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Verwaltungsgericht Braunschweig Urteil vom 11.06.2008 - 2 A 331/07 - Zur Rechtmäßigkeit der Anordnung zur Schaffung von Feuerwehrzufahrten zu privaten Grundstücken

VG Braunschweig v. 11.06.2008: Zur Rechtmäßigkeit der Anordnung zur Schaffung von Feuerwehrzufahrten zu privaten Grundstücken


Das Verwaltungsgericht Braunschweig (Urteil vom 11.06.2008 - 2 A 331/07) hat entschieden:
Nach niedersächsischem Bauordnungsrecht müssen bauliche Anlagen so angeordnet und beschaffen sein, dass die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet wird. Insbesondere dürfen Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht bedroht werden. Ist eine weitere Treppe als zweiter Fluchtweg nicht vorhanden, kann eine Auflage zur Schaffung einer Feuerwehrzufahrtmöglichkeit ergehen. Die Möglichkeit einen weiteren Fluchtweg durch das Befahren von Rasenflächen zu ermöglichen genügt nicht.


Siehe auch Feuerwehrzufahrt und Verkehrsrechtliche Anordnungen


Zum Sachverhalt:

Die Kläger wendeten sich gegen eine Anordnung zur Schaffung von Zufahrten und Aufstellflächen für Feuerwehrfahrzeuge bzw. gegen die Anordnung, diese Maßnahme zu dulden.

Sie sind Eigentümer zweier Grundstücke in G., H. und I. (Gemarkung G., Flur J.), die mit jeweils einem fünfgeschossigen Mietwohnhaus bebaut sind. Der Grundriss der Gebäude, für die am 30.07.1965 eine Baugenehmigung auf der Grundlage der K. Bauordnung vom 13.03.1899 erteilt wurde, ist sternförmig mit je drei Schenkeln bzw. Achsen. Die Gebäude werden zusammen mit einen gleichartigen dritten Wohnhaus sowie einem weiteren Mietwohnblock von der L. und dem M. inselförmig umschlossen. Auf dem Areal sind Stellflächen für PKWs und Rasenflächen mit aufgelockertem Pflanzenbestand angelegt.

Anlässlich einer Brandschau stellte der Gemeindebrandmeister fest, dass die Gebäude bauseitig über keinen zweiten Rettungsweg für den Brandfall verfügen und ein sicheres Bewegen und Aufstellen des gemeindeeigenen 16 t schweren Hubrettungsfahrzeugs auf den unbefestigten Flächen der Grundstücke nicht möglich ist. Auch befestigte Zufahrten sind nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Von den PKW-Stellflächen aus sind nur Teile der Gebäude mit dem Feuerwehrfahrzeug erreichbar. Daraufhin fand ein Ortstermin statt, zu dem auch die Kläger geladen waren, und in dessen Verlauf Mitarbeiter der Beklagten darlegten, wo weitere Zufahrten angelegt und welche Pflanzen beseitigt werden sollten. Dabei wiesen sie darauf hin, dass es zur Befestigung ausreiche, ein Mineralgemisch in den Boden einzubauen, der dann wieder mit Rasen begrünt werden könne.

Nachdem in der Folgezeit die Eigentümer des dritten "Sternhauses" und des weiteren Mietwohnblocks entsprechende Brandschutzmaßnahmen durchgeführt hatten, eine Anhörung der Kläger aber ohne Ergebnis geblieben war, ordnete der Beklagte dem Kläger zu 2. gegenüber mit zwei Bescheiden vom 16.10.2006 an, für die Häuser H. und I. nach Maßgabe einer beigefügten Zeichnung ebenfalls Feuerwehrzufahrten und Aufstellflächen anzulegen. Für den Fall der Nichtbefolgung drohte er ein Zwangsgeld i. H. v. 300 EUR je Aufstellfläche an. In jeweils zwei weiteren Bescheiden vom 16.10.2006 verpflichtete er die Kläger zu 1. und 3., die vom Kläger zu 2. durchzuführenden Maßnahmen zu dulden.

Hiergegen legten die Kläger am 15.11.2006 Widerspruch ein und trugen zur Begründung vor:

Die Gebäude seien auf der Grundlage einer im Jahr 1965 erteilten Baugenehmigung rechtmäßig errichtet worden. Die Pflicht, einen zweiten Rettungsweg für den Brandfall vorzusehen, sei erst im Jahr 1986 in die Niedersächsische Bauordnung aufgenommen worden. Wegen des Bestandschutzes erfordere die getroffene Anordnung das Vorliegen einer konkreten Gefahr, welche der Beklagte nicht dargetan habe. Es seien auch keine Bodenuntersuchungen vorgenommen worden, die evtl. zu dem Ergebnis hätten führen könnten, dass der Untergrund hinreichend tragfähig sei. Zudem hätten wegen des Vertrauensschutzes Ermessenserwägungen angestellt werden müssen, die die Bescheide nicht enthielten. Dabei hätte der Beklagte berücksichtigen müssen, dass seit 40 Jahren keine Probleme aufgetreten seien. Er selbst habe in den zurückliegenden 20 Jahren seit der Änderung der NBauO ebenfalls keine Nachbesserungen für erforderlich gehalten. Zudem habe der Beklagte nicht die Möglichkeit erwogen, im Brandfall leichtere Rettungsfahrzeuge aus benachbarten Gemeinden anzufordern. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei nicht gewahrt. Schließlich fehle es an einer nachvollziehbaren Auswahl der zur Durchführung der Maßnahme verpflichteten Person.

Diese Widersprüche wies der Beklagte durch insgesamt sechs Widerspruchsbescheide vom 01.11.2007 - den Klägern zugestellt am 05.11.2007 - unter ausführlicher Darlegung der Sach- und Rechtslage als unbegründet zurück.

Daraufhin haben die Kläger am 02.12.2007 Anfechtungsklage erhoben.

Die Klage blieb erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

"Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

Die Anordnung zur Schaffung von Zufahrten und Aufstellflächen für Fahrzeuge der Feuerwehr bzw. die Verpflichtung zur Duldung dieser Maßnahmen ist zu Recht ergangen.

Es erscheint möglich, dass die Kläger bereits bei der Errichtung der Wohnhäuser nach dem seinerzeit geltenden Recht zu weitergehenden Brandschutzmaßnahmen verpflichtet waren. Hierfür spricht, dass die Baugenehmigungen vom 30.07.1965 mit der Maßgabe erteilt wurden, die Vorschriften der K. Bauordnung vom 13.03.1899 zu beachten. Diese bestimmte in Nr. 30, dass jeder Bau so angelegt werden muss, dass im Falle eines Brandes für die Feuerlösch- und Rettungsarbeiten die erforderliche Zugänglichkeit gesichert ist und traf in Nr. 17 nähere Regelungen in Bezug auf die anzulegenden Zufahrten. Welche konkreten Verpflichtungen sich daraus im Hinblick auf den Brandschutz ergaben, kann jedoch dahingestellt bleiben, weil die Kläger jedenfalls nach dem heute geltenden Recht verpflichtet sind, entsprechende Nachbesserungen vorzunehmen.

Nach § 99 Abs. 2 der Niedersächsischen Bauordnung i. d. F. vom 10.02.2003 - NBauO - (Nds. GVBl. S. 89), auf den sich die Widerspruchsbescheide vom 01.11.2007 stützen, kann die Bauaufsichtsbehörde eine Anpassung auch solcher baulicher Anlagen verlangen, die vor dem 01.01.1974 rechtmäßig errichtet wurden, wenn dies zur Erfüllung der Anforderungen des § 1 Abs. 1 NBauO erforderlich ist. Danach müssen bauliche Anlagen so angeordnet und beschaffen sein, dass die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet wird. Insbesondere dürfen Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht bedroht werden. Den sich hieraus ergebenden Anforderungen des Brandschutzes genügen die am N. und O. errichteten Wohnhäuser nicht. Denn nach § 20 Abs. 2 NBauO muss aus Gründen der Sicherheit jede Nutzungseinheit mit mindestens einem Aufenthaltsraum in jedem Geschoss mindestens zwei voreinander unabhängige Rettungswege haben. Dabei muss der erste Rettungsweg, wenn die Nutzungseinheit nicht zu ebener Erde liegt, über mindestens eine notwendige Treppe führen, die in den hier in Rede stehenden Gebäuden vorhanden ist. Der zweite Rettungsweg kann nach § 13 Abs. 1 DVNBauO vom 11.03.1987 (Nds. GVBl. S. 29) über eine weitere Treppe führen - die hier fehlt - oder über eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle, wenn die Feuerwehr über die erforderlichen Rettungsgeräte verfügt. Vom Gebäude in der O. ist nur die Stirnseite eines Schenkels von dem daneben liegenden Parkplatz aus erreichbar und vom Gebäude I. nur die Nordseite. Im Übrigen müssen die Rasenflächen befahren werden, um die übrigen Gebäudeteile mit dem Feuerwehrfahrzeug erreichen zu können.

Soweit die Kläger behaupten, die um die Gebäude herum angelegten Grünflächen würden eine ausreichende Festigkeit besitzen, um auch ein Befahren und Rangieren mit einem 16 t Hubrettungsfahrzeug zu ermöglichen, handelt es sich um eine Behauptung ins Blaue hinein. Die Kammer ist deshalb einer entsprechenden Beweisanregung nicht nachgegangen. Es ist nichts dafür ersichtlich oder vorgetragen worden, dass der unter dem Rasen befindliche Grund zu irgendeinem Zeitpunkt in besonderer Weise befestigt wurde oder von einer untypisch hohen natürlichen Festigkeit des Bodens ausgegangen oder diese vermutet werden könnte. Die Lebenserfahrung und auch die Erfahrung des Brandmeisters sprechen dafür, dass ein Fahrzeug von 16 t Gewicht in "normalem" Boden keinen ausreichenden Halt findet und ihn beim Rangieren zusätzlich aufwühlt. Die Beklagtenvertreter haben zudem in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen vorgetragen, dass sie die Grundstücke bei feuchter Witterung besichtigt hätten und mit den Schuhen im Boden eingesunken wären. Die Kammer ist deshalb davon überzeugt, dass der Untergrund der unbefestigten Rasenflächen keine ausreichende Festigkeit besitzt.

Da die Rasenflächen somit derzeit nicht sicher mit dem Rettungsfahrzeug der Ortsfeuerwehr befahren werden können, fehlt es an einem zweiten Rettungsweg i. S. des § 20 Abs. 2 NBauO, mit der Folge, dass für die Bewohner der Häuser und ihre Besucher eine Gefahr für Leib und Leben besteht, wenn das Treppenhaus im Brandfall nicht benutzt werden kann. Damit erfüllen die Gebäude nicht die Anforderungen des § 1 Abs. 1 NBauO. Die wegen des unzureichenden Brandschutzes bestehende Gefahr ist hinreichend konkret, um ein Anpassungsverlangen des Beklagten zu stützen. Das gilt auch dann, wenn - wie die Kläger angeben - in den zurückliegenden 40 Jahren in den Gebäuden kein Brand ausgebrochen ist, bei dem auf den zweiten Rettungsweg hätte zurückgegriffen werden müssen. Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden Einzelfall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird, wobei der Eintritt des Schadens weder gewiss zu sein braucht, noch unmittelbar bevorstehen muss (OVG Lüneburg, Beschl. vom 17.01.1986 - 6 B 1/86 -, BauR 1986, 684). Der Zweck der Vorschriften zur Schaffung ausreichender Feuerwehrzufahrten und Aufstellplätze besteht darin, Häuser mit mehreren Vollgeschossen und nur einer Treppe im Brandfall dadurch zu sichern, dass Feuerlösch- und Rettungsgeräte ungehindert bis dicht an die bauliche Anlage herangebracht werden können, um so einen zweiten Rettungsweg zu schaffen. Sowohl die abstrakte gesetzliche Regelung, welche die Pflicht vorsieht, einen zweiten Rettungsweg zu schaffen, als auch eine zur Umsetzung dieser Pflicht erlassene behördliche Anordnung dienen somit der Abwehr erheblicher Gefahren für Leib und Leben der Bewohner größerer Häuser. Da eine Einzelmaßnahme zur Gefahrenabwehr keinen höheren Grand an Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts erfordert als die Rechtsvorschrift, kann im Regelfall schon aus der der Gefahrenabwehr dienenden (abstrakten) gesetzlichen Bestimmung auf das Vorliegen einer konkreten Gefahr geschlossen werden (vgl. BVerwG, Urt. vom 12.07.1973 - 1 C 23.72 -, DVBl. 1973, 857), es sei denn, der Eintritt eines Schadens ist wegen besonderer Umstände des Einzelfalles unwahrscheinlich (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. vom 03.07.1989 - 6 OVG A 118/86 -). Solche Umstände sind hier jedoch nicht ersichtlich.

Die vom Gesetz intendierte Rechtsfolge, notwendige Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ergreifen, macht weitergehende Ermessenserwägungen hier entbehrlich, zumal auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ersichtlich ist. Der Beklagte hatte den Klägern bereits vor Erlass der angefochtenen Bescheide mitgeteilt, dass die Zufahrten nur streifenförmig ausgeführt werden müssten und für ihre Herstellung ebenso wie für das Anlegen der Aufstellflächen die Einbringung von Mineralgemisch in den Boden ausreiche, welcher anschließend wieder begrünt werden könne. Dies bedeutet für die Kläger sowohl in optischer als auch in finanzieller Hinsicht nur (relativ) geringe Belastungen. Die Maßnahme ist auch nicht etwa deshalb unverhältnismäßig, weil es der Ortsfeuerwehr zuzumuten wäre, im Brandfall eine benachbarte Feuerwehr mit leichterem Gerät um Hilfe zu bitten. Auch wenn diese nach § 2 Abs. 2 NBrandSchG zur Nachbarschaftshilfe verpflichtet wäre, solange der eigene Brandschutz dadurch nicht beeinträchtigt wird, ist weder die Ortsfeuerwehr noch die Bauaufsichtsbehörde verpflichtet, die notwendigen Anforderungen an den Brandschutz an dieser Möglichkeit auszurichten. Dagegen spricht bereits der Umstand, dass Rettungsfahrzeuge aus Nachbargemeinden später am Brandort eintreffen würden, was die Gefahr für die Bewohner der Gebäude erhöht. Zudem ergibt sich aus § 13 DVNBauO, wonach für mehrstöckige Wohnhäuser nur dann auf die Schaffung eines zweiten bauseitigen Rettungswegs verzichtet werden darf, wenn die Feuerwehr über Rettungsgeräte verfügt, die unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse geeignet sind, den notwendigen Brandschutz zu gewährleisten, so dass nicht die Feuerwehr ihre Rettungsfahrzeuge den diversen baulichen Gegebenheiten in der Gemeinde anzupassen hat, sondern Wohngebäude ohne bauseitigen zweiten Rettungsweg so herzustellen und ggf. nachzubessern sind, dass mit dem vorhandenen Gerät der erforderliche Brandschutz gewährleistet werden kann.

Es begegnet auch keinen Bedenken, dass der Beklagte den Kläger zu 2. verpflichtet hat, die notwendigen Maßnahmen zu veranlassen, und den Klägern zu 1. und 3. nur auferlegt hat, diese zu dulden. Zwar besitzt die Klägerin zu 1. den größten Eigentumsanteil an den Gebäuden, was für eine hinreichende Leistungsfähigkeit spricht; die Baupolizeibehörde soll aber von mehreren in Betracht kommenden Personen diejenige als Adressaten auswählen, die am geeignetsten erscheint, die Gefahr am schnellsten und wirksamsten zu beseitigen. Das kann bei mehreren in Betracht kommenden Adressaten derjenige sein, der finanziell am ehesten in der Lage scheint, schnell für Abhilfe zu sorgen, muss es aber nicht. Da die Kläger miteinander verwandt sind - der Kläger zu 2. ist der Sohn der Klägerin zu 1. und der Bruder der Klägerin zu 3. - und der Kläger zu 2. schon frühzeitig als Sprecher der Kläger aufgetreten ist und von ihnen bevollmächtigt wurde, auch ihre Interessen dem Beklagten gegenüber zu vertreten, war die Annahme, er biete am ehesten die Gewähr dafür, dass die notwendigen Maßnahmen zügig ergriffen werden, sachgerecht und damit rechtsfehlerfrei.

Schließlich steht auch die nach § 89 Abs. 4 VwGO i. V. m. §§ 67, 70 Nds. SOG ausgesprochene Zwangsgeldandrohung mit dem geltenden Recht in Einklang. ..."