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OLG Rostock Urteil vom 05.02.2010 - 5 U 83/09 - Beweisführung bei Verdacht eines fingierten Verkehrsunfalls

OLG Rostock v. 05.02.2010: Zur Beweisführung bei Verdacht eines fingierten Verkehrsunfalls


Das OLG Rostock (Urteil vom 05.02.2010 - 5 U 83/09) hat entschieden:
Bei § 152 VVG a. F. handelt es sich, wie allgemein anerkannt ist, nicht um eine Obliegenheitsverletzung, die den Versicherer nachträglich von seiner Verpflichtung zur Leistung befreit, sondern um einen subjektiven Risikoausschluss, bei dem von vornherein festgelegt ist, dass ein solcher Schadensfall nicht unter den Schutz des Versicherungsvertrages fällt. Diese Begrenzung der Haftung gilt auch gegenüber dem geschädigten Dritten. Der Versicherer trägt für den Deckungsausschluss gem. § 152 VVG a. F. die volle Beweislast. Dabei hilft ihm der Indizien-, nicht aber der Anscheinsbeweis.


Siehe auch Unfallmanipulationen - Unfallbetrug - Berliner Modell und Indizienbeweisführung und Unfallbetrug


Gründe:

I.

Der Kläger macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 29.05.2005 geltend, der sich gegen 23.45 Uhr auf der Landstraße ... zwischen der Ortschaft ... und der Auffahrt ... ereignete. Beteiligt waren die Fahrzeuge Audi Avant des Klägers, Mitsubishi Colt der Zeugin W... und Ford Windstar des Zeugen M... . Die Zeugin W... überholte den Pkw des Klägers, der von dem Zeugen B... geführt wurde, und kollidierte dabei mit dem entgegenkommenden Fahrzeug des Zeugen M.... Zu den Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, mit dem der Einzelrichter die Beklagte zur Zahlung von 5.000,10 € nebst 546,96 € Rechtsanwaltskosten verurteilte und im Übrigen die Klage abwies.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Der Kläger nimmt die teilweise Klageabweisung hin.

Die Beklagte trägt zur Begründung ihres Rechtsmittels vor, das Landgericht habe die zahlreichen Indizien, die für einen gestellten Unfall sprächen, nicht ausreichend gewürdigt:

  • Der Kläger habe nach seinem Vortrag sein geschädigtes Fahrzeug instand gesetzt und rechne gleichwohl auf fiktiver Basis ab.

  • Die Instandsetzung werde nicht nachgewiesen.

  • Der Zeuge B... handele offenbar mit gebrauchten Fahrzeugen.

  • Der Zeuge B... habe nicht erklärt, aus welchen Gründen seine Erwerbsabsicht nach dem behaupteten Unfall erloschen sei.

  • Über das weitere Schicksal des klägerischen Fahrzeuges werde trotz Vorhalts nichts mitgeteilt. Die tatsächliche Verfügungsgewalt des Zeugen B... spreche für dessen rechtliches Eigentum zum Unfallzeitpunkt.

  • Es liege ein ungewöhnlicher Unfallhergang vor.

  • Das schädigende Fahrzeug sei wirtschaftlich wertlos.

  • Das geschädigte Fahrzeug gehöre einer höherwertigen gehobenen Fahrzeugklasse an.

  • Das schädigende Fahrzeug sei nur für eine kurze Dauer versichert gewesen.

  • Die Beteiligten seien miteinander bekannt oder stünden in einem Abhängigkeitsverhältnis.

  • Die Mitwirkung branchenbezogener Beteiligter, hier einer Kfz-Reparaturwerkstatt, Ungeordnete Vermögensverhältnisse der Zeugin W...,

  • Vielfalt von Vorschäden des Fahrzeuges des Beteiligten M...,

  • Wenig plausibles Motiv für die Unfallfahrt, denn die Unfallzeit um 23.45 Uhr sei keine übliche Zeit, bei der man einen Grillabend in entfernterer Umgebung beginnen lasse,

  • Zeit des Unfalles, in der regelmäßig keine Zeugen zu erwarten seien.

  • Unbeteiligte Zeugen seien nicht vorhanden.


    In den beteiligten Fahrzeugen seien nur die Fahrer als Fahrzeuginsassen gewesen

  • Die Schäden an den beteiligten Unfallfahrzeugen seien auf niedrigstem Geschwindigkeitsniveau, d. h. unter 10 km/h erzeugt worden.

  • Die unfallbeteiligten Fahrzeuge seien unmittelbar nach dem Unfall verschwunden. Vereitelte Nachbesichtigung;

  • Der Zeuge M... habe die Aussage verweigert, obwohl ihm ein pauschales Aussageverweigerungsrecht nicht zur Seite gestanden habe.

  • Die Schilderung des Unfalles erfolge pauschal und bleibe in allen Qualitäten ungenau und widersprüchlich ungeklärt und sei von einer auffallenden Erinnerungsschwäche und Langeweile geprägt.

  • Es käme zu erheblichen Abweichungen in gewichtigen Details, z. B. bezüglich der zuvor gefahrenen Geschwindigkeiten.

  • Auffälliges Prozessverhalten: Der Kläger habe nur die Beklagte in Anspruch genommen, nicht die Zeugin W... .

Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Landgerichtes Stralsund vom 25.03.2009 die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Zur Begründung verteidigt er das angefochtene Urteil unter Vertiefung und Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrages.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen W..., B... und M... . Der Zeuge M... hat sich auf sein Aussageverweigerungsrecht wegen eines gegen ihn anhängigen Strafverfahrens wegen Versicherungsbetruges berufen.


II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg. Die Klage ist nicht begründet. Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch gem. § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 3 PflVersG a. F. zu, da es sich vorliegend um einen "gestellten" Unfall handelt, mit dem die beteiligten Zeugen M..., B... und W... einverstanden waren.

a) Insoweit ist bereits fraglich, ob es sich bei einen fingierten Verkehrsunfall um einen Unfall i.S.v. § 7 StVG handelt (verneinend OLG München NZV 1991, 427; bejahend BGHZ 37, 311). Der Senat muss diese Frage indes nicht entscheiden, da die Beklagte gem. § 152 VVG a. F. gegenüber dem Kläger von der Haftung befreit ist, denn die Zeugin Wx hat den Unfall vorsätzlich herbeigeführt.

b) Bei § 152 VVG a. F. handelt es sich, wie allgemein anerkannt ist, nicht um eine Obliegenheitsverletzung, die den Versicherer nachträglich von seiner Verpflichtung zur Leistung befreit, sondern um einen subjektiven Risikoausschluss, bei dem von vornherein festgelegt ist, dass ein solcher Schadensfall nicht unter den Schutz des Versicherungsvertrages fällt. Diese Begrenzung der Haftung gilt auch gegenüber dem geschädigten Dritten (BGH NJW 1971, 459; OLG Köln VersR 1960, 410). § 158 c Abs. 3 VVG a. F. bestimmt im Übrigen, dass der Versicherer nur im Rahmen der von ihm übernommenen Gefahr haftet. Nur im Rahmen des Versicherungsvertrages einschließlich aller Leistungsbeschränkungen oder Ausschlüsse besteht die Eintrittspflicht des Versicherers auch dem Dritten gegenüber (Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., Rdn. 21 zu § 158 c) m.w.N.). § 152 VVG a. F. bestimmt, dass demjenigen, der einen Schaden widerrechtlich und vorsätzlich herbeigeführt hat, kein Versicherungsschutz gewährt werden kann.

c) Die Beklagte trägt für den Deckungsausschluss gem. § 152 VVG a. F. die volle Beweislast. Dabei hilft ihr der Indizien-, nicht aber der Anscheinsbeweis. Der Beklagten kommt im Haftpflichtprozess kein Anscheinsbeweis zur Hilfe (Kääb, NZV 1990, S. 6; BGH NZV 1988, 101). Der Redlichkeitsanscheinsbeweis, der im Versicherungsvertragsrecht gilt, hat allerdings für Haftpflichtschäden keine Geltung (Kääb, a.a.O.). Der Vorsatznachweis muss indiziell durch Rückschluss aus dem objektiven Tatbestand geführt werden (Römer/Langheid, a.a.O., Rdn. 12 zu § 152).

d) Diesen Vorsatznachweis sieht der Senat aufgrund der Beweisaufnahme als geführt an (§ 286 Abs. 1 ZPO). Als Beweiszeichen für gestellte Unfälle kommen einige typische, immer wiederkehrende Kriterien in Frage (vgl. dazu OLG Frankfurt ZfSch 2004, 501; OLG Celle OLGR 2004, 328), etwa:
  • der Unfall findet zur Nachtzeit in einer unbelebten Gegend statt,

  • beschädigt wird ein Fahrzeug der Luxusklasse,

  • das schädigende Fahrzeug ist nahezu wertlos,

  • Geschädigter und Schädiger sind gute Bekannte,

  • Unfallzeugen gibt es nicht,

  • die behaupteten Schäden passen nicht zum geschilderten Hergang,

  • es handelt sich um einen typisch gestellten Unfallverlauf,

  • es wird auf Basis eines Sachverständigengutachtens abgerechnet und der Versicherer kann das Fahrzeug nicht besichtigen,

  • der Unfallhergang ist auffällig
(vgl. dazu Kääb a.a.O.).

e) Mehrere solche Indizien liegen hier vor. Unstrittige Umstände sprechen für eine Unfallmanipulation:
  • Unstreitig nur kurzfristige Zulassung des Fahrzeuges der Zeugin W... vom 27.05.05 bis 08.06.05, also 12 Tage.

  • Der ebenfalls geschädigte M... macht keine Ansprüche geltend.

  • Das gegnerische Fahrzeug der Zeugin steht nicht mehr zur Untersuchung zur Verfügung.
  • Die Zeugin W... wird nicht wie sonst üblich in Verkehrsunfallprozessen als Gesamtschuldnerin verklagt.

  • Die Veranstaltung eines Grillabends gegen Mitternacht erscheint ungewöhnlich.

  • Bei dem Pkw des geschädigten Klägers handelt es sich um ein relativ wertvolles Fahrzeug, das schädigende Fahrzeug der Zeugin W... hatte dagegen nach deren Angaben kaum einen Wert (Schrottwert).

  • Die Beteiligten waren vor Gericht nicht in der Lage, auch nur ansatzweise detaillierte Unfallschilderungen abzugeben und Frau W... hat sofort ihre Alleinschuld anerkannt (vgl. dazu OLG Celle a.a.O.).

Die Aussagen der Zeugen W... und B... zum Unfallhergang sind vage und lückenhaft, deshalb unglaubhaft und für den Senat nicht nachvollziehbar:

Die Zeugin W... sollte hinter dem Zeugen B... her nach K... zum Grillen fahren. Danach stellt sich die Frage, warum sie dann überhaupt überholte, zudem als unerfahrene Fahrerin in einer langgezogenen Kurve, in der sie den Gegenverkehr schon von weitem sehen konnte. Die Zeugin W... bekundete vor dem Senat, sie habe nicht gewusst, wo sie sich mit dem Zeugen B... in B... habe treffen wollen. Wenn dies so war, so ist es unverständlich, dass sie den Zeugen B... überholte, denn sie konnte nicht wissen, wo der Treffpunkt sein sollte. Die Schilderung der Zeugin W... zum Unfallgeschehen ist insgesamt lückenhaft, vage und nicht nachvollziehbar. Es ist unverständlich, dass sie sich an den Hergang des Unfalls - den ersten, den sie überhaupt hatte - im Wesentlichen nicht mehr erinnern konnte. Auffällig ist auch, dass der Zeuge B... nach Bekundung der Zeugin W... ihr Auto bezahlt und wieder veräußert hat und sie nur die Steuern und die Versicherung zu tragen hatte. Dies spricht dafür, dass die Zeugin W... mit Wissen und Wollen des Zeugen B... mit dessen PKW den Unfall verursacht hat.

Die Aussagen der Zeugen B... und W... hält der Senat deshalb nicht für glaubhaft. Sie machten widersprüchliche Angaben zu den gefahrenen Geschwindigkeiten. Im Wesentlichen konnten sich beide Zeugen nicht mehr an den Unfallhergang erinnern. Insbesondere bei der Zeugin W... kann der Senat dies nicht nachvollziehen. Auffällig ist auch, dass sich die Zeugin We... nach dem Unfall nicht mit der Polizei unterhielt. Dies überließ sie den Zeugen M... und B.... Das spricht dafür, dass das gesamte Geschehen von diesen Zeugen gelenkt und die Zeugin W... als willfähriges Werkzeug benutzt wurde.

Hinzu kommt folgendes:

Der behauptete Unfallhergang ist unwahrscheinlich, da er nicht zu den Zeugenaussagen und den Schäden am Pkw des Klägers passt. Diese Schäden, der Anstoß auf der linken Seite mit Deformierung - Eindrücken der Kotflügel, Türen und des Kniestückes der Seitenwand - passen nicht zu den angegebenen Geschwindigkeiten. Wenn die Zeugin W... mit der von ihr behaupteten Geschwindigkeit von 50 - 60 km/h gefahren ist, so hätten weit schwerere Schäden eintreten müssen.

Wenn das Fahrzeug des Klägers von dem Zeugen B... mit der von der Zeugin W... angegebenen geringen Geschwindigkeit von 30 km/h gefahren und danach fast bis auf null abgebremst wurde - so der Zeuge B... -, so hätte sie es in wenigen Sekunden ohne Schädigung des Gegenverkehrs überholen können. Die Zeugin hätte das Fahrzeug des Zeugen M... in der langgezogenen Kurve von Weitem sehen und verkehrsgerecht reagieren können.

Der Senat kann auch nicht nachvollziehen, warum die Zeugen W... und B... überhaupt in zwei Pkw fuhren. Des Nachts musste B... nicht befürchten, von seiner damaligen Freundin zusammen mit Frau W... erkannt zu werden. Auch die Tatsache, dass der Kläger seinen Schaden fiktiv auf Gutachtenbasis geltend macht, ohne die tatsächlich entstandenen Reparaturkosten konkret zu belegen, spricht für einen gestellten Unfall.

Nach alledem hält es der Senat für erwiesen, dass die Zeugin W... den Unfall vorsätzlich verursacht und damit den Versicherungsfall absichtlich herbeigeführt hat.

f) Da die Haftung der Beklagten schon aus diesem Grund ausscheidet, muss der Senat die Frage, ob sich der Kläger das betrügerische Verhalten des Zeugen B... entgegenhalten lassen muss, nicht entscheiden. Dies käme unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass der Zeuge im Hinblick auf das verunfallte Fahrzeug des Klägers eine Stellung innehatte, die mit derjenigen eines Repräsentanten oder Wissensvertreters im Sinne des Versicherungsvertragsrechts vergleichbar ist (vgl. dazu OLG Hamm VersR 2002, 700; OLG Celle NZV 1991, 269).


III.

Die Nebenentscheidungen ergehen gem. den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Anlass zur Zulassung der Revision bestand nicht.



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