Das Verkehrslexikon

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OLG Hamburg Urteil vom 22.06.2007 - 14 U 202/06 - Zum Innenausgleich zwischen dem Halter der Zugmaschine und dem Halter des Aufliegers nach der VVG-Änderung

OLG Hamburg v. 22.06.2007: Zum Innenausgleich zwischen dem Halter der Zugmaschine und dem Halter des Aufliegers nach der VVG-Änderung


Das OLG Hamburg (Urteil vom 22.06.2007 - 14 U 202/06) hat entschieden:
Mit der Einführung der selbständigen Gefährdungshaftung für Anhänger in § 7 Abs. 1 StVG und der entsprechend ergänzten Vorschrift des § 17 StVG durch das Schadensrechtsänderungsgesetz vom 19.07.02 (BGBl I 2674) sollte lediglich die Position der Geschädigten im Außenverhältnis verbessert, im Hinblick auf das Innenverhältnis zwischen dem Halter eines Kraftfahrzeugs und demjenigen des angekoppelten Anhängers, die eine Betriebseinheit bilden, aber keine Änderung der bisherigen Rechtslage herbeigeführt werden. Bei bestehender Anhängerverbindung liegt im Verhältnis zum Geschädigten eine Doppelversicherung vor, so dass § 3 Abs. 1 KfzPflVV zum Vorrang der für die Zugmaschine bestehenden Haftpflichtversicherung führt, wenn es durch den Verlust eines Reifenteils des Anhängers zu einem Unfall kommt.


Gründe:

I.

Die Klägerin, ein belgischer Versicherer in der Rechtsform einer AG, macht gemäß § 17Abs. 1 , 4 StVG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 b AuslPflVG Ausgleichsansprüche aus Anlass eines Verkehrsunfalls geltend, der sich am Morgen des 01.12.03 auf der BAB 7 in Richtung Hannover hinter dem Maschener Kreuz ereignete. Bei dem Beklagten handelt es sich um einen Verband von Versicherern, der die Pflichten eines Haftpflichtversicherers für Verkehrsunfälle ausländischer Fahrzeuge im Bundesgebiet übernommen hat.

Verursacht wurde der Verkehrsunfall mit erheblichen Sach- und Personenschäden dadurch, dass mehrere Fahrzeuge eine auf der Fahrbahn liegende Karkasse überfuhren, die sich von dem dänischen Auflieger (Kennzeichen ...) einer luxemburgischen Sattelzugmaschine (Kennzeichen ...) gelöst hatte. Die Geschädigten machten ihre jeweiligen Schadensersatzansprüche in Höhe von insgesamt € 95.171,05 gemäß §§ 2, 6 AuslPflVG über den Beklagten geltend. Die Abwicklung des Schadens erfolgte direkt zwischen der rechtlich für den Beklagten handelnden Fa. S. Deutschland GmbH und der Klägerin als Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer der luxemburgischen Sattelzugmaschine.

Die Klägerin nimmt nach Zahlung der genannten Summe unter Bezugnahme auf den Übergang der Forderungen ihres Versicherungsnehmers gemäß Art. 41 des Wet op de Landverzekeringsovereenkomst (Anl. 4) nunmehr im Innenverhältnis den Beklagen als (Quasi-​)Haftpflichtversicherer des Aufliegers auf Ausgleich in Anspruch.

Das Landgericht hat der Klage vollen Umfangs stattgegeben und den Beklagten zur Zahlung von € 95.171,05 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.01.06 verurteilt sowie festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin sämtliche Aufwendungen zu ersetzen hat, die dieser künftig aus Anlass des genannten Verkehrsunfalls vom 01.12.03 noch entstehen werden.

Es vertritt die Auffassung, seit Einführung der selbständigen Gefährdungshaftung für Anhänger durch das 2. Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.07.02 (BGBl I 2674) könne der Halter einer Zugmaschine von demjenigen des Anhängers im Innenverhältnis Regress nehmen, wenn die Unfallschäden ausschließlich durch einen Defekt des Anhängers ausgelöst worden seien. Da im vorliegenden Fall bereits im Moment der ersten Kollision die Karkasse auf der Fahrbahn lag und diese sich von einem Reifen des Aufliegers und nicht von der Zugmaschine gelöst hatte, sei der Versicherer des Anhängers im Innenverhältnis für den Schaden allein verantwortlich. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts wird ergänzend verwiesen.

Der Beklagte vertritt mit seiner Berufung – wie bereits in erster Instanz – den Standpunkt, der Gesetzgeber habe durch die Einführung der selbständigen Anhängerhaftung lediglich die Position der Geschädigten im Außenverhältnis verbessern, nicht aber die Betriebseinheit von Zugmaschine und Anhänger aufheben wollen. Die aus § 3 Abs. 1 KfzPflVV herzuleitende vorrangige Haftungsanordnung der Zugmaschine, die anders als Abs. 2 dieser Vorschrift nicht aufgehoben worden sei, stehe einem Ausgleichsanspruch der Klägerin entgegen.

Der Beklagte beantragt,
das am 25.09.06 verkündete Urteil des Landgerichts Hamburg – 331 O 45/06 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil und bezieht sich für den von ihr vertretenen Rechtsstandpunkt im Wesentlichen auf den Wortlaut des § 17 Abs. 4 StVG sowie die Begründung des 2. Schadensrechtsänderungsgesetzes vom 19.07.02, BT-​Drucksache 14/7752.

Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der bei Gericht eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.


II.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Klägerin steht ein Ausgleichsanspruch gemäß §§ 17 Abs. 1 und 4 StVG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 b AuslPflVG gegen den Beklagten nicht zu.

Der Senat teilt die Ansicht des Beklagten, wonach mit der Einführung der selbständigen Gefährdungshaftung für Anhänger in § 7 Abs. 1 StVG und der entsprechend ergänzten Vorschrift des § 17 StVG durch das Schadensrechtsänderungsgesetz vom 19.07.02 (BGBl I 2674) lediglich die Position der Geschädigten im Außenverhältnis verbessert, im Hinblick auf das Innenverhältnis zwischen dem Halter eines Kraftfahrzeugs und demjenigen des angekoppelten Anhängers, die eine Betriebseinheit bilden, aber keine Änderung der bisherigen Rechtslage herbeigeführt werden sollte.

Nach § 4 AuslPflVG ist Versicherungsschutz für ausländische Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger nach den im Inland geltenden Versicherungsbedingungen zu gewähren. Gemäß § 3 Abs. 1 KfzPflVV muss die Versicherung des (ziehenden) Kraftfahrzeugs auch die Haftung für Schäden umfassen, die durch einen Anhänger oder Auflieger verursacht werden, der mit dem Kraftfahrzeug verbunden ist oder sich während des Gebrauchs von diesem löst und sich noch in Bewegung befindet. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift in seiner bis zum 31.12.02 gültigen Fassung konnte bei der Versicherung eines Anhängers oder Aufliegers vereinbart werden, dass der Versicherungsschutz u. a. nur für Schäden galt, die durch den Anhänger verursacht wurden, wenn er mit einem Kraftfahrzeug nicht verbunden war oder sich von ihm gelöst hatte und sich nicht mehr in Bewegung befand. Im Zuge der Einführung der selbständigen Gefährdungshaftung für Anhänger in § 7 Abs. 1 StVG durch das Änderungsgesetz vom 19.07.02 wurde Abs. 2 des § 3 KfzPflVV mit Wirkung zum 01.01.03 aufgehoben, während Absatz 1 in der bisherigen Fassung aufrechterhalten blieb. Diese Norm, die in § 10 a AKB umgesetzt wurde, sah nicht nur die Erstreckung der Haftpflichtversicherung des Zugfahrzeugs auf vom Anhänger verursachte Schäden vor, sondern aus ihr wurde nach der bis dahin geltenden Rechtslage zugleich auch die Anordnung einer vorrangigen Haftung für den Innenausgleich der Versicherer hergeleitet (vgl. OLG München NZV 1999, 124, 125; Feyock/Jacobsen/Lemor Kraftfahrtversicherung, 2. Aufl. 2002, § 10 a AKB Rdnr. 11; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 17. Aufl. 2000, § 10 a AKB Rdnr. 1 m.w.N.). Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber mit dem Änderungsgesetz vom 19.07.02 diese Haftungsanordnung für das Innenverhältnis abweichend regeln wollte.

1. Auch die Klägerin räumt ein, dass die verbliebene Regelung in § 3 Abs. 1 KfzPflVV im Hinblick auf die Einführung der Anhängerhaftung im Rahmen des § 7 Abs. 1 StVG weitestgehend überflüssig wäre, wenn man die geänderten Vorschriften in ihrem Sinne auslegen würde. Der Senat schließt demgegenüber aus der Aufrechterhaltung der Norm, dass sich nach dem Willen des Gesetzgebers an der vorrangigen Haftung des Halters einer Zugmaschine im Innenverhältnis zum Halter des verbundenen Anhängers nichts ändern sollte. Es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass die genannte Vorschrift auf Grund eines einfachen Redaktionsversehens beibehalten wurde. Denn wie die Aufhebung ihres Absatzes 2 zeigt, hat sich der Gesetzgeber durchaus mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit die selbständige Gefährdungshaftung des Anhängers eine Änderung der KfzPflVV erfordert.

2. Soweit die Klägerin den Wortlaut des § 17 Abs. 4 StVG für die von ihr favorisierte Auslegung heranzieht, ist ihr zuzugestehen, dass dort im Zusammenhang mit dem Verweis auf Abs. 1 eine Ausgleichspflicht für Kraftfahrzeug und Anhänger ohne nähere Differenzierung vorgesehen ist, die davon abhängig sein soll, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Auf der anderen Seite ist die Schlussfolgerung der Klägerin nicht zwingend, wonach durch die Regelung auch ein Regress innerhalb eines einheitlichen Gespannes zwischen dem Halter des Zugfahrzeugs und dem des angekoppelten Anhängers eröffnet werden sollte. Die Gesamtschau der Neuregelung spricht eher dafür, dass der Gesetzgeber bei der Änderung des § 17 StVG solche Fälle im Auge hatte, bei denen ein – beispielsweise isoliert abgestellter - Anhänger außerhalb einer derartigen Betriebseinheit gegenüber einem anderen Kraftfahrzeug eine eigenständige Gefahrenquelle bildet. Die Begründung zur Änderung des § 7 Abs. 1 StVG (vgl. BT-​Drucksache 14/7752, Seite 29) macht jedenfalls deutlich, dass auch der Gesetzgeber bei Einführung der Anhängerhaftung davon ausgegangen ist, dass ein Zugfahrzeug zusammen mit verbundenem Anhänger eine Einheit bildet.

3. Wie sich aus der Begründung des Schadensänderungsgesetzes (a.a.O. S. 29) weiter unmissverständlich ergibt, diente die Einführung der Anhängerhaftung im Wesentlichen dem Zweck, geschädigte Dritte im Außenverhältnis zu schützen. Diese sollten nicht leer ausgehen, wenn ihnen nur das Kennzeichen des angekoppelten Anhängers und nicht das davon abweichende der Zugmaschine bekannt geworden war. Nach der Neuregelung ist es den Geschädigten deshalb möglich, den Anhänger zu identifizieren, auf dessen Halter zuzugreifen und diesen unter dem Druck der eigenen vollen Haftung im Außenverhältnis öfter als bisher zu veranlassen, den Halter des Zugfahrzeugs preiszugeben.

Die Klägerin sieht darin nicht den alleinigen Sinn der Gesetzesänderung, weil es in der Begründung weiter heißt :
“Ist der Schaden ausschließlich durch das Zugfahrzeug oder dessen Führer verursacht worden, sichern ihm die insoweit ergänzten §§ 17 Abs. 2 und 18 Abs. 3 StVG …ein Rückgriffsrecht im Innenverhältnis. Letztendlich soll in solchen Fällen der Halter des Anhängers nicht den Schaden tragen, der durch das Zugfahrzeug oder dessen Führer verursacht wurde und in denen sich die Betriebsgefahr des Anhängers nicht realisiert hat.“
Wenn die Klägerin daraus den Umkehrschluss für geboten hält, dass der Gesetzgeber auch einen Ausgleichsanspruch für den Fall regeln wollte, dass der Schaden des Dritten nicht durch dass Zugfahrzeug oder dessen Führer verursacht wurde, so ist auch diese Schlussfolgerung nicht zwingend. Die Klägerin lässt dabei außer Acht, in welchem inhaltlichen Kontext die zitierte Argumentation zu sehen ist. Berücksichtigt man auch die voran stehende (von der Klägerin nicht mit zitierte) Begründung, so wird deutlich, dass es dem Gesetzgeber bei dem Hinweis auf den möglichen Regress des Anhängerhalters allein um die Erläuterung ging, warum die selbständige Haftung im Rahmen des § 7 Abs. 1 StVG keine unverhältnismäßige Belastung für ihn darstelle. Dafür, dass mit der Gesetzesänderung auch eine Änderung der bisherigen Rechtslage im Innenverhältnis beabsichtigt war und eine Ausgleichsmöglichkeit zwischen beiden Haltern eines Gespannes konstituiert werden sollte, gibt indessen diese Passage der Begründung ausdrücklich nichts her.

Schließlich besteht auch aus den von der Klägerin hervorgehobenen rechtspolitischen Erwägungen kein Bedürfnis, die bisherigen Regeln des Innenregresses zu ändern.

4. Zutreffend führt die Klägerin aus, dass in dem hier zu entscheidenden Fall im Außenverhältnis zu den jeweils Geschädigten eine Doppelversicherung vorliege, da sowohl die Klägerin als Haftpflichtversicherer der Zugmaschine als auch der Beklagte als Quasi-​Haftpflichtversicherer des Anhängers hafteten. § 3 Abs. 1 KfzPflVV, der wegen § 4 AuslPflVG auch bei Beteiligung ausländischer Fahrzeuge die maßgebliche inhaltliche Vorgabe gibt, regelt nach Maßgabe der obigen Ausführungen den Vorrang der für die Zugmaschine bestehenden Haftpflichtversicherung und ist entgegen der Auffassung der Klägerin hier auch tatbestandlich erfüllt, obwohl sich das Reifenteil des Anhängers zur Zeit der nachfolgenden Kollision nicht mehr in Bewegung befand.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Verbindung des bei dem Beklagten versicherten Aufliegers mit dem Zugfahrzeug intakt gewesen ist, als sich die Karkasse vom Reifen des Anhängers löste. Nach ihrem Wortlaut liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 KfzPflVV, die zur Eintrittspflicht des Versicherers der Zugmaschine führt, damit vor. Eine abweichende Beurteilung kommt auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht in Betracht. Danach soll der Versicherer des Kraftfahrzeugs für die durch den Anhänger verursachten Schäden aufkommen, solange die von der Zugmaschine ausgehende, auf den Anhänger übertragene kinetische Energie fortwirkt. Das gilt auch, wenn der Anhänger – wie vorliegend – während der durch die Zugmaschine betriebenen Fahrt Zubehörteile verliert (vgl. OLG Köln VersR 1995, 163 zu § 10 a AKB m.w.N.). Der Unfall, der sich durch das Überfahren der Karkasse des Aufliegers ereignete, beruhte ursächlich auf der Gefahrenlage, in die der Betrieb des ziehenden Sattelzuges den Anhänger gebracht hatte. Insofern fällt der durch die abgelöste Karkasse eingetretene Schaden noch unter das in § 3 Abs. 1 Satz 1 KfzPflVV beschriebene Risiko, für das die Klägerin als Haftpflichtversicherer der Zugmaschine einzustehen hat. Der von ihr eingereichten Entscheidung des LG Köln vom 26.03.04 (5 O 503/03) lag ein abweichender Sachverhalt zu Grunde.

Die Klage war nach allem abzuweisen.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Es ist zu erwarten, dass die hier allein streitige Frage, ob im Falle einer nach dem 31.07.02 erfolgten Schadensverursachung (vgl. Art. 229 § 8 EGBGB) durch ein Kraftfahrzeuggespann ein Innenausgleich zwischen dem Halter der Zugmaschine und dem des Anhängers bzw. ihrer jeweiligen Versicherer in Betracht kommt, künftig in einer Vielzahl von Fällen auftreten wird. Soweit ersichtlich, hat der BGH hierzu eine Entscheidung noch nicht getroffen.