Das Verkehrslexikon

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OVG Münster Beschluss vom 25.08.2008 - 16 A 1200/07 - Deutscher Wohnsitz im EU-Führerschein aus dem Ausland berechtigt zur Nichtanerkennung

OVG Münster v. 25.08.2008: Deutscher Wohnsitz im EU-Führerschein aus dem Ausland berechtigt zur Nichtanerkennung


Das OVG Münster (Beschluss vom 25.08.2008 - 16 A 1200/07) hat entschieden:
Der Aufnahmemitgliedstaat darf die Anerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis, die nach einer auf seinem Hoheitsgebiet verfügten Entziehung einer früheren Fahrerlaubnis erworben wurde, jedenfalls dann verweigern, wenn aufgrund der Angaben im Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG vorgeschriebene Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt der Ausstellung des ausländischen EU-Führerscheins nicht erfüllt war.


Zum Sachverhalt: Das Amtsgericht N. entzog dem Kläger in der Zeit von November 2000 bis September 2003 zweimal die Fahrerlaubnis wegen Trunkenheitsfahrten mit Blutalkoholkonzentrationen von 3,19 Promille und 2,48 Promille. Die zuletzt verhängte Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis lief am 2. März 2005 ab.

Am 19. August 2005 erfuhr der Beklagte, dass der Kläger anlässlich einer Verkehrskontrolle eine am 30. März 2005 ausgestellte tschechische Fahrerlaubnis der Klasse B vorgelegt hatte. Darin ist unter Ziffer 8 als Wohnsitz (OBEC POBYTO) des Klägers „O. (T. Republika O1. )" eingetragen.

Mit Schreiben vom 26. September 2005 forderte der Beklagte den Kläger wegen der wiederholten Trunkenheitsfahrten und des Verdachts auf Alkoholabhängigkeit zur Vorlage eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Kraftfahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) bis zum 30. November 2005 auf. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, er könne als nicht geeignet zum Führen eines Kraftfahrzeuges angesehen werden, wenn er sich weigere, sich untersuchen zu lassen, oder er das Gutachten nicht oder nicht fristgerecht vorlege.

Der Kläger legte das geforderte Gutachten nicht vor.

Mit Bescheid vom 20. Februar 2006 erkannte der Beklagte dem Kläger das Recht ab, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Zugleich forderte der Beklagte den Kläger auf, seinen tschechischen Führerschein innerhalb von drei Tagen ab Zustellung des Bescheides zur Eintragung vorzulegen bzw. zu übersenden. Für den Fall, dass der Kläger der Aufforderung nicht nachkomme, drohte er ein Zwangsgeld in Höhe von 250,- EUR an.

Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.

Bereits am 21. Juni 2006 hatte der Kläger Untätigkeitsklage erhoben.

Der Kläger hat im Wesentlichen geltend gemacht, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes die in der Tschechischen Republik nach Ablauf der Sperrfrist erworbene Fahrerlaubnis nicht wegen Eignungsbedenken entzogen werden dürfe, die auf Vorfällen aus der Zeit vor ihrer Erteilung beruhten.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass es auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes in Fällen von Rechtsmissbrauch zulässig sei, ausländischen EU-Führerscheinen die Anerkennung zu verweigern.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 15. März 2007 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Aberkennung des Rechts, von der tschechischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, sei mit Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes vereinbar. Der Kläger habe die Fahrerlaubnis rechtsmissbräuchlich erworben. Er habe die strengeren Anforderungen an die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis in Deutschland umgehen wollen und den Umstand ausgenutzt, dass die tschechische Behörde ihm ohne die gebotene medizinische Prüfung und unter Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip eine Fahrerlaubnis erteilt. Dem Kläger sei es deshalb verwehrt, sich auf die für ihn günstigeren gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zu berufen. Wegen der weiteren Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Hiergegen richtete sich die Berufung des Klägers, zu deren Begründung er im Wesentlichen Folgendes ausführt: Es liege bereits ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vor. Das Verwaltungsgericht sei gemäß Art. 234 EGV zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof verpflichtet gewesen. In keiner der bisherigen Entscheidungen habe sich der Europäische Gerichtshof dazu geäußert, dass der in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG normierte Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen ausnahmsweise nicht zu beachten sei, wenn der Verdacht des Missbrauchs von Gemeinschaftsrecht nachgewiesen sei. Anhaltspunkte für einen rechtsmissbräuchlichen Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis lägen hier zudem nicht vor. Ohne das Vorliegen neuer Eignungszweifel komme eine Aberkennung nicht in Betracht. Die nunmehr ergangenen Urteile des Europäischen Gerichtshofes vom 26. Juni 2008 schrieben die bisher bereits gefestigte Rechtsprechung im Wesentlichen fort. Den teilweise in der deutschen Rechtsprechung und von dem Generalanwalt C. noch in seinen Schlussanträgen vom 14. Februar 2008 vertretenen Gesichtspunkten des „fortwirkenden Eignungsmangels" bzw. des „Rechtsmissbrauchs" sei eine klare Absage erteilt worden. Zwar habe der Europäische Gerichtshof das Wohnsitzerfordernis etwas weiter in den Vordergrund zu rücken versucht. Allerdings habe in der Tschechischen Republik bei der Erteilung der Fahrerlaubnis bis zum 30. Juni 2006 die Wohnsitzfrage keine sonderliche Rolle gespielt. Die 185-Tage-Regelung sei erst zum 1. Juli 2006 in das dortige Straßenverkehrsgesetz aufgenommen worden. Die Ordnungsverfügung sei außerdem rechtswidrig, weil der Beklagte sich bei seiner Entscheidung nicht von zutreffenden Ermessenerwägungen habe leiten lassen. Der Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 der vorbezeichneten Richtlinie zeige, dass es sich um eine Ermessensvorschrift handele. Zudem entspreche die Gutachtenaufforderung nicht den Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV.

Die Berufung blieb erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Der Senat kann gemäß § 130a Satz 1 VwGO über die Berufung durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu gemäß §§ 130a Satz 2, 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO gehört worden.

Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der vom Kläger gerügte Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt nicht vor. Zwar ist der Europäische Gerichtshof gesetzlicher Richter im Sinne dieser Vorschrift und es stellt einen Entzug des gesetzlichen Richters dar, wenn ein nationales Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Europäischen Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nicht nachkommt.
Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 9. Januar 2001 - 1 BvR 1036/99, juris, mit weiteren Nachweisen sowie vom 22. Oktober 1086 - 2 BvR 197/83 -, juris, Rdnr. 70 (= BVerfGE 73, 339).
Als erstinstanzliches Gericht war das Verwaltungsgericht aber nach Art. 234 Abs. 3 EGV nicht zur Vorlage verpflichtet. Anhaltspunkte für eine ausnahmsweise Vorlagepflicht eines nicht letztinstanzlichen Gerichts sind nicht vorgetragen.

Die Klage ist unbegründet.

Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 20. Februar 2006 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E. vom 13. Februar 2007 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Aberkennung des Rechts, von einer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, sind § 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 Straßenverkehrsgesetz (StVG) sowie § 46 Abs. 1, Abs. 5 Satz 2 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV -).

Nach diesen Vorschriften hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Bei Inhabern einer ausländischen Fahrerlaubnis hat eine Entziehung die Wirkung der Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.

Der Anwendbarkeit dieser Vorschriften im vorliegenden Verfahren stehen europarechtliche Regelungen, insbesondere Art. 1 Abs. 2, Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 geänderten Fassung (Richtlinie 91/439/EWG) nicht entgegen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH). Unbeschadet der Frage, in welchem Umfang der in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG zum Ausdruck gebrachte Grundsatz der wechselseitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen nach näherer Maßgabe von Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG erheblichen, letztlich der Sicherheit des Straßenverkehrs geschuldeten Einschränkungen unterliegt,
vgl. hierzu bereits u.a. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Februar 2007 - 16 B 178/07 -, Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW (www.nrw.de), Rdnr. 10 (=NVZ 2007, 266) und vom 13. September 2006 - 16 B 989/06 -, nrwe, Rdnrn. 9 ff. (= VRS 111, 466),
hat der EuGH jüngst entschieden, dass der Aufnahmemitgliedstaat die Anerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis, die nach einer auf seinem Hoheitsgebiet verfügten Entziehung einer früheren Fahrerlaubnis erworben wurde, jedenfalls dann verweigern darf, wenn aufgrund der Angaben im Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG vorgeschriebene Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt der Ausstellung des ausländischen EU-Führerscheins nicht erfüllt war.
Vgl. EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 - C-329/06 und C-343/06 - (Wiedemann u.a.) und - C-334/06 bis C-336/06 - (Zerche u.a.), veröffentlicht unter www.curia.eu.
So liegt der Fall hier. Das Amtsgerichts N. hatte dem Kläger zuletzt im Jahr 2003, also vor Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis am 29. März 2005, die Fahrerlaubnis entzogen. Aus dem tschechischen Führerschein des Klägers ergibt sich, dass er zum Zeitpunkt des Erwerbs des Führerscheins im März 2005 seinen Wohnsitz nicht entsprechend Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439/EWG in der Tschechischen Republik, sondern in O2. (Bundesrepublik Deutschland) hatte. Sein Vorbringen, in der Tschechischen Republik habe bei der Erteilung der Fahrerlaubnis bis zum 30. Juni 2006 die Wohnsitzfrage keine Rolle gespielt, weil die 185-Tage-Regelung erst zum 1. Juli 2006 in das dortige Straßenverkehrsgesetz eingefügt worden sei, ist rechtlich nicht relevant. Das Wohnsitzerfordernis für die Anerkennung der Fahrerlaubnis ergibt sich aus der Richtlinie 91/439/EWG selbst. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erwerbs der Fahrerlaubnis seinen Wohnsitz in der Tschechischen Republik hatte.

Soweit der EuGH eine „Verweigerung der Anerkennung" durch innerstaatliche Vorschriften zulässt, ist hierdurch weder deren Art noch Umfang vorgegeben. Insbesondere kann die „Verweigerung der Anerkennung" - auch und gerade unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten - erst durch eine Entziehung der Fahrerlaubnis mit Wirkung ex nunc (also ohne Rückwirkung auf das Ausstellungsdatum) verfügt werden, z.B. weil der Betroffene die ihm gebotene Gelegenheit, seine aktuelle Kraftfahreignung nachzuweisen, nicht genutzt hat.

Sind die nationalen Vorschriften demnach uneingeschränkt anwendbar, hat der Beklagte die angefochtene Verfügung zu Recht darauf gestützt, dass der Kläger das angeforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht beigebracht hat. Gemäß § 46 Abs. 4 Satz 2 und 3 in Verbindung mit § 11 Abs. 8 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder ein zu Recht von ihm angefordertes Gutachten nicht fristgerecht beibringt und er in der entsprechenden Anordnung auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde. Dieser Schluss auf die Nichteignung ist zulässig, wenn die Anordnung, ein Gutachten beizubringen, bestimmten Mindestanforderungen in formeller Hinsicht genügt sowie materiell rechtmäßig ist und für die Weigerung, das Gutachten beizubringen, kein ausreichender Grund besteht.

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Entgegen der Ansicht des Klägers genügt die Gutachtenaufforderung vom 26. September 2005 den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV. In der Anordnung ist konkret festgelegt, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Die Anordnung ist auch materiell rechtmäßig. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 c) FeV ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr geführt wurde. Der Kläger hat am 11. März 2003 ein Kraftfahrzeug bei einer Blutalkoholkonzentration von 2,48 Promille geführt. Das unter zutreffendem Hinweis auf § 11 Abs. 8 FeV angeforderte Gutachten hat der Kläger nicht innerhalb der vom Beklagten gesetzten Frist vorgelegt.

Raum für Ermessenserwägungen war - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht gegeben. Durch Art. 8 Abs. 2 und Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG wird den innerstaatlichen Behörden kein Ermessen bei Anwendung der nationalen Vorschriften eingeräumt. Ein anderes Verständnis widerspräche schon dem Charakter einer Richtlinie. Die Richtlinie ist ein Akt der Union, der sich an die Mitgliedstaaten richtet, für diese verbindlich ist und sie verpflichtet, die Richtlinien auszuführen, indem sie einen richtlinienkonformen Rechtszustand im nationalen Recht herstellen oder beibehalten; eine unmittelbare Verpflichtung nationaler Organe und Glieder in den nationalen Ordnungen erfolgt grundsätzlich nicht.
Vgl. Nettesheim, in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Kommentar, Band III, 35. Ergänzungslieferung, Stand Mai 2008, Art. 249 EGV Rdnr. 124, 130.
Das gilt auch für Art. 8 Abs. 2 und Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG. Die Vorschrift richtet sich - wie bereits die Formulierung zeigt - unmittelbar an die Mitgliedstaaten und gibt diesen (unter bestimmten Voraussetzungen) die Befugnis zur Anwendung nationaler Vorschriften über die Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung einer Fahrerlaubnis bzw. die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins.

...

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2 VwGO). ..."



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