Das Verkehrslexikon

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VGH München Beschluss vom 13.05.2005 - 11 CS 05.77 - Zum Zusammentreffen von gelegentlichem Cannabiskonsum und jugendlichem Alter

VGH München v. 13.05.2005: Zum Zusammentreffen von gelegentlichem Cannabiskonsum und jugendlichem Alter des Konsumenten


Der VGH München (Beschluss vom 13.05.2005 - 11 CS 05.77) hat entschieden:
Es kann dahinstehen, ob es genügt, um das jugendliche Alter eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten bereits für sich alleine als Rechtfertigung für die Forderung nach Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ausreichen zu lassen. Denn "hinreichend konkrete Verdachtsmomente", die es allein ermöglichen, einen Fahrerlaubnisinhaber einem derartigen, mit erheblichen Belastungen verbundenen Gefahrerforschungseingriff zuzuführen, lassen sich jedenfalls dann nicht bejahen, wenn in dem zu beurteilenden Einzelfall gerade keine Anhaltspunkte für ein durch den gelegentlichen Cannabiskonsum ausgelöstes, gesteigertes Risikoverhalten im Straßenverkehr bestehen.


Zum Sachverhalt: Die Polizei traf den am ... 1987 geborenen Antragsteller am 10. Januar 2004 an einem Ort an, an dem bereits mehrfach Betäubungsmittelkonsumenten aufgegriffen worden seien. Hinter der von ihm nach polizeilicher Darstellung alleine benutzten Bank wurden 5 g Haschisch und 1 g Marihuana gefunden; die Pupillen des Antragstellers hätten sich nach dem Anleuchten mit einer Taschenlampe nicht verengt. Hinter einer weiteren Bank, die von zwei anderen Jugendlichen benutzt wurde, stellte die Polizei 3 g Haschisch fest. Der Antragsteller erklärte gegenüber der Polizei damals, die vorgefundenen Betäubungsmittel stammten nicht von ihm.

Am 8. März 2004 gab die am 13. August 1988 geborene C. G. als Beschuldigte gegenüber der Polizei an, sie habe den Antragsteller Ende Mai 2003 kennen gelernt. Sie sei mit ihm ca. zwei Monate lang näher befreundet und anschließend zwei Monate "mit ihm zusammen" gewesen. Während dieser Zeit hätten sie regelmäßig - manchmal bis zu viermal pro Woche - "gekifft". Anfangs habe stets der Antragsteller das Haschisch mitgebracht; ihrer Schätzung nach habe es sich maximal um zwei Gramm gehandelt. Zur Geburtstagsparty eines Dritten habe der Antragsteller einen Bong mitgebracht, unter dessen Verwendung er und andere "Gras" geraucht hätten.

Bei seiner polizeilichen Beschuldigteneinvernahme am 23. März 2004 stellte es der Antragsteller in Abrede, etwa Ende Mai 2003 bis zu viermal pro Woche zusammen mit anderen von ihm mitgebrachtes Haschisch geraucht zu haben; damals habe er mit diesem Betäubungsmittel noch nichts zu tun gehabt. Etwa im September oder November 2003 habe er an einen Dritten eine kleine Menge Haschisch verschenkt. In der Wohnung des Antragstellers wurde damals ein Krümel Haschisch aufgefunden.

Am 6. April 2004 erklärte die am 22. Mai 1989 geborene Jessica W. gegenüber der Polizei, sie habe gesehen, dass der Antragsteller bei einem Dritten zwei- oder dreimal Haschisch in unbekannter Menge erworben habe; an einem ihr nicht mehr erinnerlichen Zeitpunkt habe ihr der Antragsteller einmal eine kleine Menge geschenkt.

Nachdem die Landespolizei den am 25. Juni 1984 geborenen Sebastian D. am 12. Mai 2004 vor dem vom Antragsteller bewohnten Anwesen mit 1,5 g Haschisch aufgegriffen hatte, gab ersterer als Beschuldigter gegenüber der Polizei an, er habe dieses Betäubungsmittel beim Antragsteller bestellt und es unmittelbar vor seinem Aufgriff von ihm erworben.

Bei einer Durchsuchung der Wohnung des Antragstellers am 24. Mai 2004 fand die Polizei dort erneut ein Krümel Haschisch vor, das nicht habe gewogen werden können. Der als Beschuldigter einvernommene Antragsteller erklärte nach Aktenlage damals gegenüber der Polizei, er konsumiere Haschisch und fahre ab und zu nach Offenbach, um dieses Betäubungsmittel dort für ca. 5,00 € zu erwerben. Die Richtigkeit der vorerwähnten, von dritter Seite über ihn aufgestellten Behauptungen bestritt er.

Mit Schreiben vom 9. Juli 2004 forderte das Landratsamt Miltenberg, gestützt auf § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV, den Antragsteller auf, bis spätestens 20. August 2004 das Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen, mit dem folgende Fragen zu klären seien:
"Können Sie trotz der Hinweise auf gelegentlichen Cannabiskonsum sowie der zusätzlichen aktenkundigen Eignungszweifel ein Kfz sicher führen? Ist insbesondere nicht zu erwarten, daß Sie ein Kfz unter Einfluß von Betäubungsmitteln oder deren Nachwirkungen führen werden (Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme)?"
Zur Begründung wurde auf die von der Polizei am 10. Januar 2004 und am 24. Mai 2004 getroffenen Feststellungen verwiesen und ausgeführt, da die Gefahr bestehe, dass der Konsum von Cannabis bei Jugendlichen zum Eintritt chronischer Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit führe, sei ein Anhaltspunkt dafür gegeben, dass ständig fahreignungsrelevante körperlich-geistige Leistungsdefizite vorlägen.

Der Antragsteller wandte hiergegen ein, diese Aufforderung sei in seinem Fall unverhältnismäßig. Er sei seit dem Sommer 2003 viermal durch die Polizei im Straßenverkehr kontrolliert worden, ohne dass hierbei irgendwelche Auffälligkeiten hätten festgestellt werden können; wegen der insoweit gegebenen Darstellung im Einzelnen wird auf die Seiten 2 und 3 des Schriftsatzes der Bevollmächtigten des Antragstellers vom 30. August 2004 verwiesen.

Durch Bescheid vom 4. November 2004 entzog das Landratsamt dem Antragsteller die ihm erteilte Fahrerlaubnis und untersagte es ihm, von einer ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen (Nr. I des Bescheidstenors). Unter der Nummer II des Tenors wurde dem Antragsteller aufgegeben, den ihm am 19. Mai 2003 für die Klasse A1 und die darin enthaltenen Klassen ausgestellten Führerschein unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von fünf Tagen nach der Zustellung des Bescheids, an das Landratsamt zurückzugeben. Diese beiden Anordnungen wurden für sofort vollziehbar erklärt. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, das jugendliche Alter des Antragstellers stelle eine "weitere Tatsache" im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV dar. Denn in der Entscheidung vom 20. Juni 2002 (BayVBl 2002, 667/668) habe das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, bei besonders gefährdeten Personengruppen - etwa bei Jugendlichen in der Entwicklungsphase - würden chronische Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit als möglich angesehen. Diese Auffassung komme auch im Beschluss des gleichen Gerichts vom 29. Juni 2004 (DVBl 2004, 1108) zum Ausdruck. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht habe am 15. November 2002 (DAR 2003, 45) ebenfalls ausgesprochen, dass das jugendliche Alter von Cannabiskonsumenten eine "weitere Tatsache" im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV darstelle, die bei gelegentlicher Einnahme dieses Betäubungsmittels die Anforderung eines Eignungsgutachtens rechtfertige. Auf die sonstigen Darlegungen in den Bescheidsgründen wird verwiesen.

Über den Widerspruch, den der Antragsteller am 12. November 2004 gegen den Bescheid einlegte, wurde nach Aktenlage noch nicht entschieden.

Den vom Antragsteller gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht Würzburg ab.

Mit einem vor dem Verwaltungsgericht Würzburg eingeleiteten Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erstrebte der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Nummern I. und II. des Bescheids vom 4. November 2004.

Die gegen die Ablehnung seines Antrags gerichtete Beschwerde des Antragstellers hatte Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht die Belange, die für die sofortige Vollziehung des streitgegenständlichen Verwaltungsakts sprechen, gegen das Aufschubinteresse des Betroffenen abzuwägen. Hierbei sind auch die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen, sofern sie sich bereits hinreichend deutlich abzeichnen.

Den gegenwärtig erkennbaren Umständen nach muss davon ausgegangen werden, dass der Bescheid vom 4. November 2004 der Nachprüfung im anhängigen Widerspruchs- und in einem sich gegebenenfalls anschließenden Klageverfahren nicht standhalten wird. Die Interessenabwägung führt ebenfalls zu dem Ergebnis, die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Nummern I. und II. des Bescheids vom 4. November 2004 (nur diese behördlichen Regelungen hat der Antragsteller zum Gegenstand des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO gemacht) wiederherzustellen.

Das Landratsamt und das Verwaltungsgericht sind zutreffend davon ausgegangen, dass eine Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV zu entziehen ist, wenn sich ihr Inhaber als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erweist. Nach § 11 Abs. 8 FeV darf die Behörde auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er ein von ihr gefordertes Gutachten nicht fristgerecht beigebracht hat und er über diese Folge belehrt wurde. Dieser Schluss setzt allerdings voraus, dass das Verlangen, ein Gutachten vorzulegen, rechtmäßig war und der Fahrerlaubnisinhaber die Befolgung der behördlichen Anordnung ohne ausreichenden Grund verweigert hat.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich derzeit nicht in der Lage, die am 9. Juli 2004 an den Antragsteller gerichtete Aufforderung als rechtens zu bestätigen.

Von den beiden Voraussetzungen, von denen § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV die Forderung nach Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig macht, ist nach dem eigenen Eingeständnis des Antragstellers das Tatbestandsmerkmal der gelegentlichen Einnahme von Cannabis erfüllt. Demgegenüber bestehen nicht unerhebliche Zweifel, ob - wie § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV das außerdem verlangt - weitere Tatsachen vorliegen, die Zweifel an der Eignung des Betroffenen begründen.

Der Antragsgegner sieht eine derartige "Zusatztatsache" allein aufgrund des Umstands als gegeben an, dass der Antragsteller sowohl im Zeitpunkt der Gutachtensanforderung als auch bei Bescheidserlass noch Jugendlicher war (vgl. S. 3 oben des Bescheids vom 4.11.2004). Für die Annahme, ein Cannabiskonsum in jugendlichem Alter könne Auswirkungen auf die Fahreignung des Betroffenen zeitigen, lässt sich ins Feld führen, dass der Genuss dieses Betäubungsmittels nach der im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2002 (a.a.O.) zitierten Äußerung in dem Werk von Geschwinde (Rauschdrogen, 4. Aufl. 1998, RdNrn. 199 ff.) bei besonders gefährdeten Personengruppen, zu denen u.a. Jugendliche "in der Entwicklungsphase" gehören, möglicherweise chronische Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit nach sich zieht; es erscheint vorstellbar, dass diese Leistungsbeeinträchtigungen (z.B. in Gestalt von Aufmerksamkeitsdefiziten oder kognitiven Mängeln) die Fahreignung nachteilig beeinflussen können. Nicht mehr ohne weiteres auf der Hand liegt demgegenüber bereits der fahrerlaubnisrechtliche Bezug, wenn das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 29. Juni 2004 (a.a.O., S. 1110) die vom Cannabisgebrauch auf Jugendliche ausgehende Gefährdung dahingehend umschreibt, dass es u.U. zu einer "Störung der Persönlichkeitsentwicklung" komme bzw. die "Festigung der Persönlichkeit von Jugendlichen oder Heranwachsenden" behindert werden könne.

Entscheidend gegen die Annahme, ein nur gelegentlicher Cannabiskonsum durch einen Jugendlichen stelle bereits für sich alleine eine "Zusatztatsache" im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV dar, spricht nach derzeitiger Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs jedoch, dass sich aus der vom Bundesverfassungsgericht in Bezug genommenen Äußerung von Geschwinde nicht ergibt, in welchem zeitlichen und mengenmäßigen Ausmaß Cannabis konsumiert worden sein muss, damit es zu straßenverkehrsrechtlich relevanten Beeinträchtigungen des Leistungsvermögens kommt. Der Verwaltungsgerichtshof ging bisher, gestützt auf ein von ihm eingeholtes Gutachten von Kannheiser (in überarbeiteter Fassung veröffentlicht in NZV 2000, 57) davon aus, dass mit solchen Folgen nur bei einem regelmäßigen - d.h. täglichem oder nahezu täglichem - Konsum zu rechnen ist (BayVGH vom 3.9.2002 ZfS 2003, 429/431). Erst unter dieser Prämisse sei "mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von Veränderungen des Leistungsvermögens und der Persönlichkeit des Konsumenten auszugehen, die unabhängig vom aktuellen Konsum die Leistungsfähigkeit herabsetzen und als verkehrsbezogen gefährlich betrachtet werden können, weil sie die Bereitschaft und Fähigkeit, sich überindividuellen Regeln und Normen anzupassen, beeinträchtigen und zudem die zum Kraftfahren erforderliche Aktivierung, Wachheit, Aufmerksamkeit und Konzentration sowie die Bereitschaft, die Anforderungen und Risiken des Straßenverkehrs ernst zu nehmen und den Drogenkonsum und das Fahren zu trennen, mindern können" (BayVGH vom 3.9.2002, ebenda). Auch nach Darstellung der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren hängen die mit dem Cannabiskonsum verbundenen Risiken vor allem davon ab, "ob es sich um Probier- und Gelegenheitskonsum oder um dauerhaften und gewohnheitsmäßigen Konsum handelt" (vgl. Heft 6 der von dieser Einrichtung herausgegebenen Schriftenreihe "Die Sucht und ihre Stoffe", S. 6). Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in dem vom Antragsgegner angezogenen Beschluss vom 15. November 2002 (a.a.O.) die nach § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV erforderlichen "weiteren Tatsachen" im Übrigen ebenfalls nicht ausschließlich im jugendlichen Alter des Betroffenen gesehen, sondern ausdrücklich festgehalten, eine Verminderung der körperlich-geistigen Leistungsfähigkeit könne bei ihm deshalb nicht ausgeschlossen werden, weil er bereits seit dem sechzehnten Lebensjahr Cannabis konsumiert habe.

Die Frage, welche der persönlichen und sozialen Risikofaktoren, die nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen über die bereits in der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung erwähnten Umstände hinaus u.U. als "Zusatztatsachen" im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV in Betracht kommen (vgl. zum nicht abschließenden Charakter der Nummer 9.2.2 NdsOVG vom 30.3.2004, Blutalkohol 41, 563), bedarf aus Anlass der vorliegenden Streitsache keiner abschließenden Beantwortung. Denn die insoweit ggf. in Betracht zu ziehenden Gegebenheiten lassen sich nach derzeitiger Lage der Akten im gegebenen Fall nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisen bzw. begründen gegenwärtig wohl noch kein straßenverkehrsrechtlich relevantes Gefährdungsmoment.

1. Ein frühzeitiger - d.h. im Alter von unter 16 Jahren einsetzender - Konsumbeginn (vgl. zur möglichen Relevanz dieses Gesichtspunkts Heft 6 der Schriftenreihe "Die Sucht und ihre Stoffe", ebenda) steht vorliegend nicht einmal mit jenem Grad an Gewissheit fest, der im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens u.U. genügen kann. Die ehemalige Freundin des Antragstellers, C. G., hat bei ihrer Beschuldigteneinvernahme behauptet, der Antragsteller habe während der Zeit, in der zwischen ihnen eine Beziehung bestanden habe (d.h. frühestens ab Ende Mai 2003), Cannabis konsumiert. Damals aber hatte er das 16. Lebensjahr bereits vollendet. Da er am 23. März 2004 einen Betäubungsmittelkonsum auch für die von C. G. behauptete Zeitspanne geleugnet hat und deren Angaben keine höhere Glaubwürdigkeit als diejenigen des Antragstellers für sich in Anspruch nehmen dürfen, steht selbst eine Cannabiseinnahme für die Zeit unmittelbar nach seinem 16. Geburtstag nicht mit hinreichender Sicherheit fest; erst recht verbietet es sich, aus der Einlassung seiner ehemaligen Freundin auf einen Gebrauch dieses Rauschmittels durch den Antragsteller bereits in früherer Zeit zu schließen.

Unabhängig hiervon sieht es der Verwaltungsgerichtshof nicht als hinreichend gesichert an, ob gelegentlicher Cannabiskonsum selbst dann, wenn der Antragsteller dieses Verhalten schon vor dem 16. Geburtstag aufgenommen hätte, bereits heute die Gefahr straßenverkehrsrechtlich relevanter Eignungsmängel nach sich zöge. Chronische, auf Cannabiskonsum zurückzuführende Veränderungen können erst nach einer Konsumdauer von 10 bis 15 Jahren, mit sensitiveren Verfahren nach einer Konsumdauer von fünf Jahren entdeckt werden (Kannheiser, a.a.O., S. 60); die letztgenannte Zeitspanne wäre vorliegend selbst dann noch nicht verstrichen, wenn zu Lasten des Antragstellers ein Konsumbeginn im 16. Lebensjahr unterstellt würde. Bei "schwerem Konsum" von Cannabis können andauernde Beeinträchtigungen zwar schon nach relativ kurzer Dauer auftreten (Kannheiser, ebenda); ein derart gesteigertes Konsumverhalten lässt sich im Fall des Antragstellers gegenwärtig indes nicht nachweisen.

2. Darüber, ob der Antragsteller mangelnde soziale Unterstützung in der Familie erfährt (vgl. zu diesem Risikofaktor Heft 6 der Schriftenreihe "Die Sucht und ihre Stoffe", ebenda), erlauben die dem Verwaltungsgerichtshof zur Verfügung stehenden Unterlagen keinen hinreichenden Aufschluss. Wenn die Eltern des inzwischen volljährig gewordenen Antragstellers diesem nach Aktenlage weiterhin bei sich Wohnung gewähren, obwohl sie wegen seines Rauschgiftkonsums bereits zweimal die Unannehmlichkeit einer polizeilichen Wohnungsdurchsuchung hinnehmen mussten, so deutet das jedoch darauf hin, dass der Antragsteller wohl in einem gesicherten sozialen Umfeld lebt und seine Familie den Kontakt zu ihm nicht wegen seines Verhaltens abgebrochen hat.

3. Eine "allgemeine soziale Perspektivlosigkeit", die nach Darstellung der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Heft 6 der Schriftenreihe "Die Sucht und ihre Stoffe", ebenda) die psychischen und sozialen Risiken eines Cannabiskonsums erhöhen kann, lässt sich nach dem derzeitigen Kenntnisstand des Gerichts gleichfalls nicht bejahen. Der Umstand, dass der Antragsteller nach Aktenlage eine Lehre als Heizungsbauer absolviert (vgl. Bl. 4 und Bl. 22 der Akte des Landratsamts), steht tendenziell der Annahme entgegen, er werde wegen fehlender beruflicher und soziale Aussichten in immer stärkerem Maße in den Betäubungsmittelkonsum abgleiten.

4. Anhaltspunkte für psychische Labilität (vgl. auch dazu Heft 6 der Schriftenreihe "Die Sucht und ihre Stoffe", ebenda) liegen nicht vor. Wenn die Polizei das Zimmer des Antragstellers bei der am 10. Januar 2004 vorgenommenen Hausdurchsuchung in einem "gut aufgeräumten" Zustand vorfand, so kann darin u.U. ein Indiz dafür gesehen werden, dass es in seiner Person trotz des Rauschgiftkonsums nicht zu generellen Verwahrlosungserscheinungen gekommen ist.

5. Bei jugendlichen Betäubungsmittelkonsumenten kann das Fahren unter Drogeneinfluss Teil eines juvenilen "sensation-seeking-Verhaltens" sein (Kannheiser, a.a.O., S. 65 unter Bezugnahme auf eine aus dem Jahr 1989 stammende Studie, die bei 18-jährigen Fahrern signifikante Zusammenhänge zwischen Cannabiskonsum und Risikobereitschaft bei der Fahrt aufgezeigt habe). Der Verwaltungsgerichtshof lässt es dahinstehen, ob dieser Konnex in anderen Fällen genügt, um das jugendliche Alter eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten bereits für sich alleine als Rechtfertigung für die Forderung nach Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ausreichen zu lassen. Denn "hinreichend konkrete Verdachtsmomente", die es allein ermöglichen, einen Fahrerlaubnisinhaber einem derartigen, mit erheblichen Belastungen verbundenen Gefahrerforschungseingriff zuzuführen (vgl. BVerfG vom 20.2.2002, a.a.O., S. 669), lassen sich jedenfalls dann nicht bejahen, wenn in dem zu beurteilenden Einzelfall gerade keine Anhaltspunkte für ein durch den gelegentlichen Cannabiskonsum ausgelöstes, gesteigertes Risikoverhalten im Straßenverkehr bestehen. Unter diesem Blickwinkel aber darf nicht außer Betracht bleiben, dass der Antragsteller unwidersprochen vorgetragen hat, während der Zeit seines Cannabiskonsums bei der Teilnahme am Straßenverkehr wiederholt durch einschlägig geschulte Fachkräfte der Polizei kontrolliert worden zu sein. Seine Darstellungen sind im Hinblick darauf, dass teilweise der Ort der Kontrolle bzw. die Namen der kontrollierenden Beamten bzw. von Zeugen angegeben wurden, nicht schlechthin unglaubwürdig. Wäre bei ihm hierbei zwar kein Verstoß gegen das Trennungsgebot der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung, wohl aber ein risikoträchtiges Verkehrsverhalten festgestellt worden, wäre es Sache des Antragsgegners gewesen, dies dem Gericht vorzutragen. Solange das nicht geschehen ist, muss vorläufig davon ausgegangen werden, dass im Falle des Antragstellers der Cannabisgebrauch auch insoweit bisher keinen Anlass gab, Zweifel an seiner Fahreignung anzumelden.

6. Die in Teil I dieses Beschlusses mitgeteilten Tatsachen lassen es nicht als fern liegend erscheinen, dass der Freundeskreis des Antragstellers vorwiegend aus Drogenkonsumenten bestehen könnte (vgl. zu diesem potentiellen Risikofaktor Heft 6 der Schriftenreihe "Die Sucht und ihre Stoffe", ebenda). Eine derartige Involvierung in die Drogenszene kann sich auf das Konsumverhalten des Einzelnen steigernd auswirken und den Ausstieg aus dem Betäubungsmittelgebrauch erschweren. Für die Sicherheit des Straßenverkehrs wird eine solche Konstellation nach dem Vorgesagten im Regelfall aber erst relevant werden, wenn es zu einem länger andauernden und intensiven Gebrauch von Betäubungsmitteln gekommen ist.

7. Ausweislich der Akten konsumiert der Antragsteller nicht nur Cannabis, sondern handelt auch mit diesem Betäubungsmittel in wohl nicht unbeträchtlichem Umfang. Nach Darstellung von Kannheiser (a.a.O., S. 67) hat eine im Jahr 1995 erstellte Studie (Marowitz, Drug arrest und driving risk, in: Alcohol, Drugs and Driving, Bd. 11) ergeben, dass gerade Personen, die kleine Mengen von Marihuana besitzen oder mit ihnen Handel treiben, in besonderem Maße verkehrsauffällig sind. Ehe aus dieser Untersuchung Folgerungen mit Blickrichtung auf § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV hergeleitet werden können, bedürfte es jedoch zumindest einer Vergewisserung, ob die ihr zugrunde liegenden Daten wegen eines anderen Kontrollverhaltens der Polizei und im Hinblick auf Unterschiede bei der Delinquenz der Konsumentengruppe ohne weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragen werden können (vgl. Kannheiser, ebenda).

Zu Recht hat der Antragsgegner davon abgesehen, eine Zusatztatsache im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV daraus herzuleiten, dass die Beschuldigte C. G. den Antragsteller eines "regelmäßigen" Cannabisgebrauchs bezichtigt hat. Sieht man davon ab, dass die Verlässlichkeit ihrer Aussagen aus den dargestellten Gründen nicht außer Zweifel steht, so würde ein bis zu viermaliger Genuss dieses Betäubungsmittels pro Woche - vorbehaltlich abweichender Ergebnisse einer laboratoriumsmedizinischen Untersuchung von Körperflüssigkeiten und Haaren - wohl noch nicht ausreichen, um eine "regelmäßige" Einnahme im Rechtssinne darzutun, da nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. den Beschluss vom 3.9.2002, ebenda) hierfür ein täglicher oder nahezu täglicher Konsum erforderlich ist. Außerdem läge ein solches Konsumverhalten ca. ein Jahr vor der am 9. Juli 2004 ergangenen Aufforderung.

Die Interessenabwägung erfordert es nicht, trotz der wahrscheinlichen Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids an dessen sofortiger Vollziehbarkeit festzuhalten. Sollte nämlich der Antragsteller auch nur einmal unter Verstoß gegen die Nummer 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung einen gelegentlichen Cannabiskonsum nicht von der motorisierten Teilnahme am Straßenverkehr trennen, wäre der Antragsgegner berechtigt, ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen, ohne dass es gemäß § 11 Abs. 7 FeV im Regelfall noch der Einholung eines Gutachtens bedürfte. Da der Antragsteller im örtlichen Bereich polizeibekannt ist und sein Verhalten von dort aus - zu Recht - intensiv beobachtet wird, spricht eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit dafür, dass einschlägige Zuwiderhandlungen alsbald aufgedeckt würden. Zudem schließen es die vom Verwaltungsgerichtshof angesprochenen Bedenken nicht aus, dass der Antragsgegner - z.B. als Ergebnis ergänzender Ermittlungen oder durch Rückgriff auf neuere, dem Gericht noch nicht bekannte wissenschaftliche Erkenntnisse - künftig noch Umstände geltend machen kann, die ggf. geeignet sind, "Zusatztatsachen" im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV darzustellen. Sollte das noch im anhängigen Widerspruchsverfahren geschehen, hätte das allerdings nicht zur Folge, dass der Bescheid vom 4. November 2004 deswegen Bestand haben könnte. Denn ein derartiges Nachschieben von Gründen würde nichts daran ändern, dass die Aufforderung vom 9. Juli 2004 im Zeitpunkt ihres Ergehens nicht rechtmäßig und der Antragsteller deshalb nicht verpflichtet war, ihr Folge zu leisten. Rechtswidrig ist eine Gutachtensanforderung nämlich nicht nur, wenn sie im materiellen Recht keine Stütze findet, sondern auch dann, wenn sie den vom Gesetz aufgestellten formellen Anforderungen nicht genügt. In formeller Hinsicht aber verlangt § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV, dass die für eine solche Anordnung maßgeblichen Gründe darzulegen sind. Da ein Nachschieben von Gründen durch die Verwaltung nicht dazu führen darf, dass hierdurch die Rechtsverteidigung des Betroffenen unzumutbar beeinträchtigt wird (BVerwG vom 15.6.1971 BVerwGE 38, 191/195), darf die erstmalige Beibringung tragfähiger Gesichtspunkte erst recht nicht zur Folge haben, dass dadurch nachträglich zu Lasten des Adressaten der Aufforderung nach § 11 Abs. 6 FeV eine Rechtsfolge (hier: die Vermutungsregelung des § 11 Abs. 8 FeV) ausgelöst wird, die die ursprüngliche, rechtswidrige Maßnahme nicht nach sich zu ziehen vermochte. Sofern der Antragsgegner Möglichkeiten - und Veranlassung - sieht, die vom Gericht geäußerten Bedenken auszuräumen, steht es ihm jedoch unbenommen, eine neue, zutreffend begründete Anordnung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV zu erlassen. ..."



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