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OLG Celle Urteil vom 08.02.1994 - 1 Ss 260/93 - Zur Unzulässigkeit des "Abschleppens" wegen zu großer Entfernung

OLG Celle v. 08.02.1994: Zur Unzulässigkeit des "Abschleppens" wegen zu großer Entfernung


Das OLG Celle (Urteil vom 08.02.1994 - 1 Ss 260/93) hat entschieden:
Abschleppen im Sinne von StVZO § 18 liegt wegen zu großer Entfernung nicht vor, wenn ein bereits in betriebsunfähigem Zustand gekaufter Pkw über eine Entfernung von 45 km gezogen wird.


Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Fahren ohne den erforderlichen Versicherungsschutz zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 40 DM verurteilt.

Dagegen richtet sich die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte in S.-L. einen betriebsunfähigen Pkw der Marke Nissan erworben. Dieses Fahrzeug wollte er selbst in E. reparieren. Zu diesem Zweck wollte er es am Nachmittag des 13. Februar 1993 von S. nach E. - Fahrtstrecke etwa 45 Kilometer bringen. Am Nachmittag des genannten Tages hängte er den nicht zugelassenen und haftpflichtversicherten Wagen hinter seinen Pkw. Auf der Fahrt wurde er von dem Polizeibeamten überprüft. Dieser stellte fest, dass der Angeklagte weder im Besitz einer Schleppgenehmigung noch einer Fahrerlaubnis der Klasse II war. Der Angeklagte glaubte, beides nicht zu benötigen, weil er meinte, den gekauften Nissan "abzuschleppen". Er hatte in der Vergangenheit etwa fünf bis zehn mal pro Jahr Firmenwagen für einen auf den Namen seiner Ehefrau angemeldeten Gewerbebetrieb veräußert. In diesem Zusammenhang war er noch im Besitz der roten Dauerkennzeichen. die er jedoch ebenfalls am 13. Februar 1993 nicht mitführte.

Das Amtsgericht hat das Verhalten des Angeklagten als vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Fahren ohne erforderlichen Versicherungsschutz gewertet. Das Gericht hat das Ziehen des in S. gekauften Pkws nicht für ein Abschleppen i.S. von § 18 StVZO, sondern für ein Schleppen i.S. von § 33 StVZO gehalten. Der Angeklagte als Führer des ziehenden Fahrzeugs habe - so ist ausgeführt worden - deshalb eine Fahrerlaubnis der Klasse II benötigt. Außerdem sei das abgeschleppte Fahrzeug ohne Schleppgenehmigung zulassungs- und versicherungspflichtig. Abschleppen i.S. von § 18 StVZO scheide deshalb aus, weil der Angeklagte den Pkw Nissan bereits in betriebsunfähigem Zustand erworben habe und er es von seinem bisherigen regelmäßigen Standort wegbringen wollte. Den Irrtum des Angeklagten, dass der Transport des gekauften Pkws noch unter den Begriff "Abschleppen" falle, hat das Amtsgericht als vermeidbaren Verbotsirrtum gewertet.

Der Angeklagte stützt die Revision darauf, dass das Amtsgericht zu Unrecht Abschleppen i.S. von § 18 StVZO abgelehnt habe. Im übrigen habe er zunächst versucht, den gekauften Pkw provisorisch instandzusetzen und für die Überführung nach Ehlerhausen fahrbereit zu machen. Der Schaden sei jedoch sofort wieder aufgetreten. Außerdem habe er sich vor Antritt der Fahrt bei der Polizei und beim Leiter des Straßenverkehrsamts in C. über die Zulässigkeit des "Abschleppens" erkundigt. Ihm sei versichert worden, dass er weder einen Führerschein der Klasse II noch eine Abschleppgenehmigung benötige.

Das Amtsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass unter Zugrundelegung des von ihm festgestellten Sachverhalts der Angeklagte sich des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Fahren ohne erforderlichen Versicherungsschutz schuldig gemacht habe.

Der Angeklagte besaß keine Fahrerlaubnis der Klasse II. Diese war erforderlich, weil ein Pkw, der einen anderen zieht, grundsätzlich als Zug mit mehr als drei Achsen i.S. des § 5 Abs. 1 StVZO gilt (Jagusch-Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 31. Aufl., § 5 StVZO Rdnr. 25, § 33 StVZO Rdnr. 3). Außerdem war das in S. gekaufte Fahrzeug entgegen § 1 PflVG nicht haftpflichtversichert. Der Angeklagte besaß keine Ausnahmegenehmigung nach § 33 Abs. 2 StVZO i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 6 c PflVG.

Das Ziehen des gekauften Pkws über 45 Kilometer von S.-L. nach E. stellt kein Abschleppen i.S. des § 18 StVZO dar. Abschleppen ist eine Maßnahme der Nothilfe (vgl. Huppert VD 1992, 228; Weigelt DAR 1961, 137). Zwar 1st der Begriff Nothilfe in diesem Zusammenhang gegenüber der früheren Rechtsprechung in den vergangenen Jahren erheblich ausgeweitet worden (vgl. BGHSt 23, 108; OLG Celle VRS 16, 312; OLG Hamm VRS 57, 456; KG VRS 26, 125; OLG Stuttgart VRS 19, 478; OLG Zweibrücken VRS 33, 73). Ein Notfall wird nicht mehr nur dann angenommen, wenn die Betriebsunfähigkeit des Kfz's im öffentlichen Verkehr eingetreten ist. Er soll auch vorliegen, wenn das Fahrzeug zur Instandsetzung in eine andere Werkstatt gebracht werden muss, es möglicherweise sogar schon vor längerer Zeit an seinem gewöhnlichen Standort betriebsunfähig geworden ist oder der Halter die Betriebsunfähigkeit z.B. durch Ausbau des Motors selbst verursacht hat. Dies berücksichtigend meint der Senat entgegen der Auffassung des Amtsgerichts, dass ein Abschleppen i.S. des § 18 StVZO hier nicht deswegen verneint werden kann, weil der Angeklagte das von S.-L. nach Ehlerhausen gezogene Fahrzeug schon defekt gekauft hat.

Es liegt jedoch deshalb kein Abschleppen i.S. der genannten Bestimmung vor, weil die Entfernung, über die das gekaufte Fahrzeug gezogen werden sollte, zu groß ist. Wenn schon der Begriff Notfall im Interesse des Halters eines defekten Fahrzeugs, es auf möglichst einfache Weise und ohne unnötigen Kostenaufwand wieder betriebsfähig zu machen, erweitert worden ist, so darf andererseits im Interesse der Verkehrssicherheit dieses Fahrzeug nur zu einem möglichst nahen Bestimmungsort verbracht werden (BGHSt 23, 108, 113; BayObLG VRS 15, 473; OLG Celle VRS 16, 312, 315; OLG Düsseldorf VM 1962, 5; OLG Hamm VRS 57, 456, 458). Welche Entfernung noch als "möglichst nahe" angesehen werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Der vereinzelt in der Literatur vertretenen Auffassung (vgl. Huppert VD 1992, 231), wonach jedes Ziehen eines betriebsunfähigen Fahrzeugs bis zu einer Entfernung von 100 Kilometern als Abschleppen anzusehen ist, kann nicht gefolgt werden. Für eine derartig weite Ausdehnung des Begriffs "Abschleppen" besteht keine Notwendigkeit. Infrastruktur, Anzahl und Qualität der Fachwerkstätten ermöglichen es heute in der Regel, ein defektes Fahrzeug schon bald in eine Werkstatt zu bringen, in der es wieder betriebsfähig gemacht werden kann. In diesem Zusammenhang können Erwägungen, eine möglichst preiswerte Reparatur durchzuführen, keinen entscheidenden Ausschlag geben (BayObLG VRS 15, 473; OLG Köln VRS 14, 141), zumal die Bestimmung des § 18 Abs. 1 StVZO im Interesse der Verkehrssicherheit eng auszulegen ist (BayObLG bei Bär DAR 1992, 362). - Zwar hat das Oberlandesgericht Düsseldorf in VM 1962, 5 entschieden, dass ein Abschleppen i.S. des § 18 StVZO auch in einem Fall vorlag, in dem ein Fahrzeug über die sogar über 45 Kilometer liegende Fahrstrecke von Langenfeld bis Autobahnabfahrt Wanne-Eickel gezogen worden war. Dabei handelte es sich jedoch um einen besonders gelagerten Einzelfall. Das OLG Düsseldorf hat ausdrücklich ausgeführt, dass die Entfernung an sich zu groß sei, um unter normalen Umständen ein Abschleppen annehmen zu können (vgl. auch OLG Düsseldorf VM 1968, 87: kein Abschleppen wegen zu großer Entfernung über die sicher unter 45 Kilometer liegende Strecke von Remscheid nach Monheim).

Auch im vorliegenden Fall sieht der Senat die Strecke von 45 Kilometern als zu lang an. Für den Angeklagten, der das betriebsunfähige Fahrzeug bereits in diesem Zustand gekauft hatte, bestand keine Notwendigkeit, den Pkw gerade am Tattag, einem Sonnabend, wegzuschaffen. Er hatte vielmehr die Möglichkeit, abzuwarten und das Fahrzeug zu den normalen Öffnungszeiten in eine im Raum S. befindliche Nissan-Werkstatt zu transportieren. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Wagen, den der Angeklagte sogar selbst reparieren wollte, nicht in einer derartigen Werkstatt hätte instandgesetzt werden können.

Das Amtsgericht ist zu Recht von vorsätzlichem und schuldhaftem Handeln des Angeklagten ausgegangen und hat seinen Irrtum, sein Handeln sei nicht unrechtmäßig, zu Recht als vermeidbaren Verbotsirrtum i.S. des § 17 StGB gewertet.

Soweit die Revision dartut, der Angeklagte habe zunächst vergeblich versucht, das gekaufte Fahrzeug instandzusetzen und sich außerdem bei zuständigen Stellen über die Rechtmäßigkeit des "Abschleppens" erkundigt, ist der Senat an einer Bewertung dieses Vortrags gehindert, weil die Revision sich in unzulässiger Weise von den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils entfernt.

Die Strafzumessung und die Bemessung des Tagessatzes ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.