Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 19.12.2012 - IV ZR 21/11 - Zum Pkw-Schaden durch Spurrinenschleudern des angehängten Wohnanhängers

BGH v. 19.12.2012: Zum Pkw-Schaden durch Spurrinenschleudern des angehängten Wohnanhängers in der Fahrzeugversicherung


Der BGH (Urteil vom 19.12.2012 - IV ZR 21/11) hat entschieden:
Kommt ein Wohnwagenanhänger durch Spurrillen ins Schleudern und beschädigt den ziehenden Pkw, so ist dies ein versicherter Unfallschaden und nicht ein unter den Risikoausschluss fallender Betriebsschaden.


Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Kraftfahrzeugvollversicherung wegen Beschädigung seines versicherten Kraftfahrzeugs in Anspruch.

In den Versicherungsvertrag sind die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (Stand: 1. Mai 2005, im Folgenden: AKB 2005) einbezogen, deren § 12 Abs. 6 lautet:
"Die Vollversicherung umfasst darüber hinaus

a) Schäden durch Unfall, d.h. durch ein unvorhergesehenes, unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis; Brems-, Betriebs- und reine Bruchschäden sind keine Unfallschäden. Nicht versichert sind insbesondere gegenseitige Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug ohne Einwirkung von außen,

b) …"
Im Juli 2009 kam der Pkw des Klägers mit angehängtem Wohnwagen auf einer Autobahn aufgrund unerwartet starker Spurrillen ins Schleudern. Dabei kollidierte der Wohnanhänger mit dem Pkw und beschädigte diesen.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Ersatz des Nettoanteils der veranschlagten Reparaturkosten i.H. von 2.855,62 € abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung von 300 €. Die Beklagte lehnt eine Leistung mit der Begründung ab, dass es sich um einen nicht versicherten Betriebsschaden handele.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.


Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg.

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist das schadenbegründende Ereignis zwar ein Unfall i.S. des § 12 Abs. 6 a) Satz 1 Halbsatz 1 AKB 2005. Die Leistungspflicht sei aber nach Satz 2 dieser Klausel ausgeschlossen, weil der Schaden an dem Pkw durch den Anhänger ohne Einwirkung von außen verursacht worden sei. Die Einwirkung der Spurrillen auf das Gespann sei nicht von außen gekommen; sie habe nur die letztlich den Schaden verursachende Ereigniskette in Gang gesetzt. Der Schaden sei nicht durch eine von außen kommende mechanische Kraft, sondern durch die Kollision mit dem Anhänger verursacht worden. Wenn durch die Fahrbahnbeschaffenheit ein Schleudervorgang ausgelöst werde, der nur wegen Vorhandenseins eines Anhängers zu einem Schaden des ziehenden Fahrzeugs führe, realisiere sich das typische, nicht versicherte Gespannrisiko.


II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht die begehrte Entschädigung aus der Kraftfahrzeugvollversicherung versagt.

1. Es hat § 12 Abs. 6 a) Satz 2 AKB 2005 unzutreffend so ausgelegt, dass ein durch die Fahrbahnbeschaffenheit ausgelöster Schleudervorgang nicht als Einwirkung von außen mit mechanischer Gewalt anzusehen sei.

a) Die Auslegung der dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Bestimmung des § 12 AKB 2005 ist in der Revisionsinstanz voll überprüfbar. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind wie revisible Rechtsnormen zu behandeln und können vom Revisionsgericht frei ausgelegt werden, wenn sie über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus verwendet werden und eine unterschiedliche Auslegung durch verschiedene Berufungsgerichte denkbar ist (BGH, Beschluss vom 21. August 2008 - X ZR 80/07, WuM 2009, 139 Rn. 8; BGH, Urteil vom 5. Juli 2005 - X ZR 60/04, NJW 2005, 2919 unter II 2 b aa m.w.N.). Das ist bei den hier in Rede stehenden Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB 2005), die von Kraftfahrzeugversicherern im gesamten Bundesgebiet verwendet werden, der Fall.

b) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach gefestigter Rechtsprechung des Senats so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an (Senatsurteile vom 11. Dezember 2002 - IV ZR 226/01, BGHZ 153, 182, 185 f.; vom 23. Juni 1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85; jeweils m.w.N.).

aa) Unter Anlegung dieses Maßstabs hat der Senat in dem Urteil vom 6. März 1996 (IV ZR 275/95, VersR 1996, 622 unter 3 b) entschieden, der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 II e AKB a.F. - der § 12 Abs. 6 a) Satz 1 AKB 2005 entspricht - nicht entnehmen, dass Schäden durch einen Aufprall des Anhängers auf den ihn ziehenden Pkw, die also Schäden durch ein plötzlich von außen einwirkendes Ereignis seien, als nicht versicherte Betriebsschäden angesehen werden sollten. Betriebsschäden sind solche, die durch normale Abnutzung, durch Material- oder Bedienungsfehler an dem Fahrzeug oder seinen Teilen entstehen, ferner Schäden, die zwar auf einer Einwirkung mechanischer Gewalt beruhen, aber zum normalen Betrieb des Kraftfahrzeugs gehören (Senatsurteil vom 23. Oktober 1968 - IV ZR 515/68, VersR 1969, 32, 33). Einen solchen Betriebsschaden hat der Senat in dem 1996 entschiedenen Fall, in dem ein Camping-Anhänger durch die Sogwirkung eines vorbeifahrenden Lkw instabil wurde und gegen die hintere rechte Seite des ziehenden Pkws prallte, verneint. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer sehe trotz der Verbindung von Pkw und Camping-Anhänger in diesen zwei Fahrzeuge, von denen eines auf das andere mit mechanischer Gewalt von außen eingewirkt habe. Die starre Verbindung dieser beiden Fahrzeuge führe im Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers noch nicht dazu, Pkw und Anhänger als eine Betriebseinheit im technischen Sinne zu sehen; dies umso weniger, als der Pkw auch allein zum Betrieb geeignet und bestimmt sei (Senatsurteil vom 6. März 1996 aaO; anders noch Senatsurteil vom 2. Juli 1969 - IV ZR 625/68, VersR 1969, 940).

bb) Diese Beurteilung verändert sich durch den in § 12 Abs. 6 a) AKB 2005 hinzugefügten Satz 2 nur insoweit, als gegenseitige Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug ohne Einwirkung von außen als Betriebsschäden anzusehen und daher vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind. Nach dem Wortlaut, von dem der durchschnittliche Versicherungsnehmer ausgeht, kommt es allerdings bei solchen Schäden ebenso wie bei anderen Betriebsschäden der in § 12 Abs. 6 a) Satz 1 Halbsatz 2 AKB 2005 beschriebenen Art darauf an, ob sie "ohne Einwirkung von außen" verursacht worden sind. Dies wird er etwa bei Material- oder Bedienungsfehlern annehmen, die sich auf eines der zu dem Gespann gehörenden Fahrzeuge beziehen. Als Einwirkung von außen wird er hingegen Ursachen ansehen, die weder von dem ziehenden noch von dem gezogenen Fahrzeug ausgehen. Solche Ursachen können auch in der Fahrbahnbeschaffenheit oder den Witterungsverhältnissen liegen (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG VersR 1995, 1346; a.A. OLG Stuttgart VersR 2005, 643 f.).

cc) Ausgehend davon ist nach dem unstreitigen Sachverhalt eine Einwirkung von außen in den unerwartet starken Spurrillen zu sehen, durch die der Wohnanhänger ins Schleudern geriet. Spurrillen sind - wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat - Unebenheiten in der Fahrbahn, die die Richtungsstabilität eines Fahrzeugs nachteilig beeinflussen und somit eine äußere, mechanische Einwirkung auf das Fahrzeug darstellen. Da der Anhänger infolge der Spurrillen ins Schleudern geriet und dann gegen den Pkw prallte, wurde dieser durch eine von außen kommende Einwirkung beschädigt.

2. Der Senat hat in der Sache abschließend zu entscheiden, weil der an dem Pkw des Klägers entstandene Schaden der Höhe nach unstreitig ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).