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OLG Bamberg Beschluss vom 27.09.2012 - 2 Ss OWi 1189/12 - Zum Rechtsmittel bei Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit im Strafverfahren

OLG Bamberg v. 27.09.2012: Zum Rechtsmittel bei Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit im Strafverfahren


Das OLG Bamberg (Beschluss vom 27.09.2012 - 2 Ss OWi 1189/12) hat entschieden:
  1. Wird die Anklage unter dem Gesichtspunkt einer Straftat unverändert zugelassen, behält das Verfahren seinen Charakter als Strafverfahren auch dann bei, wenn sich im Laufe des weiteren Verfahrens herausstellt, dass bei prozessualer Tatidentität 'nur' eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt (Anschluss an BGHSt 35, 290 ff. = DAR 1988, 314 ff. = NStZ 1988, 465 f.).

  2. Eine gegen eine solche Verurteilung erhobene "Rechtsbeschwerde" ist demgemäß nach § 300 StPO regelmäßig als Berufung umzudeuten und die Entscheidung über das strafprozessuale Rechtsmittel gegebenenfalls an das hierfür zuständige Gericht abzugeben.

  3. Wird die "Rechtsbeschwerde" in einem solchen Fall ausschließlich damit begründet, dass einer Ahndung der Ordnungswidrigkeit das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung entgegen stehe, kommt ausnahmsweise eine Umdeutung des Rechtsmittels als (Sprung-) Revision in Betracht.

Gründe:

I.

Nach staatsanwaltschaftlicher Anklageerhebung wegen einer im Straßenverkehr begangenen Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 StGB hat das Amtsgericht das Hauptverfahren antragsgemäß eröffnet, den Angeklagten in der Hauptverhandlung aber nur wegen einer vorsätzlich begangenen Ordnungswidrigkeit des Aufnehmens eines Mobiltelefons gemäß §§ 23 Abs. 1a, 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO, 24 StVG zu einer Geldbuße von 80 € verurteilt. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte fristgerecht „Rechtsbeschwerde" ein, die er innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO formgerecht wie folgt begründete:
„Ich rüge die Verletzung materiellen Rechts.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Aufnehmens eines Mobiltelefons verurteilt. Ursprünglich angeklagt war der Verurteilte wegen Nötigung im Straßenverkehr. Der vernommene Zeuge G. hatte - entgegen den tatsächlichen Gegebenheiten - angegeben, er habe zwei- oder dreimal sein Fahrzeug wegen des Angeklagten stark abbremsen müssen. Die Auswertung der Diagrammscheibe hat jedoch insoweit ergeben, dass es zu solchen Abbremsvorgängen nicht gekommen ist.

Zu Unrecht meint das Amtsgericht, dass die ursprünglich nicht in Betracht gezogene Ordnungswidrigkeit nicht der Verjährung unterliege. Die Tat sei am 10.08.2011 begangen worden. Die Verjährung sei durch die Anhörung des Beschuldigten, die spätestens am 09.09.2012 erfolgte, unterbrochen worden.

Die nächste Unterbrechung der Verjährung sei durch die Anklageschrift vom 28.10.2011, die die gleiche prozessuale Tat betroffen habe, unterbrochen worden. Weitere Unterbrechungen seien durch Anberaumung von Hauptverhandlungsterminen erfolgt. Da zwischen den einzelnen Unterbrechungshandlungen weniger als 3 Monate bzw. 6 Monate lägen, sei Verjährung nicht eingetreten.

Zwar umfasst der Begriff der Tat im Sinne von § 264 StPO innerhalb eines einheitlichen Geschehens auch die Vorgänge, die den Tatbestand einer OWi erfüllen können, jedoch setzt dies voraus, dass das tatsächliche Geschehen in der Anklageschrift dargestellt ist und damit eine rechtliche Wertung erlaubt. Es darf nicht das der Anklage zugrunde liegende Geschehen vollständig verlassen und durch ein anderes ersetzt werden. Vorliegend geht es um zwei voneinander trennbare Geschehensabläufe - mehrfaches Abbremsen in Nötigungsabsicht des Hintermanns und Entgegennahme eines Telefonats.

Zum Zeitpunkt des Geständnisses war die OWi bereits verjährt.

Es ist letztlich wegen einer Tat verurteilt worden, auf die sich die zugelassene Anklage nicht erstreckt. Der Angeklagte hätte deshalb freigesprochen werden müssen. Daraus folgt, dass das Amtsgericht die Kosten des Verfahrens in vollem Umfange der Staatskasse hätte auferlegen müssen."
Die Generalstaatsanwaltschaft legte die „Rechtsbeschwerde" des Angeklagten gemäß § 347 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG vor und beantragte, den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 23.05.2012 durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.


II.

Das Rechtsmittel des Angeklagten ist als Revision anzusehen und durchzuführen.

1. Gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 23.05.2012 ist nicht das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79, 80 OWiG gegeben, seine Anfechtung bestimmt sich vielmehr ausschließlich nach strafprozessualen Vorschriften. Nach allgemeiner Meinung ist als Rechtsmittel gegen das Urteil im Strafverfahren die Berufung oder (Sprung-) Revision auch dann zulässig, wenn gegen den Angeklagten lediglich wegen einer Ordnungswidrigkeit eine Geldbuße verhängt worden ist. Hiervon geht auch § 313 Abs. 3 StPO aus (vgl. KK/Wache OWiG 3. Aufl. § 82 Rn. 21; Göhler/Seitz OWiG 16. Aufl. § 82 Rn. 25 m.w.N.). Wird die Anklage unter dem Gesichtspunkt einer Straftat unverändert zugelassen, behält das Verfahren seinen Charakter als Strafverfahren auch dann bei, wenn sich im Laufe des weiteren Verfahrens herausstellt, dass bei prozessualer Tatidentität 'nur' eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt (BGHSt 35, 290 ff. = DAR 1988, 314 ff. = NStZ 1988, 465 f.).

2. Dass das Rechtsmittel des Angeklagten als „Rechtsbeschwerde" bezeichnet worden ist, macht es nicht unzulässig; vielmehr ist es gemäß § 300 StPO in das zulässige Rechtsmittel umzudeuten und zwar in der Weise, dass der erstrebte Zweck möglichst erreichbar ist; im Zweifel gilt das Rechtsmittel als eingelegt, das die umfassendere Nachprüfung erlaubt (Meyer-Goßner StPO 55. Aufl. § 300 Rn. 3). Danach ist ein als „Rechtsbeschwerde" bezeichnetes Rechtsmittel in aller Regel als Berufung zu behandeln. Trifft der Angeklagte nämlich unter den zulässigen Rechtsmitteln der Berufung und der Revision keine Wahl, so sieht das Gesetz in erster Linie das Rechtsmittel der Berufung vor; ein nicht näher bezeichnetes Rechtsmittel ist damit als Berufung zu behandeln (Meyer-Goßner § 335 Rn. 2). Nichts anderes kann grundsätzlich gelten, wenn der Angeklagte der irrigen Auffassung ist, gegen das angefochtene Urteil sei die Rechtsbeschwerde gegeben. Einer solchen unrichtigen Bezeichnung ist nicht zu entnehmen, welches der beiden ihm wahlweise eröffneten Rechtsmittel der Angeklagte ergreifen wollte. Da sich der Rechtsmittelführer in derartigen Fallkonstellationen der Wahlmöglichkeit zwischen Berufung und Revision regelmäßig gerade nicht bewusst gewesen sein wird, ist deshalb eine gegen das Urteil eingelegte Rechtsbeschwerde regelmäßig als Berufung zu behandeln. Dies gilt aber dann nicht, wenn sich aus der Rechtsbeschwerdebegründung oder aus sonstigen Umständen zweifelsfrei ergibt, dass der Rechtsmittelführer auf eine Nachprüfung des Urteils in tatsächlicher Hinsicht verzichten wollte (vgl. KK/Wache § 82 Rn. 21 und Göhler/Seitz § 82 Rn. 25 mit Hinweis insbesondere auf BayObLG VRS 41, 59, 60 f.; OLG Zweibrücken VRS 51, 372; OLG Hamm VRS 67, 456; OLG Stuttgart VRS 77, 70; OLG Düsseldorf VRS 76, 303; OLG Düsseldorf VRS 80, 217 und OLG Jena VRS 116, 364). Ausweislich seiner Ausführungen in der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift erstrebt der Angeklagte, der den abgeurteilten Handyverstoß von Anfang an vollumfänglich eingeräumt hatte, ersichtlich nicht die Nachprüfung des Urteils in tatsächlicher Hinsicht. Die von ihm erhobene Sachrüge begründet er vielmehr ausschließlich damit, dass die Tat verjährt und nicht von der ursprünglich erhobenen staatsanwaltschaftlichen Anklageschrift umfasst sei. Er macht damit ausschließlich das Vorliegen von Verfahrenshindernissen geltend. Im Hinblick auf die dargelegte Zielrichtung der „Rechtsbeschwerde" sowie mit Blick auf die Beschränkungen der Berufung nach § 313 Abs. 3 StPO, welche das Revisionsgericht in Fällen der Sprungrevision jedenfalls nach ganz überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum nicht zu überprüfen hat (KK/Kuckein § 335 Rn. 16 m.w.N.), ist die Rechtsbeschwerde des Angeklagten vorliegend als Revision anzusehen und zu behandeln.

Die Entscheidung hierüber obliegt dem zuständigen Oberlandesgericht. In entsprechender Anwendung der Vorschritt des § 348 StPO erklärt sich der Senat deshalb für unzuständig und gibt die Sache an das für die Revision des Angeklagten zuständige Oberlandesgericht ab.


III.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 348 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG.

Gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.



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