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OLG Düsseldorf Urteil vom 27.03.2012 - I-1 U 139/11 - Fiktive Schadensabrechnung und freie Reparaturwerkstatt

OLG Düsseldorf v. 27.03.2012: Zu den Erfordernissen beim Nachweis einer preiswerteren Reparaturwerkstatt durch die gegnerische Versicherung


Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 27.03.2012 - I-1 U 139/11) hat entschieden:
Eine frei zugängliche preiswertere Reparaturmöglichkeit muss der Geschädigte wahrnehmen. Er muss dazu in die Lage versetzt werden, die problemlose Zugänglichkeit sowie insbesondere die Gleichwertigkeit der alternativ vorgeschlagenen Instandsetzung in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt zu überprüfen. Richtig ist deshalb die wertende Betrachtung, dass der pauschale Hinweis auf eine konkrete - kostengünstige - freie Reparaturwerkstatt zur Überprüfung der fachlichen Gleichwertigkeit durch den Geschädigten nicht ausreicht. Zu fordern ist deshalb zumindest, dass der Ersatzpflichtige dem Geschädigten konkrete, die Gleichwertigkeit betreffende Angaben zukommen lässt. Maßgeblich sind Kriterien, ob es sich etwa um eine Meisterwerkstatt handelt, ob diese zertifiziert ist, ob dort Originalersatzteile Verwendung finden, über welche Erfahrung man bei der Reparatur von Unfallfahrzeugen verfügt und dergleichen.


Siehe auch Stundenlohnsätze - Stundenverrechnungssätze einer Fachwerkstatt und Einzelne Schadenspositionen in der Unfallregulierung


Aus den Entscheidungsgründen:

"... a) Reparaturkosten 52 Zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung hat das Landgericht dem Kläger noch einen Differenzbetrag in Höhe von 318,02 € auf die Reparaturkosten zugesprochen, weil diese insgesamt nur in Höhe von 5.030,10 € netto ersatzfähig sind. Entgegen der Ansicht des Klägers kann er seiner fiktiven Abrechnung auf Gutachtenbasis nicht die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen. Vielmehr sind die Stundenverrechnungssätze der von der Beklagten benannten Fa. C. M. GmbH anzusetzen. 53 Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, kann der Geschädigte vom Schädiger gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag beanspruchen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Fahrzeugeigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte. Der Geschädigte leistet im Reparaturfall dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit im allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Wählt der Geschädigte den vorbeschriebenen Weg der Schadensberechnung und genügt er damit bereits dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, so begründen besondere Umstände, wie das Alter des Fahrzeuges oder seine Laufleistung keine weitere Darlegungslast des Geschädigten (BGH, Urteil vom 23.02.2010, Az.: VI ZR 91/09; zit. nach juris). Der Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten ist unabhängig davon gegeben, ob der Geschädigte den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt (st. Rspr. des BGH, vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2003, Az.: VI ZR 398/02, m.w.N., zit. nach juris). Bei dem Bemühen um eine wirtschaftlich vernünftige Objektivierung des Restitutionsbedarfs im Rahmen von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB darf nicht das Grundanliegen dieser Vorschrift aus den Augen verloren werden, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll. Deshalb ist bei der Prüfung, ob sich der Aufwand zur Schadensbeseitigung in vernünftigen Grenzen hält, eine subjektbezogene Schadensbetrachtung anzustellen, d.h. Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (BGH, a.a.O.) 54 Will der Schädiger bzw. der Haftpflichtversicherer des Schädigers den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen "freien Fachwerkstatt" verweisen, muss der Schädiger darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht (BGH, Urteil vom 29.04.2003, Az.: VI ZR 398/02; Urteil vom 20.10.2009, Az.: VI ZR 53/09; Urteil vom 23.02.2010, Az.: VI ZR 91/09; Urteil vom 22.06.2010, Az.: VI ZR 302/08; Urteil vom 22.06.2010, Az.: VI ZR 337/09; Urteil vom 13.07.2010, Az.: VI ZR 259/09; jew. zit. nach juris). Dies ist hier der Fall. 55 Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ist das Landgericht Düsseldorf zu Recht davon ausgegangen, dass eine solche fachliche Gleichwertigkeit einer Reparatur des Klägerfahrzeugs bei der Fa. C. GmbH mit einer Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt gegeben ist, § 287 ZPO. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die zutreffende Beweiswürdigung des Landgerichts Bezug genommen. Der Sachverständige Dipl.-Ing. V. hat im Rahmen seines mündlich erstatteten Gutachtens bestätigt, dass die Fa. C. M. GmbH als Karosserie- und Lackierfachbetrieb sowohl personell als auch ausrüstungsmäßig zweifelsfrei in der Lage sei, die im konkreten Fall am Klägerfahrzeug erforderlichen Reparaturen sach- und fachgerecht in einer Qualität durchzuführen, wie sie nicht besser auch von einer markengebundenen Vertragswerkstatt durchgeführt werden könnten. Dabei hat der Sachverständige die personelle und sachliche Ausstattung des Referenzbetriebs im Einzelnen beschrieben und nach seiner sachverständigen Einschätzung für ausreichend gehalten. Seine Ausführungen sind nachvollziehbar und einleuchtend. Die mit der Berufung gegen das Gutachten vorgebrachten Einwendungen verfangen nicht. Insbesondere kann sich der Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, die Mitarbeiter der Referenzwerkstatt verfügten nicht über hinreichend Erfahrung speziell mit der Automarke BMW. Denn weder aus den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. V. noch aus den eigenen Darlegungen des Klägers folgt, dass es für die Behebung der am Fahrzeug des Klägers entstandenen Schäden besonderer Erfahrungen mit dieser Automarke bedurft hätte. Aus diesem Grunde war der Sachverständige auch nicht gehalten, Erhebungen über Ausstattung, Ausbildung und verwendete Materialien speziell in einer örtlichen BMW-Markenwerkstatt als Vergleichsgegenstand anzustellen. Es reicht vielmehr aus, dass der Sachverständige festgestellt hat, die Referenzwerkstatt sei in der Lage, die konkret erforderliche Reparatur sach- und fachgerecht durchzuführen, und eine markengebundene Vertragswerkstatt könne nichts anderes leisten, insbesondere keine Reparatur von höherer Qualität vornehmen. 56 Dieser günstigere Instandsetzungsweg war dem Kläger auch ohne weiteres mühelos als gleichwertige Reparaturmöglichkeit zugänglich (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2003, Az.: VI ZR 398/02; zit. nach juris). Der Geschädigte muss dazu in die Lage versetzt werden, die problemlose Zugänglichkeit sowie insbesondere die Gleichwertigkeit der alternativ vorgeschlagenen Instandsetzung in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt zu überprüfen. Zu der Entfaltung einer erheblichen eigenen Überprüfungsinitiative im Hinblick auf die Realisierung einer Reparatur zu den seitens des Schädigers und seiner Haftpflichtversicherung vorgeschlagenen Preisen ist der Geschädigte indes nicht verpflichtet (BGH, a.a.O.; Senat, Urteil vom 16.06.2008, Az.: I-1 U 246/07, 1 U 246/07; zit. nach juris). 57 Richtig ist deshalb die wertende Betrachtung, dass der pauschale Hinweis auf eine konkrete - kostengünstige - freie Reparaturwerkstatt zur Überprüfung der fachlichen Gleichwertigkeit durch den Geschädigten nicht ausreicht. Zu fordern ist deshalb zumindest, dass der Ersatzpflichtige dem Geschädigten konkrete, die Gleichwertigkeit betreffende Angaben zukommen lässt. Maßgeblich sind Kriterien, ob es sich etwa um eine Meisterwerkstatt handelt, ob diese zertifiziert ist, ob dort Originalersatzteile Verwendung finden, über welche Erfahrung man bei der Reparatur von Unfallfahrzeugen verfügt und dergleichen. Eine Eigeninitiative (z.B. in Form einer Internetrecherche) muss der Geschädigte dabei nicht entwickeln. Das pauschale Bestreiten der Gleichwertigkeit - ggf. mit dem Hinweis auf eine allgemein größere Kompetenz einer markengebundenen Fachwerkstatt - dürfte allerdings unerheblich sein. Da die Realisierung der Reparatur für den Geschädigten nicht mit unzumutbaren Unannehmlichkeiten verbunden sein darf, spielt u.a. auch die Entfernung der benannten Verweiswerkstatt zum Wohnort - gegebenenfalls bei einer vergleichenden Betrachtung mit einer markengebundenen Fachwerkstatt - eine Rolle (Senat, Urteil vom 16.06.2008, Az.: I-1 U 246/07, 1 U 246/07, m.w.N.; zit. nach juris). ..."