Das Verkehrslexikon

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OLG Köln Urteil vom 28.01.2003 - 3 U 85/02 - Verkehrsunfall eines Kradfahrers mit einem Linknsabbieger

OLG Köln v. 28.01.2003: Verkehrsunfall eines Kradfahrers mit einem Linknsabbieger beim Überholen einer Kolonne


Das OLG Köln (Urteil vom 28.01.2003 - 3 U 85/02) hat entschieden:
Überholt ein Motorradfahrer eine langsam fahrende Kolonne im Beginn einer Rechtskurve und stößt dabei mit einem ordnungsgemäß blinkenden nach links abbiegenden Kfz zusammen, das zuvor möglicherweise von einem Kleiintransporter verdeckt war, dann trifft ihn in dieser unklaren Verkehrslage ein Haftungsanteil von 80%, während der Kfz-Führer wegen Unterlassens der zweiten Rückschau zu 20% haftet.


Gründe:

I.

Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus einem Verkehrsunfallereignis vom 26.06.2000 geltend, das sich auf der L XXX in I in Höhe der Abzweigung T ereignet hat. Der Kläger kollidierte mit seinem Motorrad Marke C bei einem Überholmanöver mit einem auf der L XXX in gleicher Fahrtrichtung fahrenden, nach links in die nach T abzweigende Straße einbiegenden PKW der Marke J, dessen Fahrerin die Beklagte zu 1.), dessen Halter der Beklagte zu 2.) und dessen Versicherer die Beklagte zu 3.) war. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Durch die angefochtene Entscheidung sind die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt worden, an den Kläger 1.940,17 Euro nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz seit dem 11.09.2000 zu zahlen. Die weitergehende Klage ist abgewiesen worden.

Mit der Berufung wendet sich der Kläger nur teilweise gegen die Klageabweisung. Er greift die Ausführungen des Landgerichts zur Schadenshöhe nicht an. Er macht indes geltend, die Beklagten treffe ein Verschulden, das zumindest zu gleich hohen Haftungsanteilen des Klägers einerseits und der Beklagten andererseits führe. Ein Verschulden insbesondere der Beklagten zu 1.) folge aus einem Verstoß gegen das Linkseinordnungsgebot (§ 9 Abs. 1 Satz 2 StVO) und zum anderen aus einem Verstoß gegen die sog. zweite Rückschaupflicht (§ 9 Abs. 1 Satz 4 StVO).

Die Beklagten meinen, der Kläger habe den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt.


II.

Die verfahrensrechtlich unbedenklich zulässige Berufung erweist sich in der Sache als nicht begründet.

1. Der mit der Berufung geltend gemachte Anspruch auf Erstattung des hälftigen Sachschadens (insgesamt 9.374,12 DM) gem. §§ 7, 18, 17 Abs. 1 Satz 2 StVG, §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 9 StVO, jeweils i.V.m. § 3 Nr. 1, 2 PflVersG steht dem Kläger nicht zu.

Die Beurteilung des Landgerichts zur Bemessung der Haftungsanteile der Parteien im Rahmen des Anspruchs gem. §§ 7, 18, 17 Abs. 1 Satz 2 StVG ist nicht zu beanstanden. Für die Zurechnung der Haftungsanteile im Rahmen des § 17 StVG gilt, dass sich jeder Unfallbeteiligte zu entlasten hat, soweit es seine Betriebsgefahr betrifft. Dagegen kann von einem Verschulden nur dann ausgegangen werden, wenn dieses zugestanden oder durch den gegnerischen Unfallbeteiligten bewiesen ist. Hier trägt die Beweislast für die Umstände, die zu einer höheren Haftung, also über die Betriebsgefahr hinaus, führen, der Unfallgegner (hierzu BGH NZV 1995, 145, 146; NZV 1996, 231; OLG Köln NZV 1995, 400, 401; Jagusch-Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35 Auflage, § 17 StVG, Rdziff. 21).

Mit Recht ist das Landgericht zunächst davon ausgegangen, dass den Kläger ein Verschulden an der Unfallentstehung trifft. Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist dem Kläger ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO vorzuhalten, wonach das Überholen bei unklarer Verkehrslage unzulässig ist. Der Kläger fuhr in einer langsam fahrenden Kolonne, die sich in einer lang gezogenen Rechtskurve auf eine Straßenabzweigung zu bewegte. Bereits angesichts des langsamen Tempos der Kolonne hätte dem Kläger bewusst sein müssen, dass ein - eventuell auch ein durch den Kleintransporter verdecktes - Fahrzeug in die nach links abzweigende Straße abbiegen könnte. Der Kläger war ortskundig, die Abzweigung war ihm bekannt. Der Kläger vermag sich nicht darauf zu berufen, dass die Kolonne bereits über eine längere Wegstrecke mit langsamer Geschwindigkeit fuhr. Vielmehr setzte der Kläger den Überholvorgang am Ende einer langgezogenen Rechtskurve an, obwohl er wegen des vorausfahrenden Transportfahrzeugs keine ausreichende Sicht nach vorne hatte und die Verkehrssituation nicht sicher einzuschätzen war. Unter diesen Umständen ist der Tatbestand der unklaren Verkehrslage gem. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO erfüllt und dem Kläger insoweit ein schuldhafter Verstoß gegen diese Vorschrift vorzuhalten. Dies gilt erst recht, nach der Aussage des erstinstanzlich vernommenen Zeugen J K, nach der die Kolonne vor dem Abbiegemanöver der Beklagten zu 1.) noch einmal abgebremst hat. Dies sprach zusätzlich für die Möglichkeit eines Abbiegevorgangs.

Soweit es um den Haftungsanteil der Beklagten geht, wird vorab auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Auch im Hinblick auf den Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren kann von einem Verschulden der Beklagten zu 1.) nicht ausgegangen werden. Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen C in seinem Gutachten vom 30.11.2001 sowie der Aussagen der vernommenen Zeugen N L sowie J, M und R K kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verkehrsunfall auf einem Verstoß der Beklagten zu 1.) gegen das Linkseinordnungsgebot bzw. gegen die sog. zweite Rückschaupflicht beruht. Weder durch den Sachverständigen noch durch die Bekundungen der Zeugen ist ein Verstoß der Beklagten zu 1.) gegen § 9 Abs. 1 StVO bewiesen. Die Zeugen M und R K konnten nur angegeben, dass die Beklagte zu 1.) vor dem Abbiegevorgang ordnungsgemäß den Blinker gesetzt hat. Der Sachverständige vermochte in seinem Rekonstruktionsgutachten in Ermangelung hinreichender Spuren nicht anzugeben, ob sich die Beklagte zu 1.) mit dem Fahrzeug nicht gemäß dem Linkseinordnungsgebot vor dem Abbiegevorgang zur Fahrbahnmitte hin orientiert hat. Soweit der Sachverständige angesprochen hat, die Beklagte zu 1.) könne zu weit auf der rechten Fahrbahnseite gefahren sein mit der Folge, dass der Kläger wegen der Sichtversperrung durch den vorausfahrenden Transporter die Abbiegeabsicht trotz des Blinkzeichens erst sehr spät erkannt haben könnte, handelt es sich um einen bloß möglichen Unfallverlauf, nicht indessen um den festgestellten Unfallhergang. Die vernommenen Zeugen konnten keine Angaben dazu machen, ob die Beklagte zu 1.) vor dem Abbiegevorgang dem Linkseinordnungsgebot gefolgt ist. Desweiteren kann aus dem Umstand, dass die Beklagte zu 1.) den Abbiegevorgang eingeleitet hat, ohne das Überholmanöver des Klägers zu bemerken, nicht geschlossen werden, dass ein Verstoß gegen die zweite Rückschaupflicht vorliegt. Zwar war die Beklagte zu 1.) gehalten, unmittelbar vor dem Abbiegevorgang sich nochmals zu vergewissern, dass kein Fahrzeug sie überholt. Es kann auf Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen indes nicht hinreichend sicher davon ausgegangen werden, dass die Beklagte zu 1.) das Überholmanöver des Klägers bei gebotener Sorgfalt hätte bemerken müssen, wenn sie sowohl dem Linkseinordnungsgebot Genüge getan als auch unmittelbar vor dem Abbiegemanöver auf den nachfolgenden Verkehr geachtet hätte. Da die rückwärtige Sicht für die Beklagte zu 1.) durch das hinter ihrem Fahrzeug fahrende Transportfahrzeug eingeschränkt war, ist es denkbar, dass sie auch bei ordnungsgemäßem Verhalten das Motorrad des Klägers (noch) nicht bemerken konnte. Insoweit ist nach den Weg-Zeit-Verhältnissen ein nahezu gleichzeitiger Beginn von Überholen und Abbiegen nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen. von daher kann aus dem Unfallablauf nicht hergeleitet werden, dass die Beklagte zu 1. gegen ihre (zweite) Rückschaupflicht verstoßen haben muss. Ein straßenverkehrsordnungswidriges, schuldhaftes Verhalten der Beklagten zu 1.) ist daher mit hinreichender Gewissheit nicht festzustellen.

Die konkrete Abwägung des Landgerichts, wonach die Beklagten ein Haftungsanteil in Höhe von 20 % für die Betriebsgefahr und den Kläger aufgrund seines schuldhaften Verhaltens ein Haftungsanteil von 80 % treffe, ist unter diesen Umständen nicht zu beanstanden. Regelmäßig kann davon ausgegangen werden, dass den Überholer im Verhältnis zum Linksabbieger ein höherer Haftungsanteil trifft. So ist verschiedentlich von einer Haftungsteilung in Höhe von 1/3 zu Lasten des Abbiegenden und 2/3 zu Lasten eines überholenden Kfz bzw. Motorrades ausgegangen worden (vgl. OLG Hamburg Versicherungsrecht 1958, 809; OLG Hamm Versicherungsrecht 1981, 340 und Versicherungsrecht 1976, 1094; OLG Karlsruhe Versicherungsrecht 1961, 911; OLG Nürnberg Versicherungsrecht 1970, 936; OLG Schleswig Versicherungsrecht 1979, 1036 und für den Fall des Abbiegens in eine Grundstückseinfahrt OLG Stuttgart Versicherungsrecht 1982, 454). In diesen Fällen war auch den Abbiegenden ein Verschulden vorzuwerfen. Da dies im vorliegenden Fall zu Lasten der Beklagten nicht festgestellt werden kann, ist die Beurteilung des Landgerichts, dass den Kläger eine Haftungsquote von 80% trifft, nicht zu beanstanden.

Auf die Frage, ob den Kläger ein grob fahrlässiges Fehlverhalten vorzuwerfen ist, mit der Folge, dass ihn die volle Haftung treffen würde, kommt es nicht an, da die Beklagten gegen die Teilverurteilung keine Berufung eingelegt haben.

Einen Anspruch vermag der Kläger auch nicht aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. den Vorschriften der StVO sowie i.V.m. § 3 Nr. 1, 2 PflVersG herzuleiten, da es bereits an der Feststellung eines Verschuldens der Beklagten fehlt.

Ein weitergehender Anspruch des Klägers folgt auch nicht daraus, dass das Landgericht einzelne Schadenspositionen nicht berücksichtigt hat. Der Kläger hat ausdrücklich die Schadensberechnung des Landgerichts akzeptiert.

2. Das geltend gemachte Schmerzensgeld steht dem Kläger gem. §§ 823, 847 BGB a.F. nicht zu, weil von einem schuldhaften Verhalten der Beklagten zu 1.) gerade nicht ausgegangen werden kann.

3. Die Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 ZPO).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 4.386,62 Euro (9.374,12 DM + 3.000,-- DM = 12.374,12 DM - entspricht 6.326,79 Euro, abzüglich zuerkannter 1.940,17 Euro).