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OLG Stuttgart Beschluss vom 06.02.2012 - 6 Ss 605/11 - Zur Umschreibung eines falschen ukrainischen Führerscheins in einen ungarischen Führerschein

OLG Stuttgart v. 06.02.2012: Zur Umschreibung eines falschen ukrainischen Führerscheins in einen ungarischen Führerschein und dessen Gültigkeit im Bundesgebiet


Das OLG Stuttgart (Beschluss vom 06.02.2012 - 6 Ss 605/11) hat entschieden:
Zum Fahren ohne Fahrerlaubnis und zur Urkundenfälschung durch Umschreibung eines falschen ukrainischen Führerscheins in einen ungarischen Führerschein und dessen Ungültigkeit im Bundesgebiet.


Siehe auch Fahren ohne Fahrerlaubnis und Fahrerlaubnis-Themen


Gründe:

I.

Mit Urteil vom 08. Februar 2011 hat das Amtsgericht - Strafrichter - Böblingen den Angeklagten wegen Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen sowie vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu der Gesamtstrafe von 90 Tagessätzen zu je € 15,-- verurteilt; der Verwaltungsbehörde wurde „(…) verboten, dem Angeklagten vor Ablauf von 6 Monaten eine Fahrerlaubnis zu erteilen“. Auf die hiergegen von dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft eingelegten Berufungen hat das Landgericht Stuttgart am 12. Juli 2011 die bezeichnete Entscheidung des Amtsgerichts im Rechtsfolgenausspruch abgeändert und eine „Gesamtgeldstrafe von 55 Tagessätzen zu je 10,-- Euro“ festgesetzt. Überdies wurde Folgendes angeordnet:
„Die ungarische Fahrerlaubnis wird entzogen. Der ungarische Führerschein CI300880 wird eingezogen. Die Verwaltungsbehörde wird angewiesen, dem Angeklagten nicht vor Ablauf von noch 4 Monaten eine Fahrerlaubnis zu erteilen.“
Gegen diese Verurteilung richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird.


II.

Das zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

1. Die aufgrund der erhobenen Sachrüge veranlasste Überprüfung des angefochtenen Urteils hat ergeben, dass sich der Angeklagte (u. a.) wegen Urkundenfälschung schuldig gemacht hat.

a. Nach den - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen des Landgerichts betreffend die Vorgänge in Ungarn hat der Beschwerdeführer durch Vorlage eines „(…) total gefälschten ukrainischen Führerscheins (…)“ bei „(…) der ungarischen Führerscheinstelle (…)“ zum Zwecke der Umschreibung der angeblich bestehenden „ukrainischen Fahrerlaubnis“ und anschließender Entgegennahme eines „echten ungarischen“ Führerscheins von einer unechten Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr Gebrauch gemacht (§ 267 Abs. 1 StGB). Der genannte Straftatbestand schützt die Sicherheit und Zuverlässigkeit des amtlichen Rechtsverkehrs im Allgemeinen. Als Urkunden im Sinne von § 267 StGB sind auch verkörperte Gedankenerklärungen mit Beweisfunktion ausländischen Ursprungs anzusehen (LK-Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 267 Rdnr. 1); erfasst werden mithin auch Führerscheine, die - wie hier - von einer Behörde außerhalb des Bundesgebiets erteilt worden sind.

b. Die im Ausland (Ungarn) begangene Tat wird vom deutschen Strafrecht erfasst. Dieses erstreckt sich nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB auch auf Taten, die im Ausland begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist und der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist.

Der Angeklagte besitzt ausweislich der Angaben im Rubrum des angefochtenen Urteils die deutsche Staatsangehörigkeit. Auch eine Tatortstrafbarkeit ist vorliegend gegeben. Zwar wird dies durch Feststellungen des Landgerichts nicht belegt. Die Geltung und Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ist jedoch eine Verfahrens- / Prozessvoraussetzung, deren Vorliegen das Revisionsgericht selbstständig und aufgrund eigener Sachuntersuchung unter Benutzung aller verfügbaren Erkenntnisquellen im Freibeweisverfahren klären kann (vgl. LK-Werle/ Jeßberger, a. a. O. Vor § 3 Rdnr. 10; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 337 Rdnr. 6; Graf/Wiedner, StPO, § 337 Rdnr. 26). Hiernach gilt Folgendes: Die in Rede stehende Tat war / ist auch am Tatort, d. h. in Ungarn strafbewehrt. Dies ergibt sich aus dem Vortrag des Angeklagten im Schriftsatz seines Verteidigers vom 12. Mai 2011 und dem dort beigefügten Rechtsgutachten der „Andrássy Universität Budapest“ vom 25. November 2010 nebst zugehörigem Anhang. Dort heißt es nach dem Hinweis „Die relevanten Rechtsnormen des ungarischen Rechts“ unter Bezugnahme auf das „Gesetz Nr. IV von 1978 über das Strafgesetzbuch“ wie folgt:
„Fälschung öffentlicher Urkunden

§ 274

(1) Wer

a) unechte Urkunden ausstellt oder den Inhalt öffentlicher Urkunden fälscht,

b) unechte oder gefälschte bzw. auf den Namen einer anderen Person ausgestellte, echte öffentliche Urkunden verwendet,

c) daran mitwirkt, falsche Daten, Tatsachen oder Erklärungen bezüglich des Bestehens bzw. der Änderung oder Aufhebung von Rechten oder Pflichten in eine öffentliche Urkunde zu fassen, begeht ein Verbrechen und ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. (…)“
Im Zusammenhang mit Ausführungen zur Frage der „Gültigkeit von ungarischen Fahrerlaubnissen, die aufgrund von gefälschten Nicht-EU-Führerscheinen ausgestellt wurden“ wird unter anderem Folgendes ausgeführt:
„(…) Aber auch die Verwendung eines gefälschten Ausweises an sich ist eine Urkundenfälschung gemäß § 274 Abs. (1) uStGB (…)“
c. Bei diesen Gegebenheiten kann die Frage, ob das in Rede stehende Vorgehen des Angeklagten in Ungarn (auch) - wie von der Berufungskammer angenommen - als Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen (§ 276 Abs. 1 StGB) zu beurteilen ist, dahin stehen. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, würde dieses Delikt hinter der verwirklichten Urkundenfälschung (§ 267 StGB) zurücktreten (vgl. LK-Zieschang, a. a. O., § 276 Rdnr. 19 m. w. N.).

d. In subjektiver Hinsicht steht vor dem Hintergrund des festgestellten Sachverhalts vorsätzliches Handeln des Angeklagten außer Frage.

2. Die (weitere) Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Klarstellend sieht sich der Senat in diesem Zusammenhang zu folgende Bemerkungen veranlasst:

a. Nach Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (nachfolgend: RL 2006/126/EG) bzw. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (nachfolgend: RL 91/439/EWG -) werden von den Mitgliedstaaten ausgestellte Führerscheine gegenseitig anerkannt. Wurde dem Inhaber eines, von einem Mitgliedstaat erteilten Führerscheins vor dessen Ausstellung die Fahrerlaubnis entzogen, besteht eine Anerkennungspflicht nur dann, wenn der Ausstellerstaat (auch) mit der Prüfung befasst war, ob die sich aus dem Recht der Europäischen Union ergebenden Mindestvoraussetzungen für die Erteilung eines entsprechenden Dokuments erfüllt sind (vgl. BVerwG NJW 2009, 1687 ff.; BayVGH NZV 2010, 106 ff. sowie Beschl. v. 22.11.2010 - Az. 11 BV 10.711 -, zitiert nach juris). Die hiernach erforderlichen Erhebungen zur Eignung und Befähigung des jeweiligen (Führerschein-) Bewerbers erstrecken sich insbesondere darauf, ob die in Rede stehende Person die notwendigen gesundheitlichen (Mindest-) Anforderungen in körperlicher und geistiger Hinsicht erfüllt (Art. 7 Nr. 1 RL 2006/126/EG bzw. Art. 7 Abs. 1 RL 91/439/EWG). Wird ein Führerschein in einem Mitgliedstaat lediglich im Wege des Umtauschs erteilt, ist eine entsprechende (Über-) Prüfung nicht vorgeschrieben; der Ausstellerstaat des neuen Führerscheins hat sich in diesem Fall nur darüber zu vergewissern, ob der vorgelegte Führerschein tatsächlich noch gültig ist (vgl. Art. 11 Abs. 1 RL 2006/ 126/EG).

b. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist aus dem bezeichneten, am 09. April 2008 (bei der im angefochtenen Urteil genannten Jahreszahl 2009 handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen) erteilten, ungarischen Führerschein eine Berechtigung des Angeklagten, im Bundesgebiet (erlaubnispflichtige) Kraftfahrzeuge zu führen, nicht abzuleiten. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts ist vorliegend eine (Eignungs- bzw. Befähigungs-) Überprüfung (Fahreignungsuntersuchung) des Angeklagten im Zuge des in Ungarn abgewickelten (Führerschein-) Umtauschverfahrens tatsächlich nicht erfolgt. Überdies steht fest, dass dem Angeklagten wegen Rauschgiftabhängigkeit die Fahrerlaubnis in Deutschland durch bestandskräftige behördliche Verfügung bereits im August 2006 entzogen und seither nicht wieder erteilt worden ist. Der ungarische Führerschein vermittelt bei diesen Gegebenheiten daher keine weitergehende Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet als der umgeschriebene ukrainische Führerschein, der - da es sich bei diesem Dokument um eine Totalfälschung handelt - eine Befugnis des Angeklagten zum Führen von (erlaubnispflichtigen) Kraftfahrzeugen nicht begründet (vgl. VGH Bad.-Württ. VRS 118, 57 ff. (2010) sowie VRS 118, 311 ff. (2010); VG Oldenburg, Beschl. v. 01. Januar 2010 - Az. 7 B 3166/09 -, zitiert nach juris; OLG Stuttgart, Beschl. v. 06.04.2011 - Az. 2 Ss 129/11 -).

Die Darlegungen im bezeichneten Gutachten vom 25. November 2010 führen zu keinem anderen Ergebnis. Demzufolge kann zwar angenommen werden, dass die aufgrund gefälschter Dokumente ausgestellten Führerscheine in Ungarn nach dortigem Recht nicht kraft Gesetzes nichtig sind. Selbst wenn dies weiter dahingehend zu beurteilen wäre, dass ein auf der Grundlage eines gefälschten (Führerschein-) Dokuments im Wege des Umtauschs ausgestellter ungarischer Führerschein zum Führen von Kraftfahrzeugen in Ungarn berechtigt, führt dies jedoch zu keiner Anerkennungspflicht des betreffenden Führerscheins in anderen Mitgliedstaaten, weshalb bei Zugrundelegung der oben ausgeführten Maßstäbe auch in diesem Fall ein solchermaßen generierter Führerschein jedenfalls im Bundesgebiet keine Gültigkeit hat.

c. Vor dem Hintergrund der Feststellungen zu den Umständen der Führerscheinerteilung in Ungarn und den dargelegten Sachverhalten betreffend die (rechtskräftige) Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Dresden wegen Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen vom 08. April 2010 ist gegen die Darlegungen und Bewertungen der Berufungskammer betreffend die subjektive Tatseite aus revisionsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern.

3. Im Hinblick auf den Rechtsfolgen- / Maßregelausspruch gilt Folgendes:

a. Dass die Berufungskammer bei ihren Erwägungen zur Strafzumessung hinsichtlich des Urkundsdelikts vom Strafrahmen des § 276 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe) ausgegangen und im Hinblick auf die gemäß § 267 Abs. 1 StGB aufgrund der vorliegenden Urkundenfälschung gegebene Strafdrohung (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) mithin (unzutreffend) einen zu milden Maßstab angelegt hat, beschwert den Angeklagten nicht.

b. Die Anordnung des Fahrerlaubnisentzugs erfolgte zu Recht. Eine entsprechende Maßregel kommt auch hinsichtlich einer ausländischen Fahrerlaubnis ohne Gültigkeit im Bundesgebiet in Betracht (vgl. BGHSt 44, 194 ff.). Auch wenn der Umtausch eines (Drittstaaten-) Führerscheins in einen EU-Führerschein (regelmäßig) nicht als Erteilung einer - von anderen Mitgliedstaaten anzuerkennenden - Fahrerlaubnis bewertet werden kann (vgl. VG Regensburg, Beschl. v. 14.11.2011 - Az. RN 8 K 10.1855 -, m. w. N., zitiert nach juris) ist vorliegend im Hinblick auf die Erwägungen des Landgerichts zur Gültigkeit des (umgetauschten) Führerscheins in Ungarn Raum für eine entsprechende, präventiv-klarstellende Maßnahme des Gerichts (vgl. LK-Hilgendorf/Valerius, a. a. O., § 69b Rdnr. 18). Ist der ausländische Führerschein - wie vorliegend - von einer Behörde eines EU-Mitgliedstaates erteilt worden und hat der Inhaber seinen Wohnsitz im Inland, erfordern Anordnungen nach §§ 69 Abs. 1, 69 b Abs. 2 Satz 1 StGB keine Kenntlichmachung des Staates, der die Fahrerlaubnis bzw. den Führerschein erteilt hat (vgl. MK-Athing, StGB, § 69 b Rdnr. 21).

c. Gemäß § 69a Abs. 1 StGB beträgt das Mindestmaß der Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis sechs Monate. Eine Fristverkürzung kommt nur unter den Voraussetzungen des § 69a Abs. 4 und 6 StGB in Betracht, die vorliegend nicht erfüllt sind; eine analoge Anwendung der entsprechenden Regelung(en) scheidet aus (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 69a Rdnr. 14). Diese Grundsätze haben auch in der Berufungsinstanz Gültigkeit. Sonach war die vom Landgericht angeordnete (viermonatige) Sperrfrist zu berichtigen und - entsprechend § 354 Abs. 1 StPO - das gesetzliche Mindestmaß (sechs Monate) festzusetzen. Das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 StPO) bleibt hiervon unberührt (vgl. Fischer, a. a. O., § 69a Rdnr. 12 u. 23). Die Frage, ob die mit dieser Anordnung verbundene Sperrfristverlängerung einen Nachteilausgleich bedingt und wie dieser gegebenenfalls vorzunehmen ist, hat der Senat nicht zu entscheiden.