Das Verkehrslexikon

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OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 25.04.2012 - OVG 1 S 53.12 - Zur Entziehung der Fahrerlaubnis bei verspäteter Teilnahme an einem Aufbauseminar

OVG Berlin-Brandenburg v. 25.04.2012: Zur Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe wegen verspäteter Teilnahme an einem angeordneten Aufbauseminar


Das OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 25.04.2012 - OVG 1 S 53.12) hat entschieden:
Für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 2 a Abs. 3 StVG kommt es auf ein Verschulden des Betroffenen bei der Versäumung der für das Aufbauseminar gesetzten Frist nicht an. Die Vorschrift knüpft allein an die objektive Fristversäumung an. Mit Ablauf der Frist wird die Verpflichtung der Verkehrsbehörde zur Entziehung der Fahrerlaubnis begründet, wobei die spätere Teilnahme an dem Aufbauseminar diese Pflicht nicht nachträglich entfallen lässt.


Siehe auch Das Punktsystem - Fahreignungs-Bewertungssystem und Die Fahrerlaubnis im Verwaltungsrecht


Gründe:

Die Beschwerde, über die gemäß § 87 a Abs. 2, 3 VwGO die Berichterstatterin entscheidet, hat keinen Erfolg. Das für die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Beschwerdevorbringen des Antragstellers (vgl. § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO) rechtfertigt eine Änderung des angegriffenen Beschlusses nicht.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe. Hintergrund dieser Maßnahme war der Umstand, dass der Antragsteller der vollziehbaren Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar innerhalb der festgesetzten Frist nicht nachgekommen war. Diese Anordnung erfolgte, nachdem der Antragsteller innerhalb der Probezeit einen Verkehrsunfall verursacht hatte. Das Verwaltungsgericht hat seinen Antrag, die gesetzlich ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis anzuordnen, im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, dass die nunmehr vorgelegte Bescheinigung über die Teilnahme an einem Aufbauseminar im Zeitraum 23. Februar bis 11. März 2012 deutlich nach Ablauf der festgesetzten Frist erfolgt sei. Besondere Umstände, die eine Ausnahme von dem Grundsatz, wonach die Entziehung der Fahrerlaubnis regelmäßig rechtmäßig sei, wenn das Aufbauseminar nicht innerhalb der vorgegebenen Frist besucht werde, begründen könnten, seien weder vorgetragen noch sonst erkennbar.

Die von der Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung erhobenen Einwände greifen nicht durch. Soweit der Antragsteller geltend macht, das Verwaltungsgericht habe vor Ablauf der richterlich bestimmten Frist zur Erwiderung auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 9. März 2012 entschieden und seinen fristgerecht eingereichten Schriftsatz vom 28. März 2012 infolgedessen unberücksichtigt gelassen, rechtfertigt das keine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses. Die damit erhobene Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) greift im Ergebnis nicht durch.

Zwar folgt aus Art. 103 Abs. 1 GG, dass die Gerichte selbstgesetzte Äußerungsfristen beachten und mit der Entscheidung bis zum Ablauf der Äußerungsfrist warten müssen, auch wenn sie die Sache - etwa nach Eingang der Stellungnahme eines Beteiligten - für entscheidungsreif halten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. August 2003 - 1 BvR 1646/02 - juris Rn. 16 und 18, m. w. Nachw.). Eine Entscheidung beruht aber nur dann auf einem Gehörsverstoß, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung zu einer für den Beteiligten günstigeren Lösung geführt hätte (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Februar 2009 - 1 BvR 165/09 - juris Rn. 35, m. w. Nachw.). Das ist hier nicht der Fall. Denn auch die Beachtung des Schriftsatzes des Antragstellers vom 28. März 2012, den das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung vom 26. März 2012 nicht mehr berücksichtigen konnte und dessen Inhalt die Beschwerdebegründung im Wesentlichen wiederholt, führt nicht zu einer von dem erstinstanzlichen Beschluss abweichenden Entscheidung.

Soweit der Antragsteller meint, er habe mit der Teilnahme am Aufbauseminar zuwarten dürfen, weil er den rechtskräftigen Bußgeldbescheid mit einem Wiedereinsetzungsantrag angefochten habe und bei Gewährung der Wiedereinsetzung die Grundlage für die Anordnung zur Teilnahme an dem Aufbauseminar entfallen wäre, verkennt er die Rechtslage. An der am 13. September 2011 eingetretenen Rechtskraft des Bußgeldbescheids hat sich nichts dadurch geändert, dass der Antragsteller am 1. November 2011 beim Polizeipräsidenten in Berlin Einspruch eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hat. Durch Bescheid vom 16. November 2011 hat der Polizeipräsident in Berlin den Wiedereinsetzungsantrag und den Einspruch verworfen; das Amtsgericht Tiergarten hat mit Beschluss vom 19. Dezember 2011 den Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung gegen die Verwerfung des Einspruchs und des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ebenfalls verworfen. Durch eine verspätete Einlegung des Einspruchs und durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist wird die Rechtskraft des betreffenden Bußgeldbescheides nicht beseitigt; die infolge der Versäumnis der Einspruchsfrist eingetretene Rechtskraft des Bußgeldbescheides entfällt nur und erst dann, wenn dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben wird (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 18. September 2006 - 3 Bs 298/05 - juris Rn. 16 m. w. Nachw.). Das war hier aber nicht der Fall.

Abgesehen davon, dass der Antragsteller schon aus diesen Gründen nicht darauf vertrauen durfte, dass seinem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben würde, und mit der Teilnahme am Aufbauseminar deshalb auch nicht zuwarten durfte, kommt es für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 2 a Abs. 3 StVG auf ein Verschulden bei der Versäumung der für das Aufbauseminar gesetzten Frist nicht an. Die Vorschrift knüpft allein an die objektive Fristversäumung an. Mit Ablauf der Frist wird die Verpflichtung der Verkehrsbehörde zur Entziehung der Fahrerlaubnis begründet, wobei die spätere Teilnahme an dem Aufbauseminar diese Pflicht nicht nachträglich entfallen lässt (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 26. August 1992 - 2 TH 769/92, NZV 1993, 87; OVG Saarlouis, Beschluss vom 21. September 1989 - 1 W 144/89, NZV 1990, 87).

Unbeschadet dessen liegen hier auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller die Frist für die Teilnahme am Aufbauseminar unverschuldet versäumt hätte. Es ist schon nicht erkennbar, weshalb der Antragsteller nicht bereits Mitte November 2011, nachdem sein Wiedereinsetzungsantrag vom Polizeipräsidenten verworfen worden war, spätestens aber nach der Entscheidung des Amtsgerichts am 19. Dezember 2011 mit dem Aufbauseminar begonnen hat; auch danach hat er mit der Anmeldung zum Aufbauseminar noch bis zum 16. Januar 2012 zugewartet. Erst recht durfte er sich nicht darauf verlassen, dass sich der Seminarleiter, der sich in seiner eidesstattlichen Versicherung nicht einmal daran erinnern konnte, ob er bei der Fahrerlaubnisbehörde überhaupt jemanden erreicht hatte, „um die Angelegenheit kümmern“ würde.

Schließlich kann sich der bereits im Verwaltungsverfahren anwaltlich vertretene Antragsteller auch nicht darauf berufen, dass er von einer stillschweigenden Gewährung der Fristverlängerung durch die Behörde habe ausgehen können. Allein der Umstand, dass er eine stillschweigende Fristverlängerung bei der Behörde beantragt und diese daraufhin nicht ausdrücklich widersprochen hat, berechtigte den Antragsteller unter den gegebenen Umständen nicht zu der Annahme, die Fristverlängerung sei - ebenso stillschweigend - gewährt worden. Zwar kann im Verwaltungsverfahren eine behördliche Frist gemäß § 31 Abs. 7 VwVfG grundsätzlich verlängert werden (Satz 1); auch ist die Fristverlängerung rückwirkend möglich (Satz 2). Vorliegend hat der Antragsteller erst mit Schreiben vom 18. Januar 2012, also nach Ablauf der am 13. Januar 2012 endenden Frist für die Teilnahme an einem Aufbauseminar und nachdem ihn der Antragsgegner mit Schreiben vom 13. Januar 2012 bereits zu der beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis infolge der unterbliebenen Vorlage der Teilnahmebescheinigung angehört hatte, eine stillschweigende Fristverlängerung beantragt, die er allein mit der Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen die Anordnung begründete. Bei dieser Sachlage war das Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde weder auf eine positive Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag reduziert, noch konnte der Antragsteller mit einer - erst recht nicht stillschweigenden - Fristverlängerung durch die Fahrerlaubnisbehörde rechnen. Letzteres gilt insbesondere auch deshalb, weil der Antragsteller wissen musste, dass seiner Klage gegen die Anordnung des Aufbauseminars von Gesetzes wegen nach § 2 a Abs. 6 StVG keine aufschiebende Wirkung zukam, zumal er hierauf in der Rechtsbehelfsbelehrung der Anordnung vom 11. Oktober 2011 ausdrücklich - zusätzlich durch Unterstreichung hervorgehoben - hingewiesen worden war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).