von technischen oder optischen Reparaturdefiziten können bei wertender Betrachtung von unterschiedlichem Gewicht hinsichtlich des Integritätsinteresses sein. Was bei einem neueren, marktgängigen Pkw nicht mehr akzeptabel ist, kann bei einem älteren Kraftwagen, für den es im seriösen Fachhandel (Neufahrzeughändler mit Gebrauchtwagenabteilung) keinen adäquaten Ersatz in ausreichender Auswahl mehr gibt, durchaus noch vertretbar sein. So sind beispielsweise optische Mängel, wie etwa so genannte Schönheitsfehler, nicht in jedem Fall ein taugliches Anzeichen dafür, dass der Eigentümer am Erhalt seines Fahrzeugs kein echtes Interesse mehr hat. Ein Ersatzberechtigter, der auf eine kostspielige Metallic-Lackierung verzichtet und sich mit einem Normallack begnügt, kann dafür beachtenswerte Gründe haben. Gleiches kann für einen Eigentümer gelten, der auf den Wiedereinbau bestimmter Zubehörteile verzichtet oder von einer Wiederherstellung der kompletten Sonderausstattung absieht. Ihm kann es nämlich darum gehen, das ihm langjährig vertraute und von ihm erprobte Fahrzeug in seiner eigentlichen Funktion als Transportmittel wiederherzustellen.

Wer dieses Ziel verfolgt, liefert in der Regel einen hinreichenden Beweis für sein Interesse am Erhalt und an der Weiternutzung seines Fahrzeugs. Solange es in seinen Basiseigenschaften (wozu auch die Betriebs- und Verkehrssicherheit gehört) und in seiner Hauptfunktion dem Zustand vor dem Unfall entspricht, wird man einem Geschädigten sein Integritätsinteresse nicht absprechen können. Privateigentümer älterer Pkw/Kombis verdienen insoweit besondere Rücksichtnahme, zumal bei langjähriger Haltedauer und/oder erheblichen Eigeninvestitionen (Einbau von Austauschaggregaten, wertvolles Zubehör, Tuning o.ä.). Mögen diese Investitionen sich zumindest teilweise auch im Wiederbeschaffungswert zugunsten des Geschädigten niederschlagen, so reicht dieser Betrag gerade bei älteren PKW erfahrungsgemäß häufig nicht aus, um im seriösen Fachhandel - Fahrzeuge über 7 Jahre werden hier nur ganz vereinzelt, jedenfalls ohne Garantie, angeboten - einen angemessenen und zumutbaren Ersatz zu finden. Auf den Privatmarkt und den reinen Gebrauchtwagenhandel mit ihren Angeboten auch älterer Pkw können Geschädigte aus Rechtsgründen nicht verwiesen werden. Auch unter diesem Blickwinkel wird sich mancher Altwageneigentümer nicht ohne eine gewisse Berechtigung sagen, dass eine objektiv minderwertige Reparatur besser ist als gar keine.

ccc) Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger sein Interesse am Erhalt seines rund 11 Jahre alten BMW 735i hinreichend bekundet. Dass sich der Einbau von Gebrauchtteilen nicht zu seinem Nachteil auswirkt, ergibt sich aus dem oben Gesagten und findet seine Bestätigung im Gutachten des Sachverständigen .... Dass trotz Verwendung gebrauchter Ersatzteile das Integritätsinteresse gewahrt sein kann, lässt sich schon der Entscheidung des BGH vom 20.06.1972 (NJW 1972, 1800) entnehmen (vgl. auch OLG Oldenburg a.a.O.; AG Hagen DAR 2000, 411 m. Anm. E. Fuchs = NJW-RR 2000, 1046; AG Siegen NJW-RR 2000, 1044; AG Hof DAR 2000, 276 m.Anm. Heinrich).

Die beiden "Reparaturmängel", die der Sachverständige ... festgestellt hat, sind gleichfalls keine beweiskräftigen Indizien für ein Desinteresse des Klägers am Erhalt seines Fahrzeugs. Der Nichtwiedereinbau des Fahrerairbags (er war bei der Kollision ausgelöst worden) ist schon deshalb unschädlich, weil der 7er BMW des Klägers (Erstzulassung 11/87) serienmäßig nicht mit einem Fahrerairbag ausgerüstet war. Es handelt sich um eine Sonderausstattung, die nicht der Kläger hat einbauen lassen. Richtig ist zwar, dass durch den Einbau eines Lenkrades ohne Airbag die Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) erloschen ist. Das ist jedoch ein ohne weiteres behebbares Manko. Denn der Wegfall des Fahrerairbags kann bei einer Technischen Prüfstelle problemlos im Fahrzeugbrief eingetragen werden. Fahrbereitschaft und Betriebssicherheit sind nicht berührt. Die Einbuße an Sicherheit ist unter den gegebenen Umständen hinnehmbar.




Soweit es um den verbliebenen Lackschaden an der rechten Vordertür geht, fällt er weder für sich allein genommen noch in Verbindung mit dem Wegfall des Fahrerairbags entscheidend ins Gewicht. Die vom Kläger beauftragte Werkstatt hat die rechte Vordertür - entgegen der Vorgabe des Sachverständigen ... - nicht vollständig lackiert, sondern an der Kante nur partiell ausgebessert, wie die Besichtigung des Sachverständigen ... ergeben hat. Anhand des Lichtbildes Nr. 4 zum gerichtlichen Gutachten hat der Senat sich davon überzeugt, daß es sich lediglich um einen Schönheitsfehler handelt.

d) Wer sein unfallbeschädigtes Fahrzeug in Weiterbenutzungsabsicht fachgerecht und vollständig im oben beschriebenen Sinn reparieren läßt (oder selbst repariert), kann Ersatz von Instandsetzungskosten auch dann beanspruchen, wenn diese den Aufwand einer Ersatzbeschaffung in Grenzen übersteigen. Diese "Opfergrenze" verläuft in aller Regel bei 130 % des - um den Restwert nicht gekürzten - Wiederbeschaffungswerts. Um eine starre Grenze handelt es sich dabei nicht. Im Einzelfall kann aus besonderen Gründen eine geringfügige Überschreitung hingenommen werden wie auch umgekehrt die "Opfergrenze" in Sonderfällen unterhalb der 130 %-Marge verlaufen kann.

aa) All dies sehen die Beklagten im Ausgangspunkt nicht anders. Den "Integritätszuschlag" von bis zu 30 % möchten sie dem Kläger gleichwohl nicht zukommen lassen. Grundlage dieser besonderen Schadensbemessung müssten die Preise und Löhne einer Vertragswerkstätte sein. Sonderangebote und Vorzugspreise von "Billig-Werkstätten" hätten außer Betracht zu bleiben. Jedenfalls gehe es nicht an, eine unvollständige Billig- bzw. Teilreparatur mit einer Vollreparatur nach Maßgabe des Schadensgutachtens zu vergleichen.

bb) Auch mit diesen Einwendungen, die vor allem auf die wirtschaftliche Seite der Reparatur abzielen, haben die Beklagten keinen Erfolg.

aaa) Während der Bundesgerichtshof die "Opfergrenze" früher nach Maßgabe des § 251 Abs. 2 BGB gezogen hat, zunächst in direkter Anwendung, später nur noch "dem Grunde nach" (vgl. BGH NJW 1972, 1800), gibt es nach seiner heutigen Konzeption (grundlegend BGHZ 115, 364 u. 375 = NJW 1992, 302 u. 305) zwei Grenzen der Schadensbemessung: einmal die Erforderlichkeit (= Wirtschaftlichkeit) in § 249 Satz 2 BGB und zum anderen die Unverhältnismäßigkeit in § 251 Abs. 2 BGB. Nach Auffassung des BGH bestimmt § 251 Abs. 2 BGB lediglich die obere Grenze, bis zu welcher der Schädiger dem Geschädigten die Kosten für eine Wiederherstellung abzunehmen hat. Die Wirtschaftlichkeitsgrenze gemäß § 249 Satz 2 BGB ist dagegen für das "Wie" der Restitution bedeutsam, also nur für die Frage, ob der Geschädigte die eine oder andere Form der Restitution (Reparatur oder Ersatzbeschaffung) zu wählen hat (vgl. von Gerlach, DAR 1992, 201, 202 mit Rechtsprechungsbelegen).

bbb) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung, der der Senat in ständiger Spruchpraxis folgt, gilt hier folgendes:

Der Kläger hat bei der von ihm veranlaßten Reparatur die Grenze von 130 % nicht überschritten. Reparaturaufwand und Ersatzforderung halten sich im Rahmen der Toleranz. Der vereinbarte Festpreis für die "Komplettreparatur" wurde ersichtlich so gewählt, daß dieser Rahmen eingehalten bleibt. Von daher unterscheidet sich der hier vorliegende Fall in einem wesentlichen Punkt von dem Sachverhalt, der der Entscheidung des BGH vom 15.10.1991 (VI ZR 67/91), BGHZ 115, 375, zugrundeliegt. Im damaligen Fall lagen die voraussichtlichen Reparaturkosten um 44 % über dem Wiederbeschaffungswert. Gleichwohl ließ der Ersatzberechtigte die Unfallschäden mit einem Kostenaufwand beseitigen, der sogar 62 % über dem Wiederbeschaffungswert lag. Sein Verlangen, ihm wenigstens Ersatz bis 130 % zu leisten, hat der BGH abgelehnt.

Nach Meinung des BGH ist eine Instandsetzung in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig, wenn die (voraussichtlichen) Kosten der Reparatur mehr als 30 % über dem Wiederbeschaffungswert liegen. Lasse der Geschädigte sein Fahrzeug dennoch reparieren, könnten die Kosten nicht in einen vom Schädiger auszugleichenden wirtschaftlich vernünftigen Teil und in einen vom Geschädigten selbst zu tragenden wirtschaftlich unvernünftigen Teil aufgespalten werden. In einem solchen Fall könne der Geschädigte nur die Wiederbeschaffungskosten verlangen.

So liegen die Dinge hier nicht.

Der Kläger hat keine wirtschaftlich unsinnige Instandsetzung in Auftrag gegeben. Anders wäre es nach der Rechtsprechung des BGH, die in diesem Punkt freilich nicht ohne Kritik geblieben ist (vgl. A. Roth, JZ 1994, 1091), wenn der Kläger eine Instandsetzung nach Maßgabe der Kostenkalkulation des Sachverständigen ... veranlaßt hätte. Damit hätte er sich möglicherweise dem Vorwurf ausgesetzt, sein Fahrzeug in einer Weise reparieren zu lassen, die ein wirtschaftlich vernünftig denkender Eigentümer nicht ins Auge fasst.


Sollte der BGH entgegen der Deutung des Senats (a.A. z.B. Rischar, SP 1997, 288) dahin zu verstehen sein, daß ein Kraftfahrzeugeigentümer bei einer Unfallinstandsetzung bereits dann (objektiv) wirtschaftlich unvernünftig handelt, wenn der von ihm beauftragte Sachverständige - fachlich einwandfrei, also ohne Prognosefehler o.ä. - Reparaturkosten von deutlich mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswertes prognostiziert hat, so könnte der Senat dem nicht folgen. Die Bedeutung der gutachterlichen Schadensschätzung wird nicht richtig beurteilt, wenn mit Rischar, a.a.O., und Schiemann (Staudinger, § 249 Rn 233) auf den "Gutachtenwert" abgestellt wird.

Das Schadensgutachten läßt nicht nur Raum für alternative Reparaturmethoden, siehe oben, es legt auch nicht den im Sinne des § 249 Satz 2 BGB erforderlichen Reparaturaufwand verbindlich fest. Schadensgutachten sollen dem Geschädigten Orientierung und Hilfestellung geben. Mit der gesetzlichen Befugnis, die Beseitigung des Schadens in seine eigenen Hände zu nehmen (Ersetzungsbefugnis), wäre eine irgendwie geartete Bindung nicht zu vereinbaren.

Ein Unfallgeschädigter ist nicht verpflichtet, sondern nur berechtigt, ein Schadensgutachten einzuholen. Es darf seinen Handlungsspielraum nicht über Gebühr einengen, selbst wenn es fachlich und inhaltlich, wie hier, nicht zu beanstanden ist. Im Ergebnis kann der Kläger nicht schlechter gestellt sein als in dem Fall, daß ein Sachverständiger ihm vor Erteilung des Reparaturauftrages das mitgeteilt hat, was später der Gerichtssachverständige ... bescheinigt hat, nämlich, dass mit einem Betrag von rund 12.000 DM eine ordnungsgemäße Reparatur bewerkstelligt werden könne.

Im Rahmen der Vergleichsbetrachtung (welche Lösung ist billiger?) kommt es auf den nach objektiven Kriterien zu beurteilenden Reparaturaufwand an. Das sind nicht unbedingt die Kosten einer bestmöglichen Reparatur nach den Vorgaben des Schadensgutachtens. Unter diesem Blickwinkel war die vom Kläger veranlaßte Instandsetzung - auch unter Berücksichtigung der Ausfallzeit - wirtschaftlich nicht unvernünftig. Mit vertretbaren Kosten. konnte eine einigermaßen ordentliche (zeitwertgerechte) Reparatur finanziert werden. Wirtschaftliche Vernunft ist, auch bei einem objektiven Maßstab, keine Frage von Prozentsätzen. Was unterhalb der 130 %-Grenze liegt, ist nicht zwangsläufig wirtschaftlich vernünftig. Umgekehrt ist der Vorwurf wirtschaftlicher Unvernunft nicht allein damit zu begründen, dass eine optimale Instandsetzung laut Gutachten erheblich mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswertes kostet. Bei einer Fremdreparatur in einer Werkstatt müssen die zu erwartenden Kosten der Gradmesser sein, d.h. der Werklohn, der nach der Vereinbarung mit der Werkstatt voraussichtlich zu zahlen ist. Gegen eine Überschreitung des vereinbarten Betrages von 12.180,- DM hat sich der Kläger, wirtschaftlich vernünftig, abgesichert, indem er mit der Werkstatt einen Festpreis verabredet hat. Der Senat kann in der Preisgestaltung kein missbräuchliches Vorgehen erkennen, wie die Beklagten meinen (vgl. auch BGH NJW 1972, 1800; abweichend LG Bremen NZV 1999, 253).

Liegen die prognostizierten Reparaturkosten eindeutig über 130 %, die effektiven aber darunter, so kann die Entscheidung für eine Instandsetzung und gegen eine Ersatzanschaffung dennoch - auch wirtschaftlich betrachtet - sinnvoll sein. Das ist ebenso wie die davon zu trennende Frage des Integritätsinteresses vom konkreten Einzelfall abhängig. Die Gründe für ein Abweichen der gutachterlichen Prognose vom Rechnungsbetrag sind so vielfältig, zumal bei Großschäden, dass sich eine Einheitslösung verbietet.



Wenn der Geschädigte zur Wahrung seines Integritätsinteresses an das von ihm eingeholte Gutachten nicht gebunden ist (s.o.) und er dieses Interesse auch durch eine zeitwertgerechte Reparatur bekunden kann, so muss ihm notwendigerweise auch mit Blick auf die Kosten ein Gestaltungsspielraum zugebilligt werden. Das Aushandeln von "Sonderkonditionen" zur Kostensenkung hält der Senat grundsätzlich für legitim (vgl. auch BGH NJW 1972, 1800, a.A. LG Bremen NZV 1999, 253). Wer sich um eine preisgünstige Instandsetzung bemüht, ohne dazu rechtlich verpflichtet zu sein, verdient auch dann keine Missbilligung, wenn das Motiv eine Senkung der Kosten unter die 130 %-Grenze ist (so auch im Ergebnis AG Hof DAR 2000, 276; AG Siegen NJW-RR 2000, 1044, LG Freiburg DAR 1998, 477; OLG Dresden, Urt. v. 04.04.2001, 6 U 2824/00; MüKo-Grunsky, 3. Aufl., Rn. 7 b zu § 249).

Braucht der Kläger sich nach alledem nicht auf die vergleichsweise billigere Ersatzbeschaffung verweisen zu lassen, so ist der geltend gemachte Reparaturkostenaufwand von 12.180,- DM der im Sinne des § 249 Satz 2 BGB zur Herstellung erforderliche Geldbetrag.

Dass die Reparatur als sinnvolle Herstellungsvariante anzuerkennen ist, und der damit verbundene Aufwand der Wirtschaftlichkeitsprüfung standhält, besagt noch nichts darüber, ob die Reparaturaufwendungen auch verhältnismäßig im Sinne des § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB sind. Doch auch unter diesem Blickwinkel hat die Rechtsverteidigung der Beklagten keinen Erfolg. Die Grenze, ab der ein Geschädigter sich mit dem bloßen Wertersatz begnügen muß, ist bei Reparaturkosten in Höhe von 12.180,- DM angesichts eines Wiederbeschaffungswertes von 9.500,- DM nicht überschritten. ..."

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