Das Verkehrslexikon

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VGH München Beschluss vom 21.12.2009 - 11 CS 09.1791 - Zur fehlenden Berechtigung zum Gebrauchmachen von einer 2009 erworbenen slowakischen Fahrerlaubnis nach Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis

VGH München v. 21.12.2009: Zur fehlenden Berechtigung zum Gebrauchmachen von einer 2009 erworbenen slowakischen Fahrerlaubnis nach Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis


Der VGH München (Beschluss vom 21.12.2009 - 11 CS 09.1791) hat entschieden:
Der gemeinschaftsrechtliche Maßstab für die Versagung der Anerkennung eines EU-Führerscheins ergibt sich aus der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl L 403 S. 18), sogenannte 3. Führerscheinrichtlinie, nach deren Art. 18 Satz 2 der Art. 11 Abs. 1 und 3 bis 6 mit den Regelungen über den Entzug, die Ersetzung und die Anerkennung von Führerscheinen ebenfalls ab dem 19. Januar 2009 gilt. Die fehlende Berechtigung, von einer am 25. Februar 2009 ausgestellten slowakischen EU-Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, folgt aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 FeV, wenn die dortigen Voraussetzungen gegeben sind. Die Anwendbarkeit des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG wird nicht durch deren Art. 13 Abs. 2 ausgeschlossen, wonach eine vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnis aufgrund der Bestimmungen dieser Richtlinie weder entzogen noch in irgendeiner Weise eingeschränkt werden darf. Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG steht lediglich im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 2 Buchst. a und b dieser Richtlinie.


Siehe auch Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein und Stichwörter zum Thema EU-Führerschein


Gründe:

I.

Der 1939 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofort vollziehbare Verpflichtung, seinen slowakischen Führerschein der Klassen B und AM zur Eintragung der fehlenden Berechtigung zum Führen eines fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugs in der Bundesrepublik Deutschland vorzulegen.

Mit Urteil des Amtsgerichts Passau vom 30. Januar 2008 (Az. 10 Cs 312 Js 10927/07) wurde der Antragsteller wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt, die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von 3 Monaten angeordnet. Der Antragsteller hatte ein Kraftfahrzeug geführt, obwohl er infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig gewesen ist (festgestellte BAK 1, 31 Promille).

Das von der Fahrerlaubnisbehörde daraufhin im Zusammenhang mit zwei früheren (zum damaligen Zeitpunkt noch verwertbaren) Trunkenheitsfahrten geforderte medizinisch-psychologische Gutachten legte der Antragsteller nicht vor. Sein Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis wurde daher mit bestandskräftigem Bescheid vom 9. Juli 2008 abgelehnt.

Bei einer Polizeikontrolle legte der Antragsteller einen slowakischen Führerschein der Klassen B und AM vor, der am 25. Februar 2009 ausgestellt worden war. Seine Absicht, in der Slowakei den Führerschein zu erwerben, hatte der Antragsteller der Behörde bereits am 7. Juli 2008 mitgeteilt (vgl. Aktenvermerk Bl. 125 der Behördenakte).

Die Fahrerlaubnisbehörde wies den Antragsteller zunächst mit Schreiben vom 3. April 2009 daraufhin, dass er nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV nicht berechtigt sei, mit der slowakischen Fahrerlaubnis, fahrerlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Da er nicht freiwillig bereit war, seinen Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerkes vorzulegen, stellte die Behörde mit Bescheid vom 30. April 2009 fest, dass er nicht berechtigt sei, aufgrund seiner slowakischen Fahrerlaubnis fahrerlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland zu führen (Nr. 1). Weiter wurde er mit sofortiger Wirkung sofort vollziehbar verpflichtet, seinen slowakischen Führerschein zur Eintragung der fehlenden Berechtigung vorzulegen (Nrn. 2 und 3) und bei Nichterfüllung der Vorlagepflicht ein Zwangsgeld angedroht (Nr. 4).

Der Antragsteller erhob gegen den Bescheid Klage zum Verwaltungsgericht und beantragte gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 2 des Bescheids des Antragsgegners wieder herzustellen.
Mit Beschluss vom 3. Juli 2009 stellte das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 30. April 2009 bezüglich der Nr. 2 des Bescheids wieder her und ordnete sie bezüglich der Nr. 4 des Bescheids an. In den Gründen des Beschlusses wird ausgeführt, dass zwar die nach dem Gesetzeswortlaut des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV zu fordernden Voraussetzungen vorlägen, es aber der Bundesrepublik Deutschland nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verwehrt sei, die Anerkennung der slowakischen Fahrerlaubnis des Antragstellers abzulehnen. Für Einzelheiten wird auf den Gerichtsbeschluss verwiesen.

Mit der Beschwerde des Antragsgegners wird beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Das Verwaltungsgericht übertrage die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die zur Reichweite der Befugnis des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG in Bezug auf vor dem 19. Januar 2009 erteilte Fahrerlaubnisse ergangen sei, auch auf die später erteilten Fahrerlaubnisse. Es verkenne dabei die mit der Anwendbarkeit des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG zum 19. Januar 2009 eingetretene Änderung. Eine Fahrerlaubnis, die ab dem 19. Januar 2009 in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilt worden sei, berechtige schon dann nicht zur Fahrzeugführung im Inland, wenn gegen den Inhaber zuvor im Inland eine der in Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG angesprochenen Maßnahmen (Einschränkung, Aussetzung, Entzug) verhängt worden sei. Auf diese Änderung habe auch der Verordnungsgeber in der Begründung zur Dritten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnisverordnung hingewiesen.

Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Grundlagen und -gedanken der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass Führerscheine der Ausstellerstaaten unter den angegebenen Voraussetzungen anzuerkennen und die Ausnahmen dazu eng auszulegen seien, seien auch durch die Neufassung nicht erschüttert worden. Die letzten Urteile des Europäischen Gerichtshofs und auch des Bundesverwaltungsgerichts seien zu einer Zeit ergangen, als die Richtlinie 2006/126/EG bereits bekannt gewesen sei. Die Vorschrift des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV habe durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnisverordnung vom 7. Januar 2009 keine inhaltliche Änderung erfahren. Nach § 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG dürfe eine vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnis aufgrund der Bestimmungen dieser Richtlinie weder entzogen noch in irgendeiner Form eingeschränkt werden.

Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene Fahrerlaubnisakte verwiesen.


II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Nrn. 2 und 4 des Bescheids des Antragsgegners vom 30. April 2009 zu Unrecht wiederhergestellt bzw. angeordnet, weil gegen die Rechtmäßigkeit dieser Verfügungen bei summarischer Prüfung keine Bedenken bestehen.

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung (vgl. u.a. BVerwG vom 27.9.1995 BVerwGE 99, 249/250, vom 11.12.2008, BVerwGE 132, 315). Zugrunde zu legen sind danach das Straßenverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl I S.310, ber. S. 919), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 22. Dezember 2008 (BGBl I S.2965), und die Fahrerlaubnis-Verordnung vom 18. August 1998 (BGBl I S. 2214), zuletzt geändert durch die am 19. Januar 2009 in Kraft getretene Dritte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 7. Januar 2009 (BGBl I S. 29). Der gemeinschaftsrechtliche Maßstab ergibt sich aus der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl L 403 S. 18), sogenannte 3. Führerscheinrichtlinie, nach deren Art. 18 Satz 2 der Art. 11 Abs. 1 und 3 bis 6 mit den Regelungen über den Entzug, die Ersetzung und die Anerkennung von Führerscheinen ebenfalls ab dem 19. Januar 2009 gilt.

Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist nicht über die Rechtmäßigkeit von Nr. 1 des Bescheids des Antragsgegners zu befinden, da dieser feststellende Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung des Antragstellers zum Führen von fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV) von der Behörde nicht für sofort vollziehbar erklärt wurde. Nach der Rechtsprechung des Senats ergibt sich die Nichtberechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV aber unmittelbar aus dem Gesetz, d.h. es bedarf keiner Umsetzung durch einen (feststellenden) Verwaltungsakt oder eine Aberkennungsentscheidung (vgl. BayVGH vom 7.8.2008 DAR 2008, 662 f.; auch VGH Baden-Württemberg vom 2.2.2009 NZV 2009, 359 f.; a.A. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen vom 12.1.2009 DAR 2009, 159 f.). Im Rahmen der von der Behörde verfügten, für sofort vollziehbar erklärten Vorlageverpflichtung des slowakischen Führerscheins zur Eintragung eines Sperrvermerks ist dann zu prüfen, ob der Antragsteller zum Führen von fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt ist (vgl. BayVGH vom 19.3.2009, 11 CS 08.3100, vom 22.6.2009 11 CE 09.1089).

Die fehlende Berechtigung des Antragstellers, von seiner am 25. Februar 2009 ausgestellten slowakischen EU-Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, folgt aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 FeV. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV gilt die Berechtigung nach Abs. 1 nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben. Nach § 28 Abs. 4 Satz 3 FeV ist Satz 1 Nr. 3 nur anzuwenden, wenn die dort genannten Maßnahmen im Verkehrszentralregister eingetragen und nicht nach § 29 des Straßenverkehrsgesetzes getilgt sind.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung sind erfüllt. Dem Antragsteller ist sowohl die Fahrerlaubnis rechtskräftig von einem Gericht entzogen als auch die Neuerteilung der Fahrerlaubnis bestandskräftig von der Verwaltungsbehörde versagt worden. Beide Entscheidungen sind im Verkehrszentralregister eingetragen und nicht nach § 29 StVG getilgt.

Die fehlende Berechtigung des Antragstellers, von seiner slowakischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, steht auch im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG werden zwar die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt. Abweichend hiervon bestimmt aber Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnt, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaates entzogen worden ist, wie dies beim Antragsteller der Fall ist.

Die Anwendbarkeit des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG wird nicht durch deren Art. 13 Abs. 2 ausgeschlossen, wonach eine vor dem 19. Januar 2013 erteilte Fahrerlaubnis aufgrund der Bestimmungen dieser Richtlinie weder entzogen noch in irgendeiner Weise eingeschränkt werden darf. Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG steht im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 2 Buchst. a und b dieser Richtlinie. Nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG haben ab dem 19. Januar 2013 die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine der Klassen AM, A1, A2, A, B, B1 und BE eine Gültigkeitsdauer von zehn Jahren. Die Mitgliedstaaten können diese Führerscheine auch mit einer Gültigkeitsdauer bis zu 15 Jahren ausstellen (Satz 2). Gemäß Art. 7 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie haben ab dem 19. Januar 2013 die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine der Klassen C, CE, C1, C1E, D, DE, D1, D1E eine Gültigkeitsdauer von fünf Jahren. Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie will gewährleisten, dass die vor dem 19. Januar 2013 mit einer längeren Gültigkeitsdauer als 15 bzw. fünf Jahre ausgestellten Führerscheine nicht auf diese Gültigkeitsdauer zeitlich beschränkt oder wegen ihrer Überschreitung entzogen werden. Die Anwendbarkeit von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie wird deshalb durch Art. 13 Abs. 2 für die Zeit vor dem 19. Januar 2013 nicht ausgeschlossen.

Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG ist nach der Überzeugung des Senats nicht entsprechend der zu Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl L 237 vom 24.8.1991 S. 1) ergangenen Rechtsprechung des EuGH einschränkend auszulegen (vgl. BayVGH vom 10.11.2009 11 CS 09.2082; a.A. wohl OVG Saarland vom 23.1.2009 ZfS 2009, 236 f. – allerdings zu einer vor dem 19. Januar 2009 erworbenen EU-Fahrerlaubnis). Das Verwaltungsgericht hat diese Rechtsprechung zum eng auszulegenden Ausnahmecharakter des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG zutreffend wiedergegeben. Die dort aufgestellten Grundsätze sind aber aus den nachstehend dargestellten Gründen bei der Auslegung des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG nicht entsprechend heranzuziehen.

Zum einen spricht gegen eine derartige Heranziehung der unterschiedliche Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG einerseits und Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG andererseits. Während es in der erstgenannten Vorschrift heißt, "ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, …", formuliert die letztere Bestimmung, "ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der …". Mit der durch Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG nunmehr gebotenen strikten Ablehnung der Gültigkeit eines Führerscheins unter den dort angeführten Voraussetzungen ist die Annahme von richterrechtlich begründeten Ausnahmen nicht vereinbar, weil sie die Grenzen einer den Wortlaut der Vorschrift respektierenden Gesetzesauslegung überschreitet. Die Nichtanerkennung von Führerscheinen, die trotz vorangegangener Entziehung der Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt werden, kann deshalb im Gegensatz zur Situation bei Anwendung der Richtlinie 91/439/EWG nicht mehr als eng auszulegende Ausnahme vom allgemeinen Anerkennungsgrundsatz angesehen werden.

Hinzu kommt, dass dem Richtliniengeber der Unterschied zwischen einer zwingenden Rechtsvorschrift und einer Ermessensvorschrift sehr wohl bewusst war, wie sich aus der unterschiedlichen Formulierung von Art. 11 Abs. 4 Satz 2 und Satz 3 der Richtlinie ergibt. Denn im Gegensatz zu Art. 11 Abs. 4 Satz 2 heißt es in Satz 3 dieser Vorschrift, "ein Mitgliedstaat kann es ferner ablehnen, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat aufgehoben wurde, einen Führerschein auszustellen".

Zum anderen spricht gegen eine die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG berücksichtigende, einschränkende Auslegung des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG der Umstand, dass diese Richtlinie u.a. dem Zweck dient, den sogenannten Führerscheintourismus zu bekämpfen (vgl. Seite 6 der Begründung des Richtlinienvorschlags der Kommission vom 21.10.2003, Dok.-Nr. 2003/0252 (COD); Abschnitt 1.c des Berichts des Generalsekretariats des Rates für den Ausschuss der Ständigen Vertreter vom 20.9.2004, Dok.-Nr. 12294/04, S. 2; Seite 32 des Berichts des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments vom 3.2.2005, Dok.-Nr. A6-0016/2005; Seite 1, Fußnote 1 des Berichts des Ausschusses der Ständigen Vertreter an den Rat der Europäischen Union vom 28.11.2005, Dok.-Nr. 14980/05; Seite 1, Fußnote 1 des Berichts des Vorsitzes des Rates der Europäischen Union für den Ausschuss der Ständigen Vertreter vom 10.3.2006, Dok.-Nr. 7192/06; Abschnitte 1 und 2.1 der Begründung zur Empfehlung des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments vom 27.11.2006, betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie über den Führerschein, Dok.-Nr. A6-0414/2006, S. 9 f.). Unter "Führerscheintourismus" wird hierbei - in Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch, der sich insoweit in Deutschland herausgebildet hat - das Phänomen verstanden, dass Personen, denen die Fahrerlaubnis in einem Mitgliedstaat (z.B. wegen Fahrens unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen) entzogen wurde, einen Scheinwohnsitz im Ausland begründen und dort eine Fahrerlaubnis erwerben, um damit die Voraussetzungen für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu unterlaufen (vgl. Seite 32 des Berichts des Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr des Europäischen Parlaments vom 3.2.2005, a.a.O.).

Ein Fall dieses „Führerscheintourismus“ ist auch hier gegeben. Der Antragsteller hatte der Fahrerlaubnisbehörde bereits vor Ablehnung seines Neuerteilungsantrags mitgeteilt, dass ihm ein Ablehnungsbescheid „egal“ sei, weil er sich sowieso in der Slowakei angemeldet und spätestens im Oktober einen neuen Führerschein habe. Weiter hat ein Vermittler für ihn alles in der Slowakei organisiert (Wohnung 185 Tage, Fahrschule, Prüfung usw., vgl. Bl. 136 der Fahrerlaubnisakte).

Der Bekämpfung dieses Missstandes soll Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG dienen, der in seinen Sätzen 1 und 2 die in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG enthaltenen "Kann"-Bestimmungen in den Rang zwingender Vorgaben erhebt (vgl. BayVGH vom 22.2.2007 ZfS 2007, 354 f.; vgl. Prof. Dr. Janker, Das vorläufige Ende des Führerscheintourismus, DAR 2009, 181 f.; a.A. Prof. Dr. Hailbronner, Anerkennung der in anderen EU-Mitgliedstaaten erworbenen Fahrerlaubnisse, NZV 2009, 361 f.).

Dem dargestellten Ergebnis steht nicht entgegen, dass die Richtlinie 91/439/EWG mit Ausnahme ihres Artikels 2 Abs. 4 gemäß Art. 17 Sätze 1 und 2 der Richtlinie 2006/126/EG erst mit Wirkung vom 19. Januar 2013 aufgehoben wird. Denn nach Art. 18 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG gelten deren Artikel 2 Absatz 1, Artikel 5, Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b, Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a, Artikel 9, Artikel 11 Absätze 1, 3, 4, 5 und 6, Artikel 12 und die Anhänge I, II und III bereits ab dem 19. Januar 2009. Dabei ist das in der deutschen Fassung verwendete Wort "gelten" so zu verstehen, dass die genannten Vorschriften ab dem 19. Januar 2009 anwendbar sind (vgl. Beschluss des Senats vom 22.2.2007, a.a.O.), sie mithin, soweit sie zwingende Vorgaben für die Mitgliedstaaten enthalten, auch angewendet werden müssen. Da Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG seinerseits als zwingende Vorschrift formuliert ist, ergibt sich unter Berücksichtigung des Art. 18 Satz 2 dieser Richtlinie ein Anwendungsvorrang des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 gegenüber den Bestimmungen der Richtlinie 91/439/EWG und somit auch gegenüber Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG.

Eine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs oder des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG liegt noch nicht vor. Aus dem vom Antragsteller vorgetragenen Umstand, dass die letzten Urteile des Europäischen Gerichtshofs und auch des Bundesverwaltungsgerichts zu einer Zeit ergangen seien, als die Richtlinie 2006/126/EG bereits bekannt gewesen sei, lässt sich keine einschränkende Auslegung von Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG herleiten. Die Richtlinie 2006/126/EG war weder Beurteilungsgrundlage noch Vergleichsmaßstab von Entscheidungen dieser Gerichte (vgl. ausdrücklich z.B. BVerwG vom 11.12.2008 a.a.O.).

Soweit der Antragsteller mit Bezug auf die verwaltungsgerichtliche Entscheidung vorgetragen hat, dass die Vorschrift des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnisverordnung vom 7. Januar 2009 keine inhaltliche Änderung erfahren habe, ist das zutreffend. Eine inhaltliche Änderung war durch die ab 19. Januar 2009 geltende Rechtslage aber gerade nicht veranlasst. Bisher bedurfte der Wortlaut des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV einer durch den Europäischen Gerichtshof vorgegebenen, einschränkenden Auslegung (vgl. BayVGH vom 7.8.2008 a.a.O.; BVerwG vom 9.4.2009 Blutalkohol 46, 350 f.). Diese einschränkende Auslegung ist aber bei ab dem 19. Januar 2009 (neu) erteilten Fahrerlaubnissen aufgrund der Regelung des Art. 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG nicht mehr geboten. Insoweit war auch keine Änderung des Wortlauts des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV veranlasst (vgl. die Begründung zur Dritten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnisverordnung BR-Drs. 851/08).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit den Empfehlungen in den Abschnitten II. 1.5 Satz 1, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 f.).