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OLG Bamberg Beschluss vom 29.06.2009 - 2 Ss OWi 573/09 - Zum Absehen vom Fahrverbot bei qualifiziertem Rotlichtverstoß durch Frühstart

OLG Bamberg v. 29.06.2009: Zum Absehen vom Fahrverbot bei qualifiziertem Rotlichtverstoß durch Frühstart


Das OLG Bamberg (Beschluss vom 29.06.2009 - 2 Ss OWi 573/09) hat entschieden:
Auch wenn die Voraussetzungen eines Regelbeispiels gegeben sind, ist der Tatrichter nicht der Prüfung enthoben, ob Umstände des konkreten Falles in objektiver oder subjektiver Hinsicht der Annahme eines Regelfalles entgegenstehen und insbesondere die Verhängung eines Fahrverbots als unangemessen erscheinen lassen. Gerade beim sog. „qualifizierten“ Rotlichtverstoß gemäß Nr. 132.2 des Bußgeldkatalogs sind Fallgestaltungen denkbar, die kein besonders verantwortungsloses Verhalten im Sinne einer groben Pflichtverletzung gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG erkennen lassen. Die Feststellung eines sog. Frühstarts allein reicht hierfür jedoch nicht aus. Anders kann dies aber sein, wenn die Ampelregelung nicht den Querverkehr schützen, sondern lediglich den Verkehrsfluss fördern soll.


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit Urteil vom 17.03.2009 wegen einer am 19.08.2008 begangenen fahrlässigen Ordnungswidrigkeit der Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage bei länger als 1 Sekunde andauernder Rotphase zu einer Geldbuße von 125 Euro verurteilt sowie gegen ihn ein mit der Anordnung nach § 25 Abs. 2a StVG verbundenes Fahrverbot von einem Monat verhängt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird. Insbesondere wird geltend gemacht, dass eine grobe Pflichtverletzung i.S.d. § 25 Abs. 1 StVG nicht gegeben und der Betroffene freizusprechen sei.


II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge einen Teilerfolg insoweit, als die Anordnung des Fahrverbots keinen Bestand hat.

1. Das Amtsgericht hat zu der dem Schuldspruch zugrundeliegenden Ordnungswidrigkeit folgende Feststellungen getroffen:
„Am 19.8.2008 befuhr der Betroffene gegen 10.34 Uhr innerorts die K-Straße in M. in südlicher Richtung. Er beabsichtigte an der Kreuzung zur L-Straße rechts in Richtung Bad L. abzubiegen. Hierzu ordnete sich der Betroffene auf der Rechtsabbiegerspur ein und kam als erstes Fahrzeug an der Haltelinie der Lichtzeichenanlage, die sowohl für den Geradeausverkehr als auch für den Rechtsabbiegeverkehr rot anzeigte, zum Stehen. Als die Lichtzeichenanlage für den Geradeausverkehr auf grün wechselte, bog der Betroffene mit seinem Pkw nach rechts in die L-Straße ab. Zu diesem Zeitpunkt zeigte die für Rechtsabbieger geltende, in ca. 1 Meter Entfernung vom Fahrzeug des Betroffenen befindliche Lichtzeichenanlage mit Rotpfeil für Rechtsabbieger bereits seit 42 Sekunden Rotlicht an. Dies übersah der Betroffene aus Unachtsamkeit.

Das Rechtsabbiegerrotlicht dient an dieser Stelle dem Anhalten des Verkehrs, der ansonsten unmittelbar nach dem Rechtsabbiegen vor einem Bahnübergang zum Stehen kommen würde. Ein Fußgängerübergang entlang der K-Straße über die L-Straße ist an der betreffenden Stelle nicht vorgesehen. Querverkehr der L.-Straße wird, wenn wie vorliegend der Geradeausverkehr auf der Kellerstraße durch Grünlicht freigegeben ist, durch Rotlicht angehalten. Gleiches gilt für Linksabbieger aus dem Gegenverkehr der K.-Straße.“
Zur Rechtsfolgenentscheidung, insbesondere zur Verhängung des Fahrverbotes führt das Amtsgericht unter anderem aus:
„Mangels Besonderheiten war die Regelgeldbuße von 125 Euro zu verhängen. Gleiches gilt für das Regelfahrverbot von einem Monat. Insofern führt die fehlende abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bei dem Abbiegevorgang nicht zu einer anderen Beurteilung. Dies ergibt sich daraus, dass der Verstoß subjektiv gravierend ist, da der Betroffene eine unmittelbar vor ihm befindliche Lichtzeichenanlage, die für seine Fahrtrichtung rot zeigte, aus Unachtsamkeit überfuhr. Dem Betroffenen war zu diesem Zeitpunkt das Gefährdungspotential seines Verhaltens nicht klar.“
2. Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen den Schuldspruch richtet, ist sie unbegründet. Insoweit hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG).

3. Hingegen rechtfertigen die Urteilsfeststellungen die Verhängung eines Fahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten als Kraftfahrzeugführer i.S.d. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG im konkreten Fall nicht, weil aufgrund der hier gegebenen Besonderheiten kein Regelfall gemäß Nr. 132.2 des Bußgeldkatalogs (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKatV) gegeben ist.

a) Der Verordnungsgeber hat die in § 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV bestimmten Pflichtverletzungen als besonders grob gekennzeichnet. Die Erfüllung eines der Tatbestände des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 BKatV indiziert deshalb das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf ( BGHSt 38, 125/134 ). Von der Anwendung der Bußgeldkatalog-Verordnung kann nur in solchen Einzelfällen abgesehen werden, in denen der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufweist, dass die Annahme eines Ausnahmefalles gerechtfertigt ist, wie dies etwa in Fällen mit denkbar geringer Bedeutung und minimalem Handlungsunwert oder bei möglichen Ausnahmeumständen persönlicher Art der Fall sein kann (BayObLGSt 1994, 56; 100/101; 1996, 3/4 f.).

b) Auch wenn die Voraussetzungen eines Regelbeispiels gegeben sind, ist der Tatrichter nicht der Prüfung enthoben, ob Umstände des konkreten Falles in objektiver oder subjektiver Hinsicht der Annahme eines Regelfalles entgegenstehen und insbesondere die Verhängung eines Fahrverbots als unangemessen erscheinen lassen. Gerade beim sog. „qualifizierten“ Rotlichtverstoß gemäß Nr. 132.2 des Bußgeldkatalogs sind Fallgestaltungen denkbar, die kein besonders verantwortungsloses Verhalten im Sinne einer groben Pflichtverletzung gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG erkennen lassen ( BayObLG DAR 1994, 370 m.w.N.).

c) Zwar kann nach ständiger Rechtsprechung des OLG Bamberg auch der Umstand, dass der Betroffene – wie hier – als so genannter Frühstarter aufgrund einer momentanen Fehlentscheidung seine Fahrt ungeachtet der für seine Fahrtrichtung Rotlicht anzeigenden Lichtzeichenanlage fortgesetzt hat, einen derartigen Ausnahmefall grundsätzlich nicht begründen. Eine derartige verbotswidrige Fahrweise eines Betroffenen ist grundsätzlich in gleicher Weise gefährlich wie die eines schlichten Nachzüglers. Darauf, dass ein derartiges fahrlässiges Verhalten mit guten Gründen nicht zugleich als rücksichtslos zu qualifizieren wäre, kommt es nicht an, solange aufgrund der erhöhten abstrakten Gefährlichkeit im Bereich einer innerstädtischen Kreuzung von einem groben Pflichtenverstoß auszugehen ist, für den es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf ( OLG Bamberg DAR 2008, 596 f. = OLGSt BKatV § 4 Nr. 7 = VRR 2008, 433 f.m. Anm. Gieg).

Im hier konkreten Fall hat das Amtsgericht jedoch besondere, über ein bloßes Augenblicksversagen des Betroffenen hinausgehende Umstände festgestellt, die es rechtfertigen, von der Verhängung eines Fahrverbotes ausnahmsweise abzusehen.

aa) Nr. 132.2 BKat will vorrangig den Kraftfahrer erfassen, der bewusst das Gelblicht missachtet, weil er hofft, notfalls unter Erhöhung der Geschwindigkeit, noch bei spätem Gelb oder zumindest bei frühem Rot die Haltelinie passieren und die Kreuzung überqueren zu können. Ein solches Verhalten, das zu besonders schwerwiegenden Rotlichtverstößen führen kann, wollte der Verordnungsgeber nicht nur dann schärfer ahnden, wenn eine konkrete Gefährdung oder Sachbeschädigung eintritt (Nr. 132.1 BKat), sondern auch dann, wenn die Rotphase bereits länger als eine Sekunde andauert (Nr. 132.2 BKat), weil in der letzten Fallgruppe eine abstrakte Gefährdung zu unterstellen ist. Der Querverkehr (insbesondere auch Fußgänger) kann sich nach dieser Zeit bereits im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden (vgl. unter Hinweis auf die amtl. Begründung BayObLG NZV 1994, 370 m. Anm. Scheffler NZV 1995, 214 ff. = DAR 1994, 367 f. = NJW 1994, 2908 = VRS 87, 380 ff. = VerkMitt 1995, Nr. 45).

bb) Im vorliegenden Fall dient das Rechtsabbiegerrotlicht nicht dem Schutz des Querverkehrs, sondern hat ausschließlich eine den Verkehrsfluss regelnde Funktion dahingehend, dass Rechtsabbieger daran gehindert werden sollen, unmittelbar nach dem Abbiegen an einem geschlossenen Bahnübergang erneut zum Stehen zu kommen, um offensichtlich dadurch einen den Kreuzungsbereich blockierenden Rückstau zu vermeiden. Auch befindet sich in Fahrtrichtung des Rechtsabbiegers kein Fußgängerübergang, und der Querverkehr wie auch der aus Gegenrichtung des Betroffenen kommende Linksabbiegerverkehr ist durch das für den Geradeausverkehr geschaltete Grünlicht angehalten. Unter diesen Umständen ist eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere des Querverkehrs, durch den vom Betroffenen begangenen Verkehrsverstoß nahezu auszuschließen. Eine konkrete Gefährdung wurde vom Amtsgericht nicht festgestellt.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist der hier nach den Feststellungen auf Unachtsamkeit des Betroffenen beruhende Verkehrsverstoß in Form der Verwechslung der für ihn geltenden Lichtzeichenanlage auch subjektiv als Augenblicksversagen gerade nicht als gravierend im Sinne einer verkehrsfeindlichen, die Verhängung eines Fahrverbots gebietenden Gesinnung einzustufen. Ein der gesetzlichen Vorbewertung entsprechender grober Pflichtenverstoß des Betroffenen ist den Feststellungen des Amtsgerichts damit nicht zu entnehmen.


III.

Da die Feststellungen des Amtsgerichts rechtsfehlerfrei getroffen wurden und weitere auch im Falle einer erneuten Verhandlung nicht zu erwarten sind, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Gründe, die ein Abweichen von der vom Amtsgericht verhängten Regelgeldbuße rechtfertigen, sind nicht ersichtlich. Das Fahrverbot hingegen hat zu entfallen.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde war als unbegründet zu verwerfen.


IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1, Abs. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

Der Senat entscheidet nach § 79 Abs. 5 OWiG.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.



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