Das Verkehrslexikon

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OVG Saarlouis Beschluss vom 01.10.2002 - 9 W 31/02 - Zur Annahme fehlender Fahreignung bei gelegentlichem Cannabiskonsum eines Lkw-Fahrers

OVG Saarlouis v. 01.10.2002: zur Annahme fehlender Fahreignung bei gelegentlichem Cannabiskonsum eines Lkw-Fahrers nach körperlichen Anzeichen des Konsums von Drogen beim Führen eines Lkw


Das OVG Saarlouis (Beschluss vom 01.10.2002 - 9 W 31/02) hat entschieden:
  1. Bei der hauptsacheoffenen Interessenabwägung im Rahmen von § 80 Abs 5 VwGO tritt das private Interesse des Fahrerlaubnisinhabers am Erhalt der FE dann hinter das öffentliche Interesse an deren Entziehung zurück, wenn hinreichender Anlass zu der Annahme besteht, dass aus seiner aktiven Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs resultiert, wobei das Sicherheitsrisiko deutlich über demjenigen liegen muss, das allgemein mit der Zulassung von Personen zum Führen von Kfz im öffentlichen Straßenverkehr verbunden ist (im Anschluss an BVerfG, Beschl v 20.6.2002 - 1 BvR 2062/96 -, ZfSch 2002, 454, 459).

  2. Derartige Anhaltspunkte liegen bei einem Lkw-Fahrer vor, der zugestanden hat, gelegentlich Cannabis zu konsumieren, und beim Führen eines Lkw mit den körperlichen Anzeichen des Konsums von Drogen angetroffen worden ist.

Siehe auch Drogen-Themen und Fahrerlaubnis-Themen


Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes, mit der er nach § 80 V 1 und 3 VwGO die ihm erstinstanzlich versagte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 17.4.2002 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 7.3.2002, mit dem ihm die Fahrerlaubnis der Klasse 2 unter der mit einer Zwangsmittelandrohung versehenen Aufforderung zur Abgabe des Führerscheines und unter Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 II Nr. 4 VwGO auf der Grundlage der §§ 3 StVG, 11, 14, 46 FeV entzogen worden ist, weiterverfolgt und die Anordnung der Aufhebung der Vollziehung durch Wiederaushändigung des Führerscheines begehrt, bleibt ohne Erfolg.

Dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 V 1 VwGO ist regelmäßig zu entsprechen, wenn nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren möglichen summarischen Prüfung der eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich erfolgreich sein wird, weil gegen dessen Zulässigkeit keine Bedenken bestehen und der zugrundeliegende Verwaltungsakt sich als rechtswidrig erweist. Die begehrte Vollzugsaussetzung scheidet hingegen aus, wenn sich nach summarischer Einschätzung ergibt, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos bleiben wird. Führt diese Prüfung zum Ergebnis, dass sich der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen erweist, erfordert die Entscheidung über die Aussetzung des Vollzuges eine Abwägung des öffentlichen Interesses am sofortigen Vollzug des Verwaltungsaktes gegenüber dem privaten Interesse des Adressaten des Verwaltungsaktes, bis zur bestandskräftigen oder rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache von dessen sofortigen Vollzug verschont zu bleiben.
Vgl. dazu etwa Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage 1998, Rdnrn. 849 ff
Davon ausgehend kann im Falle des Antragstellers entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung nach Maßgabe summarischer Prüfung im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren anzustellenden Vorausbeurteilung der Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht davon ausgegangen werden, dass sein Widerspruch erfolglos bleiben wird, weil der dem Verfahren zugrundeliegende Bescheid des Antragsgegners sich als offensichtlich rechtmäßig darstellt. Nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ist der Ausgang jenen Verfahrens vielmehr als offen anzusehen. Die demnach anzustellende hauptsacheoffene Interessenabwägung fällt zu Gunsten des öffentlichen Interesses an der Sicherheit des Straßenverkehrs vor unter Drogeneinfluss fahrenden Kraftfahrzeugführern aus, dem nach den im Einzelfall des Antragstellers vorliegenden Erkenntnissen, die zum Entzug der Fahrerlaubnis geführt haben, der Vorrang gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers daran, bis zur Entscheidung in der Hauptsache von seiner Fahrerlaubnis weiter Gebrauch machen zu können, einzuräumen ist mit der Folge, dass der Antrag nach § 80 V VwGO zurückzuweisen ist. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Was die Frage der Zulässigkeit des Widerspruchs anbelangt, ist im Widerspruchsverfahren zu klären, ob der Antragsteller, der nach Zustellung des Bescheides des Antragsgegners am 11.3.2002 erst am 17.4.2002 und damit nach Ablauf der einmonatigen Widerspruchsfrist aus § 70 I VwGO, über die er ordnungsgemäß belehrt worden ist, Widerspruch eingelegt hat, sich auf die Heilungsvorschrift des § 45 III 1 SVwVfG berufen kann, weil es der Antragsgegner versäumt hat, ihn vor Erlass des Bescheides über die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 28 I SVwVfG anzuhören. Voraussetzung der Wiedereinsetzung nach dieser Vorschrift ist insbesondere, dass der Formfehler, hier die unterbliebene Anhörung, kausal für das Fristversäumnis war, wofür der Antragsteller die Darlegungslast trägt.
Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Auflage 2000, § 45 Rdnrn. 50 ff
Dazu beruft sich der Antragsteller darauf, erst nachdem er Mitte April 2002 Rücksprache mit einem Freund gehalten gehabt habe, habe er auf dessen Rat hin Widerspruch eingelegt (Bl. 57 Gerichtsakte). Nachdem angesichts des nach summarischer Prüfung eindeutigen Regelungsgehaltes des dem Verfahren zugrundeliegenden Bescheides, der diesem beigefügten, den Voraussetzungen des § 39 I SVwVfG genügenden Begründung und der ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung die vom Antragsteller über die Berufung auf die nicht erfolgte Anhörung hinaus geltend gemachte Wiedereinsetzung wegen Fehlens der erforderlichen Begründung diese aller Voraussicht nach nicht rechtfertigt, bedarf es hinsichtlich der Kausalität des Gehörsmangels für die Fristversäumnis voraussichtlich der Aufklärung durch die Widerspruchsbehörde, die den Antragsteller zur näheren Substantiierung der Umstände seiner verzögerten Entscheidung zur Einlegung des Widerspruchs aufzufordern haben und eventuell den Freund des Antragstellers, der ihm zur Einlegung des Widerspruchs geraten hat, anzuhören haben wird. Das Ergebnis dieser Aufklärungsmaßnahmen kann nicht vorausbeurteilt werden, so dass derzeit zwar noch offen ist, ob der Widerspruch überhaupt zulässig ist. Jedenfalls kann zur Zeit auch nicht mit Gewissheit angenommen werden, dass der Rechtsbehelf als unzulässig zu verwerfen und aus diesem Grunde erfolglos sein wird. Ebenfalls nicht abschließend beurteilen lässt sich auf der Grundlage der hier nur möglichen summarischen Würdigung dann in materiellrechtlicher Hinsicht, ob der Antragsgegner berechtigt war, dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klasse 2 wegen dessen Auffälligkeiten bei der Teilnahme am Straßenverkehr zu entziehen, ohne vorher im Wege eines medizinischen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens dessen Fahreignung zu überprüfen. Diese Maßnahme erweist sich jedenfalls nicht als offensichtlich rechtswidrig, wie auch die nachfolgenden Ausführungen zeigen.

Die demnach vom Senat vorzunehmende hauptsacheoffene Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Es ist anerkannt, dass das private Interesse eines Bürgers am Erhalt der Fahrerlaubnis dann zurücktreten muss, wenn hinreichender Anlass zu der Annahme besteht, dass aus seiner aktiven Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr eine Gefahr für dessen Sicherheit resultiert, wobei das Sicherheitsrisiko deutlich über demjenigen liegen muss, das allgemein mit der Zulassung von Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr verbunden ist.
Vgl. BVerfG, a.a.O., S. 459
Vorliegend sprechen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller aufgrund des von ihm gezeigten Verhaltens bei der Teilnahme am Straßenverkehr eine Gefahr in diesem Sinne darstellt. Dieser ist am 12.7.2000 - die Angabe des 21.7.2000 im polizeilichen Protokoll vom 21.7.2000 und im Schreiben des Antragsgegners vom 9.8.2000 ist offensichtlich irrtümlich erfolgt - im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle beim Führen eines Lastkraftwagens mit den körperlichen Anzeichen des Konsums von Drogen angetroffen worden. Bei der anschließenden Wohnungsdurchsuchung ist eine geringe Menge Betäubungsmittel gefunden worden. Im Rahmen dieser polizeilichen Maßnahme hat der Antragsteller zugestanden, gelegentlich Betäubungsmittel zu konsumieren. Die Untersuchung der polizeilich angeordneten Blutprobe ergab laut Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes vom 9.8.2002 die Einnahme von Cannabis (0,007 mg/l Tetrahydrocannabinol, Anwesenheit von Hydroxy-THC, 0,170 mg/l Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure). Am 12.11.2001 ist der Antragsteller erneut mit Anzeichen von Drogenkonsum im Straßenverkehr auffällig geworden. Ein freiwilliger Drogenvortest hatte ein positives Ergebnis. Das Ergebnis der veranlassten Blutuntersuchung ergab laut Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes vom 4.2.2002 zur Feststellung des Konsums von Cannabis (0,002 mg/l THC, Anwesenheit von Hydroxy-THC, 0,04 mg/l THC-COOH). Die damit vorliegenden eindeutigen Hinweise auf die Einnahme von Cannabis, die der Antragsteller auch zugestanden hat, auch wenn er sich - möglicherweise, wie im Widerspruchsverfahren u.U. zu klären sein wird, zu Recht - auf gelegentliche Einnahme und vorhandenes Trennungsvermögen beruft, ergaben sich jeweils in Zusammenhang mit dem Führen eines Lastkraftwagens im Straßenverkehr, wobei der Antragsteller durch deutliche Anzeichen für Drogenkonsum aufgefallen ist. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass er bereits zweimal auffällig geworden, er durch die bereits aufgrund des ersten Vorfalles eingeleiteten fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen des Antragsgegners, auch wenn dieser jenes Verfahren nicht weiter betrieben hat, mit der Problematik des Führens von Fahrzeugen und des Konsums von Drogen konfrontiert war und er durch Urteil des Amtsgerichts St. Wendel vom 31.10.2000 - 1 - 240/00 - wegen fahrlässigen Fahrens eines Lastkraftwagens unter Wirkung eines berauschenden Mittels nach § 24a StVG zu einer Geldstrafe unter Verhängung eines Fahrverbots von einem Monat verurteilt worden war. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass dieser - die gelegentliche Einnahme von Cannabis unterstellt - den Genuss jener Droge und die Teilnahme am Straßenverkehr nicht, wie dies erforderlich ist (vgl. Anlage 4 zur FeV, Ziffer 9.2.2), stetig und sicher trennen kann. Es besteht deshalb ein überwiegendes öffentliches Interesse daran, den Antragsteller bis zur Klärung im Hauptsacheverfahren von der Teilnahme am Straßenverkehr - jedenfalls, wie dies der Antragsteller verfügt hat, für die Benutzung von Lastkraftwagen, deren Verkehrsteilnahme für sich bereits eine erhöhte Betriebsgefahr mit sich bringt und besondere Verantwortung an den Fahrzeugführer stellt - auszuschließen. Diese erhöhte Gefährlichkeit rechtfertigt es, das private Interesse des Antragstellers auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er seinen Lebensunterhalt als Berufskraftfahrer verdient, als nachrangig einzustufen.

Nach allem ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 II VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 25 II, 20 III, 13 I GKG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.