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Landgericht Berlin Beschluss vom 31.03.2010 - 534 Qs 40/10 - Zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis trotz Fehlens eines bedeutenden Schadens

LG Berlin v. 31.03.2010: Zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach unerlaubtem Entfernen vom Unfallort trotz Fehlens eines bedeutenden Schadens


Das Landgericht Berlin (Beschluss vom 31.03.2010 - 534 Qs 40/10) hat entschieden:
Die für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis notwendige Feststellung der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen setzt vielmehr eine umfassende Prüfung der Frage voraus, ob von dem Beschwerdeführer künftig bei Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr solche Verletzungen von Kraftfahrerpflichten zu befürchten sind, aus denen sich Gefahren für die Allgemeinheit ergeben, wobei eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit vorzunehmen ist. Auf die rechnerische Schadenshöhe kommt es jedenfalls dann nicht entscheidend an, wenn diese sich im Grenzbereich bewegt und bereits per Augenschein von der Polizei auf ca. 1.000,00 € geschätzt wurde.


Siehe auch Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren


Gründe:

Die Amtsanwaltschaft Berlin führt gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Mit seiner Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 20. Januar 2010, mit dem ihm vorläufig die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen worden ist.

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist aus den weiter zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung nach § 111a Abs. 1 Satz 1 StPO gerechtfertigt. Es liegen dringende Gründe für die Annahme vor, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1 StGB entzogen werden wird. Mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit hat er ein Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB begangen. Nach vorläufiger Bewertung der Umstände ist davon auszugehen, dass das erkennende Gericht die Ungeeignetheit des Beschwerdeführers zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 69 Abs. 1 StGB feststellen wird.

Zwar liegt die Höhe des an dem PKW Porsche entstandenen Schadens mit 1.220 Euro knapp unterhalb des Grenzwertes eines bedeutenden Schadens im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB, der momentan bei etwa 1.300 Euro anzusetzen ist (vgl. Fischer, StGB 57. Auflage, § 69, Rdn. 29 m.w.N.). Allerdings ist für die Beurteilung der charakterlichen Eignung eines Kraftfahrers das gesamte Tatverhalten zu berücksichtigen. Es kommt nicht allein darauf an, ob ein Regelbeispiel nach § 69 Abs. 2 StGB verwirklicht wurde, insbesondere dann nicht, wenn sich wie hier - die Frage des Regelbeispiels des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB - nur im Grenzbereich dessen bewegt, was in der vielfältigen Rechtsprechung zu diesem Thema erörtert wird (vgl. z.B. Landgericht Berlin NZV 2006, 106: 1.100 Euro oder Landgericht Hamburg DAR 2005, 168: 1.250 Euro), und wie hier die polizeiliche Schätzung des Schadens mit 1.000 Euro bereits sehr deutlich ausgefallen war. Die Feststellung der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen setzt vielmehr eine umfassende Prüfung der Frage voraus, ob von dem Beschwerdeführer künftig bei Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr solche Verletzungen von Kraftfahrerpflichten zu befürchten sind, aus denen sich Gefahren für die Allgemeinheit ergeben, wobei eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit vorzunehmen ist (vgl. Fischer StGB, § 69 Rdn. 37).

Nach der Aktenlage hat der Beschuldigte als Fahrer eines Kleinbusses auf einer engen Straße einen - an der konkreten Örtlichkeit unnötigen - Wendevorgang vorgenommen, durch den er in besonderer Weise sensibilisiert war. Das geparkte Fahrzeug war für ihn unübersehbar. Der Beschuldigte musste mehrfach rangieren, um den Wendevorgang abzuschließen. Dabei stieß er mit dem Heck seines Fahrzeuges gegen den vorderen linken Kotflügel des geparkten PKW. Trotz sofortiger und unübersehbarer, gestikulierender Ansprache durch den Zeugen ... entfernte sich der Beschuldigte mit dem Fahrzeug vom Unfallort. Bei vorläufiger Würdigung ist es auszuschließen, dass er seinen misslungenen Verkehrsvorgang, die dadurch ausgelöste und eindeutig auf ihn bezogene Intervention des Zeugen nicht bemerkt und mit der Verursachung eines erheblichen Schadens nicht gerechnet haben könnte. Der Zeuge ... hat bei seiner polizeilichen Vernehmung bekundet, er habe dem in seine Richtung fahrenden Fahrzeug aus einer Entfernung von 2 bis 3 Metern die Hände entgegen gehoben und die Worte "Halt, Halt!" zugerufen. Dabei schauten sich er und der Fahrzeugführer in die Augen; es bestand Blickkontakt.

Für die Frage der charakterlichen Eignung eines Kraftfahrers, der sich unter solchen Umständen von einem Unfallort entfernt, kann es nicht nur auf die rechnerische Schadenshöhe ankommen, zumal diese oft vom Zufall abhängt und vom Verkehrsteilnehmer nur eingeschränkt beeinflussbar ist. Bei vorläufiger Würdigung belegt das konkrete Verhalten des Beschuldigten indessen ein derart hohes Maß an Gleichgültigkeit gegenüber den Interessen und Rechtsgütern anderer, dass er voraussichtlich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist.

Der Beschuldigte hat sich - auch in der Beschwerdebegründung - zum Tatvorwurf bisher nicht eingelassen. Anhaltspunkte für eine andere Bewertung des Geschehens sind damit insgesamt nicht ersichtlich. Der knappen schriftlichen Aussage seines Beifahrers ist nur zu entnehmen, dass sich dieser noch an den geparkten Porsche erinnerte. Woher der Beifahrer allerdings eine solche Erinnerung nimmt, obwohl letztlich kein Unfall passiert sein soll, wird nicht nachvollziehbar. Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschuldigten ein Verbleib am Unfallort ausnahmsweise nicht zumutbar gewesen sein könnte, er sich möglicherweise in einer Überforderungssituation befand, sind nicht erkennbar. Der Unfall ereignete sich bei Tageslicht in einer Wohngebietsstraße. Der Beschuldigte befand sich in Begleitung eines Beifahrers. Er brauchte keine Angst zu haben, sich auf ein klärendes Gespräch mit dem Zeugen einzulassen.

Bei zusammenfassender Würdigung der Gesamtumstände besteht nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen demnach eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Gericht dem Beschwerdeführer die Fahrerlaubnis entziehen wird. Eine abschließende Würdigung der Beweismittel und Klärung der Schuldfrage kann nicht in dem hiesigen, nur vorläufigen Verfahren nach § 111a StPO erfolgen, sondern ist einer späteren Hauptverhandlung vorbehalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.



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