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OLG Stuttgart Urteil vom 07.04.2010 - 3 U 216/09 - Keine Haftung des Auffahrenden bei abruptem Ausbremsen des Lückendränglers

OLG Stuttgart v. 07.04.2010: Keine Haftung des Auffahrenden bei abruptem Ausbremsen des Lückendränglers


Das OLG Stuttgart (Urteil vom 07.04.2010 - 3 U 216/09) hat entschieden:
  1. Hat ein schnellerer Fahrzeugführer den Wagen des Geschädigten überholt und sich mit einem Fahrstreifenwechsel in die vor diesem befindliche Lücke gedrängt und musste er dann wegen seiner höheren Geschwindigkeit sein Fahrzeug abrupt ausbremsen, worauf hin der Geschädigte aufgefahren ist, dann haftet er für den Schaden des Auffahrenden in voller Höhe.

  2. Die Unkostenpauschale nach einem schuldlos erlittenen Autounfall beträgt nach wie vor 25,00 €.

  3. Der Unfallgeschädigte kann zusätzlich zu den objektiv nötigen Reparaturarbeitstagen auch Nutzungsausfall für die Zeit zwischen Unfall und Eingang des Sachverständigengutachtens bei ihm verlangen.


Siehe auch Auslagenpauschale - Unkostenpauschale - Nebenkostenpauschale und Auffahrunfall - Bremsen des Vorausfahrenden


Gründe:

I.

Der Kläger verfolgt Schadensersatzansprüche aufgrund eines Auffahrunfalles nach einem Streifenwechsel vom 11.03.2009.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts und dem Vorbringen der Parteien in erster Instanz wird auf das Urteil vom 09.12.2009 Bezug genommen.

Mit diesem Urteil hat das Landgericht nach Vernehmung der Zeugen Dr. L... und R... sowie nach Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens zum Unfallhergang der auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 11.592,29 € nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe aus 7.374,88 € seit dem 26.03.2009 und aus 2.475,00 € seit dem 25.04.2009 (Antrag Ziff. 1) sowie auf Erstattung von vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 837,52 € nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe seit 19.06.2009 (Antrag Ziff. 2) gerichteten Klage in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten ergebe sich aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. § 115 VVG. Ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG habe weder für den Kläger noch für den Beklagten Ziff. 1 vorgelegen. Der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des Beklagten Ziff. 1 überwiege denjenigen des Klägers bei weitem mit der Folge, dass die Beklagten zum Ersatz des gesamten unfallbedingten Schadens des Klägers verpflichtet seien. Zwar sei der Kläger auf das Fahrzeug des Beklagten Ziff. 1 aufgefahren. Jedoch habe sich der Unfall in zeitlich und örtlich nahem Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel des Beklagten Ziff. 1 ereignet, weshalb nicht nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises auf ein Verschulden des Auffahrenden geschlossen werden könne. Vielmehr spreche nach der Rechtsprechung in einem solchen Fall der Beweis des ersten Anscheins für eine unfallursächliche Missachtung der sich aus § 7 Abs. 5 StVO ergebenden gesteigerten Sorgfaltsanforderung des vorausfahrenden Fahrstreifenwechslers. Dies gelte auch hier, weil der Beklagte Ziff. 1 beim Spurwechsel bei einer Lücke von nur 15 m keinen ausreichenden Abstand nach hinten und nach vorn habe einhalten können. Die obergerichtliche Spruchpraxis gehe regelmäßig bei einer solchen Sachlage von einer Alleinhaftung desjenigen Verkehrsteilnehmers aus, der einen sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel durchgeführt habe. Ein Mitverschulden des Klägers sei weder dargelegt noch nachgewiesen worden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei fraglich, ob der Kläger den Unfall überhaupt hätte vermeiden können. Selbst falls es dem Kläger möglich gewesen sein sollte, den notwendigen Sicherheitsabstand in der kurzen Zeitspanne zwischen dem Spurwechsel des Erstbeklagten und dem Unfall aufzubauen, treffe diesen kein Verschulden. Bei der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG sei die Betriebsgefahr des Pkws des Klägers zu vernachlässigen.

Die Kosten für das Privatgutachten B... in Höhe von 736,97 € seien zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen und daher in vollem Umfang zu ersetzen. Gleiches gelte für die angefallenen Reparaturkosten in Höhe von 7.600,32 € brutto sowie den merkantilen Minderwert des Fahrzeuges in Höhe von 750,00 € und die geltend gemachte Unfallkostenpauschale in Höhe von 30,00 €. Dem Kläger stehe ferner eine Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 99,00 € täglich für insgesamt 25 Tage zu, auch wenn der private Sachverständige lediglich eine Reparaturdauer von etwa 6 bis 8 Arbeitstagen angenommen habe. Denn die Reparatur habe sich bis zum 07.04.2009 hingezogen, wobei zeitliche Verzögerungen (Schwierigkeiten bei der Ersatzteilbeschaffung, Überführung des Fahrzeuges zur Durchführung von Fremdleistungen etc.) grundsätzlich vom Schädiger zu tragen seien. Im vorliegenden Fall habe insbesondere der Radarsensor durch das Herstellerwerk neu eingestellt werden müssen, was zu einer Verlängerung der Reparaturdauer geführt habe. Dem Kläger seien ferner Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 837,52 € entstanden, die ebenfalls erstattungsfähig seien.

Gegen dieses Urteil wendet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten, die ihre bisherigen Anträge auf Abweisung der Klage weiterverfolgen. Sie machen ihren bisherigen Sachvortrag ergänzend und vertiefend im Wesentlichen geltend, der Sachverständige Dipl. Ing. R... habe eine falsche Unfallskizze angefertigt. Dieser sei von unzutreffenden Unfallörtlichkeiten ausgegangen, weil die Linksabbiegerspur über die linke Fahrspur der Heilbronner Straße, auf der sich der Kläger befunden habe, nicht habe erreicht werden können. Vielmehr gehe die linke Fahrspur geradeaus in die Linksabbiegerspur über mit der Konsequenz, dass der Beklagte Ziff. 1 sich nicht in einer Bewegung nach links habe befinden können, als es zum Zusammenstoß kam, wie vom Sachverständigen angenommen worden sei. Der Beklagte Ziff. 1 habe sein Fahrzeug im Unfallbereich nicht weiter nach links gelenkt, weil sich dort eine Straßenbegrenzung befunden habe. Die falsche Beurteilung des Fahrbahnverlaufs durch den Sachverständigen habe zu einem falschen Beweisergebnis geführt. Der Kläger habe schuldhaft einen verzögerten Bremsvorgang eingeleitet und dadurch den Auffahrunfall herbeigeführt. Dieser sei gehalten gewesen, bereits bei Erkennen des Spurwechsels die Geschwindigkeit zu reduzieren und den Sicherheitsabstand zu vergrößern. Stattdessen habe der Kläger erst auf den Bremsvorgang des Beklagten Ziff. 1 reagiert. Bereits der Umstand, dass der Beklagte Ziff. 1 in der Lage gewesen sei, sein Fahrzeug zum Stillstand zu bringen, spreche dafür, dass dies auch für den Kläger möglich gewesen sei, zumal der Kläger weniger schnell gefahren sei als der Beklagte Ziff. 1. Dem Kläger hätten mindestens 3,5 Sekunden zur Verfügung gestanden, um sein Fahrzeug abbremsen zu können. Zu einer Bremswegverkürzung für den Kläger sei es nicht gekommen. Aus diesen Gründen treffe den Kläger die alleinige Haftung, es habe sich um einen typischen Auffahrunfall gehandelt. Weshalb die Reparatur 25 Tage gedauert habe, sei nicht nachvollziehbar. Dass die Reparatur erst am 07.04.2009 beendet worden sei, wird von den Beklagten bestritten. Die Unkostenpauschale belaufe sich lediglich auf 25,00 €.

Die Beklagten stellen den Antrag:
Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 09.12.2009 wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil und hebt insbesondere hervor, der Unfall sei vom Beklagten Ziff. 1 provoziert worden, der sich in eine Verkehrslücke hineingedrängt habe, die zum Fahrzeug der vorausfahrenden Zeugin R... unter Beachtung des gebotenen Sicherheitsabstandes gelassen worden sei. Der Beklagte Ziff. 1 habe einen massiven Bremsvorgang vorgenommen. Die Feststellungen des Sachverständigen seien zutreffend. Dass das Fahrzeug des Beklagten Ziff. 1 zum Unfallzeitpunkt in Fahrtrichtung leicht nach links ausgerichtet gewesen sei, habe dieser anhand der Beschädigungen der Fahrzeuge nachvollziehen können. Außerdem sei das Fahrzeug des Beklagten Ziff. 1 durch den Aufprall links am Auto der Zeugin R... vorbeigeschleudert worden, was ebenfalls belege, dass sich der Beklagte Ziff. 1 nicht schon längere Zeit vor dem Unfall in der Kolonne auf der linken Fahrspur aufgehalten habe. Er, der Kläger, habe keine Möglichkeit gehabt, sein Fahrzeug hinter demjenigen des Beklagten Ziff. 1 abzubremsen. Die von den Beklagten behaupteten Weg-Zeit-Verhältnisse seien unzutreffend. Das Landgericht habe zu Recht eine Alleinhaftung der Beklagten bejaht. Dass das Datum der Reparaturrechnung mit dem Datum der Beendigung der Reparatur übereinstimme, könne durch den Zeugen E... G... belegt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten schriftlichen Unterlagen verwiesen.


II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat nur insoweit Erfolg, als der Kläger von den Beklagten als Unkostenpauschale lediglich 25,00 € verlangen kann. Die übrigen Einwendungen gegen die vom Landgericht bejahte Alleinhaftung der Beklagten dem Grunde nach und gegen die Höhe des zu erstattenden Schadens greifen nicht durch.

1. Der Beklagte Ziff. 1 hat den streitgegenständlichen Verkehrsunfall verschuldet. Der Kläger kann daher seinen Schadensersatzanspruch auf § 823 Abs. 1 BGB stützen.

a) Der Beklagte Ziff. 1 hat seinen Fahrbahnwechsel unter Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO durchgeführt.

In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung hat das Landgericht angenommen, dass ein gegen den Auffahrenden (hier den Kläger) sprechender erster Anschein, der sich letztlich auf die Nichteinhaltung eines der Geschwindigkeit entsprechenden Sicherheitsabstands oder auf Unaufmerksamkeit gründet, dann ausgeräumt ist, wenn der Vordermann (hier der Beklagte Ziff. 1) in zeitlich und örtlich nahem Zusammenhang mit dem Unfall einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat ( KG VersR 1997, 253; OLG Hamm VersR 1992, 624). An einem solchen nahen Zusammenhang ist vorliegend nicht zu zweifeln. Nach den glaubwürdigen Angaben des Zeugen Dr. L... musste der Beklagte Ziff. 1 nach dem Spurwechsel sofort bremsen und dann hat es auch schon „geknallt“, es ist „quasi alles gleichzeitig passiert“ (S. 6 des Protokolls vom 11.11.2009). Damit liegt ein vom typischen Auffahrunfall abweichender Geschehensablauf vor.

Der Beklagte Ziff. 1 hat entgegen § 7 Abs. 5 S. 1 StVO den Fahrstreifen gewechselt, da eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern in hohem Maße durch ihn begründet war. Ist ein zeitlich und örtlich naher Zusammenhang zwischen einem Auffahrunfall und einem vorausgegangenen Fahrspurwechsel zu bejahen, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine unfallursächliche Missachtung der sich aus § 7 Abs. 5 S. 1 StVO ergebenden gesteigerten Sorgfaltspflichten durch den vorausfahrenden Spurwechsler ( OLG Bremen VersR 1997, 253; KG VersR 2006, 563; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 7 StVO Rn. 17 m.w. Nachw.). So liegt der Fall auch hier. Ein Fahrstreifenwechsel darf wegen seiner auf der Hand liegenden latenten Gefahren nur unter Beachtung äußerster Sorgfalt durchgeführt werden ( KG VRS 109, 10; OLG Brandenburg VersR 2003, 1566). Er ist nach § 7 Abs. 5 S. 1 StVO untersagt, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht auszuschließen ist. Bei dichtem Verkehr oder Kolonnenbildung ist deshalb das Wechseln in aller Regel auf das Ausnutzen großer Lücken beschränkt, welche ausreichenden Abstand nach hinten und vorn ermöglichen ( OLG Hamm VersR 1992, 624). Im Streitfall war dies von vornherein ausgeschlossen, weil nach den eigenen Angaben des Beklagten Ziff. 1 im Rahmen der informatorischen Anhörung der Abstand zwischen dem Kläger und dem VW Golf der vorausfahrenden Zeugin R... lediglich 15 m betragen hat (S. 3 des Protokolls vom 11.11.2009). Da der Kläger nach den nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen Dipl. Ing. R... mit einer Geschwindigkeit von etwa 25 km/h auf das Fahrzeug des Beklagten Ziff. 1 aufgefahren ist, muss die Geschwindigkeit des Beklagten Ziff. 1 beim Fahrstreifenwechsel mindestens so hoch gewesen sein. Daraus, dass der Beklagte Ziff. 1 weiter vorträgt, er sei schneller gefahren als der Kläger (S. 3 der Berufungsbegründung), ist abzuleiten, dass die Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten Ziff. 1 etwa 30 bis 40 km/h betragen haben muss. Nach der Grundregel „halber Tachowert“ als einzuhaltender Mindestabstand ( BGH NJW 1968, 450; Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 2 StVO Rn. 6) hätte daher eine Lücke von ca. 30 m vorhanden sein müssen, um einen ausreichenden Sicherheitsabstand nach vorn und nach hinten einhalten zu können. Dies war bei weitem nicht der Fall. Vielmehr betrug dieser nach der Erinnerung des Beklagten Ziff. 1 lediglich 2 oder 3 m sowohl zum Pkw des Klägers als auch zum Fahrzeug der Zeugin R... (S. 3 des Protokolls). Unter diesen Umständen kann der Gegenbeweis, der Auffahrunfall sei ohne ein Verschulden des Beklagten Ziff. 1 geschehen, von den Beklagten nicht geführt werden.

b) Der Einwand der Beklagten, der Sachverständige sei von einer falschen Stellung des Fahrzeuges des Beklagten Ziff. 1 zum Unfallzeitpunkt ausgegangen und habe daher eine nicht korrekte Skizze (vgl. die Anlage zum Protokoll) gefertigt, geht fehl. Der gerichtliche Gutachter Dipl.-Ing. R... hat seiner Begutachtung einen Winkel von ca. 10 Grad zwischen den Fahrzeuglängsachsen zu Grunde gelegt, wobei das Fahrzeug des Beklagten Ziff. 1 gegenüber der Position des Audi des Klägers nach links gerichtet war (S. 11 des Protokolls); auf dieser Annahme basiert die von ihm gefertigte Skizze. Die unterschiedliche Stellung der Fahrzeuglängsachsen hat der Sachverständige plausibel aus den Beschädigungen abgeleitet, die aus den zu den Akten gereichten Lichtbildern zu entnehmen sind. Die diesbezüglichen Feststellungen des Gutachters stehen nicht nur im Einklang mit den Äußerungen des Zeugen Dr. L…, der bekundet hat, das Auto des Beklagten Ziff. 1 habe nach dem Unfall ein wenig nach links gestanden (S. 7 des Protokolls), sondern vor allem auch mit der Schilderung der Zeugin R…, wonach das Fahrzeug des Beklagten Ziff. 1 durch den Anstoß „links an mir vorbeigeschlittert ist und meinen Außenspiegel noch mitgenommen hat“ (S. 9 des Protokolls). Ohne einen solchen leichten Versatz nach links wäre es infolge eines Heckanpralls zu einem Zusammenstoß der Fahrzeuge des Beklagten Ziff. 1 und der Zeugin R... im Front- bzw. Heckbereich gekommen. Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts i.S.v. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bestehen daher nicht.

Die leichte Linksneigung des Fahrzeuges des Beklagten Ziff. 1 deutet im Übrigen ebenfalls stark darauf hin, dass der Beklagte Ziff. 1 sich noch nicht über mehrere Sekunden lang in den Kolonnenverkehr auf der linken Fahrspur eingereiht hatte, bevor es zum Unfall kam.

Ob im Bereich der Unfallstelle die Linksabbiegerspur gar nicht über die linke Fahrspur erreicht werden kann, sondern die linke Fahrspur (erst später) in die Linksabbiegerspur übergeht, wie die Beklagten meinen, ist für die rechtliche Beurteilung des Streitfalles in Anbetracht der eindeutigen Beweislage nicht ausschlaggebend und kann daher auch offen bleiben, weshalb der Gutachter dazu nicht nochmals angehört werden muss. Nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme trifft indessen auch die weitere Feststellung des Sachverständigen zu, dass der Beklagte Ziff. 1 mit seinem Fahrzeug in Richtung des an der Unfallstelle beginnenden Linksabbiegerstreifens gefahren ist. Nach der Erinnerung des Zeugen Dr. L... wollte der Beklagte Ziff. 1 nach links abbiegen (S. 7 des Protokolls), was die leicht nach links geneigte Stellung des Mercedes nachvollziehbar macht. Der Beklagte Ziff. 1 hat im Übrigen selbst erklärt, der Unfall sei kurz vor der Stelle passiert, an der die Linksabbiegerspur von der linken Spur, auf der er gefahren sei, abgehe (S. 4 des Protokolls). Jedenfalls war die linke Fahrbahnseite nicht durch eine Fahrbahnbegrenzung versperrt, wie die Beklagten meinen, weil es sonst nicht möglich gewesen wäre, dass der Pkw des Beklagten Ziff. 1 durch den Aufprall auf der linken Seite des Pkw Golf der Zeugin R... entlang vorbeigeschleudert worden ist.

2. Der sorgfaltswidrige Fahrbahnwechsel des Beklagten Ziff. 1 war (mit-)ursächlich für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall. Nach der bereits zitierten Spruchpraxis des Kammergerichts und des OLG Bremen kann sich der Kläger auch insoweit mit Erfolg auf die Regeln über den Anscheinsbeweis berufen. Der Spurwechsel hat zu einer Verkürzung des dem Kläger zur Verfügung stehenden Bremsweges geführt. Wenn, so der Sachverständige Dipl.-Ing. R... weiter, eine Geschwindigkeit von 30 km/h auf Seiten des Klägers unterstellt wird, betrug der Abstand zwischen dem Pkw des Klägers und demjenigen des Beklagten Ziff. 1 etwa 5 bis 7 m. Ein solcher Abstand war nicht ausreichend, um die Auffahrkollision zu vermeiden (S. 12 des Protokolls). Erst recht gilt dies, wenn eine Ausgangsgeschwindigkeit von 40 km/h zu Grunde gelegt wird (ebenfalls S. 12 des Protokolls). Ohne den Spurwechsel wäre es zu keinem Auffahren auf das Heck des vom Beklagten Ziff. 1 gesteuerten Fahrzeuges gekommen. Etwas anderes steht jedenfalls nicht zur Überzeugung des Senats fest.

3. Für ein Mitverschulden des Klägers im Sinne von § 254 BGB tragen die Beklagten die Beweislast. Ein solches Mitverschulden vermochten die Beklagten nicht zu belegen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann der Nachweis nicht geführt werden, dass der Kläger verspätet einen Bremsvorgang eingeleitet hat. Zu Gunsten des Klägers ist insoweit eine Ausgangsgeschwindigkeit von etwa 40 km/h zu unterstellen. Hieraus errechnet sich eine Bremszeit von 1,6 Sekunden bis zum Stillstand, wie der Gutachter Dipl.-Ing. R... näher ausgeführt hat (S. 12 des Protokolls). Unter Berücksichtigung einer Reaktionszeit von etwa 1 Sekunde verblieb dem Kläger eine Bremszeit von 0,6 Sekunden. Eine so kurze Bremszeit war lediglich dazu ausreichend, um auf eine Kollisionsgeschwindigkeit von 25 km/h abzubremsen. Um den Unfall gänzlich vermeiden zu können, war sie jedoch wegen des verkürzten Bremsweges zu hoch (ebenfalls S. 12 des Protokolls). Selbst bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 30 km/h war der Unfall für den Kläger unvermeidbar (gleichfalls S. 12 des Protokolls).

Die von den Beklagten angestellten Weg-Zeit-Berechnungen gehen von falschen Anknüpfungstatsachen aus. Es verhält sich gerade nicht so, dass dem Kläger mindestens 3,5 Sekunden zur Verfügung gestanden hätten, um sein Fahrzeug abzubremsen, wie die Beklagten behaupten (S. 4 der Berufungsbegründung). Vielmehr standen dem Kläger, wie soeben dargelegt worden ist, abzüglich der Reaktionszeit nur etwa 0,6 Sekunden für den Bremsvorgang zur Verfügung. In Anbetracht des kurzen Abstandes zwischen den am Unfall beteiligten Fahrzeugen, der starken Abbremsung durch den Beklagten Ziff. 1 und einer möglichen Geschwindigkeit von 40 km/h des Klägers lässt sich jedenfalls eine zu späte Bremsreaktion durch den Kläger nicht positiv feststellen.

Damit muss sich der Kläger lediglich die Betriebsgefahr nach §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG entgegenhalten lassen.

4. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht unter diesen Umständen von einer Alleinhaftung der Beklagten ausgegangen ist.

Nach § 17 Abs. 1 StVG hängt bei einer Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Diese Abwägung ergibt, dass der Beklagte Ziff. 1 den Unfall so überwiegend fahrlässig verursacht hat, dass demgegenüber der Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Klägers kein anspruchsminderndes Eigengewicht beizumessen ist.

Nach der Rechtsprechung ( OLG Hamm VersR 1992, 624; OLG Bremen VersR 1997, 253; KG VersR 2006, 563; vgl. auch Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 11. Aufl. 2008, Rn. 157) hat die Betriebsgefahr regelmäßig ganz hinter einem Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO zurückzutreten. Eine davon abweichende rechtliche Beurteilung ist hier nicht gerechtfertigt. Dem Beklagten Ziff. 1 ist ein äußerst riskanter und unfallträchtiger Fahrfehler zur Last zu legen. Eine Mithaftung des Klägers käme deshalb nur dann in Betracht, wenn dem Kläger ein die Betriebsgefahr erhöhender Verursachungs- oder Verschuldensbeitrag vorgeworfen werden könnte. Daran fehlt es vorliegend.

5. Der erstattungsfähige Schaden des Klägers beläuft sich auf 11.587,29 €.

a) Für das Privatgutachten des KFZ-Sachverständigen B... musste der Kläger 736,97 € aufwenden (Rechnung vom 12.03.2009, Bl. 5 d.A.). Diese Kosten waren zur Durchsetzung des Schadensersatzanspruches erforderlich und sind demnach gemäß § 249 BGB von den Beklagten zu ersetzen.

b) Die Reparatur des durch den Unfall beschädigten Pkw des Klägers hat einen Aufwand in Höhe von 7.600,32 € erfordert, wie durch die Rechnung der Firma G... GmbH vom 07.04.2009 (Bl. 16/17 d.A.) belegt ist. Die entsprechende Feststellung des Landgerichts wurde mit der Berufung nicht angegriffen.

c) Der Privatgutachter B... hat die durch den Unfall eingetretene Wertminderung des Fahrzeuges des Klägers auf 750,00 € geschätzt (Bl. 7 d.A.). Die Erstattungsfähigkeit dieser Position wird von den Beklagten ebenfalls nicht in Abrede gestellt.

d) Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann der Kläger als Unkostenpauschale nur einen Betrag in Höhe von 25,00 € beanspruchen. Bislang wurde bei Verkehrsunfällen weit überwiegend ohne Nachweis höherer Kosten allenfalls eine Auslagenpauschale in dieser Höhe für erstattungsfähig gehalten ( OLG Celle NJW-RR 2004, 1673; OLG München NZV 2006, 261; OLG Karlsruhe NJW-RR 2010, 96; OLG München DAR 2009, 36). Soweit ersichtlich hat bislang nur das AG Starnberg 30,00 € zuerkannt ( DAR 2007, 593). In Anbetracht der geringen Telekommunikationskosten besteht aus der Sicht des Senats keine Veranlassung, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen.

e) Der Kläger hat ferner nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB Anspruch auf Ersatz von (fiktiven) Mietwagenkosten in Höhe von 2.475,00 € (25 Tage zu je 99,00 €).

aa) Der Eigentümer eines privat genutzten Pkws, der die Möglichkeit zur Nutzung einbüßt, hat nach ständiger Rechtsprechung auch dann einen Anspruch auf Ersatz der entgangenen Gebrauchsvorteile, wenn er kein Ersatzfahrzeug anmietet (zuletzt BGH NJW 2009, 1663). Voraussetzung für die Ersatzpflicht ist ein Verlust der Gebrauchsmöglichkeit, ferner ein Nutzungswille und eine hypothetische Nutzungsmöglichkeit ( BGH NJW 1985, 2471). Der Anspruch beschränkt sich auf die für die Reparatur oder Ersatzbeschaffung notwendige Zeit. Der Geschädigte darf die Erteilung des Reparaturauftrages zurückstellen, bis das erforderliche Gutachten vorliegt ( OLG Düsseldorf DAR 2006, 269). Schwierigkeiten bei der Ersatzteilbeschaffung sind dem Schädiger zuzurechnen ( BGH NJW 1982, 1519). Bei fiktiver Schadensberechnung kann der Geschädigte Mietkostenwagen nur für die im Gutachten veranschlagte Zeit verlangen, nicht für die längere Dauer der tatsächlich durchgeführten Reparatur ( BGH NJW 2003, 3480). Der Schädiger haftet grundsätzlich für erfolglose Reparaturversuche und nicht notwendige Aufwendungen, sofern der Geschädigte die getroffenen Maßnahmen als aussichtsreich ansehen durfte ( BGH NJW 1992, 302; OLG Stuttgart NJW-RR 2004, 104).

bb) Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann der Kläger Nutzungsausfallentschädigung für insgesamt 25 Tage verlangen. Der Kläger hat hier nicht auf der Basis eines Gutachtens fiktive Reparaturkosten abgerechnet, sondern tatsächlich den Unfallwagen bei der Firma G... GmbH reparieren lassen. Er muss sich daher nicht an der im Privatgutachten genannte Reparaturdauer von 6 bis 8 Arbeitstagen festhalten lassen. Da der Kläger einen Reparaturauftrag erst hätte erteilen müssen, als das Gutachten vom 16.03.2009 vorlag, ist die Zeit zwischen dem Unfall und dem 16.03.2009 mit zu berücksichtigen. Dass die Reparatur tatsächlich bis zum 07.04.2009 angedauert hat, lässt sich der Rechnung vom 07.04.2009 (Bl. 16 f d.A.) entnehmen, in der ausdrücklich vermerkt ist: „Leistungserbringungsdatum 07. 04. 09“. Zwischen dem 17.03.2009 und dem 07.04.2009 liegen 16 Arbeitstage, somit wurde die Prognose des Privatgutachters B... von 6-8 Tagen (Bl. 7 d.A.) um 8 Tage überschritten. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu berücksichtigen, dass ausweislich der Reparaturrechnung der Radarsensor eingestellt werden musste und deshalb eine Überführung des Unfallwagens zum A…-Service notwendig war. Hierfür hat der gerichtliche Sachverständige Dipl.-Ing. R... eine Verlängerung der Reparaturdauer von 3 Arbeitstagen veranschlagt. Eine zusätzliche Verlängerung der Reparaturzeit kann nur, wie der Gutachter weiter dargelegt hat, durch eine hohe Werkstattauslastung bzw. durch Verzögerungen bei der Ersatzteilbeschaffung erklärt werden. Beides ginge zu Lasten der Beklagtenseite. Irgend ein Interesse der Reparaturwerkstatt, die Dauer der Reparatur über Gebühr zu verzögern, ist nicht ersichtlich. Dies lässt den Schluss zu, dass die Firma G... GmbH die Behebung der Unfallschäden zeitgerecht vorgenommen hat, zumal eine wirtschaftliche Betriebsführung dem Unternehmen selbst zugute kommt. An der Erforderlichkeit der überdurchschnittlich langen Reparaturdauer ist demnach nicht zu zweifeln. Bis zum Abschluss der Reparatur war der Kläger nicht gehalten, (zeitweise) auf den Unfallwagen zurückzugreifen. Dazu hätten die Gründe einer Verzögerung vorhersehbar bzw. ihre Zeitdauer planbar sein müssen, was schon nicht gesichert ist (Krankheitsfälle etc.). Ob das Fahrzeug des Klägers trotz begonnener Reparatur überhaupt in fahrbereitem und verkehrssicheren Zustand war (falsch eingestellter Radarsensor), ist zudem offen.

f) Dies führt zu folgender Berechnung der Anspruchshöhe:

Sachverständigenkosten 736,97 €
Reparaturkosten 7.600,32 €
Wertminderung 750,00 €
Unkostenpauschale 25,00 €
Nutzungsentschädigung 2.475,00 €
Summe: 11.587,29 €


6. Was den Antrag Ziff. 2 anlangt, zählen die vorgerichtlich angefallenen Rechtsverfolgungskosten ebenfalls zu den erstattungspflichtigen Schadenspositionen. Die Höhe der zu erstattenden Kosten wird durch die ganz geringfügige Korrektur der erstinstanzlichen Entscheidung nicht tangiert.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 und 2 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Fragen von einer über den vorliegenden Einzelfall hinausgehenden Bedeutung sind nicht ersichtlich. Die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichtes nicht.