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Amtsgericht Stralsund Urteil vom 13.09.2011 - 5 C 33/11 - Verkehrswidrige Benutzung des Zebrastreifens durch Radfahrers

AG Stralsund v. 13.09.2011: Verkehrswidrige Benutzung des Zebrastreifens durch Radfahrers


Das Amtsgericht Stralsund (Urteil vom 13.09.2011 - 5 C 33/11) hat entschieden:
Das Vorrecht gemäß § 26 Abs. 1 StVO auf Fußgängerüberwegen besteht nicht für Radfahrer. Kommt es auf dem Fußgängerüberweg zu einer Kollision mit einem Pkw, trifft den Radfahrer ein erhebliches Mitverschulden, welches mit 80% zu bewerten sein kann.


Tatbestand:

Der Kläger begehrt von den Beklagten Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Schadensersatzpflicht für zukünftige Schäden, die ihm durch einem Verkehrsunfall entstanden sind.

Der Unfall ereignete sich am 28.08.2009 auf dem C.-​H.-​Ring an dem Fußgängerüberweg, der sich direkt hinter der Einmündung zum Jungfernstieg aber noch vor dem Übergang des C.-​H.-​Rings in die B.-​Straße befindet. Auf der rechten Straßenseite des C.-​H.-​Rings verläuft jenseits des Bordsteins ein rot gepflasterter Radweg, der aufgrund des optischen Anscheins durch eine Bordsteinabsenkung und eine Verkehrsinsel über den C.-​H.-​Ring geführt wird.

Der Kläger befuhr mit seinem Fahrrad den Fahrradweg aus Richtung F.-​E.-​Straße kommend in Richtung B.-​Straße. Der Beklagte zu 1 fuhr mit seinem Citroen 209 mit dem amtlichen Kennzeichen ... den C.-​H.-​Ring aus gleicher Richtung kommend, ebenfalls in Richtung B.-​Straße. Als der Kläger sich auf der Höhe des Pkw des Beklagten zu 1 befand, zeigte er mit seinem linken Arm die beabsichtigte Richtungsänderung an. Anschließend setzte er dazu an, ohne auf den fließenden Verkehr zu achten, auf den Fußgängerüberweg zu fahren wobei er mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1 kollidierte. Der Beklagte zu 1 hatte den Fahrradfahrer zuvor nicht wahrgenommen.

Der Kläger zog sich durch den Verkehrsunfall eine Schlüsselbeinfraktur an der linken Schulter sowie eine Schürfwunde am linken Ellenbogen zu. Er befand sich jedenfalls bis einschließlich Januar 2010 deswegen in ärztlicher Behandlung und erhielt bis zu diesem Zeitpunkt Tabletten, u. a. homöopathische Mittel gegen Schmerzen, welche besonders bei Belastungssituationen auftraten.

Der Kläger behauptet, er sei nicht mit seinem Fahrrad in den Pkw des Beklagten zu 1. gefahren, sondern der Beklagte zu 1 habe ihn mit seinem Pkw angefahren.

Der Kläger beantragt,
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.2.2010 zu verurteilen;

  2. die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger gesamtschuldnerisch 41,77 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

  3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner zum Ersatz des weiteren Schadens aus dem Unfallereignis vom ... 2009 verpflichtet sind, soweit diese Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder einen anderen Dritten übergegangen sind.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, der Kläger sei mit seinem Fahrrad in den Pkw des Beklagten zu 1 gefahren. Dies zeige, dass der Kläger schneller gefahren sein müsse, als der Beklagte zu 1 mit seinem Fahrzeug. Hieraus ergebe sich auch, dass der Kläger nach den Beobachtungen des Zeugen B. die Fahrtrichtungsänderung erst unmittelbar vor dem Abbiegen angezeigt habe, als er sich unstreitig schon auf Höhe des Beklagtenfahrzeugs befunden habe.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Insbesondere liegt aufgrund der Möglichkeit von Folgeschäden ein Feststellungsinteresse des Klägers hinsichtlich des Antrages zu 3. vor. Die Klage ist jedoch zum größten Teil unbegründet.

1. Der Kläger hat infolge seines erheblichen Mitverschuldens an dem Verkehrsunfall lediglich einen Anspruch auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens nach einer Haftungsquote in Höhe von 20 % gemäß §§ 7 Abs. 1, 9, 11 StVG i. V. m. § 254 Abs. 1 BGB. Die Beklagte zu 2 haftet gemäß § 115 VVG neben dem Beklagten zu 1 als Gesamtschuldnerin.

Der Unfall ereignete sich beim Betrieb des Kraftfahrzeuges, dessen Halter der Beklagte zu 1 ist. Die Voraussetzungen der Gefährdungshaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG sind damit erfüllt, ohne dass es für die Haftung der Beklagten eines Verschuldens des Beklagten zu 1 bedarf.

Die Beklagten können sich aufgrund der besonderen Verkehrssituation nicht darauf berufen, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1 durch das Verschulden des Klägers vollständig zurückgedrängt wurde. Zwar besteht für Radfahrer gemäß § 26 Abs. 1 StVO auf Fußgängerüberwegen kein Vorfahrtsrecht, weshalb der Kläger hier vom Fahrrad hätte absteigen müssen, um ein Vorfahrtsrecht beanspruchen zu können. Andererseits musste der Beklagte zu 1 an dem Fußgängerüberweg aufmerksam nach Verkehrsteilnehmern auf dem Bürgersteig Ausschau halten. Hierfür bestand vorliegend besondere Veranlassung, da an der Unfallstelle durch die auf den Lichtbildern der Anlage K1 (Bl. 7 d. A.) gut erkennbaren Gegebenheiten für Radfahrer der Eindruck entstehen kann, der leicht abknickende Straßenverlauf in Richtung B.-​Straße, die Anordnung der Verkehrsinsel und der über den Fußweg geleitete Radweg führe dazu, dass Autofahrer, die den Fußweg überfahren wollen, zu behandeln seien, wie Verkehrsteilnehmer, die von einer Hauptstraße nach links in eine Seitenstraße abbiegen wollen. Der Beklagte zu 1 hat den Radfahrer im Gegensatz zu dem direkt hinter ihm fahrenden Zeugen B., auf dessen polizeiliche Vernehmung sich beide Parteien berufen, nicht gesehen. Deshalb ist davon auszugehen, dass er nicht auf Radfahrer geachtet hat, die neben bzw. hinter ihm auf dem Radweg unterwegs waren. Da ein Idealfahrer sich an der Unfallstelle durch einen Blick über die rechte Schulter anders verhalten und den Unfall damit verhindert hätte, liegt auch kein unabwendbares Ereignis im Sinne der Vorschrift des § 17 Abs. 3 StVG vor, die hier ohnehin keine direkte Anwendung findet.

Im Ergebnis besteht jedoch trotz der etwas irreführenden Straßenführung kein Vorfahrtsrecht der den Fußweg überquerenden Radfahrer, weshalb der Kläger sich hier ein erhebliches Mitverschulden anrechnen lassen muss. Bereits die Lichtbilder des Unfallortes zeigen, dass der Überweg nur mit dem Richtzeichen des § 42, Zeichen 350 StVO beschildert sowie dem Vorschriftzeichen des § 41, Zeichen 293 StVO gekennzeichnet ist, was eindeutig auf einen Fußgängerüberweg im Sinne des § 26 StVO und damit auf das fehlende Vorfahrtsrecht für Radfahrer hinweist. Trotz des leicht nach links abknickenden Straßenverlaufs müssen die auf der Straße befindlichen Verkehrsteilnehmer bei der Einfahrt in die B.-​Straße auch nicht links abbiegen, sondern folgen im Wesentlichen dem Straßenverlauf. Radfahrer, die den Fußweg überqueren wollen, müssen demgegenüber nach links abbiegen, was der Kläger, der seine Fahrtrichtungsänderung anzeigte, offenbar auch erkannt hat.

Hinzu kommt, dass der Kläger zügig unterwegs gewesen sein muss, da er den Beklagten zu 1 überholt und diesem in den Pkw gefahren sein muss. Für diese von dem Kläger bestrittene Darstellung des Unfallverlaufs spricht eindeutig das mit der Klageschrift übersandte Bild 6 (Bl. 14 d. A.), auf dem Beschädigung des Beklagtenfahrzeugs insbesondere an der Beifahrertür erkennbar sind. Hieraus ergibt sich auch, dass der Kläger seine Fahrtrichtungsänderung recht spät angezeigt haben muss, als er – nach den Angaben des Zeugen B. – etwa fünf Meter vor dem Fußgängerüberweg aber schon auf Höhe des Beklagtenfahrzeugs den linken Arm rausstreckte. Dies war allerdings für den Unfall nicht ursächlich, da der Beklagte zu 1 den Radfahrer nicht wahrgenommen hat und deshalb auch die rechtzeitige Anzeige der beabsichtigten Fahrrichtungsänderung nicht gesehen hätte. Für ein erhebliches Mitverschulden des Klägers spricht jedoch, das dieser, wie er selbst einräumte, beim Heranfahren an den Überweg in Gedanken gewesen ist und nicht auf den fließenden Verkehr auf der Straße geachtet hat. Auch insoweit ist ihm hier ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen, welcher letztlich zu einem Mitverschuldensanteil von 80 % führt.

Der Kläger erlitt durch den Zusammenstoß eine Fraktur des Schlüsselbeins der linken Schulter und eine Schürfwunde am linken Ellenbogen. Er litt noch fünf Monate später insbesondere bei einer Belastung des Armes an Schmerzen und musste ärztlich behandelt werden. Insgesamt erachtet das Gericht für diese Verletzungsfolge ein Schmerzensgeld in Höhe von 500,00 € für angemessen. Bei der zugrunde zu legenden Haftungsquote der Beklagten in Höhe von 20 % ergibt sich hieraus ein Schmerzensgeldanspruch des Klägers von 100,00 €.

2. Der Kläger hat in Höhe einer Haftungsquote von 20 % auch einen Feststellungsanspruch hinsichtlich der anteilmäßigen Haftung der Beklagten als Gesamtschuldner für mögliche, ihm noch in Zukunft durch den Verkehrsunfall entstehende Schäden.

3. Rechtsanwaltsgebühren kann der Kläger infolge der Zahlungsverweigerung der Beklagten als Schadensersatzposition nur in Höhe der Kosten verlangen, die ihm entstanden wären, wenn er nur den berechtigten Anspruch geltend gemacht hätte. Daraus ergibt sich die folgende neue Gebührenberechnung, die im Ansatz den eingeklagten Gebührenanteilen folgt:

Gebührenstreitwert 160,00 €

(100,00 € Schmerzensgeld; 60,00 € berechtigtes Feststellungsbegehren berechnet als 20 % von 300,00 €).

0,65 Geschäftsgebühr 16,25 €
Telekommunikationspauschale 3,25 €
Summe 19,50 €
19 % Mehrwertsteuer 3,71 €
Gesamt 23,21 €


4. Dem Kläger stehen hinsichtlich der Hauptforderung Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.02.2010 gem. §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB zu, da die Beklagten die Zahlung mit Schreiben vom 11.02.2010 endgültig verweigert haben. Für die Nebenforderungen kann er Zinsen seit Rechtshängigkeit gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB beanspruchen.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.



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