Das Verkehrslexikon
Bundesverwaltungsgericht Beschluss vom 03.04.1996 - 11 C 3/96 - Zur zeitweisen Sperrung einer Landesstraße
BVerwG v. 03.04.1996: Zur zeitweisen Sperrung einer Landesstraße
Das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 03.04.1996 - 11 C 3/96) hat entschieden:
Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Der Erlass einer verkehrsregelnden Anordnung nach § 45 Abs. 1 StVO setzt jedoch eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs voraus. Dafür bedarf es nicht des Nachweises, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist; es genügt, dass irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle eintreten können.
Siehe auch Straßenverkehrsrechtliche Anordnungen und Streckenverbote
Gründe:
1. Die von den Klägern ohne Zulassung eingelegte Revision ist gemäß § 132 Abs. 1, § 143 VwGO unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 144 Abs. 1 VwGO).
2. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Berufungsgerichts ist unbegründet. Die dafür allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt der Rechtssache nicht zu. Diese Voraussetzung liegt vor, wenn für die Entscheidung des Berufungsgerichts eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich noch nicht geklärte Frage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich wäre und deren Klärung im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung geboten erscheint (vgl. BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Daran fehlt es hier.
Die von der Beschwerde für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig erachtete Frage, ob § 45 Abs. 1 StVO der Straßenverkehrsbehörde die zeitweise Sperrung einer Landesstraße gestattet, auf der es "wegen missbräuchlicher Benutzung durch Kraftfahrer zu Unfällen kommt", rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, denn in ihrem einzelfallübergreifenden Teil ist die Rechtsfrage bereits geklärt. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Ob diese Gründe vorliegen und die straßenverkehrsbehördliche Maßnahme erforderlich ist, unterliegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung; bei Erfüllung dieser Voraussetzungen verbleibt der Behörde für ihre Entscheidung, ob und wie sie eingreifen will, nach § 45 Abs. 1 StVO ein Ermessensspielraum, der nur beschränkt überprüfbar ist. Ferner ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass der Erlass einer verkehrsregelnden Anordnung nach § 45 Abs. 1 StVO eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs voraussetzt. Dafür bedarf es nicht des Nachweises, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist; es genügt, dass irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle eintreten können. Dies beurteilt sich danach, ob die konkrete Situation an einer bestimmten Stelle oder Strecke einer Straße die Befürchtung nahelegt, dass - möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände - die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt. Die Annahme einer die Anordnung nach § 45 Abs. 1 StVO rechtfertigenden konkreten Gefahr ist dabei nicht ausgeschlossen, auch wenn zu bestimmten Zeiten der Eintritt eines Schadens unwahrscheinlich sein mag (vgl. zu alledem etwa BVerwGE 59, 221 <225>; 92, 34 <35 f.>; Beschlüsse vom 23. März 1990 - BVerwG 3 B 25.90 - und vom 12. September 1995 - BVerwG 11 B 23.95 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 54 = NJW 1996, 333, jeweils m.w.N.). Ob die Gefahren für die Sicherheit und Ordnung durch "missbräuchliche Benutzung" der Straße bzw. Straßenstrecke oder aus sonstigen Gründen bestehen, ist für die Berechtigung der Anordnung unerheblich, sofern überhaupt - wie hier - straßenverkehrsbezogene Gründe für den Erlass einer verkehrsbeschränkenden Anordnung vorhanden sind (vgl. Urteil vom 25. April 1980 - BVerwG 7 C 19.78 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 8).
Auch die weitere Frage, ob die zeitweise Sperrung einer Straße für Krafträder einen "Eingriff in die straßenrechtliche Widmung" darstellt und die Mitwirkung des Trägers der Straßenbaulast erfordert, führt nicht zur Zulassung der Revision, denn sie ist ohne weiteres zu verneinen: Das Straßenverkehrsrecht berechtigt zwar nicht zu verkehrsregelnden Maßnahmen, die über den Umfang der wegerechtlichen Widmung der Straße hinaus andere Benutzungsarten zulassen, also über den Inhalt und Umfang des Widmungszwecks hinausgehen; es lässt aber Maßnahmen zu, die den widmungsrechtlich zugelassenen Verkehr einschränken (vgl. BVerwGE 62, 376; 94, 136 <138>). Die Sperrung einer Straße nur für einen Teil des im übrigen weiterhin zugelassenen Kraftfahrzeugverkehrs ist kein Eingriff in die straßenrechtliche Widmung, wenn die Straße - wie im vorliegenden Fall - weiterhin Verkehrszwecken dient (vgl. Urteil vom 25. April 1980, a.a.O., S. 25; Beschluss vom 23. März 1990, a.a.O., BA, S. 4).
Die von der Beschwerde ferner aufgeworfene Frage, ob eine zeitweise Sperrung einer Straße für Krafträder zulässig ist, wenn von anderen verkehrsbeschränkenden Maßnahmen "kein Gebrauch gemacht wurde, obgleich derartige Maßnahmen zur Gefahrbekämpfung ebenfalls geeignet sind", hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich schon deshalb einer rechtsgrundsätzlichen Klärung. Im übrigen lassen sich dem Berufungsurteil auch keine tatsächlichen Feststellungen dazu entnehmen, dass und welche anderen Maßnahmen hier zur Gefahrenabwehr geeignet und ausreichend gewesen wären. Die Frage, ob und welche Überwachungsmaßnahmen der Polizei mit welchem personellen Aufwand vor einer zeitweisen Straßensperrung für Motorräder erforderlich sind, hängt gleichfalls von den Umständen des Einzelfalles ab und kann revisionsgerichtlich nicht rechtsgrundsätzlich beantwortet werden. Dasselbe gilt für die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob in Fällen der vorliegenden Art eine Straßensperrung als ein geeignetes Mittel anzusehen ist.
Auch die Frage, ob die Straßenverkehrsbehörde von ihrem Ermessen bei der Anordnung der Verkehrsbeschränkung rechtmäßig Gebrauch gemacht hat, berechtigt nicht zur Zulassung der Revision. Die dazu gemachten Ausführungen der Beschwerde lassen außer Betracht, dass ein Verkehrsteilnehmer im Rahmen der beschränkten verwaltungsgerichtlichen Überprüfbarkeit von Ermessensentscheidungen nach § 45 Abs. 1 StVO nur verlangen kann, dass seine eigenen Interessen ohne Rechtsfehler abgewogen werden mit den Interessen der Allgemeinheit und anderer Betroffener, die für die Einführung der Verkehrsbeschränkung sprechen. Abwägungserheblich sind dabei nur qualifizierte Interessen der Kläger, nämlich solche, die über das Interesse jedes Verkehrsteilnehmers hinausgehen, in seiner Freiheit möglichst wenig beschränkt zu werden (vgl. Urteil vom 3. Juni 1982 - BVerwG 7 C 9.80 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 12; BVerwGE 92, 32 <35, 40>). Dass hier derartige vorrangige Interessen der Kläger vorhanden sind, ist nicht ersichtlich. Ihr von der Beschwerde geltend gemachtes Recht auf Mobilität und Freizeitgestaltung reicht dafür jedenfalls nicht aus.