Das Verkehrslexikon

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OLG Jena Beschluss vom 06.01.2010 - 1 Ss 291/09 - Zur verdachtsabhängigen Fertigung von Bildaufnahmen im Rahmen der Verkehrsüberwachung

OLG Jena v. 06.01.2010: Zur verdachtsabhängigen Fertigung von Bildaufnahmen im Rahmen der Verkehrsüberwachung


Das OLG Jena (Beschluss vom 06.01.2010 - 1 Ss 291/09) hat entschieden:
Eine verdachtsabhängige Verkehrsüberwachung mittels Videokamera führt nicht zu einem Beweiserhebungsverbot (Abgrenzung zu BVerfG, 11. August 2009, 2 BvR 941/08, DAR 2009, 577). Rechtsgrundlage ist § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO, § 46 OWiG.


Siehe auch Ungenehmigte Video-und Foto-Personenaufnahmen und deren Verwertung und Verwertungsverbote


Gründe:

I.

Der Betroffene wurde nach seinem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Thüringer Polizei - Zentrale Bußgeldstelle - am 21.8.2009 vom Amtsgericht Jena wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 51 km/h zu einer Geldbuße von 150 € verurteilt. Außerdem wurde gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Am 28.8.2009 legte der Verteidiger für den Betroffenen Rechtsbeschwerde gegen das Urteil ein. Nach Zustellung der Urteilsgründe am 29.8.2009 begründete der Betroffene die Rechtsbeschwerde mit der Verletzung sachlichen Rechts. Insbesondere ist er der Auffassung, die Fotoaufnahmen, auf die die Überführung des Betroffenen gestützt werde, verstießen gegen Verfassungsrecht. Das Bundesverfassungsgericht habe derartige Aufnahmen mit seiner Entscheidung vom 11.8.2009 für unzulässig erklärt. Eine gesetzliche Grundlage für derartige Eingriffe, wie hier vorgenommen, gebe es in Thüringen nicht.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 16.12.2009, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.


II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist aber in der Sache nicht begründet.

Das angegriffene Urteil weist keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere beruhen die Feststellungen nicht auf einer verbotenen Beweiserhebung.

Der Senat hat keine generellen Bedenken gegen bildgebende Messverfahren zur Feststellung von Geschwindigkeits- oder Abstandsverstößen. Andere Möglichkeiten der zuverlässigen und massenhaften Erfassung solcher Verkehrsverstöße bestehen nicht, weil sie weniger zuverlässig oder mit höheren Gefahren – etwa beim Anhalten aus dem Verkehrsstrom einer Autobahn heraus – verbunden sind. Rechtsgrundlage für die Aufzeichnung von Verkehrsverstößen mittels bildgebender Verfahren ist § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO, § 46 OWiG.

Das Verfahren, mit dem hier die Geschwindigkeitsüberschreitung des Betroffenen ermittelt und dokumentiert wurde, ist auch im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.8.2009 (2 BvR 941/08, DAR 2009, 577 f) nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit einer Verkehrsüberwachung per Videoaufzeichnung befasst und eine solche für unzulässig erklärt, weil sie gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstoße. Es ist dabei anscheinend davon ausgegangen, dass der Sachvortrag des dortigen Beschwerdeführers zutreffe, wonach sämtliche Fahrzeuge verdachtsunabhängig gefilmt und anschließend die Aufzeichnungen ausgewertet worden seien. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht auch ausgeführt, dass in Fällen, in denen Daten ungezielt und allein technikbedingt zunächst miterfasst, dann aber ohne weiteren Erkenntnisgewinn, anonym und spurenlos wieder gelöscht werden, keinen Eingriff darstellen (BVerfG, DAR 2009, 577, 578, vgl. auch BVerfGE 115, 320, 343; 120, 378, 399 zur automatisierten Kennzeichenerfassung). Den Fall, dass Videoaufzeichnungen aufgrund des Vorliegens eines konkreten Anfangsverdachts erfolgen, hat das Bundesverfassungsgericht nicht angesprochen.

Die Geschwindigkeitsmessanlage, die in der hier vorliegenden Sache eingesetzt wurde, zeichnet verdachtsabhängig auf. Es finden auch keine Videoaufzeichnungen statt, sondern es werden bei konkretem Verdacht Fotoaufnahmen ausgelöst. Die Funktionsweise hat das Amtsgericht ausführlich und nachvollziehbar geschildert. Ein verdachtsunabhängiger Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung findet nicht statt. Denn es wird zunächst mechanisch die Geschwindigkeit der Fahrzeuge ermittelt. Irgendeine Individualisierung, etwa eine Zuordnung zu Personen oder Fahrzeugen bzw. Kennzeichen, findet dabei nicht statt. Erst wenn eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (maschinell) festgestellt worden ist, wird die fotografische Erfassung ausgelöst, die eine Zuordnung zu Fahrzeug und Fahrer ermöglicht. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.8.2009 ist somit hier nicht einschlägig (vgl. auch Bücken, jurisPR-VerkR 25/2009, Anm. 1).

Die den Verkehrsverstoß des Betroffenen ergebenden Tatsachen hat das Amtsgericht festgestellt.

Die Beweiswürdigung ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass und wie es den Betroffenen als Fahrer identifiziert hat. Von der Fehlerfreiheit der Messung hat sich das Amtsgericht aufgrund des Ergebnisses der Einvernahme eines Sachverständigen, dessen Ausführungen es sich nachvollziehbar zu eigen gemacht hat, überzeugt.

Dass das Amtsgericht lediglich von Fahrlässigkeit ausgegangen ist, beschwert den Betroffenen nicht. Allerdings ist nur schwer vorstellbar, dass ein fahrtüchtiger Kraftfahrer eine im Zuge eines Geschwindigkeitstrichters auf 60 km/h reduzierte zulässige Höchstgeschwindigkeit bloß fahrlässig um mindestens 51 km/h überschreitet. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats indiziert eine Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts von mehr als 45 km/h eine vorsätzliche Begehungsweise (Senatsbeschlüsse vom 14.8.2002, Az. 1 Ss 35/03 und vom 11.9.2007, Az. 1 Ss 183/07).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.



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