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OVG Greifswald Beschluss vom 21.02.2006 - 1 M 22/06 - Bei Auffinden von Amphetamin (Speed) im Auto ist ein ärztliches Gutachten angezeigt
OVG Greifswald v. 21.02.2006: Bei Auffinden von Amphetamin (Speed) im Auto ist ein ärztliches Gutachten angezeigt
Das OVG Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald (Beschluss vom 21.02.2006 - 1 M 22/06) hat entschieden:
- Für die Feststellung der Nichteignung wegen der Einnahme von Betäubungsmitteln ist nur ausnahmsweise ein medizinisch-psychologisches Gutachten oder ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr erforderlich. Basis der normativen Regelfallannahme der Nichteignung ist in der Regel ein ärztliches Gutachten. Nicht ausreichend ist regelmäßig das Auffinden von Amphetamin anlässlich einer Verkehrskontrolle im PKW eines Kraftfahrzeugführers.
- Hat der Betroffene "Ecstasy" (Methylendioxyamphetamin - MDA -, Methylendioxymethamphetamin - MDMA -, Methylendioxyethylamphetamin - MDEA -) und Kokainzubereitungen konsumiert, ist im Regelfall (ohne dargelegte Kompensationsmöglichkeiten) von seiner Fahrungeeignetheit auszugehen und die Fahrerlaubnis ohne vorheriges weitergehendes Gutachten zu entziehen.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die vom 31. August 2005 datierende sofort vollziehbare Entziehung seiner Fahrerlaubnis (Fahrerlaubnisklassen A1, B, M L) wegen der Einnahme von "Ecstasy" und Kokainzubereitungen.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den ihm am 17. Januar 2006 (Dienstag) zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts, die mit am 31. Januar 2006 (Dienstag) eingegangenem Schriftsatz fristgemäß (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) eingelegt und mit am 17. Februar 2006 eingegangenem Schriftsatz ebenso fristgerecht (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) begründet worden ist, entspricht schon nicht den Voraussetzungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO und hat im Übrigen auch in der Sache keinen Erfolg.
Die Beschwerdebegründung genügt nicht dem Darlegungserfordernis aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO.
§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO bestimmt, dass die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen ist. Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
In Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Gegenstand der gerichtlichen Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO darauf beschränkt, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts an Hand derjenigen Gründe nachzuprüfen, die der Beschwerdeführer darlegt. Wie sich aus § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 3 VwGO ergibt, können nur solche Gründe in die Prüfung einbezogen werden, die der Beschwerdeführer innerhalb der einmonatigen gesetzlichen Begründungsfrist vorbringt. Nach Ablauf dieser Frist können zwar fristgerecht geltend gemachte Gründe vertieft, nicht aber neue Gründe in das Beschwerdeverfahren eingeführt werden.
Vor diesem Hintergrund verlangt das Darlegungserfordernis von dem Beschwerdeführer, dass die Beschwerdebegründung auf die rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen eingeht, auf die das Verwaltungsgericht seine Entscheidung gestützt hat. Es ist für die Zulässigkeit der Beschwerde erforderlich, dass die Beschwerdebegründung an die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts anknüpft und aufzeigt, weshalb sich diese aus der Sicht des Beschwerdeführers nicht als tragfähig erweisen bzw. aus welchen rechtlichen und tatsächlichen Gründen der Ausgangsbeschluss unrichtig sein soll und geändert werden muss. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses. Der Beschwerdeführer muss sich insofern an der Begründungsstruktur der angegriffenen Entscheidung orientieren. Grundsätzlich reicht eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens ohne Eingehen auf die jeweils tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts ebenso wenig aus wie bloße pauschale oder formelhafte Rügen. Stützt das Verwaltungsgericht sein Ergebnis alternativ auf mehrere Begründungen, muss die Beschwerde alle Begründungen aufgreifen, sich mit diesen auseinander setzen und sie in Zweifel ziehen. Geht die Beschwerdebegründung auf nur eine Erwägung nicht ein, die die angefochtene Entscheidung selbstständig trägt, bzw. lässt sie unangefochten, bleibt der Beschwerde schon aus diesem Grund der Erfolg versagt (ständige Rspr. des Senats; vgl. zum Ganzen auch Sächsisches OVG, Beschluss vom 30. April 2003 - 4 BS 40/03 -, juris; OVG Schleswig, Beschluss vom 31. Juli 2002 - 3 M 34/02 -, NJW 2003, 158; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 01. Juli 2002 - 11 S 1293/02 -, juris, und Beschluss vom 12.4.2002 - 7 S 653/02 -, VBlBW 2002, 398; vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage, § 146 Rn. 41). Diese Anforderungen an die Beschwerdebegründung sind für einen Beschwerdeführer auch zumutbar. Mit Blick auf den Vertretungszwang gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist sichergestellt, dass Beschwerdeführer - in aller Regel durch einen Rechtsanwalt - rechtskundig vertreten sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.4.2002 - 7 S 653/02 -, VBlBW 2002, 398).
Diesem Maßstab genügt das Vorbringen der Beschwerde nicht. Mit der entscheidungstragenden Erwägung des Verwaltungsgerichts, die angegriffene Verfügung erweise sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig, weil der Antragsteller höchstwahrscheinlich nach Maßgabe von Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV wegen des Konsums von "Ecstasy" und Kokain ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei und folglich seine Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV zu entziehen sei, setzt sich das Beschwerdevorbringen nicht auseinander.
Die Beschwerde ist bereits aus diesem Grunde unzulässig und zu verwerfen.
Unabhängig davon ergeben sich aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen auch in der Sache keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen der von ihm im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO vorzunehmenden und vorgenommenen Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollziehungsinteresse und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers in nicht zu beanstandender Weise zur Begründung des Vorrangs des Vollziehungsinteresses maßgeblich auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmende Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entziehungsverfügung abgestellt.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die auf § 3 Abs. 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV gestützte Entziehungsverfügung des Antragsgegners vom 31. August 2005 rechtmäßig ist.
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Antragsteller aufgrund des Konsums von "Ecstasy" und Kokain nicht über die zur Teilnahme am Straßenverkehr erforderliche Kraftfahreignung verfügen dürfte, unterliegt keinen ernstlichen Zweifeln. Das in der Beschwerdebegründung dokumentierte Normverständnis der §§ 3 Abs. 2, 11 bis 14 FeV geht fehl; weitere Aufklärungsmaßnahmen des Antragsgegners hinsichtlich der Eignung des Antragstellers waren nicht erforderlich.
Nach Maßgabe des Senatsbeschlusses vom 10. Dezember 2003 - 1 M 2/04 - ist hinsichtlich der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei Konsum von Betäubungsmitteln von folgenden Grundsätzen auszugehen:
Ein Kraftfahrer, der Betäubungsmittel im Sinne des BtMG konsumiert hat, ist gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StVG, § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV (nachfolgend: Anlage 4 FeV) im Regelfall als ungeeignet zum Führen von Kfz anzusehen.
Nr. 9.1 Anlage 4 FeV verneint die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Falle der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis). Nach Maßgabe der Vorbemerkung Nr. 3 Anlage 4 FeV gilt diese Bewertung für den Regelfall, wobei Kompensationen durch besondere menschliche Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen möglich sind. Ergeben sich im Einzelfall Zweifel, kann danach eine medizinisch-psychologische Begutachtung angezeigt sein. Grundlage der Beurteilung, ob im Einzelfall Eignung oder bedingte Eignung vorliegen, ist gemäß Vorbemerkung Nr. 2 Anlage 4 FeV in der Regel ein ärztliches Gutachten (§ 11 Abs. 2 Satz 3), in besonderen Fällen ein medizinisch-psychologisches Gutachten (§ 11 Abs. 3) oder ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr (§ 11 Abs. 4).
Unter Berücksichtigung von § 11 Abs. 7 FeV bedeutet dies: Für die Feststellung der Nichteignung nach Nr. 9.1 Anlage 4 FeV wegen der Einnahme von Betäubungsmitteln ist nur ausnahmsweise ein medizinisch-psychologisches Gutachten (§ 11 Abs. 3 FeV) oder ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr (§ 11 Abs. 4 FeV) erforderlich.
Basis der normativen Regelfallannahme der Nichteignung ist in der Regel ein ärztliches Gutachten (§ 11 Abs. 2 Satz 3 FeV). Nicht ausreichend ist im Umkehrschluss regelmäßig beispielsweise das Auffinden von Amphetamin anlässlich einer Verkehrskontrolle im PKW eines Kraftfahrzeugführers, auch wenn etwa ein Polizeibeamter in dessen Person drogenbedingte Ausfallerscheinungen festgestellt hat (vgl. OVG Koblenz, Beschluss vom 05.12.2001 - 7 B 11762/01 -, Blutalkohol 2002 , S. 385). Grundsätzlich notwendig, aber auch hinreichend ist vielmehr eine - im Gegensatz zu Gutachten nach § 11 Abs. 3, 4 FeV - "schlichte" ärztliche (vgl. zur erforderlichen Qualifikation des Arztes § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 - 5, Satz 5 FeV) Feststellung des Drogenkonsums, vergleichbar der medizinischen Diagnose einer eignungsbeeinflussenden Gesundheitsstörung bzw. Krankheit, wie sie ebenfalls in Anlage 4 FeV aufgelistet sind. Deshalb ist dem Verwaltungsgericht Leipzig darin zuzustimmen, wenn es meint, die rechtsmedizinische (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 FeV) Feststellung einer Konzentration von Amphetamin im Blut eines Kraftfahrzeugführers stelle ein ärztliches Gutachten in diesem Sinne bzw. nach Vorbemerkung Nr. 2 zur Anlage 4 FeV dar (vgl. VG Leipzig, Beschluss vom 21.02.2001 - 1 K 176/01 -, Blutalkohol 2001 , S. 480, 482). Dabei kann sich die Fahrerlaubnisbehörde ein bereits von der Polizei in Auftrag gegebenes Gutachten zu Eigen machen bzw. ihrer Eignungsbeurteilung zugrunde legen. Ein Gutachten wird im Übrigen - was auf der Hand liegen dürfte - nicht erforderlich sein, wenn die Drogeneinnahme von einem Kraftfahrzeugführer eingeräumt wird.
Steht nach diesem Maßstab ein Regelfall der Nichteignung fest, kann dieser grundsätzlich nur durch Kompensationen im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 zur Anlage 4 FeV relativiert bzw. eine weitergehende Aufklärung durch die Behörde und einzelfallbezogene Eignungsprüfung erforderlich werden. Eine solche Kompensation wird im Falle des Konsums von Betäubungsmitteln grundsätzlich durch besondere - der Drogeneinnahme nachfolgende - Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen möglich sein.
An die schon mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich mögliche Kompensation sind dabei prinzipiell umso höhere Anforderungen zu stellen, je gewichtiger der Mangel ist. Bei Drogeneinnahme ist der Mangel etwa umso gewichtiger, je häufiger eine solche erfolgt ist oder je enger der Zusammenhang mit dem Führen von Kraftfahrzeugen ist. In derartigen Fällen wird der Nachweis, dass kein Regelfall oder - anders gewendet - die Eignung dennoch gegeben ist, im Grundsatz ausgeschlossen sein.
Mit Beschluss vom 28. Juli 2004 - 1 M 149/04 - hat der Senat im Übrigen entschieden, dass auch die einmalige Einnahme so genannter "harter Drogen" im Regelfall die Schlussfolgerung der Nichteignung rechtfertigt (vgl. auch Beschluss des Senats v. 22.07.2005 - 1 M 76/05-).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen nach dem Maßstab des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes als feststehend zu betrachten.
Der Antragsteller hat "Ecstasy" (Methylendioxyamphetamin - MDA -, Methylendioxymethamphetamin - MDMA -, Methylendioxyethylamphetamin - MDEA -) und Kokainzubereitungen konsumiert. Die Einnahme dieser Substanzen ist durch das forensisch-toxikologische Gutachten des Prof. Dr. ..., Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums ... (Dr. ...), vom 18. Juli 2005 festgestellt worden. Dieses Gutachten ist ein solches im Sinne der Vorbemerkung Nr. 2 zur Anlage 4 FeV. Bei den festgestellten Substanzen handelt es sich um Betäubungsmittel im Sinne des BtMG (vgl. § 1 Abs. 1 BtMG i. V. m. Anlagen I, III zu § 1 Abs. 1 BtMG).
Da ein Regelfall im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StVG, § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Nr. 9.1 Anlage 4 FeV vorgelegen hat und eine Kompensation im Sinne von Vorbemerkung Nr. 3 zu Anlage 4 FeV nicht angenommen werden kann, steht die Nichteignung des Antragstellers im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV bereits fest, ohne dass es der Einholung eines weitergehenden Gutachtens bedurft hätte.
Das Beschwerdevorbringen zeigt keinerlei Gesichtspunkte auf, warum hiervon abweichend im Falle des Antragstellers ausnahmsweise etwas anderes gelten sollte. Im Gegenteil führt auch die Beachtung des Gesichtspunktes, dass der Antragsteller nachgewiesenermaßen unter Drogeneinfluss ein Kraftfahrzeug geführt hat, zu der Schlussfolgerung, dass es bei der Grundregel des § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Nr. 9.1 Anlage 4 FeV, derzufolge aus dem Konsum der genannten Substanzen die Nichteignung folgt, verbleiben muss.
Die vom Antragsteller im Zusammenhang mit der Entziehung der Fahrerlaubnis pauschal angeführten beruflichen und sonstigen Nachteile rechtfertigen ebenfalls keine Abweichung von der zur Entziehung der Fahrerlaubnis führenden Annahme seiner Nichteignung. Die absehbaren Folgen einer Fahrerlaubnisentziehung muss jeder Betroffene hinnehmen, wenn hinreichender Anlass zu der Annahme besteht, dass aus seiner aktiven Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr eine Gefahr für dessen Sicherheit resultiert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.06.2002 - 1 BvR 2062/96, ZfS 2002, S. 454, 459). Abgesehen davon ist das Beschwerdevorbringen zu den Folgen der Fahrerlaubnisentziehung für den Antragsteller zu unsubstantiiert, um hieraus zu seinen Gunsten etwas ableiten zu können. ..."