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Landgericht Konstanz Urteil vom 06.09.2011 - 4 O 138/11 - Zur Haftungsverteilung bei zwischen Linksabbieger in ein Grundstück und Überholer und zur Quotelung der Sachverständigenkosten

LG Konstanz v. 06.09.2011: Zur Haftungsverteilung bei zwischen Linksabbieger in ein Grundstück und Überholer und zur Quotelung der Sachverständigenkosten


Das Landgericht Konstanz (Urteil vom 06.09.2011 - 4 O 138/11) hat entschieden:
  1. Bei einem Unfall mit einem Linksabbieger in ein Grundstück, der die doppelte Rückschaupflicht verletzt hat, ist eine Mithaftung des Überholenden von 2/5 angemessen, wenn er in einer für ihn unklaren Verkehrslage überholt hat.

  2. Die dem Geschädigten entstandenen Sachverständigenkosten sind entsprechend seiner Mithaftungsquote zu kürzen.


Siehe auch Linksabbiegen in Grundstück und Quotelung der SV-Kosten


Tatbestand:

Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.

Am 22.10.2010 befuhr der Kläger gegen 19:10 Uhr mit seinem Pkw die Bahnhofstraße in Salem mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 bis 50 km/h. Vor seinem Fahrzeug fuhr die Beklagte Ziff. 2 mit ihrem Pkw. Als die Beklagte nach links über eine abgesenkte Bordsteinkante in ein Privatgrundstück einfahren wollte, kam es zur Kollision der Fahrzeuge.

An der Unfallstelle verläuft die Straße nach den übereinstimmenden Angaben der Parteien in der mündlichen Verhandlung ca. 100 m gerade, so dass auf diese Distanz freie Sicht bestand.

Das Fahrzeug der Beklagten Ziff. 2 ist bei der Beklagten Ziff. 1 haftpflichtversichert. Diese hat den Schaden des Klägers auf hälftiger Basis reguliert.

Der Kläger behauptet, die Beklagte Ziff. 2 habe ihr Fahrzeug am rechten Fahrbahnrand abgestellt gehabt. Kurz bevor er dann das Fahrzeug der Beklagten Ziff. 2 habe passieren wollen, habe die Beklagte Ziff. 2 den Blinker gesetzt und sei angefahren. Zugleich habe sie versucht, nach links in die Grundstückseinfahrt einzubiegen. Der Unfall sei für ihn daher nicht vermeidbar gewesen.

Die Kosten für das eingeholte Sachverständigengutachten hätten die Beklagten unabhängig von der Frage einer Mithaftung in vollem Umfang zu ersetzen, weil die Kosten solche für die Rechtsverfolgung des klägerischen Anspruchs seien.

Der Kläger beantragt:
  1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 7.462,53 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 15.02.2011 zu zahlen.

  2. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Verzugskosten i.H.v. 238,24 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 15.02.2011 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie behaupten, die Beklagte Ziff. 2 habe schon etwa 50 m vor dem Abbiegevorgang die Geschwindigkeit deutlich verlangsamt und den Blinker gesetzt. Mit einem Überholen anderer Fahrzeuge sei daher nicht mehr zu rechnen gewesen, so dass die Beklagte Ziff. 2 dann abgebogen sei, ohne den rückwärtigen Verkehr zu beobachten.


Entscheidungsgründe:

Nach Auffassung des Gerichts wurde der Unfall leicht überwiegend von der Beklagten Ziff. 2 verursacht und verschuldet. Da die Beklagte Ziff. 1 den Schaden bereits zur Hälfte reguliert hat, ist die Klage in der Hauptsache nur in Höhe von 1.492,51 € begründet, im Übrigen ist sie abzuweisen.

Für den Unfall sind beide Parteien verantwortlich, unvermeidbar war der Unfall gem. § 17 Abs. 3 StVG für beide nicht.

Die Beklagte Ziff. 2 haftet dem Kläger daher gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 3 StVG für den eingetretenen Unfallschaden. Die Haftung der Beklagten Ziff. 1 folgt aus § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.

Die Beklagte Ziff. 2 hat es versäumt, gem. § 9 Abs. 1 StVO unmittelbar vor dem Abbiegen nochmals ihrer Rückschaupflicht nachzukommen. Hätte sie dem genügt, so hätte sie den von hinten herannahenden Kläger mit seinem Fahrzeug erkennen können und vom Abbiegen in diesem Moment absehen müssen. Da sie in ein Grundstück einfahren wollte, bestand zudem eine erhöhte Sorgfaltspflicht gem. § 9 Abs. 5 StVO, wonach die Beklagte Ziff. 2 sich hätte vergewissern müssen, dass die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Aber auch dem Kläger ist ein erhebliches Verschulden vorzuwerfen. Dass das Fahrzeug der Beklagten Ziff. 2 rechts "abgestellt" war, ist eine unzutreffende Schilderung der Verkehrssituation. Die Beklagte Ziff. 2 hat sich in der mündlichen Verhandlung unbestritten dahin eingelassen, dass sie mit dem Fahrzeug unterwegs war, um einen Masseur aufzusuchen, dessen Praxis sich auf der rechten Straßenseite in ihrer Fahrtrichtung gesehen befand, und den sie früher schon aufgesucht hatte. Ihr war auch bekannt, dass links auf einem Privatgrundstück, in das sie einbiegen wollte, Freiflächen vorhanden waren, auf denen sie ihr Fahrzeug abstellen wollte. Von daher ist schon nicht nachvollziehbar, weshalb die Beklagte Ziff. 2 ihr Fahrzeug abgestellt haben sollte. In der mündlichen Verhandlung war zwischen den Parteien weiterhin unbestritten, dass es zum Unfallzeitpunkt zumindest dämmrig war und die Beklagte Ziff. 2 daher ihr Fahrzeug beleuchtet hatte. Auch das machte deutlich, dass sie keinesfalls ihr Fahrzeug abgestellt hatte. Hinzu kommt, dass die Grundstückseinfahrt nach dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Lichtbild eher schmal war und die Einfahrt daher nur mit geringer Geschwindigkeit angefahren werden konnte. Da zudem die Straße auf längere Distanz gut einsehbar war, hätte dem Kläger bei hinreichender Aufmerksamkeit nicht entgehen können, dass die Beklagte Ziff. 2 ihre Geschwindigkeit stark verlangsamt hatte. Ohne Zweifel bestand für den Kläger zumindest eine unklare Verkehrssituation, selbst wenn die Beklagte Ziff. 2 nicht rechtzeitig, sondern erst kurz vor dem Abbiegevorgang den Blinker gesetzt haben sollte. Vor allem ist dem Kläger aber vorzuwerfen, dass er mit erheblicher Geschwindigkeit, nach eigenen Angaben 40 bis 50 km/h, das Fahrzeug der Beklagten Ziff. 2 überholen wollte. Das Überholen war daher nicht nur gem. § 5 Abs. 3 StVO wegen unklarer Verkehrslage unzulässig, durch die hohen Geschwindigkeitsdifferenzen der Fahrzeuge war der Kläger daher auch schon etliche Meter vor der Unfallstelle nicht mehr in der Lage, den Unfall zu verhindern.

Eine Abwägung dieser Verursachungs- und Verschuldensbeiträge führt nach Auffassung des Gerichts zu einer leicht überwiegenden Haftung der Beklagten Ziff. 2, der ein Verstoß gegen die gesteigerte Sorgfaltspflicht des § 9 Abs. 5 StVO vorzuwerfen ist. Eine Haftungsquote von 3/5 erscheint angemessen.

Entsprechend dieser Quote haben die Beklagten den Unfallschaden des Klägers zu ersetzen. Unter den erforderlichen Herstellungsaufwand im Sinne von § 249 Abs. 2 BGB fallen entgegen der Ansicht des Klägers auch die Kosten für das eingeholte Schadensgutachten. Das Gutachten mag einem Geschädigten im Einzelfall auch die Rechtsverfolgung seines Anspruchs erleichtern, in erster Linie sind diese Kosten jedoch Teil des Schadens neben dem eigentlichen Sachschaden (BGH NJW 2007, 1752, 1450; OLG Düsseldorf DAR 2011, 326). Gerade im vorliegenden Fall wird dies besonders deutlich: Ohne das Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben, hätte der Kläger gar nicht beurteilen können, ob wirtschaftlicher Totalschaden seines Fahrzeugs eingetreten war oder ob es noch reparaturwürdig war. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, das Sachverständigengutachten sei allein erforderlich gewesen, um einen berechtigten Teilanspruch zu beziffern, den der Kläger hier im Übrigen gar nicht verfolgt.

Es ergibt sich damit folgende Berechnung der Klagforderung:

Wiederbeschaffungskosten abzgl. Restwert: 13.280,00 €
Gutachterkosten: 1.263,07 €
Abschleppkosten: 357,00 €
Unkostenpauschale: 25,00 €
Gesamt: 14.925,07 €
3/5 dieses Betrages ergibt einen Betrag von 8.955,04 €


Da von der Beklagten Ziff. 1 7.462,53 € auf den Unfallschaden bereits geleistet worden sind, besteht eine restliche Forderung des Klägers noch von 1.492,51 €.

Entsprechend der nur zu 3/5 berechtigten Schadensersatzforderung errechnen sich die erstattungsfähigen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten mit 714,60 €. Hierauf wurden 661,16 € bezahlt, so dass ein restlicher Anspruch nur noch in Höhe von 53,44 € besteht.

Zinsen sind aus dem Gesichtspunkt des Verzuges in zuerkannter Höhe begründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 709, 708 Nr. 11 i.V.m. § 711 ZPO.