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OLG Koblenz Urteil vom 24.04.2006 - 12 U 996/04 - Haftungsbeschränkung bei Herausforderung durch unerlaubtes Tun

OLG Koblenz v. 24.04.2006: Haftungsbeschränkung bei Herausforderung durch unerlaubtes Tun


Das OLG Koblenz (Urteil vom 24.04.2006 - 12 U 996/04) hat entschieden:
Wer durch vorwerfbares Tun einen anderen zu einem selbst gefährdenden Verhalten herausfordert, kann diesem aus unerlaubter Handlung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein, der infolge des gesteigerten Risikos entstanden ist. Ist aber die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt, so fällt eine Körperverletzung desjenigen, der eine Selbstgefährdung vornimmt, nicht mehr in den Schutzbereich der Haftungsnorm. Dies ist der Fall, wenn ein Verkehrsteilnehmer einen Motorradfahrer, der seine Kinder in ordnungswidriger Weise auf dem Motorrad mitnimmt, stellt und an der Weiterfahrt hindern will, wobei er stürzt. Ein Festnahmerecht zur Verhinderung weiterer Ordnungswidrigkeiten besteht nicht. Nothilfe kommt nicht in Betracht, wenn in der gegebenen Situation keine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben anderer vorliegt.


Gründe:

I.

Am Abend des 30. August 2002 fuhr der Kläger mit dem Zeugen A. als Beifahrer in dem klägerischen Pkw, einem Opel Kadett Kombi, von H. nach B.. Die beiden Pkw-Insassen sahen den Erstbeklagten mit dessen Motorrad fahren, wobei dessen Söhne S. und B. T. ebenfalls auf dem Motorrad saßen. Der acht Jahre alte S. saß hinter dem Erstbeklagten auf dem Soziussitz, während sich der sechs Jahre alte B. vor diesem in einer Kuhle zwischen dem Sitz und dem aufsteigenden Motorradtank befand. Darin erblickte der Kläger eine Gefährdung der Kinder. Er folgte dem Erstbeklagten auf dessen weiterem Weg zunächst ohne einzugreifen, ließ aber durch den Zeugen A. mit einem Mobiltelefon die Polizei benachrichtigen. Als der Erstbeklagte nach mehreren Kilometern Fahrtstrecke und einer Zwischenstation an einem Imbissstand in K. sein Motorrad auf einen Kinderspielplatz lenkte, dort anhielt und den Motor abstellte, stellte ihn der Kläger mit erregtem Tonfall zur Rede und wollte ihn auch dazu bewegen, das Eintreffen der bereits verständigten Polizei abzuwarten oder eines seiner Kinder in seinem Pkw mitfahren zu lassen. Der Zeuge A. begab sich unterdessen zu einem Nachbarhaus, um von dort aus erneut die Polizei zu benachrichtigen, weil sein Mobiltelefon keine Verbindung mehr aufbauen konnte. Der Kläger stand seitlich versetzt vor dem Motorrad des Erstbeklagten, der zur Beendigung der Konfrontation mit dem Kläger wegfahren wollte. Beim Anfahren des Erstbeklagten kam der Kläger zu Fall. Die Einzelheiten seines Sturzes und der Verletzungsfolgen sind streitig. Auch der Erstbeklagte stürzte im Rahmen dieses Geschehens mitsamt den Kindern.

Der Kläger hat vorgetragen, der Erstbeklagte habe sein Motorrad angelassen, als er davor gestanden habe. Er habe den Erstbeklagten gefragt, ob dieser ihn nun umfahren wolle. Diese Frage sei aber unbeantwortet gewesen. Er sei zur Seite getreten, als der Erstbeklagte angefahren sei. Dieser habe ihn mit dem Lenker des Motorrades am Arm erfasst, über fünf bis sechs Meter mitgezogen (Bl. 88 GA) und versucht, sich durch ruckartige Bewegungen von ihm zu lösen. Dabei sei er, der Kläger gestürzt und der Erstbeklagte sei über seinen Arm gefahren. Schließlich sei auch der Erstbeklagte nach wenigen Metern Fahrstrecke mit dem Motorrad gestürzt (Bl. 36/37 GA). Er, der Kläger, habe eine schwere Distorsion der Schulter davongetragen, die auch zu einem Impingement-Syndrom geführt habe. Dadurch sei die Beweglichkeit des Armes erheblich eingeschränkt und es bestehe ein andauernder Schmerzbefund, weil die Supraspisanus -Sehne zwischen zwei knöchernen Teilen des Schultergelenks eingeklemmt sei. Dadurch habe er vom Unfalltage an unter schlimmsten Schmerzen gelitten und der Arm sei nicht mehr belastbar. Vom 24. bis 30. September 2002 habe er sich deshalb in stationäre Krankenhausbehandlung begeben müssen, wo er operativ behandelt worden sei. Auch dadurch habe sich der Befund aber nicht wesentlich gebessert. Ein weiterer Krankenhausaufenthalt vom 19. bis zum 28. November 2002 mit erneuter operativer Versorgung sei unfallbedingt erforderlich geworden und habe zur Diagnose einer Schleimbeutelentzündung geführt. Er sei sechs Monate lang arbeitsunfähig krank gewesen und leide auch danach noch unter Schmerzen.

Der Kläger hat (der Sache nach) beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld nicht unter 14.000 Euro nebst Zinsen zu zahlen und

festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtlichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Ereignis vom 30. August 2002 zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben vorgetragen, der Erstbeklagte habe sich vom Kläger schon auf der Fahrt nach K. verfolgt gefühlt. Auf dem Spielplatz habe der Kläger ihn in lautem Ton aufgefordert, sofort von seinem Motorrad abzusteigen, sonst helfe er ihm dabei. Der Kläger habe auch nach dem Lenkrad gegriffen und daran gerüttelt, um seiner Aufforderung Nachdruck zu verleihen. Der Erstbeklagte habe den Kläger darauf hingewiesen, dass dieser kein Recht zu solchem Handeln habe und er die Fahrt fortsetzen wolle. Der Erstbeklagte habe sich bedroht gefühlt und eine tätliche Auseinandersetzung befürchtet. Der Kläger habe ihm gesagt, er werde nirgendwo hin fahren. Der Erstbeklagte habe daraufhin das Motorrad gestartet, den Gang eingelegt und versucht, wegzufahren. Zu dieser Zeit habe der Kläger nicht vor dem Motorrad, sondern seitlich daneben gestanden und heftig an der linken Seite der Motorradlenkers gezogen, um ihn am Wegfahren zu hindern. Der Erstbeklagte habe dagegen versucht, den Lenker gerade zu halten. Unrichtig sei die Behauptung, der Kläger sei vom Motorrad am Arm erfasst, mitgeschleift und zu Fall gebracht worden. Falsch sei ferner die Behauptung, der Erstbeklagte sei mit dem Motorrad über den rechten Arm des Klägers gefahren. Das Klagevorbringen dazu sei widersprüchlich. Auch sein Vorbringen zu den Verletzungsfolgen treffe nicht zu. Tatsächlich lägen beim Kläger nach Vorbefunden degenerative körperliche Beeinträchtigungen an Hals- und Brustwirbelsäule sowie an beiden Schultergelenken vor, die nicht auf den Unfall zurückzuführen seien.

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil des Einzelrichters der 16. Zivilkammer vom 12. Juli 2004 abgewiesen. Es hat angenommen, der Vortrag des Klägers sei nicht bewiesen, dass der Erstbeklagte ihn beim Anfahren mit dem Lenker des Motorrades erfasst, mitgeschleift und überrollt habe. In Betracht komme ebenso auch der Verlauf, wie er von den Beklagten geschildert worden sei. Danach hatte der Erstbeklagte sich durch den Kläger bedroht gefühlt, hatte fliehen wollen und sei gestürzt, nachdem der Kläger versucht habe, sein Motorrad am Lenker festzuhalten; überrollt worden sei er nach dieser Sachverhaltsdarstellung nicht. Dieser Ablauf sei wahrscheinlicher als derjenige, der vom Kläger geltend gemacht werde; der klägerische Vortrag sei bereits schwer nachvollziehbar, weil er einerseits angegeben habe, er sei vom Motorrad weggeschleudert worden, andererseits sei sein Arm vom Motorrad überrollt worden. Daher sei von der Sachdarstellung des Erstbeklagten auszugehen, die auch besser in das Bild der Vorgeschichte passe. Bei dieser Sachlage habe sich der Erstbeklagte durch Notwehr eines rechtswidrigen Angriffs auf seine Fortbewegungsfreiheit erwehrt, aber nicht seinerseits den Kläger in rechtswidriger Weise geschädigt. Eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben der Kinder des Erstbeklagten sei durch den Kläger in der konkreten Situation nicht abzuwehren gewesen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Klageanträge weiter verfolgt (genauer Wortlaut der Anträge Bl. 141 f. GA).

Er meint, er sei dazu berechtigt gewesen, den Erstbeklagten bis zum Eintreffen der bereits verständigten Polizei am Weiterfahren zu hindern. Es habe eine unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben der Kindes des Erstbeklagten bestanden; dies zu verhindern sei gerade Zweck der straßenverkehrsrechtlichen Regel, wonach Personen nicht auf einem Motorrad mitgenommen werden dürften, für die kein ordnungsgemäßer Sitz vorhanden sei. Dies sei zumindest für B. T., der auf dem Tank des Motorrads gesessen habe, nicht der Fall gewesen. Das Landgericht habe den Fall im rechtlichen Ansatz falsch bewertet und vor diesem Hintergrund auch die Sachlage fehlerhaft eingeschätzt. Es habe für ihn keine Möglichkeit bestanden, das Motorrad am Lenker festzuhalten.

Die Beklagten treten der Berufung entgegen.

Sie meinen, das Festhalten des Motorrades am Lenker sei dem Kläger nicht erlaubt gewesen. Ein Nothilferecht zur Einhaltung der Straßenverkehrsordnung, wie es vom Kläger in Anspruch genommen werde, existiere nicht. Mit der Benachrichtigung der Polizei habe der Kläger die allein gebotene Maßnahme ergriffen. Eine konkrete Gefährdung der Kinder des Erstbeklagten als Anlass für eine Nothilfehandlung habe nicht vorgelegen. S. T. habe ordnungsgemäß auf dem Soziussitz des Motorrades gesessen; dagegen sei nichts einzuwenden gewesen. B. T. habe in der Kuhle zwischen dem Motorradsitz und der steil aufsteigenden Tank gesessen; das sei zwar nicht verkehrsordnungsgemäß gewesen, aber auch nicht konkret gefährlich. Eine Gefährdung der Kinder des Erstbeklagten sei nur durch das Eingreifen des Klägers entstanden, der letztlich das Motorrad mit den darauf befindlichen Personen zu Fall gebracht habe. Konkrete Zweifel an der Richtigkeit der landgerichtlichen Feststellungen könne die Berufung nicht aufzeigen. Dagegen spreche schon die wechselnde Sachdarstellung des Klägers. Seine Behauptung, er habe gar nicht an den Motorradlenker greifen können, sei neu und nicht zuzulassen. Im Übrigen sei der geltend gemachte Verletzungsumfang mit Blick auf die vorhandenen degenerativen Vorschädigungen nicht hinreichend dargetan. Das Beweisangebot des Klägers, durch Sachverständigenbeweis Befunde zu erheben, richte sich auf eine unzulässige Ausforschung.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 12. Dezember 2005 eine schriftliche Erklärung des vorher im Haftungsprozess nicht vernommenen Zeugen A. vorgelegt, wonach er entgegen einer früheren Aussage, nach der er das Kerngeschehen nicht miterlebt habe, doch Angaben dazu machen könne. Der Senat hat hierauf den Zeugen A. in der mündlichen Verhandlung vom 3. April 2006 vernommen. Wegen des Inhalts der Zeugenaussage wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 3. April 2006 Bezug genommen.

Wegen des Vorbringens der Parteien verweist der Senat auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen. Hinsichtlich der Feststellungen des Landgerichts nimmt er gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug.


II.

Die Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil des Landgerichts ist anhand des Prüfungsmaßstabs des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht zu beanstanden. Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen bestehen nicht. Auch die rechtliche Wertung des Landgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die nachträglich erstmals im Berufungsverfahren herbeigeführte Vernehmung des Zeugen A. gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Entscheidung. 1. Das Landgericht ist von zutreffenden Feststellungen ausgegangen.

a) Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger versucht hat, den Erstbeklagten durch Festhalten am Motorradlenker am Wegfahren zu hindern. Nur das passt ins Bild des Gesamtgeschehens, welches davon geprägt ist, dass der Kläger dem Erstbeklagten wegen Empörung über dessen Verhalten mehrere Kilometer nachgefahren ist. Mehrfache Telefonanrufe bei der Polizei, deren Erscheinen der Kläger erwartete, lieferten die Motivation dafür, den Erstbeklagten so lange aufzuhalten, bis die Polizei eintreffen würde. Das Vorbringen des Klägers, er habe das Motorrad nicht festgehalten, vermag dagegen nicht zu überzeugen. Der Kläger hat nicht nachvollziehbar erklärt, wie er stattdessen am Lenker des Motorrads hängen geblieben und dadurch beim Anfahren durch den Erstbeklagten mitgeschleift worden sein soll. Nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 3. April 2006 und der Aussage des Zeugen A. trug er zur Zeit des Vorfalls ein kurzärmliges T-Shirt. Dass er damit am Lenker des Motorrades hängen geblieben sei, nachdem er – wie er es geschildert hat - zur Seite getreten war, ist kaum vorstellbar. Es ist aber auch deshalb nicht glaubhaft, weil der Kläger bei der ärztlichen Behandlung, im Strafverfahren und im Haftungsprozess verschiedene Ablaufschilderungen gemacht hat, die weder ohne weiteres miteinander vereinbar noch in sich überzeugend sind; das Hängenbleiben mit dem Ärmel eines – kurzärmeligen - T-Shirts am Motorradlenkrad ist dabei nirgends so, wie in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat, behauptet worden. Nach der zur Klagebegründung mitgeteilten Schilderung, soll das Motorrad beim Anfahren des Erstbeklagten „den Arm des Klägers mit seinem Lenker“ erfasst, ihn mitgeschleift, zu Fall gebracht und dann am Arm überrollt haben. Nach der Notiz des behandelnden Krankenhausarztes Dr. K. war das Motorrad dem Kläger nach dessen Mitteilung an den Arzt zuerst über den Fuß gefahren, dann sei er – ohne nähere Erläuterung dieses Vorgangs - mit seinem T-Shirt an der Maschine hängen geblieben, umgefallen und das Motorrad sei über seinen rechten Arm gefahren. Dem Arzt Dr. L. hatte er nach dessen Notiz gesagt, das Motorrad sei ihm „über die rechte Schulter gefahren“. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht hat der Kläger angegeben, der Erstbeklagte habe ihm beim Losfahren mit dem Lenker am linken Arm erfasst, worauf er hängen geblieben sei. Im Strafverfahren gegen den Erstbeklagten hatte der Kläger bei der Polizei ausgesagt, „der Lenker“ sei an seinem „Arm hängen“ geblieben, zudem sei ihm das Motorrad über den Fuß gefahren. Er sei vier oder fünf Schritte „mit der Maschine“ getorkelt, dann infolge einer Lenkerbewegung des Erstbeklagten zu Fall gekommen, worauf ihm das Motorrad über den „Unterarm“ gefahren sei (Bl. 10 BA). In der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter hat er angegeben, der Erstbeklagte habe beim Losfahren mit dem Motorrad seinen Arm gestreift. Er sei dann hingefallen und das Motorrad sei ihm über den Fuß und über den Arm gefahren (Bl. 59 BA). Diese Aussagevariationen im Detail sind nicht allein mit Erinnerungslücken oder Ungenauigkeiten bei der Aufzeichnung zu erklären, denn der Kläger macht Verletzungen im Bereich der Schulter geltend, die am ehesten bei einem Überrollen der Schulter selbst durch das Motorrad zu erklären wären. Dem entspricht die Notiz über die Angabe des Klägers zur Verletzungsursache bei Dr. L.; damit ist aber die definitive Aussage bei der Polizei, das Motorrad habe ihn am „Unterarm“ überrollt, nicht vereinbar. Hinzu kommt, dass dies wiederum nicht in das vom Zeugen A. beschrieben Bild passt, wonach dieser unmittelbar nach dem Vorfall Spuren des Motorradreifens auf dem gesamten T-Shirt-Ärmel, der den Oberarm des Klägers bedeckte, gesehen habe. Solche Spuren wurden von den Polizeibeamten, die unmittelbar nach dem Vorfall eintrafen, nicht aktenkundig gemacht, obwohl das zumindest nahe gelegen hätte.

b) Die Aussage des Zeugen A. ist im Ganzen nicht glaubhaft, so dass sich daraus auch nachträglich keine konkreten Gründe für Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen des Landgerichts ergeben. Die Herbeiführung der Zeugenaussage entgegen § 531 Abs. 2 ZPO wurde durch die – unrichtige - Behauptung bewirkt, der Zeuge habe doch mehr gesehen, als er es im Strafverfahren angegeben hatte, nach dessen Ergebnis er das Kerngeschehen gerade nicht wahrgenommen hat, weil er sich am benachbarten Haus befand, um eine weitere telefonische Benachrichtigung der Polizei herbeizuführen (Bl. 60 BA). Daher war er im vorliegenden Haftungsprozess in erster Instanz nicht vernommen worden. Auch der Senat war bis zur mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 2005 davon ausgegangen, dass der Zeuge zur Aufklärung des Kerngeschehens nichts beitragen könne. Seine vorläufige Bewertung der Sach- und Rechtslage hatte der Senat zu jener Zeit bereits durch die Ablehnung des ersten Antrags des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss vom 9. Januar 2006 bekannt gemacht. Darauf legte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 2005 das aufgrund seiner Bitte um eine Zeugenaussage von O. A. angefertigte Schreiben vor, in dem dieser mitteilte, er könne doch Angaben zum eigentlichen Geschehensablauf machen. Er habe „damals nicht alles rechtmäßig zur Aussage gebracht“, weil er „selber zu diesem Zeitpunkt schwer Stress mit Gericht u. Polizei“ gehabt habe. Der Zeuge schilderte schriftlich insbesondere, der Kläger habe „rechts versetzt an der linken Seite des Motorrades“ gehangen und sei einige Meter mitgeschleift worden. Er erläuterte auch weitere Details des Geschehens. Mit diesem neuen Schreiben erreichte der Kläger im zweiten Termin zur mündlichen Verhandlung des Berufungsverfahrens die Vernehmung des Zeugen A.. Dabei machte der Zeuge A. zunächst Angaben, die im Kern mit dem Inhalt seines Schreibens und dem Klägervorbringen übereinstimmen. Er habe auf dem Rückweg vom nächstliegenden Wohnhaus, an dem er um eine telefonische Benachrichtigung der Polizei nachgesucht hatte, das Kerngeschehen gesehen. Der Kläger habe „rechts versetzt vor dem Motorrad des Beklagten zu 1)“ gestanden. Beim Losfahren des Motorrades habe der Zeuge gesehen, wie der Kläger „am linken Arm hing und ein paar Meter mitgeschleift wurde“. Er habe dann noch gesehen, wie der Kläger umgefallen sei. Nachdem er näher gekommen sei, habe er beim Kläger Reifenabdrücke auf dem T-Shirt des Klägers von der Schulter bis zu dessen Ellenbogen gesehen, ferner Reifenspuren auf dem Tennissocken am linken Fuß. Warum es zu dem Sturz gekommen sei, könne er nicht sagen. Soviel er wisse, habe der Kläger nicht das Lenkrad des Motorrads mit der Hand festgehalten. Er habe aber irgendwie mit dem Arm daran gehangen.

Diese Aussage ist nicht glaubhaft. Der Zeuge hatte im Strafverfahren noch bekundet, dass er das eigentliche Geschehen nicht gesehen habe. Das angebliche Motiv für den Widerruf dieser Aussage im Haftungsprozess ist falsch. In seinem Schreiben hat der Zeuge angegeben, dass er „zu diesem Zeitpunkt“ seiner Aussage vor dem Strafrichter im Verfahren gegen den Erstbeklagten Ärger mit Gericht und Polizei gehabt habe. Das hat er vor dem Senat mit früheren Strafverfahren wegen Betäubungsmitteldelikten Ende der 90er Jahre zu erklären versucht, die aber zur Zeit seiner Zeugenaussage im Strafverfahren gegen den Erstbeklagten in der Hauptverhandlung vom 17. März 2003 längst abgeschlossen gewesen waren. Auch der Ablauf des Geschehens wurde vom Zeugen zumindest zu Beginn seiner Aussage falsch dargestellt. Danach wollte er die - unstreitige - Bemerkung des Klägers gegenüber dem Erstbeklagten „Willst Du mich jetzt umfahren?“ noch gehört haben, als er sich auf den Weg zum benachbarten Haus gemacht habe, um die Polizei nochmals zu informieren. Dieser Bemerkung soll nach der insoweit übereinstimmenden und plausiblen Darstellung beider Prozessparteien das eigentliche Verletzungsgeschehen ohne weitere Zwischenhandlungen unmittelbar nachgefolgt sein. Der Zeuge A. aber will genau dieses Geschehen wiederum erst wahrgenommen haben, als er sich schon auf dem Rückweg von dem Haus zum Spielplatz befunden habe. Zwischen seinen Wahrnehmungen auf dem Hin- und Rückweg hätte die Kontaktaufnahme mit den Hausbewohnern, deren Telefonat mit der Polizei und die Rückmeldung darüber an den Zeugen gelegen, der unterdessen vor der Haustür stand. Von dort aus hatte er nach eigenem Bekunden keine direkte Sicht auf den Standort des Klägers und des Erstbeklagten; denn die Haustür befand sich an der Straßenfront des Hauses und die Kontrahenten befanden sich auf dem Spielplatz neben der Seitenfront des Hauses hinter dessen Frontlinie; das entspricht im Ergebnis auch der von dem Zeugen angefertigten Skizze. Zudem befanden sich Büsche und Sträucher an der Seitenfront des Anwesens, die dem Zeugen die Sicht versperrten. Es ist nach allem auszuschließen, dass der Zeuge noch beim Weggehen vom Spielplatz zum Haus die Schlussbemerkung des Klägers vor dem Anfahren des Erstbeklagten „Willst Du mich jetzt umfahren?“ gehört und das im Ablauf unmittelbar anschließende Verletzungsgeschehen erst auf dem Rückweg von jenem Haus zum Ort des Geschehens gesehen hat. Die Erklärung für diese und für weitere Ungereimtheiten in der Gesamtaussage liegt nach der Überzeugung des Senats darin, dass der Zeuge im Strafverfahren zu Recht ausgesagt hatte, dass er das Kerngeschehen nicht gesehen habe, während er vor dem Senat zumindest zunächst keine zutreffenden Angaben dazu gemacht hat. Das ist auf Veranlassung des Klägers geschehen. Dieser hat ebenso wie der Zeuge selbst erklärt, dass er den Zeugen A. um eine Aussage gebeten habe, damit er seinen „Seelenfrieden“ finde. O. A., der nach eigenem Bekunden zusammen mit dem Kläger zum Termin der mündlichen Verhandlung angereist war, will über den Aussageinhalt auch dabei mit dem Kläger nicht gesprochen haben; das erscheint lebensfremd. In der Sache selbst hat er angegeben, er wisse nicht, warum es zu dem Verletzungsgeschehen gekommen sei; zugleich wollte er aber wissen, dass der Kläger „nicht das Lenkrad des Motorrades mit der Hand festgehalten“ habe. Das leuchtet nicht ein und ist später auf Fragen und Vorhalte bis zu der Bemerkung relativiert worden: „Ich weiß nicht, ob vielleicht der Kläger mit seinem Arm auch das Lenkrad des Motorrades festgehalten hat“. Es handelt sich bei der anfangs gegenteiligen Angabe ersichtlich um eine vom Kläger erbetene Aussage, aber nicht um eigenes Wissen des Zeugen aufgrund seiner Wahrnehmungen vor Ort. Das wird auch aus der Wortwahl deutlich. Der Zeuge hat in seinem Schreiben mitgeteilt und dann auch ohne Vorhalt in freiem Bericht mündlich ausgesagt, der Kläger habe „rechts versetzt“ von dem Motorrad gestanden. Auf Befragen musste er einräumen, dass die Vokabel „versetzt“, die nicht zur sonstigen Wortwahl des einfach strukturierten Zeugen passt, aus dem Mund des Klägers stamme, der sie auch im Strafverfahren gebraucht hatte (Bl. 10 BA), hat der Zeuge dies eingeräumt. Das zeigt beispielhaft, dass es sich um eine „bestellte“ Aussage handelt, die auch sonst inhaltlich entgegen der Behauptung des Zeugen vorbesprochen worden war.

Ist die Aussage des Zeugen A. in einigen wichtigen Details sicher unrichtig, dann ist sie mangels einer beweisrechtlichen Absicherung anderer Details durch ergänzende Beweismittel oder Indizien auch im Übrigen nicht glaubhaft (vgl. BGHSt 44, 153, 159), insbesondere nicht, soweit der Zeuge – anfangs - angegeben hat, dass der Kläger, soweit er wisse, „nicht das Lenkrad des Motorrades mit der Hand festgehalten“ habe. Die Annahme der Unglaubhaftigkeit der Aussage im Ganzen erstreckt sich aber auch auf die - im Haftungsprozess neuen - Angaben des Zeugen, dass sich Reifenabdrücke auf der Kleidung des Klägers am Oberarm und am Fuß gefunden hätten. Dies wird dadurch unterstrichen, dass solche Spuren sonst von niemandem festgestellt oder jedenfalls festgehalten wurden, auch nicht von den kurz nach dem Vorfall eintreffenden Polizeibeamten.

Nach allem ist davon auszugehen, dass der Kläger den Lenker des Motorrades des Erstbeklagten festgehalten hat, um dessen Wegfahren vor Eintreffen der Polizei zu verhindern. Nur das passt zu dem vorherigen Verlauf, wonach es das Ziel des sich „mit erregter Stimme“ (Bl. 10 BA) äußernden Klägers war, den Erstbeklagten am Wegfahren zu hindern. Dass er dem anfahrenden Erstbeklagten ohne weiteres Raum gegeben habe und deshalb allein durch dessen Verhalten vom Motorrad irgendwie am Arm oder am Hemdsärmel erfasst, mitgeschleift und überrollt worden sei, ist vor diesem Hintergrund nicht anzunehmen; vielmehr kam es zum Sturz des Klägers, weil er das anfahrende Motorrad eigenverantwortlich festgehalten hatte. Der abweichend geschilderte Vorgang des Festhängens wird auch nicht nachvollziehbar dargestellt. 2. Ist nach alledem nur ein Sachverhalt feststellbar, bei dem der Kläger den Erstbeklagten durch Zugreifen am Lenkrad daran hindern wollte wegzufahren, so lag dem Sturz und der Verletzung als eigentliche Ursache schon kein deliktisches Verhalten des Erstbeklagten im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 229 StGB (n.F.), sondern ein eigenverantwortliches Handeln des Klägers zugrunde. Er hat den Motorradlenker ohne rechtfertigenden Grund festgehalten und dadurch das weitere Geschehen verursacht. Sturz und Verletzungen des Klägers in der Folge sind deshalb dem Erstbeklagten nicht zuzurechnen.

Auch der Gesichtspunkt der Herausforderung einer Selbstgefährdung führt nicht zu einer anderen Bewertung. In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass jemand, der durch vorwerfbares Tun einen anderen zu selbstgefährdendem Verhalten herausfordert, diesem anderen dann, wenn dessen Willensentschluss auf einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation beruht, aus unerlaubter Handlung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein kann, der infolge des durch die Herausforderung gesteigerten Risikos entstanden ist (BGHR BGB § 823 Abs. 1 Zurechnungszusammenhang 1, 3, 4, 5). Eine solche Schadenszurechnung ist insbesondere in Fällen bejaht worden, in denen sich jemand pflichtwidrig der Festnahme oder Feststellung seiner Personalien durch Polizeibeamte oder andere dazu befugte Personen zu entziehen versucht und diesen Personen dadurch Anlass gegeben hat, Maßnahmen gegen ihn zu ergreifen, wobei sie dann infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahrenlage einen Schaden erlitten haben. Diese Erwägungen kommen nicht nur in den eigentlichen Verfolgungsfällen zum Tragen, bei denen ein Straftäter flüchtet und von einem Polizeibeamten verfolgt wird, der durch riskantes Verhalten bei der Verfolgung zu Schaden kommt. Sie sind vielmehr Ausdruck eines auf rechtlichen Wertungen beruhenden Zurechnungsverständnisses, das allgemein gilt. Dabei muss sich das Verschulden des die riskante Handlung Herausfordernden insbesondere aber auch gerade auf die Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter erstrecken. Ob und in welchem Umfang hiernach ein Verdächtiger ein gesteigertes Risiko des einschreitenden Dritten zu tragen hat, richtet sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles. Die angemessene Mittel-Zweck-Relation, dass nämlich die Risiken der herausgeforderten Maßnahme nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Ergreifung oder des Festhaltens des Fliehenden stehen dürfen, ist dabei der wesentliche Gradmesser für die Prüfung der Voraussetzungen einer Überbürdung des gesteigerten Verletzungsrisikos auf den Herausforderer (BGHZ 132, 164, 169). Ist eine solche Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt, so fällt eine Körperverletzung desjenigen, der eine Selbstgefährdung vornimmt, nicht mehr in den Schutzbereich der Haftungsnorm. Das ist hier der Fall.

Das Verhalten des Klägers war nicht durch ein Festnahmerecht nach § 127 Abs. 1 StPO gerechtfertigt. Die Verhinderung weiterer Ordnungswidrigkeiten (§§ 21 Abs. 1 Nr. 1, 49 Abs. 1 Nr. 20 StVO, § 35a Abs. 9 StVZO; vgl. BGHSt 16, 160, 163 ff.) ist vom Festnahmerecht für jedermann nicht gedeckt. Sie kann allenfalls eine erwünschte Nebenfolge eines gegebenenfalls nur aus anderen Gründen zu rechtfertigenden Festhaltens sein; dadurch wird aber für sich genommen kein Recht begründet, einen anderen in der Ausübung seiner Fortbewegungsfreiheit zu hindern. § 127 Abs. 1 StPO dient nicht dazu, die einzelnen Bürger zu Staatsorganen zu machen, die im Wege des Handelns für den Staat die öffentliche Ordnung aufrechterhalten und die Befolgung der Gesetze mit Gewalt erzwingen (BGH Urt. vom 5. November 1970 – 4 StR 349/70). Ein solches allgemeines Selbsthilferecht ist dem deutschen Recht fremd. Ordnungsrechtliche Verhaltensgebote bedeuten nicht, dass jeder Bürger, der sich wegen der Missachtung der allgemeinen Verhaltensordnung oder gar der Strafgesetze durch einen anderen in der Öffentlichkeit beunruhigt oder gestört fühlt, schon deswegen im Wege der Selbsthilfe gegen den Störer vorgehen darf, wenn sich die Störung nicht unmittelbar gegen ihn richtet, er vielmehr selbst erst die Konfrontation sucht, um so Belange der Allgemeinheit zu seiner privaten Angelegenheit machen zu können (BGHZ 64, 178, 182). Vor diesem Hintergrund stand das Verhalten des Klägers außer Verhältnis zum Anlass, der in einem ordnungswidrigen Verhalten des Erstbeklagten bestanden hat. Zulässig war es, die Polizei zu benachrichtigen. Aber schon die kilometerweite „Verfolgung“ des Erstbeklagten war unangemessen, erst recht das über § 127 Abs. 1 StPO hinausgehende Festhalten. Die gesetzliche Regelung, die in § 127 Abs. 1 StPO ein Festnahmerecht für Jedermann nur beim Verdacht einer Straftat vorsieht, aber nicht schon beim Verdacht einer Ordnungswidrigkeit, enthält eine gesetzgeberische Vorwertung dahin, dass das Einschreiten eines Bürgers gegen einen anderen Bürger mit dessen Festnahme wegen des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit unangemessen ist; deshalb ist die Festnahme oder ein Festhalten in diesem Zusammenhang „unzulässig“ (§ 46 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

Ebenso kann der Kläger Nothilfe im Sinne von § 227 BGB nicht für sich in Anspruch nehmen. Eine Verteidigung nur der öffentlichen Ordnung im Wege der Nothilfe ist nicht zulässig. Um eine erforderliche Maßnahme zur Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs auf einen anderen ging es beim Festhalten des Motorradlenkrades weder objektiv noch subjektiv. Diese Handlung führte vielmehr auch zum Sturz des Erstbeklagten mitsamt seinen Kindern. Der Kläger hatte zudem vorher die Fahrt des Erstbeklagten nicht unterbunden, sondern war ihm in zwei Etappen über eine längere Strecke hinweg nur nachgefahren. Nach dem Vorfall auf dem Spielplatz war es ihm nach eigenem Bekunden „egal“, ob der Erstbeklagte weiterfahren würde (Bl. 10 BA). Das alles zeigt, dass es dem Kläger auch beim Versuch, das Wegfahren des Erstbeklagten zu verhindern, gar nicht ernsthaft um die erforderliche Abwehr einer dann unmittelbar drohenden Gefahr für Leib und Leben der Kinder des Erstbeklagten ging. Darüber hinaus ist es nicht dem Belieben eines Jeden überlassen, dadurch erziehend und belehrend auf andere Verkehrsteilnehmer einzuwirken, dass er Zwangsmittel anwendet (BGH Urt. vom 5. November 1970 – 4 StR 349/70).


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegt.

Der Streitwert im Berufungsverfahren beträgt 15.000 Euro (vgl. Bl. 117 GA).