Das Verkehrslexikon

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OLG Stuttgart Beschluss vom 22.12.2006 - 4 Ss 596/06 - Zur Annahme von Tateinheit zwischen Nichtanlegen des Sicherheitsgurts und Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit

OLG Stuttgart v. 22.12.2006: Zur Annahme von Tateinheit zwischen Nichtanlegen des Sicherheitsgurts und Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit


Das OLG Stuttgart (Beschluss vom 22.12.2006 - 4 Ss 596/06) hat entschieden:
Zwischen den während der Fahrt begangenen Ordnungswidrigkeiten des Nichtanlegens des vorgeschriebenen Sicherheitsgurtes und des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit besteht Tateinheit.


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Vaihingen/Enz verurteilte den Betroffenen am 30. Juni 2006 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften zu der Geldbuße von 60,- € und verhängte ein Fahrverbot von einem Monat. Nach den Feststellungen fuhr der Betroffene am 23. November 2005 um 22.16 Uhr in Vaihingen/Enz-Enzweihingen auf der Schwieberdinger Straße/B10 mit einer Geschwindigkeit von 78 km/h, obgleich lediglich 50 km/h zulässig sind.

Die Stadt Vaihingen an der Enz setzte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 12. Januar 2006 eine Geldbuße von 30,-- € fest, weil dieser am vorgenannten Tag zur genannten Zeit am selben Ort während der Fahrt den vorgeschriebenen Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte. Gegen diesen Bußgeldbescheid hat der Betroffenen rechtzeitig Einspruch eingelegt, den er mit Fax vom 25. Januar 2006 - bei der Stadt Vaihingen an diesem Tag eingegangen - zurücknahm.

Das Urteil des Amtsgerichts Vaihingen/Enz vom 30. Juni 2006 focht der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde an. Er macht geltend, dass entgegen der Ansicht des Amtsgerichts der Verstoß wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht mehr verfolgt werden könne (§ 84 Abs. 1 OWiG). Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich dieser Rechtsansicht angeschlossen und beantragt, das Verfahren gem. § 206 a StPO i. V. m § 71 Abs. 1 OWiG einzustellen.


II.

1. Die in zulässiger Weise eingelegte Rechtsbeschwerde führt zur Einstellung des Verfahrens.

Der Verfolgung der Ordnungswidrigkeit wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (§§ 3 Abs. 3 Nr. 1, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO, 24 StVG) steht der rechtskräftige Bußgeldbescheid wegen Nichtanlegens des Sicherheitsgurtes

(Ordnungswidrigkeit nach §§ 21 a Abs. 1 Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 20 a StVO, 24 StVG) entgegen. Bei den im angefochtenen Urteil und im vorgenanten Bußgeldbescheid umschriebenen Ordnungswidrigkeiten handelt es sich um dieselbe Tat im Sinne des § 84 Abs. 1 OWiG. Der Begriff „Tat“ ist im verfahrensrechtlichen Sinn zu verstehen (Göhler/Seitz, OWiG, 14. Auflage, § 84 Rn. 5 m.w.N.). Trotz der Entscheidung für einen prozessual eigenständigen Tatbegriff gilt nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes - von Ausnahmen im Bereich der Organisationsdelikte abgesehen - weiterhin der Grundsatz, dass Idealkonkurrenz im Sinne von § 19 OWiG steht mit der Annahme einer prozessualen Tat korrespondiert (vgl. etwa BGHSt 45, 211 (213); BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 8). Zwischen den beiden Ordnungswidrigkeiten besteht Tat- oder Handlungseinheit im Sinne des § 19 Abs. 1 OWiG. Zwar handelt es sich bei dem Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes um einen echten Unterlassungstatbestand (Albrecht NZV 2005, 62 (69); Göhler/König a.a.O. § 8 Rn. 1 a). Die Geschwindigkeitsüberschreitung hingegen beinhaltet ein sog. positives Tun. Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass zwischen Unterlassen und Tun keine Tateinheit bestehen kann, so auch nicht im vorliegenden Fall (Albrecht a.a.O. S. 73 f; Göhler/König a.a.O. vor § 19 Rn 8, 22). Indes ist das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes nur dann bußgeldbewehrt, wenn dies „während der Fahrt“ geschieht. Damit stellt die Fahrt eine tatbestandliche Voraussetzung dieser Ordnungswidrigkeit dar, weshalb sie sich mit dem Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht nur zeitlich überschneidet, sondern zwischen ihnen auch ein Beziehungs-/Bedingungszusammenhang besteht (vgl. BGH NStZ 2004, 694 (695)). Ohne die „Fahrt“ kann der Tatbestand des § 21 a Abs. 1 StVO nicht verwirklicht werden. Damit liegt in einem für beide Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil Identität vor (vgl. BGHSt 27, 66 (67)), was zur Annahme von Tateinheit im Sinne des § 19 Abs. 1 OWiG führt (so zutreffend OLG Düsseldorf, VRS 73, 387; OLG Rostock, VRS 107, 461; a. A. AG Sondershausen DAR 2005, 350 mit zust. Anm. von RAG Kropp; Albrecht a.a.O.; Göhler/König a.a.O.).

2. Mit der Einstellung des Verfahrens ist das Urteil des Amtsgerichts Vaihingen/Enz vom 30. Juni 2006 einschließlich der hierin getroffenen Kostenentscheidung gegenstandslos. Nach der Rechtssprechung des BGH (vgl. die Nachweise bei Meyer/Goßner, StPO, 49. Auflage, § 206 a Rn. 6 und § 349 Rn. 29) bedarf es der Aufhebung des Urteils nicht.



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