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Amtsgericht München Urteil vom 20.05.2009 - 345 C 4756/09 - Keine pauschale Ausdehnung der 130-Prozent-Grenze für den Ersatz von Reparaturkosten

AG München v. 20.05.2009: Keine pauschale Ausdehnung der 130-Prozent-Grenze für den Ersatz von Reparaturkosten


Das Amtsgericht München (Urteil vom 20.05.2009 - 345 C 4756/09) hat entschieden:
Zwar kann aus Billigkeitsgründen der Integritätszuschlag ausnahmsweise auch dann zugesprochen werden, wenn der Geschädigte mangels eigener Mittel den Reparaturauftrag noch nicht erteilen konnte. Ein Integritätszuschlag ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung jedoch nur in Höhe von bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswerts zu gewähren. Liegen die voraussichtlichen Reparaturkosten darüber, so liegt ein wirtschaftlicher Totalschaden vor, so dass lediglich der Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt verlangt werden kann, da der Ersatz der Reparaturkosten in entsprechender Anwendung des § 251 Abs. 2 BGB unverhältnismäßig wäre.


Siehe auch Abstrakte bzw. sog. fiktive Schadensabrechnung - Abrechnung auf Gutachtenbasis und Integritätsinteresse und Ersatz der Reparaturkosten bis zu 130-% des Wiederbeschaffungswertes - die sog. 130-%-Grenze


Tatbestand:

Der Kläger macht gegen die Beklagten restliche Schadensersatzforderungen aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 06.10.2008 gegen 13.50 Uhr auf der Hauptstraße, Ecke Leipziger Straße in München zwischen dem klägerischen Pkw Renault Scenic, amtl. Kennzeichen M-V 9413 und dem vom Beklagten zu 1) gefahrenen und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw, amtl. Kennzeichen M-LZ 2551, ereignet hat.

Der Unfallhergang sowie die 100 %-ige Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.

Der Gesamtschaden des Klägers wurde auf EUR 7.749,61 (EUR 7.243,46 Bruttoreparaturkosten laut Gutachten; EUR 481,15 Sachverständigenkosten; EUR 25,00 Auslagenpauschale) zuzüglich vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 808,25 beziffert. Auf diesen Betrag hat die Beklagte zu 2) vor Klagezustellung EUR 3.506,15 zuzüglich EUR 402,82 vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren gezahlt. Dabei rechnete die Beklagte zu 2) auf Totalschadensbasis ab. Der Widerbeschaffungswert des klägerischen Pkw beläuft sich auf EUR 5 500,00, der Restwert beträgt EUR 2.500,00.

Der Kläger trägt vor, auf dem Gebrauchtwagenmarkt sei ein entsprechendes Fahrzeug zu einen Preis von EUR 3.000,00 nicht zu bekommen. Daher wolle der Kläger sein Fahrzeug reparieren lassen und weiter nutzen. Er sei jedoch zur fachgerechten Reparatur nicht in der Lage, da ihm hierzu die finanziellen Mittel fehlen würden. Nach Auffassung des Klägers, habe er den weiteren Nutzungswillen hinreichend dargetan, indem er am 20.01.2009 den TÜV (Nachprüfung) durchführen ließ.

Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren, wird ein 1,6 Gebührensatz angesetzt.

Der Kläger beantragt zuletzt:
  1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger EUR 4 243,46 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB hieraus seit 01.11.2008 zu zahlen.

    hilfsweise:

    Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger EUR 4 243,46 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB hieraus seit 01.11.2008 als Vorschuss zu zahlen.

  2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger EUR 405,43 außergerichtliche Kosten der Rechtsverfolgung zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit Rechtshändigkeit der Klage zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten vertraten die Auffassung, dass auf Totalschadensbasis abzurechnen gewesen sei, da die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert um mehr als 130 % überschreiten. Außerdem sei hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten nur der Ansatz einer 1,3 Gebühr angemessen.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Im Übrigen wird auf den Akteninhalt verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Die vom Sachverständigen kalkulierten Bruttoreparaturkosten belaufen sich auf EUR 7.150,00 und übersteigen damit die 130 %-Grenze des Wiederbeschaffungswerts um einen Betrag in Höhe von EUR 93,46. Obwohl das Fahrzeug vorliegend noch nicht repariert wurde, sondern fiktiv abgerechnet wird, waren für die Ermittlung der 130 %-Grenze die Bruttoreparaturkosten anzusetzen, da der Wiederbeschaffungswert durch den Sachverständigen ebenfalls inklusive Mehrwertsteuer ermittelt wurde (vgl. auch Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Auflage, § 249 Rn. 28 m.w.N.).

Zwar ist dem OLG München (Urteil vom 29.07.1998 – 20 U 3498/98) zuzustimmen, dass aus Billigkeitsgründen der Integritätszuschlag ausnahmsweise auch dann zugesprochen werden kann, wenn der Geschädigte mangels eigener Mittel den Reparaturauftrag noch nicht erteilen konnte. Ein Integritätszuschlag ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung jedoch nur in Höhe von bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswerts zu gewähren. Liegen die voraussichtlichen Reparaturkosten darüber, so liegt ein wirtschaftlicher Totalschaden vor, so dass lediglich der Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt verlangt werden kann, da der Ersatz der Reparaturkosten in entsprechender Anwendung des § 251 Abs. 2 BGB unverhältnismäßig wäre.

Der Grenzwert von 130 % des Wiederbeschaffungswerts ist vorliegend überschritten.

Dabei verfängt vorliegend auch nicht der Einwand des Klägers, dass die 130 %-Grenze lediglich um etwa 1,7 % überschritten wurde. Dies entspricht mithin einem Betrag in Höhe von EUR 93,46. Von einer geringfügigen Überschreitung kann daher, anders als in der vom Kläger zitierten Entscheidung des LG Dresden (Urteil vom 30.06.2005 – 7 S 139/05), nicht gesprochen werden. In der Entscheidung des LG Dresden wurde die 130 %-Grenze lediglich um einen Betrag von etwa EUR 1,00 überschritten. Dieser minimale Betrag ist mit dem hier überschießenden Betrag von EUR 93,46 nicht vergleichbar. Bei letzterem handelt es sich nicht um einen bloßen Bagatellbetrag. Ein Bagatellbetrag ist allenfalls bis zu einem Wert von EUR 25,00 zu bejahen.

Nach Auffassung des Gerichts besteht vorliegend auch keine Veranlassung die von der Rechtsprechung etablierte Grenze von 130 % weiter auszudehnen. Durch die Gewährung eines 30 %-igen Integritätszuschlags wird dem Vorrang der Naturalrestitution und dem darin einfließenden Affektionsinteresse des Klägers an seinem Fahrzeug hinreichend Rechnung getragen. Jede andere Ansicht würde zu einer Ausuferung des § 251 Abs. 1 BGB und Unterlaufung des § 251 Abs. 2 S. 1 BGB führen.

Darüber hinaus ist vor dem Hintergrund der Entwicklung des Gebrauchtwagenmarkts die Gewährung eines Integritätszuschlags ohnehin zu bezweifeln. Das Argument, das für den Integritätszuschlag angeführt wird, die größere Sicherheit und Vertrautheit mit dem bisherigen Fahrzeug, ist bei einem Unfallwagen mit wirtschaftlichem Totalschaden zu relativieren. Denn aufgrund des Unfallschadens lässt sich die Identität des Fahrzeugs nur eingeschränkt wieder herstellen, zumal andernfalls der Ersatz des merkantilen Minderwerts überflüssig wäre. Ferner wird das besondere und legitime Sicherheitsbedürfnis bei der Bestimmung des Wiederbeschaffungswerts regelmäßig dadurch berücksichtigt, dass der Preis bei einem seriösen Gebrauchtwagenhändler nach gründlicher technischer Überprüfung und mit Werkstattgarantie zugrunde gelegt wird (Schiemann in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2005, § 249 Rn. 234).

Soweit der Kläger vorträgt, für einen Preis von EUR 3 000,– sei auf dem Gebrauchtwagenmarkt kein Ersatzfahrzeug zu bekommen, wird verkannt, dass noch ein Restwert von EUR 2 500,– erzielt werden kann, so dass dem Kläger für den Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs EUR 5 500,– zur Verfügung stehen. Der Kläger hat weder dargelegt noch bewiesen, dass auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu diesem Preis ein Ersatzfahrzeug nicht zu erwerben sei. Eine Beanstandung des durch den Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungswerts und Restwerts liegt seitens der Klagepartei ebenfalls nicht vor.

Mithin ist die Abrechnung der Beklagten auf Totalschadenbasis nicht zu beanstanden und dem Kläger stehen keine darüber hinausgehenden Schadensersatzansprüche – auch nicht in Form eines Vorschusses – gegen die Beklagten zu.


II.

Ferner besteht kein Anspruch des Klägers auf Ersatz weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren. Die Beklagte zu 2) hat zutreffend einen Betrag von EUR 402,82 (1,3 Gebühr aus Gegenstandswert von EUR 3 506,15 zuzüglich EUR 20,00 Auslagenpauschale und Umsatzsteuer) ausgeglichen. Da vorliegend – wie zuvor dargelegt – auf Totalschadensbasis abzurechnen ist, wurde der Gegenstandswert in Höhe von EUR 3 506,15 zutreffend beziffert. Es besteht hingegen keine Veranlassung für den Ansatz eines höheren als 1,3 Gebührensatzes. Es handelt sich um einen durchschnittlichen Unfall, so dass der Ansatz einer 1,3 Gebühr angemessen ist. Soweit vorgetragen wird, der Klägervertreter sei kein Fachanwalt für Verkehrsrecht, sondern für Familien- und Arbeitsrecht, kann dies einen höheren Gebührenansatz nicht rechtfertigen. Art und Umfang der Tätigkeit sind objektiv zu bestimmen und nicht unter Berücksichtigung der Fachrichtung des jeweiligen Rechtsanwalts.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.



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