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BGH Urteil vom 10.01.1989 - VI ZR 43/88 - Zu den Voraussetzungen für den Erlass von Grund- und Teilurteil in einem Schadensersatzprozess

BGH v. 10.01.1989: Zu den Voraussetzungen für den Erlass von Grund- und Teilurteil in einem Schadensersatzprozess


Der BGH (Urteil vom 10.01.1989 - VI ZR 43/88) hat entschieden:
  1. Ein Grundurteil darf in einem Schadensersatzprozess nicht erlassen werden, wenn kein Streit über den Grund des Anspruches besteht, insbesondere auch die Entstehung eines Schadens überhaupt außer Streit ist.

  2. Ein Grundurteil oder ein Teilurteil über einzelne Elemente des Klagegrundes oder der Höhe der Klageforderung sind unzulässig.


Tatbestand:

Die Klägerin erlitt als Fahrerin eines Personenkraftwagens am 22. Oktober 1980 bei einem Zusammenstoß mit einem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Lastkraftwagen, dessen Halterin die Erstbeklagte war, neben anderen Verletzungen auch solche am Kopf. Die Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach außer Streit. Vorprozessual haben die Beklagten auf die Ansprüche der Klägerin 50.000 DM gezahlt. Diese nimmt die Beklagten auf Ersatz weiterer materieller und immaterieller Schäden für die Vergangenheit und Zukunft in Anspruch. Sie behauptet, bei dem Unfall eine schwere Gehirnerschütterung, wahrscheinlich sogar eine Gehirnquetschung erlitten zu haben, ferner ein Halswirbelschleudertrauma, das auf eine degenerativ vorgeschädigte Halswirbelsäule getroffen sei. Als Folge diese Verletzungen sei sie vom Unfalltage bis zum 31. Juli 1982, ferner vom 13. Januar bis zum 12. Februar 1983, vom 2. Juli bis zum 8. August 1984 und vom 25. März bis zum 9. April 1985 arbeitsunfähig gewesen. Dadurch sei ihr u.a. ein Verdienstausfall in Höhe von 810.871 DM entstanden.

Die Beklagten haben bestritten, dass die Klägerin nach dem 30. November 1980 noch unfallbedingt erwerbsunfähig gewesen sei, und halten den bis dahin entstandenen Schaden durch ihre vorprozessualen Zahlungen für abgegolten.

Das Landgericht hat durch ein als Teil-Grundurteil bezeichnetes Urteil ausgesprochen, die Beklagten seien als Gesamtschuldner verpflichtet, der Klägerin den Verdienstausfallschaden zu ersetzen, der ihr dadurch entstanden sei, dass sie unfallbedingt in der Zeit vom 22. Oktober bis 30. November 1980 arbeitsunfähig sowie in ihrer Arbeitsfähigkeit in der Zeit vom 1. Dezember 1980 bis 11. Januar 1981 zu 50% und in der Zeit vom 12. Januar bis 22. Februar 1981 zu 20% gemindert, ferner wiederum voll arbeitsunfähig in der Zeit vom 18. März bis 20. April 1981, 9. Juni bis 25. Juni 1981 und vom 23. August bis 2. Oktober 1981 gewesen sei. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das von ihm als Teil- und Grundurteil bezeichnete landgerichtliche Urteil zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche auf Zahlung des Verdienstausfalles in voller Höhe weiter.


Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht führt zunächst aus, die Berufung der Klägerin sei zulässig, weil das Landgericht die Klage auf Ersatz von Verdienstausfall, insoweit es sie nicht für die im Tenor aufgeführten Zeiten dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt habe, der Sache nach im übrigen abgewiesen habe und die Klägerin den abgewiesenen Zahlungsanspruch zulässigerweise weiterverfolge. Sodann schließt sich das Berufungsgericht der Beurteilung des Landgerichtes hinsichtlich der Dauer und des Umfanges der unfallbedingten Erwerbsunfähigkeit der Klägerin an, und zwar aufgrund des in erster Instanz erstatteten schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. G., das es in der Berufungsinstanz aufgrund der Angriffe der Klägerin hat ergänzen lassen. Weitere Beweiserhebungen, insbesondere die beantragte Einholung eines Obergutachtens, hat es nicht für erforderlich gehalten.


II.

Die dagegen gerichteten Revisionsangriffe führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Auf die Berufung der Klägerin ist auch das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Sache dorthin zurückzuverweisen, weil das Landgericht ein unzulässiges Grund- und Teilurteil erlassen hat (Verstoß gegen §§ 301, 304 ZPO).

1. Nach § 304 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn ein Anspruch nach Grund und Betrag streitig ist, über den Grund vorab entscheiden. Die Vorschrift soll es aus prozesswirtschaftlichen Gründen ermöglichen, eine echte Vorentscheidung des Prozesses herbeizuführen, indem Fragen, die nicht nur die Höhe des eingeklagten Betrages betreffen, unter Vermeidung zeitraubender und kostspieliger Beweisaufnahmen, weil über sie vielleicht später Einigkeit erzielt werden kann, vorab abgeschichtet werden (vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 304 Rdnr. 1 und 2; Senatsurteil vom 13. Mai 1980 - VI ZR 276/78 - VersR 1980, 867, 868 m.w.N.). Die Parteien haben aber über den Grund des Anspruchs von vornherein gar nicht gestritten. Die Beklagten räumen ausdrücklich ein, der Klägerin gegenüber zum Ausgleich ihres unfallbedingten Schadens, auch soweit es den Verdienstausfall betrifft, verpflichtet zu sein, und bestreiten gar nicht, dass der Klägerin überhaupt ein solcher Schaden entstanden ist. In Wahrheit streiten die Parteien also allein um die Höhe des Schadensersatzanspruches, insbesondere auch um die Höhe des Anspruchs auf Ersatz von Verdienstausfall. Schon deshalb war ein Grundurteil zum Anspruch auf Zahlung von 810.871 DM, der den Verdienstausfall betrifft, unzulässig. Es führt insoweit zu keiner echten Vorentscheidung im Prozess.

2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes kann das Urteil des Landgerichts auch nicht als Teilurteil i.S. von § 301 ZPO aufrechterhalten bleiben, weil, wie das Berufungsgericht meint, das Landgericht materiell einen Teil der Zahlungsklage, die den Verdienstausfall betrifft, abgewiesen habe. Richtig ist, dass das Landgericht mit den gegenüber dem Klagevortrag eingeschränkten Feststellungen über Dauer und Ausmaß der unfallbedingten Erwerbsunfähigkeit der Klägerin zum Ausdruck gebracht hat, dass es einen Teil dieser Klageforderung für unbegründet hält. Der Erlass eines Teilurteils setzt aber voraus, dass ein ziffernmäßig oder sonst bestimmter und individualisierter Teil eines Klageanspruchs zur Entscheidung reif und der Streitgegenstand rechtlich teilbar ist. Der Anspruchsteil müsste mithin auch im Wege einer Teilklage geltend gemacht werden und darüber müsste durch ein Endurteil entschieden werden können (Stein/Jonas/Leipold, aaO § 301 Rdnr. 7 m.w.N.). Deswegen ist ein Teilurteil über bloße Elemente einer Schadensersatzforderung unzulässig (Stein/Jonas/Leipold aaO Rdnr. 14 m.w.N.). Das vom Berufungsgericht durch die Zurückweisung der Berufung der Klägerin bestätigte landgerichtliche Urteil betrifft nur solche tatsächlichen Elemente der Schadensberechnung, nämlich die Feststellung, dass die Klägerin in bestimmten Zeiträumen voll erwerbsunfähig, in anderen Zeiträumen in ihrer Erwerbsunfähigkeit beschränkt und im übrigen entgegen ihrer Behauptung in anderen Zeiträumen allenfalls aufgrund anderer Umstände, jedoch nicht unfallbedingt erwerbsunfähig gewesen sei. Das kann nicht Gegenstand eines Teilurteils sein, weil es in dieser Form nicht erkennen lässt, in welcher Höhe das Klagebegehren der Klägerin unbegründet sein soll und deswegen der Klageabweisung unterliegt. Einzelne Elemente des Klagegrundes könnten im übrigen auch nicht Gegenstand eines Grundurteils sein (Stein/Jonas/Leipold aaO § 304 Rdnr. 12; BGH Urteil vom 26. März 1985 - X ZR 28/84 - NJW 1985, 1959).


III.

Der dargelegte Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Der Senat hat nach § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO über die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichtes selbst entschieden und die Sache wegen des aufgezeigten schweren Verfahrensmangels an das Landgericht zurückverwiesen. Zwar steht es nach § 539 BGB grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichtes, ob es bei Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels die Sache zurückverweisen oder selbst in der Sache entscheiden will. Indessen kommt eine eigene Sachentscheidung des Berufungsgerichtes über den ihm angefallenen Anspruch auf Ersatz von Verdienstausfall im Streitfall ernstlich nicht in Betracht. Es erscheint allein zweckmäßig, dass das Landgericht die nunmehr erforderlichen umfangreichen weiteren tatsächlichen Ermittlungen zur Höhe des Verdienstausfalles, die es bisher von seinem rechtlichen Standpunkt aus unterlassen hat, selbst vornimmt. Das Landgericht wird dabei allerdings die in der Revisionsbegründung erhobenen Verfahrensrügen, soweit sie sich gegen die Feststellung der Erwerbsunfähigkeit der Klägerin in bestimmten Zeiträumen und deren Verursachung durch den Unfall richten, zu beachten haben. Insbesondere ist zu bemerken: Der Verdienstausfall der Klägerin kann sich jedenfalls nicht abstrakt nach einer prozentualen Erwerbsminderung berechnen, die über die Frage, ob die Klägerin in der Lage war, einen Verdienst zu erzielen und gegebenenfalls in welcher Höhe, für sich allein noch nichts aussagt (vgl. u.a. Senatsurteil vom 24. Oktober 1978 - VI ZR 142/77 - VersR 1978, 1170). Darüber hinaus fehlen bisher gutachtliche Äußerungen und deren rechtliche Beurteilung zu dem Vortrag der Klägerin, die bei ihr vorhandenen Vorschädigungen seien erst durch den Unfall aktiviert worden, hätten sich ohne diese Ereignis mithin nicht erwerbsmindernd ausgewirkt, was wiederum Auswirkungen auf die Zurechnung eines zeitweilig erhöhten Schmerzmittel- und Schlafmittelkonsums zum Unfallgeschehen haben könnte.



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