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Landgericht Konstanz Urteil vom 17.06.2005 - 61 S 2/05 a - Ein Unfallgeschädigter darf das Unfallfahrzeug bei einem Aufkäufer seines Vertrauens in Zahlung geben

LG Konstanz v. 17.06.2005: Ein Unfallgeschädigter darf das Unfallfahrzeug bei einem Aufkäufer seines Vertrauens in Zahlung geben


Das Landgericht Konstanz (Urteil vom 17.06.2005 - 61 S 2/05 a) hat in einer sehr gut begründeten Entscheidung mit vielen Nachweisen entschieden:
Ein Unfallgeschädigter darf das Unfallfahrzeug bei einem Aufkäufer seines Vertrauens in Zahlung geben, ohne den Haftpflichtversicherer des Schädigers darüber zu unterrichten, wenn er den Unfallwagen zu dem Restwert verkauft, den das von ihm in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten ausweist.


Siehe auch Totalschaden - Wiederbeschaffungswert und Der Restwert des unfallbeschädigten Fahrzeugs bei Totalschaden


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Frage, ob der Geschädigte der Versicherung das Gutachten vor dem Verkauf des Fahrzeugs vorlegen muss, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

Teilweise wird im Schrifttum vertreten, dass den Geschädigten eine Pflicht zur Vorlage vor der Veräußerung trifft, damit die Versicherung in die Lage versetzt wird, dem Geschädigten eine günstigere Verwertungsmöglichkeit nachzuweisen (Palandt/Heinrichs BGH, 64. Auflage, § 249 Rn. 24, Dornwald, VersR 93, S. 1075, Huber DAR 02, S. 385). Als Begründung wird ausgeführt, dass der Haftpflichtversicherer letztendlich das Honorar des Sachverständigen bezahlt; zudem muss sich der Geschädigte dessen Fehlleistungen nicht zurechnen lassen, denn der Sachverständige ist nicht sein Erfüllungsgehilfe. Dieses Risiko – dass der Sachverständige Fehlleistungen erbringt – trägt der Haftpflichtversicherer. Der Umstand, dass er dieses Risiko tragen muss, spricht dafür, dass ihm vor einer Disposition auf Geschädigtenseite das Gutachten vorgelegt wird (Huber, DAR 02, S. 385, 392).

Weiter wird ausgeführt, dass es nicht vom Wettlauf mit der Zeit abhängig sein kann, wieviel die Versicherung zahlt, d.h. wenn sie nicht schnell genug reagiert, muss sie ggf. einen höheren Betrag an den Geschädigten zahlen (Huber, DAR 02, S. 385, 390).

Vertreter dieser Auffassung halten es zudem für widersprüchlich, dass der Versicherer bei Fehlleistungen des Sachverständigen zwar nach gefestigter Rechtsprechung und einhelliger Literaturmeinung (BGH NJW 2001, S. 514, 515, Palandt/Heinrichs. § 328 Rn. 34) gegen den Sachverständigen aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vorgehen kann, jedoch dessen Gutachten zunächst nicht zu sehen bekommt. Auch der Geschädigte hätte die Pflicht, die Unterlagen des Sachverständigen dahingehend überprüfen, ob diese für den Versicherer überhaupt nachvollziehbar sind (Dornwald, VersR 93, S. 1075, 1076).

Sehr vereinzelt spricht sich auch die Rechtsprechung für eine Vorlagepflicht aus (LG Stuttgart, Urt. v. 4.2.2004, SP 04/04, S.126) bzw. dafür, dass der Geschädigte vor dem Verkauf der Versicherung Gelegenheit geben muss, den Wagen zu besichtigen, da er ansonsten seine Schadensminderungspflicht gem. § 254 II BGB verletzt (OLG Hamm, Urt. v. 16.3.1992, NJW 92, S. 3244).

Die überwiegende Rechtsprechung, der auch die Kammer folgt, verneint jedoch eine Verpflichtung des Geschädigten, die Versicherung von seinen Verkaufsabsichten zu benachrichtigen. Bereits 1993 hat der BGH seine Auffassung zu dieser Frage dargelegt und diese in seinem Urteil von 1999 vertieft. Hiernach muss der Geschädigte das Gutachten vor einem Verkauf der Versicherung nicht vorlegen (BGH, Urt. v. 6.4.1993 = NJW 1993, 1849 ff., Urt. v. 30.11.99 = NJW 2000, 800; OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.6.04 = NJW RR 2004, 1470). Auch das LG Köln hat 2003 entschieden, dass der Geschädigte das Unfallfahrzeug bei einem Aufkäufer seines Vertrauens in Zahlung geben darf, ohne den Haftpflichtversicherer des Schädigers darüber zu unterrichten (LG Köln, Urt. v. 15.01.03 = DAR 2003, 226). Dies wird 2004 auch vom OLG Düsseldorf bestätigt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.6.04 = NJW RR 2004, 1471).

Grundsätzlich - wie auch vom Amtsgericht ausgeführt - steht die Ersatzbeschaffung i.R.d. § 249 BGB unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, d.h. der Geschädigte hat bei der Schadensbehebung den wirtschaftlichsten Weg zu wählen. Dies wird beachtet, wenn der Geschädigte den Unfallwagen zu dem Restwert verkauft, den das von ihm in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten ausweist (BGH, NJW 2000, S. 800, 801; LG Köln, Urt. v. 15.01.03). Besondere Umstände können allerdings dazu führen, dass der Geschädigte gehalten ist, günstigere Verwertungsmöglichkeiten wahrzunehmen, damit er seine Schadensminderungspflicht nicht verletzt (BGH Urt. v. 30.11.99). Diese liegen hier jedoch nicht vor. Vorliegend hat der Kläger erst nach dem Verkauf ein konkretes, günstigeres Angebot eines Restwertaufkäufers der Online-Börse von der Beklagten übermittelt bekommen, konnte dieses somit gar nicht mehr berücksichtigen.

Der BGH betont auch, dass der Geschädigte i.R.d. § 249 BGB Herr des Restitutionsgeschehens ist und ihm diese Position durch zu weite Ausnahmeregelungen nicht genommen werden soll. Die gewünschte Verwertungsweise der Versicherung darf ihm bei der Schadensbehebung nicht aufgezwungen werden (BGH, Urt. v. 6.4.93, BGH Urt. v. 30.11.99). Bei Zugrundelegung dieser auch vor der Kammer vertretenen Auffassung, hat der Kläger durch den vorherigen Verkauf des Pkw nicht gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen.

Im Allgemeinen besteht ein berechtigtes Interesse des Geschädigten an einer alsbaldigen Schadensbehebung; deshalb ist dem Geschädigten bei sich bietender sofortiger Verwertungsmöglichkeit ein längeres Zuwarten meist nicht zuzumuten (BGH, Urt. v. 30.11.1999). So lag der Fall auch hier. Der Geschädigte verfügte über keine sonstigen Barmittel, um sich einen neuen Wagen zu beschaffen und benötigte einen solchen dringend. Außerdem wollte er Standzeiten und Mietwagenkosten reduzieren.

Weiterhin hat der BGH entschieden, dass angesichts eines sorgfältig ausgewählten Sachverständigen seitens des Klägers nicht zu erwarten sei, dass ein von der Beklagten eingeschalteter Gutachter zu einem anderen Ergebnis kommen würde (BGH, Urt. v. 1993, NJW 93, S. 1851). Bei dem hier beauftragten Sachverständigen handelt es sich um einen anerkannten Gutachter, den der Kläger sorgfältig ausgewählt hat. Es war nicht zu erwarten, dass ein weiterer Gutachter einen anderen Restwert ermitteln würde. Die Unterrichtung der Beklagten hätte nur dazu geführt, dass diese den Preis aufgrund der Restwertaufkäufer auf dem Sondermarkt berechnet. Hierauf muss sich der Geschädigte jedoch nicht verweisen lassen. Auch wenn der Geschädigte den Wagen bei einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder bei einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler in Zahlung geben, braucht er sich nicht vom Schädiger auf Angebote des Sondermarkts verweisen zu lassen (BGH, Urt. v. 6.4.1993).

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts war der Kläger deshalb nicht verpflichtet, vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs das von ihm eingeholte Gutachten der Beklagten zur Kenntnis zu geben. Dass angesichts des von ihm sorgfältig ausgewählten Sachverständigen B. ein von der Beklagten eingeschalteter Gutachter auf der Basis der Preise des allgemeinen Marktes zu einem wesentlich anderen insbesondere „richtigen“ Restwert gelangen würde, war nicht zu erwarten. Die Unterrichtung der Beklagten hätte deshalb nur den Zweck haben können, ihr die Möglichkeit zu geben, eine günstige Schadensberechnung auf der Grundlage der Preise professioneller Restwertaufkäufer aufzumachen. Darauf muss sich aber der Geschädigte nicht verweisen lassen (so ausdrücklich BGH, Urteil vom 06.06.1993).

Festzuhalten ist somit, dass bei dieser Sachlage der Kläger nicht gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen hat. Er war nicht verpflichtet, vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs das von ihm eingeholte Gutachten der Beklagten zur Kenntnis zu bringen. Er darf somit seiner Abrechnung den vom Sachverständigen B. ermittelten Restwert von 3.500,00 € seiner Schadensberechnung zugrunde legen. Andererseits ist die Beklagte verpflichtet, einen Restwert nur in dieser Höhe zu akzeptieren und nicht den von ihr eingestellten höheren Restwertbetrag. Der vom Kläger insoweit noch geltend gemachte Differenzbetrag von 1.677,00 € ist diesem noch zu leisten. ..."



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