Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Hamburg Urteil vom 17.11.2004 - 14 U 80/04 - Zur groben Fahrlässigkeit eines Kfz-Führers bei einem Rotlichtverstoß auf mehrspuriger Kreuzung

OLG Hamburg v. 17.11.2004: Zur groben Fahrlässigkeit eines Kfz-Führers bei einem Rotlichtverstoß auf mehrspuriger Kreuzung


Siehe auch Stichwörter zum Thema Rotlichtverstöße





Das OLG Hamburg (Urteil vom 17.11.2004 - 14 U 80/04) hat grobe Fahrlässigkeit angenommen, wenn ein Kfz-Führer bei einer mehrspurigen Kreuzung mit mehreren Lichtzeichen einen Rotlichtverstoß begeht, da eine derart komplexe Situation einen sorgfältigen Autofahrer zu erhöhter Vorsicht veranlassen muß, und zwar insbesondere bei der Prüfung, welches der verschiedenen Lichtzeichen für ihn maßgeblich ist:

Aus den Entscheidungsgründen:

"... Entgegen der Auffassung des LG hält das Berufungsgericht den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des konkreten Falls für begründet, so dass gem. § 61 VVG die Bekl. von ihrer Verpflichtung zur Leistung frei sei.

Dabei wird der Sachverhalt zugrunde gelegt, dass der Kl. auf der rechten der beiden Geradeausspuren in der R.-Allee vor der roten Ampel angehalten hat und bei noch andauerndem Rotlicht in die Kreuzung eingefahren ist, nachdem ein rechts neben ihm in der Rechtsabbiegerspur haltendes Fahrzeug angefahren war und er bei einem Blick nach rechts den grünen Rechtsabbiegerpfeil für ihm geltendes, grünes Ampellicht gehalten hatte. Dieser Sachverhalt folgt zum einen aus dem in erster Instanz eingeholten Sachverständigengutachten, zum anderen aus dem Vortrag des Kl., den die insoweit beweisbelastete Bekl. nicht zu widerlegen vermocht hat.

Nach der Rspr. des BGH ist die Missachtung des roten Ampellichts wegen der damit verbundenen erheblichen Gefahren in aller Regel als grob fahrlässig zu bewerten; einen Grundsatz, nachdem dies stets als grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls anzusehen ist, gibt es jedoch nicht (BGH NJW 2003, 1118). Vielmehr ist es Sache der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall, ob die Fahrlässigkeit nur als einfach oder als grob zu bewerten ist. Diese Würdigung erfordert eine Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände und entzieht sich deshalb weitgehend einer Anwendung fester Regeln (BGH a.a.O.). Dabei ist der Begriff der groben Fahrlässigkeit – schon aus Gründen der Rechtssicherheit – grundsätzlich einheitlich zu bestimmen. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (BGH a.a.0). Ausgehend von dieser Definition und unter Beachtung der beschränkten Nachprüfbarkeit der tatrichterlichen Würdigung in der Revisionsinstanz hat der BGH es als rechtlich nicht zu beanstanden angesehen, dass das Berufungsgericht es im dort zu entscheidenden Fall lediglich als leichte Fahrlässigkeit bewertet hatte, dass der Kl. nach vorherigem Anhalten bei Rot nur deshalb noch bei Rot wieder angefahren war, weil er ein in seinem Blickfeld liegendes optisches Signal fehlgedeutet und deshalb zu der Überzeugung gelangt war, die Ampel sei auf Grün umgesprungen.

Unter Beachtung dieser höchstrichterlichen Grundsätze hält das Berufungsgericht die Bewertung des Verhaltens des Kl. im vorliegenden Fall für grob fahrlässig für zutreffend. Dabei sind insbesondere die folgenden Tatumstände zu berücksichtigen: Nach der vom Kl. nicht beanstandeten polizeilichen Verkehrsunfallskizze befand sich vor ihm rechts am Fahrbahnrand eine Ampelanlage mit Rotlicht für den Geradeausverkehr und – ggf. – grünem Rechtsabbiegerpfeil. Weiterhin befand sich über der rechten Fahrbahn eine weitere Ampel für den Geradeausverkehr. Die gleiche Anordnung befand sich links am Fahrbahnrand, allerdings ohne Linksabbiegerpfeil. Bei einem Blick nach rechts lag im Blickwinkel des Kl. also nicht lediglich der grüne Linksabbiegerpfeil, sondern unmittelbar daneben die rot leuchtende Ampel für den Geradeausverkehr, welche eine Warnfunktion für den Kl. haben musste. Hinzu kommt, dass es sich um eine mehrspurige Kreuzung mit mehreren Lichtzeichen handelt; eine solch komplexe Situation veranlasst einen sorgfältigen Autofahrer zu erhöhter Vorsicht insbesondere im Hinblick darauf, welches der verschiedenen Lichtzeichen für ihn gilt. Weiterhin zu berücksichtigen ist, dass der Kl. nach seinem eigenen Vortrag seine Aufmerksamkeit nicht ständig auf die Ampelanlage gerichtet hatte, was ihm ebenfalls Anlass zu erhöhter Sorgfalt und Vergewisserung geben musste, bevor er in die Kreuzung einfuhr. Wenn der Kl. gleichwohl bei anfahrendem Rechtsabbiegerverkehr und aufgrund des flüchtigen Eindrucks von Grün in die Kreuzung einfuhr, ohne die gleichfalls in seinem Blickfeld befindliche rote Ampel zum Anlass zu nehmen, sich noch einmal zu vergewissern, ob die für ihn maßgebliche Ampel tatsächlich Grün zeigte, so hat er damit nach Auffassung des Berufungsgerichts die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet gelassen, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.

Diese Entscheidung setzt sich nicht in Widerspruch zu der o.a. Entscheidung des BGH, da dort die Beurteilung der Fahrlässigkeit als leicht oder grob ausdrücklich als Sache der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall bezeichnet wird, die eine Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände erfordert, und sich deshalb weitgehend einer Anwendung fester Regeln entzieht (BGH a.a.O.). Soweit andere Entscheidungen von OLG zu diesem Problemkreis vorliegen (s. insbes. OLG Hamm NJW-RR 2000, 1477; OLG Koblenz VersR 2004, 728; OLG München NJW-RR 96, 407), sind die zugrunde liegenden Sachverhalte allenfalls ähnlich, nicht jedoch identisch. Dies gilt insbesondere auch für die Entscheidung des OLG München (NJW-RR 96, 407), auf die der Kl. sich stützt. Dort wurde nämlich - anders als vorliegend - eine Verwechslungen begünstigende Verkehrsregelung festgestellt:
„Im vorliegenden Fall waren nämlich die beiden Ampeln, sowohl die für Linksabbieger als auch die für Geradeausfahrer unmittelbar nebeneinander und zudem über den beiden Linksabbiegerspuren, hier sogar mehr über der linken Linksabbiegerspur völlig außerhalb der Geradeausspur angebracht. Diese wenig glückliche Verkehrsregelung macht die Verwechslung der auf Grünlicht umschaltenden Ampel für den Geradeausverkehr mit der weiter Rotlicht zeigenden Ampel für Linksabbieger und die Fehlreaktion des Wiederanfahrens verständlich.”
Zudem wurde dort berücksichtigt, dass die von rückwärts scheinende Sonne eine gewisse Sichtbeeinträchtigung mit sich brachte - ein Umstand, der vorliegend ebenfalls nicht ersichtlich ist. ..."







Datenschutz    Impressum