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BGH Urteil vom 04.06.1996 - IX ZR 51/95 - Zur Haftung des Rechtsanwalts wegen der Verwendung unzutreffender Fachausdrücke zur Beendigung eines Vertrages

BGH v. 04.06.1996: Zur Haftung des Rechtsanwalts wegen der Verwendung unzutreffender Fachausdrücke zur Beendigung eines Vertrages


Der BGH (Urteil vom 04.06.1996 - IX ZR 51/95) hat entschieden:
  1. Der um Rat ersuchte Rechtsanwalt ist zu einer umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung seines Auftraggebers verpflichtet. Er hat dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den den Umständen nach sichersten und ungefährlichsten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant eine sachgerechte Entscheidung treffen kann. Der konkrete Umfang der anwaltlichen Pflichten richtet sich dabei nach dem erteilten Mandat und den Umständen des einzelnen Falles.

  2. Aufgabe des Rechtsanwalts, der mit einer Rechtsgestaltung beauftragt ist, ist es, schon durch die Wortwahl seiner Erklärung Klarheit zu schaffen. Der Laie als Auftraggeber schaltet den Fachberater u.a. deswegen ein, damit dieser das erwünschte rechtliche Ergebnis möglichst auch erreicht. Auslegung setzt erst ein, wenn der Wortlaut einer Erklärung zu Zweifeln überhaupt Anlass gibt; dazu darf es der Rechtsanwalt regelmäßig gar nicht kommen lassen. Auch § 133 BGB ändert nichts daran, dass das Ergebnis von Auslegungen erfahrungsgemäß oft zweifelhaft und umstritten ist. Das ist ein Risiko, welches ein juristischer Fachberater nach Möglichkeit vermeiden muss. Den sichersten Weg hält er nur ein, falls seine Erklärung unmissverständlich ist. Dazu gehört die zutreffende Verwendung der einschlägigen Fachausdrücke.
Siehe auch Anwaltsverschulden und Haftungsrechtlicher Zurechnungszusammenhang



Aus den Entscheidungsgründen:

"...

Der um Rat ersuchte Rechtsanwalt ist zu einer umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung seines Auftraggebers verpflichtet. Er hat dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den den Umständen nach sichersten und ungefährlichsten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant eine sachgerechte Entscheidung treffen kann (Senatsurt. v. 20. Januar 1994 - IX ZR 46/93, NJW 1994, 1211, 1212 m.w.N.). Der konkrete Umfang der anwaltlichen Pflichten richtet sich dabei nach dem erteilten Mandat und den Umständen des einzelnen Falles (vgl. Senatsurt. v. 28. Juni 1990 - IX ZR 209/89, WM 1990, 1917, 1918).

1. Hier hatte sich der Kläger im März 1985 an den Beklagten gewandt, weil er seine Entlassung aus dem Leasingvertrag anstrebte. Es ist schon zweifelhaft, ob das Berufungsgericht seine Feststellung verfahrensfehlerfrei getroffen hat, dem Kläger sei es nur darauf angekommen, von seinen vertraglichen Pflichten entschädigungslos befreit zu werden. Denn das Berufungsgericht hat auch das Antwortschreiben der Leasinggeberin vom 3. April 1985 auf die Anfechtungserklärung des Beklagten zitiert. Darin heißt es auszugsweise:
"Bei meiner Mandantin drängt sich der Eindruck auf, daß die Handlungsweise Ihrer Partei aus einer ... Vertragsreue herrührt. ... Es ist ... auffällig, daß ca. 2 bis 3 Wochen nach Abschluß und endgültigem Zustandekommen des Leasingvertrages der Steuerberater Ihrer Partei ... bei einer Mitarbeiterin meiner Mandantin angerufen hatte, um mitzuteilen, daß Ihre Partei - koste es, was es wolle - aus dem Vertrag entlassen werden will, und zwar weil er sich gegen diese ... Computer-Anlage entschieden habe."
Dass ein Anruf dieses Inhalts auf Veranlassung des Klägers stattgefunden hat, hat dieser im vorliegenden Prozess behauptet. Einem darin zum Ausdruck kommenden wirtschaftlichen Anliegen des Klägers hätte es jedenfalls entsprochen, schon damals den Leasingvertrag wenigstens hilfsweise fristgerecht zum erstzulässigen Termin zu kündigen. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht außer acht gelassen, dass der Beklagte selbst sich gar nicht auf eine Anfechtung beschränkt, sondern im Schreiben vom 19. März 1985 zugleich den "Rücktritt" vom Leasingvertrage erklärt hat.

2. Legt man die gegenteilige Feststellung des Berufungsgerichts zugrunde, so durfte sich der Beklagte allerdings zunächst darauf beschränken, den Leasingvertrag anzufechten, ohne zugleich eine ordentliche Kündigung auszusprechen oder wenigstens den Kläger auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Eine ordentliche Kündigung war nämlich nach § 1 des Leasingvertrages frühestens zum Ende des 36. Vertragsmonats unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten möglich und hätte dazu geführt, dass der Kläger die bis dahin angefallenen Leasingraten und einen Ablösebetrag - nach dem Vertrag in Höhe von 22 Leasingraten - hätte zahlen müssen. Eine solche Kündigung zum frühestmöglichen Zeitpunkt hätte bis Anfang August 1987 ausgesprochen werden müssen. Spätestens zu dieser Zeit musste der Beklagte den Kläger eingehend auf die Möglichkeit der Kündigung und auf das Risiko, sonst über die Mindestmietzeit hinaus Leasingraten zahlen zu müssen, hinweisen. Unstreitig war der Beklagte jedenfalls im Mai 1987 noch für den Kläger tätig (vgl. das Schreiben des Beklagten vom 20. Mai 1987 an die Vertreter der Leasinggeberin, Anlage K 21 zum Schriftsatz des Klägers v. 2. Dezember 1993 = Bl. 176 GA). Sollte sein Mandat danach - vorübergehend - geendet haben, hätte er die Belehrung am Ende der Mandatszeit erteilen müssen. Eine solche Belehrungspflicht bestand objektiv aufgrund folgender Umstände: a) Für den Kläger ergab sich ein Risiko zum einen, weil nicht sicher war, dass die Zahlungsverpflichtung bereits durch die Anfechtung des Leasingvertrages entfallen war. Die Leasinggeberin hatte durch die Erwirkung eines Mahnbescheids Ende 1986 zu erkennen gegeben, dass sie die Anfechtung nicht hinnahm. Ob diese vor Gericht Erfolg haben würde, war zweifelhaft, weil die behauptete Täuschung über die Höhe des Kaufpreises nicht durch die Leasinggeberin, sondern durch die Lieferantin des Leasinggegenstands erfolgt war und der angebliche Irrtum des Klägers nicht den Leasingvertrag selbst, sondern den Kaufpreis des Leasinggegenstands betraf.

Dieses Risiko, das für den Kläger ohne eine zusätzliche ordentliche Kündigung bestand, hätte der Beklagte ohne weiteres erkennen können. Ausweislich seiner Schreiben vom 4. März und 9. Juli 1986 (Anlagen K 6 und K 7 zur Klageschrift = Bl. 30 f, 32 f GA) zweifelte er selbst an der Berechtigung der Anfechtung gegenüber der Leasinggeberin; im früheren der beiden Schreiben heißt es zusammenfassend wörtlich:
"Die Rechtslage ist insoweit sehr kompliziert und einer abschließenden Beurteilung kaum zugängig."
b) Fraglich war ferner, ob eine ordentliche Kündigung deshalb entbehrlich und nutzlos war, weil der Leasingvertrag auf eine Laufzeit von 60 Monaten befristet sein konnte. Die Vertragsdauer ist in § 1 des Leasingvertrages geregelt. Dort ist ein leeres Kästchen angekreuzt, auf dessen linker Seite sich Kästchen mit vorgedruckten Laufzeiten von 24, 36, 48 und 54 Monaten befinden, während ein breites Kästchen rechts vom angekreuzten Feld die Worte "auf unbestimmte Zeit nach Maßgabe Blatt 2" enthält. Auf dem vom Kläger ebenfalls unterzeichneten Blatt 2 sind die Modalitäten eines auf unbestimmte Zeit geschlossenen Vertragsverhältnisses näher umschrieben. Bei diesem Urkundeninhalt war keineswegs sicher, dass die Vertragsdauer auf 60 Monate begrenzt war, auch wenn der Kläger unter Berufung auf das Zeugnis seines Steuerberaters behauptete, die Parteien seien sich insoweit einig gewesen.

Aufgrund der geschilderten Gestaltung der ersten Seite des Vertrages und der darin enthaltenen ausdrücklichen Verweisung auf ein "Blatt 2" mussten sich dem Beklagten Bedenken gegen eine befristete Vertragslaufzeit sogar dann aufdrängen, wenn er - wie er behauptet - im Sommer 1987 noch nicht wusste, dass ein zweites Blatt des Leasingvertrages existierte.

c) Weiter durfte der Beklagte sich von Rechts wegen nicht darauf verlassen, dass sein Schreiben vom 19. März 1985 wenigstens hilfsweise als Erklärung der ordentlichen Kündigung ausgelegt werden würde.

Aufgabe des Rechtsanwalts, der mit einer Rechtsgestaltung beauftragt ist, ist es, schon durch die Wortwahl seiner Erklärung Klarheit zu schaffen. Der Laie als Auftraggeber schaltet den Fachberater u.a. deswegen ein, damit dieser das erwünschte rechtliche Ergebnis möglichst auch erreicht (vgl. Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht Rdn. 572). Auslegung setzt erst ein, wenn der Wortlaut einer Erklärung zu Zweifeln überhaupt Anlass gibt; dazu darf es der Rechtsanwalt regelmäßig gar nicht kommen lassen. Auch § 133 BGB ändert nichts daran, dass das Ergebnis von Auslegungen erfahrungsgemäß oft zweifelhaft und umstritten ist. Das ist ein Risiko, welches ein juristischer Fachberater nach Möglichkeit vermeiden muss. Den sichersten Weg hält er nur ein, falls seine Erklärung unmissverständlich ist. Dazu gehört die zutreffende Verwendung der einschlägigen Fachausdrücke.

Das war für den Beklagten hier auch erkennbar. Jeder Rechtsanwalt muss wissen, dass man sich von einem Mietvertrag oder mietähnlichen Vertrag im Regelfall durch eine "Kündigung", nicht durch einen "Rücktritt" löst. Ein gesetzlicher Rücktritt von einem Dauerschuldverhältnis wie der Miete ist nach Überlassung der Mietsache regelmäßig ausgeschlossen, weil er die Hauptleistungspflichten rückwirkend zerstört; er wird durch die - nur für die Zukunft wirkende - Kündigung ersetzt (BGHZ 50, 312, 315; MünchKomm-BGB/Voelskow, 3. Aufl. § 553 Rdn. 8 m.w.N.; Palandt/Putzo, BGB 55. Aufl. § 553 Rdn. 3). Für den Leasingvertrag als Dauerschuldverhältnis gilt nichts anderes. Eine abweichende Wortwahl kann den Erfolg des Gestaltungsversuchs gefährden. Im vorliegenden Falle konnte insbesondere der Zusammenhang der Rücktrittserklärung mit den angeblichen Anfechtungsgründen es als fraglich erscheinen lassen, ob der Beklagte lediglich eine fristlose oder auch eine fristgerechte Kündigung ausgesprochen hatte. Dann liegt es erfahrungsgemäß nicht fern, dass der wirkliche rechtsgeschäftliche Wille - trotz § 133 BGB - nicht richtig erforscht wird, wenn der buchstäbliche Ausdruck der Erklärung mehrere Deutungen zulässt.

d) Als sicherer Weg für den Kläger, wenigstens für die Zukunft aus dem Leasingvertrag entlassen zu werden, kam nur in Betracht, vorsorglich eine ordentliche Kündigung zum Ablauf des 36. Vertragsmonats als frühestmöglichen Zeitpunkt auszusprechen. Hierauf den Kläger hinzuweisen, war nicht etwa deshalb entbehrlich, weil die Möglichkeit einer solchen Kündigung auch für diesen selbst unschwer aus dem Vertrag zu ersehen gewesen wäre. Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts verkennt zum einen, dass der Rechtsanwalt seinen Mandanten im Rahmen des erteilten Auftrags unter anderem vor erkennbar drohenden wirtschaftlichen Gefahren zu warnen hat, die sich aus der Anlage des bearbeiteten rechtlichen Vorgangs ergeben. Der Rechtsanwalt wird auch von einem Leasingnehmer üblicherweise gerade deswegen mit der Abwicklung eines Leasingvertrages beauftragt, weil der Mandant sich allein nicht sicher fühlt. Die Vertragsdauer war hier in einem vorgedruckten, kleingeschriebenen Text geregelt, der fünf verschiedenen Kündigungsmöglichkeiten mit jeweils unterschiedlichen "Ablösungsbeträgen" vorsah. Es mag schon zweifelhaft sein, ob ein juristischer Laie das Regelwerk voll zu erfassen vermag. Keinesfalls kann er allein beurteilen, wie sich eine derartige Vertragsbestimmung in die Rechtsordnung insgesamt einfügt. Er wäre mit der Beurteilung überfordert, ob etwa kraft Gesetzes noch andere Lösungsmöglichkeiten bestehen. Zudem musste der Kläger - um eine sachgerechte Entscheidung treffen zu können - nicht nur wissen, dass eine ordentliche Kündigung möglich war, sondern auch, weshalb sie geboten war. Dazu war eine Aufklärung über das sonst bestehende Risiko nötig. Diese auf einer rechtlichen Beurteilung beruhende Aufklärung schuldete der Beklagte als beauftragter Rechtsanwalt. Seine Unterlassung war fahrlässig.

Daran ändert sich nichts, wenn der Kläger - gemäß der Annahme des Berufungsgerichts - im Frühjahr 1985 noch bestrebt war, sich sofort und "entschädigungslos" vom Vertrage zu lösen. Der Beklagte behauptet selbst nicht, dass der Kläger zwei Jahre später eine vorsorgliche schnelle Lösung unter Inkaufnahme einer Abfindungszahlung oder sogar entschädigungslos zum Ende des 60. Vertragsmonats eindeutig und endgültig abgelehnt hätte; dagegen spricht bereits, dass der Beklagte selbst durch Schreiben vom 9. April und 20. Mai 1987 namens des Klägers die Leasinggeberin aufforderte, den Leasinggegenstand abzuholen. Allenfalls wenn der Beklagte sich davon hätte überzeugen können, dass der Kläger die bestehenden Risiken und rechtlichen Möglichkeiten voll überblickte und dennoch keinen weiteren rechtlichen Schritt wollte, hätte der Beklagte ausnahmsweise von weiterer Belehrung Abstand nehmen dürfen. Derartiges stellt das Berufungsgericht nicht fest, indem es dem Kläger auferlegt, sich selbst aus dem Vertrag kundig zu machen.

..."