Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Urteil vom 09.01.2013 - (4) 121 Ss 247/12 (304/12) - Zur strafbaren Amtsanmaßung durch private Blaulichtbenutzung

KG Berlin v. 09.01.2013: Zur strafbaren Amtsanmaßung durch Blaulichtbenutzung an Privatfahrzeug


Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 09.01.2013 - (4) 121 Ss 247/12 (304/12)) hat entschieden:
Die Tatsache, dass auch Privatpersonen unter bestimmten Voraussetzungen blaues Blinklicht einsetzen dürfen, ist für sich allein daher nicht geeignet, den Tatbestand einer Amtsanmaßung auszuschließen. Auch wenn ein Fahrzeug das neutrale Erscheinungsbild eines Privatwagens vermittelt, so muss doch erwogen werden, dass die Anbringung von Kennleuchten für blaues Blinklicht an einem Privatwagen für einen objektiven Betrachter den Eindruck erwecken kann, es handele sich um ein Zivilfahrzeug der Polizei, das das Blinklicht im Rahmen einer Einsatzfahrt und damit hoheitlichen Handelns verwendet.


Siehe auch Sonderrechte - Einsatzfahrzeuge - Rettungsfahrzeuge - Wegerechtsfahrzeuge


Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten vom Vorwurf der Amtsanmaßung aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Die hiergegen zulässig (§ 335 Abs. 1 StPO) eingelegte Sprungrevision der Staatsanwaltschaft hat mit der allein erhobenen Sachrüge Erfolg.

1. Das angefochtene Urteil teilt mit, dass dem Angeklagten zur Last gelegt wird, am 9. November 2011 mit dem VW-Bus mit dem amtlichen Kennzeichen B-… die Bundesautobahn A 111 innerstädtisch in Berlin-Reinickendorf befahren und dabei ein im Frontbereich des Fahrzeuges installiertes Blaulicht in Gang gesetzt zu haben, um sich freie Fahrt zu verschaffen, obwohl ihm klar gewesen sei, dass dies nur in hoheitlicher Funktion erfolgen konnte. Es teilt weiter mit, dass der Angeklagte eingeräumt habe, das Fahrzeug mit Blaulicht geführt zu haben, eine weitere Einlassung aber nicht abgegeben habe. Eigene Feststellungen hat der Tatrichter nicht getroffen. Vielmehr führt er sogleich aus, dass der Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen sei, weil aus dem Einsatz von Blaulicht nicht gefolgert werden könne, dass er sich als Hoheitsträger geriert habe, da das Setzen von Blaulicht nicht nur Hoheitsträgern überlassen und das Handeln des Angeklagten damit mehrdeutig gewesen sei.

2. Das amtsgerichtliche Urteil entspricht nicht den sich aus § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO ergebenden Anforderungen an die Begründungspflicht bei freisprechenden Urteilen. Denn es ist Aufgabe der Urteilsgründe, dem Revisionsgericht eine umfassende Nachprüfung auch der freisprechenden Entscheidung zu ermöglichen (vgl. BGHSt 37, 21 (22)). Dafür müssen sie bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen den festgestellten Sachverhalt wiedergeben und sodann darlegen, aus welchen Gründen die festgestellte Tat nicht strafbar ist (vgl. Velten in SK-StPO 4. Aufl., § 267 Rdn. 56; Meyer-Goßner, StPO 55. Aufl., § 267 Rdn. 34).

Das angefochtene Urteil ist lückenhaft und genügt diesen Anforderungen nicht. Es enthält keine Tatsachenfeststellungen, sondern lässt auf die Wiedergabe des Anklagevorwurfs die Einlassung des Angeklagten folgen, um dann sogleich zur rechtlichen Begründung der Straflosigkeit überzugehen. Zwar ist ein bestimmter Urteilsaufbau nicht vorgeschrieben; es reicht daher aus, wenn sich die für eine Überprüfung durch das Revisionsgericht erforderlichen Darlegungen aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben und etwa bei einem freisprechenden Urteil die einzelnen Tatsachenfeststellungen erst im jeweiligen Sachzusammenhang der Würdigung mitgeteilt werden (vgl. Senat, Urteil vom 29. April 2008 – (4) 1 Ss 541/07 (316/07) –). Das ist hier indes nicht der Fall. Dem Urteil lässt sich in einer Gesamtschau allenfalls noch entnehmen, dass der Tatrichter davon ausgeht, der Angeklagte habe sein Fahrzeug mit "Blaulicht" geführt, da er (nur) dies eingeräumt hat. Weitere Feststellungen zu Zeit, Ort und Umständen der Fahrt, zu Art und Aussehen des Fahrzeugs, zu Form und Einsatzweise des blauen Blinklichts und zu den Auswirkungen seines Einsatzes auf etwaige andere Verkehrsteilnehmer fehlen. Dass hierzu keine Feststellungen möglich waren, weisen die Urteilsgründe, in denen dies hätte dargelegt werden müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. Senat a.a.O.), nicht aus.

Solche Feststellungen waren auch nicht deshalb ausnahmsweise entbehrlich, weil eine Verurteilung wegen Amtsanmaßung in keinem Fall in Betracht gekommen wäre. Zwar geht der Tatrichter zutreffend davon aus, dass nach § 52 Abs. 3 StVZO auch Kraftfahrzeuge mit Kennleuchten für blaues Blinklicht – als Rundumlicht (Satz 1) bzw. mit Hauptabstrahlrichtung nach vorne (Satz 2) – ausgestattet sein können, deren Halter privatrechtlich organisiert sind, und dass folglich auch Private blaues Blinklicht unter den Voraussetzungen des § 38 Abs. 2 StVO einsetzen. Dies rechtfertigt jedoch ohne nähere Würdigung der – nicht festgestellten – Umstände des Einzelfalls nicht die generelle Verneinung der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Amtsanmaßung.

Im – hier allein in Betracht kommenden – Fall der Amtsanmaßung nach der 2. Alternative des § 132 StGB ist strafbarkeitsbegründend die Vornahme einer Handlung, die nur der Inhaber eines öffentlichen Amtes vornehmen darf. Es kommt darauf an, ob die vorgenommene Handlung im Rahmen der sie begleitenden Umstände bei einem objektiven Betrachter den Anschein hoheitlichen Handelns hervorruft und deswegen mit einem solchen Handeln verwechselbar ist. Erfasst werden auch Handlungen, die zwar auch von Privatpersonen vorgenommen werden dürfen, aber unter äußeren Umständen erfolgen, die sie als Ausübung hoheitlichen Handelns erscheinen lassen und deshalb den Anschein einer Amtshandlung hervorrufen (vgl. BGHSt 40, 8 (13); Krauß in LK-StGB 12. Aufl., § 132 Rdn. 28 f.). Die Tatsache, dass auch Privatpersonen unter bestimmten Voraussetzungen blaues Blinklicht einsetzen dürfen, ist für sich allein daher nicht geeignet, den Tatbestand einer Amtsanmaßung auszuschließen. Der Tatrichter hätte insoweit berücksichtigen müssen, dass der überwiegende Teil der nach § 52 Abs. 3 StVZO mit Kennleuchten für blaues Blinklicht ausgestatteten, zu Einsatzfahrten nach § 38 Abs. 1 und 2 StVO berechtigten Fahrzeuge im Rahmen hoheitlichen Handelns eingesetzt wird und daher der erste Anschein auch aus Sicht eines objektiven Betrachters für ein solches Handeln spricht. Er hätte weiter Feststellungen dazu treffen müssen, ob das von dem Angeklagten genutzte Fahrzeug seinem äußeren Erscheinungsbild nach den Anschein eines Unfallhilfswagens der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) als des in Berlin tätigen öffentlichen Verkehrsbetriebs oder des Fahrzeugs einer nach § 5 Rettungsdienstgesetz Berlin im Rahmen von Aufgaben der Notfallrettung und des Krankentransports tätigen Hilfsorganisation oder anderen privaten Einrichtung und damit einer nicht im Rahmen hoheitlichen Handelns erfolgenden Einsatzfahrt zu erwecken geeignet war oder aber nach Form und Farbe gerade Ähnlichkeit mit einem Einsatzfahrzeug z.B. der Polizei oder Feuerwehr aufwies und damit den Eindruck hoheitlichen Handelns noch verstärkte. Wäre der Tatrichter zu dem Ergebnis gekommen, dass das Fahrzeug des Angeklagten insoweit das neutrale Erscheinungsbild eines Privatwagens vermittelt, so hätte er erwägen müssen, dass die Anbringung von Kennleuchten für blaues Blinklicht an einem Privatwagen für einen objektiven Betrachter den Eindruck erwecken kann, es handele sich um ein Zivilfahrzeug der Polizei, das das Blinklicht im Rahmen einer Einsatzfahrt und damit hoheitlichen Handelns verwendet.

3. Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Es war aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der neue Tatrichter – sollte er wiederum den Vorwurf der Amtsanmaßung nicht für nachweisbar erachten – die von der Staatsanwaltschaft nach § 154a Abs. 1 StPO ausgeschiedenen Gesetzesverletzungen sowie gegebenenfalls Ordnungswidrigkeiten nach § 49 Abs. 3 Nr. 3 StVO und §§ 69a Abs. 3 Nr. 18, 49a Abs. 1 StVZO i.V.m. § 24 StVG wird prüfen müssen, um seiner umfassenden Kognitionspflicht zu genügen.



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