Das Verkehrslexikon

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OVG Bautzen Beschluss vom 25.09.2012 - 3 B 215/12 - Fahrtenbuchauflage und Zeugnisverweigerungsrecht

OVG Bautzen v. 25.09.2012: Fahrtenbuchauflage und Zeugnisverweigerungsrecht


Das OVG Bautzen (Beschluss vom 25.09.2012 - 3 B 215/12) hat entschieden:
  1. Die Berufung auf ein Aussageverweigerungsrecht steht der Fahrtenbuchauflage nicht entgegen.

  2. Die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, setzt als Maßnahme der vorbeugenden Gefahrenabwehr nicht die Besorgnis voraus, dass der unbekannte Fahrzeugführer (erneut) oder der Fahrzeughalter selbst als Fahrer des Kraftfahrzeugs in Zukunft Verkehrszuwiderhandlungen begehen könnte. Sie soll sicherstellen, dass bei künftigen Verkehrsverstößen mit dem Fahrzeug die Feststellung des Fahrzeugführers anders als im Anlassfall ohne Schwierigkeiten möglich ist.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Sätze 2 und 6 VwGO beschränkt ist, ergeben nicht, dass das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragsstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zu Unrecht abgelehnt hat.

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung des angefochtenen Beschlusses, mit dem es die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 VwGO gegen die im angefochtenen Bescheid des Antragsgegners vom 27. Februar 2012 angeordnete Fahrtenbuchauflage abgelehnt hat, ausgeführt, die Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 StVZO lägen vor. Die Feststellung des Fahrzeugführers sei nicht möglich gewesen. Die von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO geforderte Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers liege vor, wenn die Polizei nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage sei, den Täter zu ermitteln, obwohl sie angemessene und zumutbare Maßnahmen ergriffen habe. Der Umfang der gebotenen Ermittlungstätigkeit richte sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßen Ermessen diejenigen Maßnahmen getroffen habe, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht würden und erfahrungsgemäß Erfolg haben könnten. Dabei könne die Behörde ihre Ermittlungstätigkeit an den Erklärungen des Fahrzeughalters ausrichten und regelmäßig auf zeitraubende, kaum erfolgversprechende weitere Aufklärungsmaßnahmen verzichten, wenn der Fahrzeughalter selbst erkennbar nicht gewillt sei, an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes mitzuwirken. Dies gelte unabhängig von den Gründen, aus denen der Fahrzeughalter nicht zur Mitwirkung bereit sei, und unbeschadet dessen, dass er zu einer Mitwirkung auch nicht verpflichtet sei, etwa weil ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe. So liege hier der Fall. Die vom zuständigen Ordnungsamt auf den engeren Familienkreis der Antragstellerin, und zwar den Ehemann der Antragstellerin, gerichteten Ermittlungen seien ausreichend gewesen. Die Polizei sei nicht verpflichtet gewesen, den Vater der Antragstellerin als mögliche weitere in Betracht kommende Person herauszufinden und gegen ihn zu ermitteln. Vom Zeugnisverweigerungsrecht des § 52 StPO erfasst seien Personen, die in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert seien oder gewesen seien. Daher habe für das Ordnungsamt kein Anlass bestanden, nunmehr den „Familienstammbaum“ der Antragstellerin zu ergründen. Laut Ermittlungsbericht habe eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt kein neues Ergebnis gezeigt. Dies spreche dafür, dass der Vater der Antragstellerin entweder nicht unter derselben Anschrift wohnhaft oder wegen unterschiedlicher Nachnamen nicht erkennbar gewesen sei. Dies könne auch erklären, dass die befragten Nachbarn den Vater der Antragstellerin auf dem Tatfoto hätten nicht erkennen können.

Hiergegen trägt die Antragstellerin zur Begründung ihrer Beschwerde vor, sie habe, indem sie sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen habe, den Kreis der möglichen Fahrzeugführer im Rahmen der §§ 52, 55 StPO hinreichend eingegrenzt. Um nicht in einen Loyalitätskonflikt zu kommen und ihren Vater zu belasten, habe sie von ihrem Zeugnis- und Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Es sei schwer nachvollziehbar, dass sie sich nach der Rechtsordnung einerseits auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen könne, andererseits bei der Geltendmachung dieses Rechts jedoch mit der Auferlegung eines Fahrtenbuchs bestraft werde. Es sei jedenfalls nicht ausreichend gewesen, die Ermittlungen lediglich auf ihren Ehemann zu reduzieren. Nachdem die Ermittlungsbehörden durch den Abgleich von Pass- und Tatfoto erkannt hätten, dass ihr Ehemann nicht der Fahrer habe sein können, sei es für die Ordnungsbehörde zwingend erforderlich gewesen, zumindest im engeren Familienkreis weiter zu ermitteln. Hierzu gehörten lediglich noch ihre Kinder sowie ihr Vater. Hätte das Ordnungsamt der Stadt ... tatsächlich den engeren bzw. den engsten Familienkreis überprüft, wäre der Vater der Antragstellerin rechtzeitig als verantwortlicher Fahrzeugführer festgestellt worden. Auf dem in der Bußgeldakte befindlichen Foto sei eindeutig ersichtlich, dass es sich bei dem Fahrzeugführer um eine ältere männliche Person gehandelt habe. Aus dem Fallprotokoll - Rotlicht - ergäbe sich des Weiteren, dass diese Person zusammen mit einer älteren Frau im Fahrzeug gesessen habe. Außerdem sei dem Ordnungsamt der Stadt ... zudem bekannt gewesen, dass der Vorfall in ... stattgefunden habe und die Antragstellerin in ... geboren worden sei. Im Übrigen sei ihr Vater am ... 2012 verstorben. Damit bestehe auch keinerlei Gefahr mehr für die Allgemeinheit, dass ein undisziplinierter Fahrzeugführer möglicherweise Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer gefährde.

Das Vorbringen der Antragstellerin rechtfertigt keine Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 17. Dezember 1982, Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 12) zunächst davon ausgegangen, dass die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts der Anwendbarkeit des § 31a StVZO nicht entgegensteht. Der Halter eines Kraftfahrzeugs, mit dem ein Verkehrsverstoß begangen wurde, ist rechtlich nicht gehindert, von einem etwaigen Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht in Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren Gebrauch zu machen; er muss dann aber gemäß § 31a StVZO die Auflage in Kauf nehmen, ein Fahrtenbuch zu führen, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind (st. Rspr., SächsOVG, Beschl. v. 5. Juli 2011 - 3 B 320/11 - Rn. 5, m. w. N., nicht veröffentlicht).

Anders als die Antragstellerin vorträgt war die Ermittlung ihres Vater als Fahrzeugführer auch nicht möglich i. S. v. § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Insbesondere war der Antragsgegner nicht verpflichtet, im Kreis der vom Zeugnisverweigerungsrecht der Klägerin nach § 52 StPO erfassten Personen weitere Ermittlungen anzustellen. Nachdem der Antragsgegner erfolglos Ermittlungen gegenüber dem Ehemann der Antragstellerin angestellt hatte und ebenso Recherchen beim Einwohnermeldeamt am Wohnort der Antragstellerin sowie Befragungen unter Vorlage des Tatfotos bei ihren Nachbarn keine Aufklärung erbracht hatten, durfte er davon ausgehen, dass die Ermittlung des Fahrzeugführers unmöglich ist. Damit hat der Antragsgegner alle nach Sachlage angemessenen und ihm zumutbaren Nachforschungen angestellt (BVerwG, Beschl. v. 9. Dezember 2012 - 11 B 113/93 -, juris). Auch wenn die Tat im Geburtsort der Antragstellerin begangen wurde und es sich nach dem Tatfoto sowohl beim Fahrzeugführer als auch bei der Beisitzerin um ältere Menschen handeln musste, bestand für die Verkehrsbehörde kein Anlass, weitere Ermittlungen einzuleiten. Denn wahllos zeitraubende Ermittlungen muss die Verkehrsbehörde nicht anstellen (Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 31a Rn. 5). Dass es sich bei den Personen auf dem Tatfoto um die Eltern der Antragstellerin handeln könnte, musste sich der Verkehrsbehörde allein wegen des Alters der auf dem Foto erkennbaren Personen sowie der Tatsache, dass die Tat im Geburtsort der Antragstellerin begangen wurde, keinesfalls aufdrängen. Es hätte sich genauso gut um andere Personen handeln können. Im Übrigen musste die Verkehrbehörde auch nicht davon ausgehen, dass die Eltern der Antragstellerin noch in ... lebten und dort unter dem Nachnamen der Antragstellerin zu ermitteln sein würden.

Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin schließlich darauf, ihr Vater sei inzwischen verstorben, weswegen sich die Gefahr einer erneuten Verkehrszuwiderhandlung mit ihrem Fahrzeug nicht mehr verwirklichen könne. Die Fahrtenbuchauflage soll sicherstellen, dass bei künftigen Verkehrsverstößen mit dem Fahrzeug die Feststellung des Fahrzeugführers anders als im Anlassfall ohne Schwierigkeiten möglich ist, und richtet sich daher an den Fahrzeughalter, weil dieser die Verfügungsbefugnis und die Möglichkeit der Kontrolle über sein Kraftfahrzeug besitzt (Dauer a. a. O. § 31a Rn. 2). Die Fahrtenbuchauflage soll mithin auf die den Fahrzeughalter mögliche und zumutbare Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers hinwirken, mit dem ein Verkehrsverstoß begangen wurde und den Fahrzeughalter zur Erfüllung seiner Aufsichtspflichten anhalten, wenn er geltend macht, den Fahrzeugführer nicht zu kennen (BVerwG, Beschl. v. 22. Juni 1995, Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 22), oder er nicht bereit ist, diesen zu benennen. Die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, setzt als Maßnahme der vorbeugenden Gefahrenabwehr aber nicht die Besorgnis voraus, dass der unbekannte Fahrzeugführer (erneut) oder der Fahrzeughalter selbst als Fahrer des Kraftfahrzeugs in Zukunft Verkehrszuwiderhandlungen begehen könnten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und folgt der Festsetzung der Vorinstanz.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).