Das Verkehrslexikon

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OVG Saarlouis Beschluss vom 20.09.2005 - 1 W 12/05 - Zum Entzug der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde beim Konsum von harten Drogen

OVG Saarlouis v. 20.09.2005: Zum Entzug der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde beim Konsum von harten Drogen


Das OVG Saarlouis (Beschluss vom 20.09.2005 - 1 W 12/05) hat entschieden:
  1. Für den Eignungsausschluss nach § 46 Abs 1 FeV iVm Anlage 4 Nr 9.1 genügt die Einnahme eines Rauschmittels im Sinne des BtMG (außer Cannabis).

  2. Auf Abhängigkeit, Missbrauch, Menge und Dauer des Konsums kommt es dabei grundsätzlich nicht an (wie Thür OVG, Beschluss vom 30.4.2002 - 2 EO 87/02 -, VRS 103, 391; und OVG Lüneburg, Beschluss vom 16.6.2003 - 12 ME 172/03 - VerkMitt 2003, Nr 67).

  3. Werden bei einer Wohnungsdurchsuchung 6,9 g Marihuana, 2,0 g Amphetamin und 102 Subutex-Tabletten aufgefunden und gibt der Betroffene an, soeben einen Joint geraucht zu haben, so kann die Fahrerlaubnisbehörde ein ärztliches Gutachten auf Grund einer Haar- und Urinanalyse anordnen.

Siehe auch Stichwörter zum Thema Cannabis und Drogen und Straßenverkehr


Gründe:

Die zulässige Beschwerde gegen den dem Antragsteller am 05.08.2005 zugestellten, im Tenor genannten Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes, mit dem der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.06.2005 abgelehnt worden ist, ist nicht begründet.

Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Prüfungsumfang durch den Senat beschränkende Beschwerdevorbringen in den Schriftsätzen vom 10.08.2005, vom 12.08.2005 und vom 02.09.2005 ist auch unter Berücksichtigung des weiteren Schriftsatzes vom 08.09.2005 nicht geeignet, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Ergebnis zu erschüttern.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass es im Rahmen der von § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Abwägung nach der in dem Beschluss zitierten Rechtsprechung des OVG des Saarlandes zum Schutze von Leben, Gesundheit und Eigentum der anderen Verkehrsteilnehmer nicht vertretbar ist, Kraftfahrer weiterhin Auto fahren zu lassen, bei denen sich die Entziehung der Fahrerlaubnis nach summarischer Prüfung als nicht offensichtlich rechtswidrig erweist und damit im Eilverfahren nicht ausräumbare erhebliche Zweifel an der Kraftfahreignung des Betroffenen bestehen. Solche Zweifel sind vorliegend nicht gegeben.

Der Antragsgegner ist aufgrund der Tatsache, dass in der Wohnung des Antragstellers am 17.01.2005 u.a. 6,9 g Marihuana, 2,0 g Amphetamin und 102 Subutex-Tabletten aufgefunden wurden und er selbst angegeben habe, soeben einen Joint geraucht zu haben, auf der Grundlage von § 3 Abs. 3 StVG i.V.m. den §§ 11, 14 und 46 Abs. 3 FeV davon ausgegangen, dass erhebliche Zweifel an der Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen, und hat ihn deshalb zum Zwecke der Feststellung des Konsumverhaltens zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens aufgrund einer Haar- und Urinanalyse durch das Institut für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes aufgefordert. Die Rechtmäßigkeit dieser insbesondere von § 14 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV getragenen Aufforderung wird vom Antragsteller selbst nicht bestritten. Dieser rügt vielmehr die Kürze des Beschlusses des Verwaltungsgerichts und die weitgehend bloße Bezugnahme auf die Verwaltungsentscheidung (gemäß § 117 Abs. 5 VwGO), die eine Auseinandersetzung mit seinem umfangreichen Vorbringen zur Bedeutung der festgestellten (geringen) Mengen von THC (Cannabis) und Methadon vermissen ließen, und zum Anderen das Ergebnis des Verwaltungsgerichts, namentlich dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei; dieses Ergebnis werde von den festgestellten Werten und seinem Verhalten nicht getragen.

Ohne Erfolg bleibt zunächst die Rüge des Antragstellers, der Beschluss des Verwaltungsgerichts lasse eine inhaltliche Auseinandersetzung mit seinem Vorbringen nicht erkennen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Prozessgrundrecht soll sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. Die Gerichte brauchen sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung auseinander zu setzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Nur dann, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt das auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem vom Gericht vertretenen Rechtsstandpunkt ohnehin unerheblich war.

Diesen Anforderungen wird der angegriffene Beschluss gerecht. Er nimmt nämlich in Anwendung von § 117 Abs. 5 VwGO auf die „zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Verwaltungsentscheidung Bezug ..., die in der Antragserwiderung ausführlich wiederholt, ergänzt und vertieft worden sind“.

Auch in der Sache greifen die Rügen des Antragstellers im Ergebnis nicht durch.

In diesem Zusammenhang bedarf es mangels Entscheidungserheblichkeit keines vertieften Eingehens auf die von der Antragsgegnerin und dem Verwaltungsgericht problematisierte Frage, ob bereits der Verfahrensablauf den Entzug der Fahrerlaubnis trage, namentlich die Verzögerungstaktik des Antragstellers bei der Durchführung der Haaruntersuchung, seinem Nichtantreten bei den beiden vom Institut für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes (kurzfristig) angesetzten Terminen und der eigenmächtigen Beauftragung des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Mainz am 17.05.2005, mehr als zwei Monate nach der am 15.03.2005 abgesandten Aufforderung der Antragsgegnerin vom 10.03.2005, bis zum 31.03.2005 ein Gutachten vom Institut der Universität des Saarlandes erstellen zu lassen.

Offen bleiben kann auch der vom Antragsteller primär und vom Umfang her am ausführlichsten gerügte Punkt, nämlich ob der (geringe) THC-Wert der Haarprobe vom 17.05.2005 von 0,15 ng/mg in Verbindung mit den Ergebnissen der Voruntersuchungen von Urin und Haaren im Verständnis von § 11 Abs. 2 FeV und Textziffer 3.12.1 der Begutachtungsrichtlinien zur Kraftfahrereignung für sich betrachtet den Schluss auf eine fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zulässt. Denn jedenfalls der in der Haarprobe vom 17.05.2005 festgestellte Methadonwert von 0,67 ng/mg trägt den einstweiligen Entzug der Fahrerlaubnis.

Die vom Antragsteller mit dem Widerspruch angefochtene Anordnung über die Entziehung der Fahrerlaubnis der Klasse 3 hat die Antragsgegnerin auf § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV gestützt. Nach diesen Bestimmungen ist demjenigen die Fahrerlaubnis zu entziehen, der sich als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet ist, kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 FeV zur Vorbereitung der Entziehung der Fahrerlaubnis die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens durch den Betreffenden anordnen. Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung bestehen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf einen Mangel nach Anlage 4 hinweisen. Zur Vorbereitung von Entscheidungen über den Entzug der Fahrerlaubnis ordnet die Fahrerlaubnisbehörde nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens (§ 11 Abs. 2 Satz 3 FeV) u.a. an, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass eine Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt. Nach Nrn. 9.1 und 9.3 der Anlage 4 zur FeV ist bei der Einnahme bzw. Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) davon auszugehen, dass im Regelfall die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht besteht. Demgegenüber ist nach Nr. 9.2 bei der Einnahme von Cannabis zwischen der regelmäßigen und der gelegentlichen Einnahme zu differenzieren. Im erstgenannten Falle fehlt es regelmäßig an der Fahreignung (Nr. 9.2.1), während es im zweiten Falle darauf ankommt, ob der Betreffende Konsum und Fahren trennen kann und zudem kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen (Nr. 9.2.2). Bei psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen ist von einer fehlenden Fahreignung auszugehen, wenn diese missbräuchlich, d. h. regelmäßig und übermäßig, eingenommen werden (Nr. 9.4). Nach Entgiftung und Entwöhnung lebt die Fahreignung (erst) nach einjähriger Abstinenz wieder auf (Nr. 9.5). Auf dieser rechtlichen Grundlage sind die Entscheidungen der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

Der Antragsteller macht hauptsächlich geltend, die bei ihm anlässlich der Haarprobe vom 17.05.2005 festgestellten Werte von 0,15 ng/mg THC und 0,67 ng/mg Methadon ließen weder einen Rückschluss auf „Missbrauch“ noch auf ein fehlendes Trennungsvermögen zwischen Drogenkonsum und Kraftfahrzeugführung zu. Im Verwaltungsverfahren hatte er mit Schriftsatz vom 17.06.2005 vorgetragen, ihm sei von seiner Ärztin in den letzten Wochen die geringste Dosis Polamidon verordnet worden, 1 mg pro Tag, und er habe diese Tagesdosis in den letzten 3 bis 4 Wochen dahingehend „gestreckt“, dass er sie nur noch alle zwei bzw. drei Tage genommen habe; für die Zukunft werde er auch diese Dosis absetzen.

Da Methadon ebenso wie Polamidon Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes sind, kommt es der gesetzlichen Wertung der seit dem 01.01.1999 geltenden Fahrerlaubnisverordnung entsprechend – und damit entgegen dem Vorbringen des Antragstellers - nicht darauf an, ob dieses Medikament „missbräuchlich“ konsumiert wurde, sondern allein darauf, ob es (überhaupt) eingenommen wurde. Letzteres steht nicht in Streit; der Antragsteller hat die Einnahme eingeräumt. Ob der Antragsteller von dem Betäubungsmittel abhängig war oder ist, spielt für Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV nach der gesetzlichen Wertung keine entscheidende Rolle. Das wiederum führt auf der Grundlage von Nr. 9.4 dazu, dass von einer Fahreignung erst nach Absetzung des Betäubungsmittels und einer (vom Antragsteller) „nachgewiesenen“ Abstinenz von 1 Jahr wieder ausgegangen werden kann. Insoweit hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss auf Seite 4 zutreffend ausgeführt, dass es dem Antragsteller unbenommen bleibt, dem Gericht (oder ggf. auch der Antragsgegnerin) ein seine Fahreignung bestätigendes Gutachten vorzulegen.

Der etwa von Bode/Winkler vertretenen Auffassung, der Wortlaut der Anlage 4 beruhe ebenso wie Tz. 3.12.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung auf einem Redaktionsversehen, weil die Ausführungen zur Abhängigkeit überflüssig wären, wenn bereits die bloße Einnahme der Mittel ausreiche, deshalb sei entweder eine Abhängigkeit oder eine missbräuchliche oder regelmäßige Einnahme erforderlich, hat sich die Rechtsprechung nicht angeschlossen. Diese geht – wie bereits ausgeführt - davon aus, dass Anlage 4 Nr. 9.1 den Erfahrungssatz zum Rechtssatz erhebt, schon die (bloße) Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des BtMG schließe regelmäßig die Fahreignung aus. Diese Annahme wird durch den Zeitablauf nachhaltig unterstrichen. Wenn es sich nämlich bei der Formulierung in Nr. 9.1 bzw. in Tz. . 3.12.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung um ein Redaktionsversehen gehandelt haben sollte, wäre dieses „Missgeschick“ im Rahmen der verschiedenen Novellierungen ganz sicher bereinigt worden. Dementsprechend kommt es auf die Menge und Regelmäßigkeit des Konsums von Betäubungsmitteln im Sinne des BtMG nicht an.

Soweit der Antragsteller geltend macht, es sei allein Aufgabe der Gerichte, angefochtene Verwaltungsakte auf ihre tatsächlichen Grundlagen und die gegebene Begründung hin zu überprüfen, und damit zugleich rügt, das Gericht dürfe keine Alternativbegründung für einen gleichartigen Verwaltungsakt suchen, gilt das allenfalls und auch nur sehr eingeschränkt für Ermessensentscheidungen, nicht jedoch für gebundene Entscheidungen wie vorliegend den Entzug der Fahrerlaubnis. Bei gebundenen Entscheidungen kommt es allein darauf an, ob die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass des Verwaltungsaktes objektiv vorliegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG n.F. in Verbindung mit den Nrn. 1.5, und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 2005, 1525 = NVwZ 2004, 1327).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.