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BGH Urteil vom 18.05.1965 - VI ZR 262/63 - Zum Forderungsübergang des Erwerbsschadenanspruchs auf den Sozialversicherungsträger

BGH v. 18.05.1965: Zum Forderungsübergang des Erwerbsschadenanspruchs auf den Sozialversicherungsträger und zum Anspruch des Arbeitgebers


Der BGH (Urteil vom 18.05.1965 - VI ZR 262/63) hat entschieden:
Der Anspruch des Unfallverletzten gegen den Schädiger auf Ersatz seines Erwerbsschadens geht auf den Sozialversicherer über, soweit dieser dem Verletzten den gewöhnlichen Aufwand für seinen Unterhalt dadurch erspart, dass er die Kosten der Krankenhauspflege trägt. Der Dienstherr, der dem Verletzten während seiner Arbeitsunfähigkeit den Lohn oder das Gehalt fortzahlt, erwirbt den Anspruch auf Ersatz des Erwerbsschadens dann nur in dem verbleibenden Umfang.


Siehe auch Einkommensnachteile und Personenschaden


Tatbestand:

Am 9. Februar 1962 geriet die Beklagte mit einem von ihr gehaltenen und gelenkten Personenkraftwagen auf den Mittelstreifen der Siewekingsallee in Hamburg. Dort erfasste und verletzte sie die bei der Klägerin angestellte Frau Karla R. Der Unfall war für die Beklagte, wie inzwischen unstreitig ist, kein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG.

Die Verletzte befand sich bis zum 26. März 1962 im Krankenhaus und war weiter bis zum 6. August 1962 dienstunfähig. Die Kosten des Krankenhausaufenthalts sind von der Krankenkasse getragen worden. Die Klägerin hat der Verletzten während ihrer Dienstunfähigkeit Krankenbezüge in Höhe des sonst gezahlten Gehalts gewährt. Hierfür hat sie einen Bruttobetrag von 3633,76 DM aufgewandt, von dem nach Abzug der Steuern und der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung 2768,57 DM ausgezahlt wurden. Die Verletzte hat ihre Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte in Höhe der fortgezahlten Bezüge an die Klägerin abgetreten. Diese hat von der Beklagten Erstattung des obigen Bruttobetrages nebst 4% Zinsen gefordert.

Die Beklagte hat um Klageabweisung gebeten. Nach dem ursprünglichen Bestreiten des Anspruchsgrundes hat sie nur noch geltend gemacht, der zu ersetzende Erwerbsschaden beschränke sich auf die ausgezahlten Nettobezüge, die weiter um 184,00 DM zu kürzen seien, weil die Verletzte diesen Betrag während ihres Krankenhausaufenthalts an Verpflegungskosten erspart habe.

Das Landgericht hat der Klägerin ihre Bruttoaufwendungen abzüglich der vorgenannten Verpflegungskosten, insgesamt 3449,76 DM nebst Zinsen zuerkannt und die Klage im übrigen abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin die teilweise Abweisung angegriffen und die Klage um das Feststellungsbegehren erweitert, dass ihr die Beklagte auch den künftigen unfallbedingten Verdienstausfall der Verletzten ersetzen müsse. Das Oberlandesgericht hat diese Feststellung unter Beschränkung auf den Netto-Verdienstausfall getroffen und die Berufung im übrigen zurückgewiesen.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, um deren Zurückweisung die Beklagte bittet, erstrebt die Klägerin weiterhin die volle Durchsetzung ihrer Ansprüche.


Entscheidungsgründe:

1. Das Berufungsgericht ist – abweichend vom Landgericht – davon ausgegangen, dass die Klägerin Ersatz des als "Krankengeld" fortgezahlten Gehalts nur in Höhe der Nettobezüge beanspruchen könne. Es hat wegen dieser Frage die Revision zugelassen. Der erkennende Senat hat inzwischen im entgegengesetzten Sinne entschieden (Urteil vom 30. Juni 1964 – VI ZR 81/63 = BGHZ 42, 76). In einem weiteren Urteil vom 27. April 1965 (VI ZR 124/64, noch nicht veröffentlicht) ist an dieser Auffassung festgehalten worden Bei den Entscheidungen hat das Berufungsurteil in gegenwärtiger Sache vorgelegen. Seine Erwägungen können zu keiner abweichenden Beurteilung führen.

Auch das Berufungsgericht stellt an die Spitze, dass bei jeder Schadensberechnung eine konkrete Vermögenslage mit einer hypothetischen verglichen werden müsse. Die wirkliche Lage sei die, in der sich der Verletzte infolge des Schadensereignisses befinde; als gedachte sei ihr die gegenüberzustellen, die ohne den Unfall bestehen würde. Diese auf der Differenzlehre fußenden Erwägungen treffen für den Fall der Nichtfortzahlung des Lohnes zu. Beim unfallbedingten Verlust des Arbeitseinkommens erwächst dem Verletzten ein realer Schaden, der so ausgeglichen werden muss, dass sich weder Vor- noch Nachteile ergeben. Das ist allein eine Frage der richtigen Berechnung. Ihr Ergebnis hängt, wenn die tatsächlichen Umstände feststehen , nicht von einem Rechtssatz des Inhalts ab, dass grundsätzlich von den Brutto- oder den Nettobezügen auszugehen sei. Ob das Bruttogehalt um ausgleichungspflichtige Vorteile vermindert oder das Nettogehalt um bestehenbleibende, weitere Nachteile aufgestockt wird ("modifizierte Nettomethode"), muss sich dann bei zutreffender Berücksichtigung aller Faktoren gleich bleiben.

Anders liegt es indessen in den Fällen der Fortzahlung des Arbeitseinkommens. Wird hier der vom Berufungsgericht geforderte Vergleich zwischen der Lage des Verletzten vor und nach dem Schadensereignis angestellt, so ergibt sich überhaupt kein Erwerbsschaden. Der gleichwohl (zur Ermöglichung des gesetzlich angeordneten Forderungsübergangs) anzunehmende "normative Schaden" entzieht sich der Berechnung nach der gebräuchlichen Differenzmethode. Das Berufungsgericht übergeht mit den Vertretern der Nettotheorie diesen entscheidenden Punkt, indem es den eingangs geforderten Vergleich durch einen anderen ersetzt. Der gedachten Lage ohne das Schadensereignis wird die ebenfalls hypothetische Situation gegenübergestellt, in der sich der Verletzte ohne die Gehaltsfortzahlung befinden würde. Wie der erkennende Senat in den angezogenen Entscheidungen ausgeführt hat, ist eine solche Unterstellung, die lediglich zur Erzielung einer rechnerisch erfassbaren Vermögensdifferenz vorgenommen wird, nicht gerechtfertigt. Sie wird von dem Grundsatz, dass die soziale Leistung des Arbeitgebers dem Schädiger nicht zugute kommen darf, nicht erfordert. Zudem sieht sie widersprüchlich nur bei der Höhe, nicht auch beim Grunde des Erstattungsanspruchs von der Gehaltsfortzahlung ab, die weiterhin die Voraussetzung des Forderungsübergangs bleibt. Schließlich begegnet die Methode mit ihrem Ergebnis dem berechtigten Einwand, dass sie den Anspruch auf Erstattung der tatsächlich entrichteten Steuern und Abgaben auf eine fiktive Höhe (wie sie sich beim Ersatz des nicht fortgezahlten Lohnes ergeben würde) begrenze. Wenn versucht wird, diese offenkundige Unstimmigkeit mit der Erwägung zu beseitigen, bei der Lohnfortzahlung ergebe sich hinsichtlich der Steuern und Abgaben kein ausgleichungspflichtiger Vorteil, so wird damit der vorher gezogene Rahmen des bei Nichtfortzahlung des Lohnes zu vergütenden Schadens wieder gesprengt. Noch weniger kann dem Berufungsgericht beigetreten werden, wenn es in der entstehenden Steuer- und Abgabenschuld einen aus der Gehaltsweiterzahlung hervorgehenden "Folgeschaden" erblicken will, der vom Schädiger überhaupt nicht auszugleichen sei. Aus alledem geht hervor, dass sich der normative Schaden durch den rechnerischen Vergleich gedachter Vermögenslagen nicht zutreffend erfassen lässt. Wenn der Boden der Differenzlehre verlassen werden muss, um trotz Ausgleichs von dritter Seite einen übergangsfähigen Schadensersatzanspruch bestehen zu lassen (BGHZ 7, 30; 21, 112), so muss es hierbei auch endgültig verbleiben. Als Erwerbsschaden im Rechtssinne kann dann nur angesehen werden, was der Verletzte in seinem konkreten Arbeitsverhältnis durch die Verwertung seiner Arbeitskraft insgesamt erzielt (und trotz vorübergehender Arbeitsunfähigkeit nicht verliert). Das sind die Bruttobezüge, denen die vom Arbeitnehmer geschuldeten Steuern und Sozialbeiträge lediglich vorweg entnommen werden. Hinzu treten gegebenenfalls die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, da auch sie einen Gegenwert für die geleistete Arbeit darstellen. Für eine Vorteilsausgleichung ist kein Raum, weil bei Fortzahlung des Lohnes oder Gehalts zwangsläufig auch die Abzüge in unveränderter Höhe weiterlaufen. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat auf seine eingangs angezogenen Entscheidungen Bezug.

2. Die Klägerin verlangt demnach zu Recht den Ersatz des aufgewandten Bruttogehalts. Sie muss dabei indessen den Abzug hinnehmen, den das Landgericht wegen ersparter Verpflegungskosten der Verletzten gemacht hat. Insoweit konkurrieren die Ansprüche der Klägerin mit denen der gesetzlichen Krankenversicherung, wobei das Quotenvorrecht des öffentlichen Versicherungsträgers den Ausschlag gibt (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 20. Mai 1958 – VI ZR 130/57 = VersR 58, 454). Das Berufungsgericht ist hierauf nicht eingegangen, weil die Klageforderung nach seiner Ansicht um die (höheren) Steuern und Sozialbeiträge zu kürzen gewesen wäre.

Indem die Krankenkasse die Kosten der Krankenhauspflege trägt, gewährt sie dem Verletzten u.a. den Unterhalt, den dieser sonst aus seinem Erwerbseinkommen bestreiten müsste. Zu diesem Teil geht deshalb – nach dem Grundsatz der kongruenten Deckung – der Anspruch auf Ersatz des Erwerbsschadens nach § 1542 RVO auf den Versicherungsträger über. Der Dienstherr, der das volle Gehalt weiterzahlt, kann ihn nicht mehr erlangen und geltend machen. Eine Doppelzahlung ist dem Schädiger nicht aufzuerlegen. Der Höhe nach beschränkt sich der Quotennachteil des Arbeitgebers allerdings auf die Beträge, die der Verletzte außerhalb des Krankenhauses für seine Verpflegung aufgewandt hätte; denn nur insoweit entlastet ihn die Krankenkasse hinsichtlich seines Erwerbsschadens. Soweit die Verpflegungskosten im Krankenhaus höher liegen, handelt es sich um vermehrte Bedürfnisse des Verletzten, die vom Schädiger neben dem Erwerbsschaden auszugleichen sind; hiervon wird der Arbeitgeber nicht berührt (vgl. hierzu Wussow, Unfallhaftpflichtrecht 8. Aufl., TZ 1883, 1884).

Das Landgericht hat die im Krankenhaus ersparten Verpflegungskosten der Verletzten auf 4,00 DM täglich gleich insgesamt 184,00 DM geschätzt. Hiergegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.

3. Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts ist demnach im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen worden. Insoweit konnte die Revision der Klägerin keinen Erfolg haben (§ 563 ZPO). Dagegen war dem Rechtsmittel stattzugeben, soweit es die teilweise Abweisung des Feststellungsbegehrens rügt. Dieser Ausspruch des Berufungsurteils war aufzuheben und die erstrebte Feststellung in ihrem vollen Umfang auszusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 91, 92 ZPO.