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BGH Beschluss vom 10.02.2011 - VII ZR 155/09 - Zur Zulassung des Zeugenbeweises trotz verspäteter Zahlung des Auslagenvorschusses

BGH v. 10.02.2011: Zur Zulassung des Zeugenbeweises trotz verspäteter Zahlung des Auslagenvorschusses


Der BGH (Beschluss vom 10.02.2011 - VII ZR 155/09) hat entschieden:

   Eine Verzögerung des Verfahrens durch die nicht fristgerechte Einzahlung eines Vorschusses im Sinne des § 379 Satz 2 ZPO kann in Anwendung der vom Bundesgerichtshof für die Präklusion von verspätetem Parteivorbringen entwickelten Grundsätze nicht angenommen werden, wenn die verspätete Zahlung nicht kausal für eine Verzögerung ist. Das ist der Fall, wenn das Verfahren bei Durchführung der Beweisaufnahme nicht länger dauern würde, als es bei rechtzeitiger Einzahlung des Vorschusses gedauert hätte.


Siehe auch

Vorschusszahlungen für Zeugen oder Sachverständige

und

Zeugen - Zeugenbeweis


Gründe:


I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Werklohn in Anspruch.

Die Parteien streiten unter anderem über den Umfang der von der Klägerin erbrachten Leistungen. Hierzu hat das Landgericht eine Beweisaufnahme durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens angeordnet und die Beauftragung des Sachverständigen von der Einzahlung eines Auslagenvorschusses durch die beweisbelastete Klägerin abhängig gemacht. Die Klägerin hat den Vorschuss gezahlt. Nach Durchführung eines Ortstermins hat der Sachverständige die Kosten für die Begutachtung auf einen deutlich über dem gezahlten Vorschuss liegenden Betrag beziffert und dies dem Gericht mitgeteilt. Das Landgericht hat daraufhin die nicht gedeckte Differenz nachgefordert und der Klägerin für die Einzahlung des weiteren Vorschusses zuletzt mit Verfügung vom 4. Juli 2008 eine Frist bis zum 18. Juli 2008 gesetzt. Nachdem der Vorschuss bis dahin nicht eingezahlt war, hat das Landgericht am 28. Juli 2008 Verhandlungstermin auf den 23. September 2008 bestimmt, zu dem es auch den Sachverständigen geladen hat. Der weitere Vorschuss ging am 7. August 2008 bei Gericht ein. Im Termin am 23. September 2008 vernahm das Landgericht Zeugen und hörte den Sachverständigen mündlich an. Das führte dazu, dass die Beklagte zur Zahlung von 1.512,38 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen mit der Begründung abgewiesen wurde, dass die Klägerin hinsichtlich der für die Restforderung maßgeblichen tatsächlichen Umstände beweisfällig geblieben sei. Die Einholung des erforderlichen schriftlichen Sachverständigengutachtens zum Umfang der klägerseits erbrachten Leistungen scheitere daran, dass die Klägerin den weiteren Vorschuss nicht fristgerecht eingezahlt habe. Die Entscheidung sei gemäß §§ 379 Satz 2, 402 ZPO ohne die Einholung des Gutachtens zu treffen gewesen, weil das Verfahren im Hinblick auf die verspätete Einzahlung des weiteren Kostenvorschusses andernfalls verzögert worden wäre.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie ihr Klageanliegen weiterverfolgt.





II.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG. Es ist deshalb aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 544 Abs. 7 ZPO.

1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Landgericht habe die Fortsetzung der Begutachtung von der Einzahlung eines weiteren Vorschusses abhängig machen dürfen. Nicht zu beanstanden sei, dass das Landgericht am 28. Juli 2008 den Verhandlungstermin bestimmt und mitgeteilt habe, die Beweisaufnahme werde abgebrochen. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sei der Rechtsstreit zur Entscheidung reif gewesen. Aus dieser Situation sei die Frage der Verzögerung durch den erneuten Einstieg in die Beweisaufnahme zu beantworten. Diese läge nach dem absoluten Verzögerungsbegriff vor, weil der Verhandlungstermin nach Einzahlung des Vorschusses auf einen späteren Termin hätte verlegt werden müssen, der dem Sachverständigen das Erstellen des Gutachtens und die Möglichkeit des rechtlichen Gehörs zu seinen Feststellungen gegeben hätte. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 75, 302) sei eine Präklusion nur zulässig, wenn sich ohne weitere Erwägung aufdränge, dass das Verfahren früher beendet werde, als dies bei einem ungestörten Verlauf zu erwarten wäre. Das sei hier der Fall. Einer Beweisaufnahme in der zweiten Instanz bedürfe es nicht. Es könne dahinstehen, ob das in der ersten Instanz aus den genannten Gründen nicht erhobene Beweismittel als neu im Sinne des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO anzusehen ist. Die Klägerin sei mit ihrem Beweisangebot im Berufungsverfahren nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen. Der Umstand, dass der Vorschuss nicht rechtzeitig eingezahlt worden sei, beruhe auf grober Nachlässigkeit.

2. Damit lässt das Berufungsgericht unter Verstoß gegen den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs ein entscheidungserhebliches Beweisanerbieten unberücksichtigt. Die Weigerung des Berufungsgerichts, das beantragte Sachverständigengutachten im Berufungsverfahren einzuholen, führt zu einer Rechtsanwendung, die der Klägerin das Recht verweigert, mit ihrem Beweisantrag Gehör zu finden. Das Berufungsgericht hätte entweder gemäß § 538 Abs. 1 ZPO selbst neue Feststellungen durch Einholung eines Sachverständigengutachtens treffen oder gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO die Entscheidung des Landgerichts aufheben und die Sache zu eben diesem Zweck zurückverweisen müssen.

a) Das Berufungsgericht verkennt grundlegend die Voraussetzungen für eine Verfahrensverzögerung im Sinne des § 379 Satz 2 ZPO. Insoweit sind die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Präklusion von Parteivortrag oder Beweisanträgen anwendbar (OLG Frankfurt, NJW-RR 2009, 792; Brandenburgisches OLG, Urteil vom 28. Mai 2009 - 12 U 200/08, bei beck-online). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor, wenn ein verspätetes Vorbringen vom Gericht präkludiert wird, obwohl ohne jeden Aufwand erkennbar ist, dass die Verspätung allein nicht kausal für eine Verzögerung des Rechtsstreits ist. In diesen Fällen ist die Präklusion rechtsmissbräuchlich, denn sie dient erkennbar nicht dem mit ihr verfolgten Zweck. Da aber allein dieser Zweck, die Abwehr pflichtwidriger Verfahrensverzögerungen, die Einschränkung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs verfassungsrechtlich rechtfertigt, liegt in einem solchen Rechtsmissbrauch zugleich ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG (BVerfGE 75, 302).



Das Berufungsgericht missversteht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wenn es meint, die Präklusion sei "also nur zulässig, wenn sich ohne weitere Erwägung aufdrängt, dass das Verfahren früher beendet wird, als dies bei einem ungestörten Verlauf zu erwarten wäre". Damit verkehrt das Berufungsgericht die Rechtsprechung in ihr Gegenteil. Diese Beurteilung, auf deren Grundlage das Berufungsgericht letztlich unter fehlerhafter Anwendung des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO den Beweisantrag endgültig zurückweist, findet im Prozessrecht keine Stütze, so dass ein Verstoß gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör vorliegt (BVerfGE 69, 141, 143 f.; BVerfG, Beschluss vom 22. November 2004 - 1 BvR 1935/03, Rn. 11).

b) Der Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass nach den dargestellten Grundsätzen die verspätete Einzahlung des Vorschusses nicht kausal für die Verzögerung des Verfahrens gewesen ist. Die Nichtzulassungsbeschwerde weist zutreffend darauf hin, dass nach den vom Landgericht wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen mehrere Ortstermine notwendig gewesen wären, um den Gutachterauftrag zu erfüllen und den Parteien sodann noch ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben gewesen wäre.

c) Das Berufungsgericht wird die erforderliche Prüfung nachzuholen haben. Für die weitere Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass keine Bedenken gegen die Auffassung des Berufungsgerichts bestehen, ein Vorschuss könne vom Gericht nachgefordert werden, wenn sich vor Abschluss der Begutachtung herausstellt, dass der bis dahin eingezahlte Vorschuss nicht ausreicht. Das entspricht der einhelligen Auffassung in Literatur und Rechtsprechung. Auf die insoweit überzeugenden Ausführungen des Berufungsgerichts wird Bezug genommen. Die vom Berufungsgericht erwähnte und von der Nichtzulassungsbeschwerde herangezogene Entscheidung des OLG Frankfurt (OLGZ 1968, S. 436, 438) betrifft eine erstmalige Anforderung des Vorschusses während der Beweisaufnahme und ist mittlerweile überholt.

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