Das Verkehrslexikon

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OLG Karlsruhe Beschluss vom 02.10.1995 - 2 Ss 168/95 - Kein Absehen vom Fahrverbot bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß eines Rechtsanwalts

OLG Karlsruhe v. 02.10.1995: Kein Absehen vom Fahrverbot bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß eines Rechtsanwalts


Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 02.10.1995 - 2 Ss 168/95) hat entschieden:
  1. Die Verhängung eines Fahrverbots bei einem sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoß an einer beampelten Straßenkreuzung hat keine (konkrete) Gefährdung des Querverkehrs zur Voraussetzung.

  2. Berufliche Erschwernisse eines Rechtsanwalts rechtfertigen keine Ausnahme vom Regelfahrverbot nach BKatV § 2 Abs 1 S 1 Nr 4.

Siehe auch Absehen vom Fahrverbot bei bestimmten Berufen? und Der qualifizierte Rotlichtverstoß


Gründe:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Nichtbefolgens des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage zur Geldbuße von DM 250,00 verurteilt und gleichzeitig ein einmonatiges Fahrverbot ausgesprochen. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die in erster Linie die Verhängung des Fahrverbots angreift, erweist sich als offensichtlich unbegründet, weshalb sie auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Verteidigers gem. § 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 und 3 StPO zu verwerfen war.

Anlass besteht nur zu den nachstehenden Bemerkungen:

Das Amtsgericht hat im Rahmen der gebotenen Prüfung des vorliegenden Einzelfalles (vgl. nur Himmelreich/Hentschel Fahrverbot/Führerscheinentzug 8. Aufl. Rdnr. 334 a; Senat NZV 1994, 237 f.) zu Recht einen Regelfall i.S.d. §§ 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKatV angenommen.

1. Nach den Feststellungen unterhielt sich der Betroffene bei der Annäherung an die Lichtsignalanlage an der Kreuzung X.-Straße/B.- Straße in X. mit seiner mitfahrenden Tochter und beachtete deshalb die Verkehrsverhältnisse nicht. Er nahm weder die drei Sekunden währende Gelbphase wahr noch beachtete er, dass das Rotlicht bereits länger als eine Sekunde (0,14 sec.) dauerte, als er die Haltelinie überfuhr. Angesichts der dem Senat aus entsprechenden Parallelverfahren bekannten guten Sichtverhältnisse am Ort des Geschehens stellt sich ein solches Verhalten als eine deutlich gesteigerte Unaufmerksamkeit dar, auch wenn das Rotlicht beim Überfahren der Haltelinie nur wenig mehr als eine Sekunde dauerte. Bei diesem festgestellten äußerst nachlässigen Gesamtverhalten des Beschwerdeführers besteht keinerlei Besorgnis, dass das Amtsgericht nur schematisch (vgl. dazu Hentschel a.a.O.; ders. NJW 1994, 696, 706 f.; 1995, 627, 632) auf die - nur äußerst kurzzeitige - Überschreitung der Sekundengrenze der Rotlichtdauer abgestellt haben könnte.

Den Feststellungen kann auch nichts dafür entnommen werden, dass eine der Fallgruppen vorgelegen haben könnte, die nach der obergerichtlichen Rechtsprechung den Schluss auf eine gesteigerte Verantwortungslosigkeit und damit auf die Notwendigkeit der Verhängung der Regelsanktion als fernliegend oder gar als ausgeschlossen erscheinen lässt (z.B.: überraschend auftauchende Signalanlage ; sog. "Mitzieheffekt ; sog. "Frühstarterfall" ; Ablenkung durch Suche nach Anschrift ; psych. Beeinflussung durch Fahrgäste ; zum Ganzen Himmelreich/Hentschel a.a.O.; Jagusch/Hentschel StrVR 33. Aufl. § 25 StVG Rdnr. 14; vgl. auch § 37 StVO Rdnr. 64; jew. m.w.N.).

2. Soweit sich der Beschwerdeführer auf die ausdrückliche Feststellung des Amtsgerichts bezieht (UAS 5 3. Absatz), dass der Querverkehr nicht konkret gefährdet wurde, weil dieser erst ca. 2,5 sec. nach dem Vorfall Grünlicht erhielt, rechtfertigt dies ebenfalls nicht die Annahme, dass der Tatrichter, der diesen Gesichtspunkt bei der Begründung des Rechtsfolgenausspruches allerdings nicht mehr aufgegriffen hat, zu Unrecht einen Regelfall angenommen haben könnte. Zwar wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung vereinzelt und z.T. mit missverständlichen Formulierungen beim Vorliegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes nach Nr. 34.2 des Bußgeldkatalogs ein Regelfall u.a. dann verneint, wenn eine Gefährdung des Querverkehrs ausgeschlossen war (OLG Düsseldorf VRS 85, 472, 474) bzw. eine konkrete Gefährdung nicht festgestellt werden konnte (OLG Düsseldorf NZV 1993, 409 = VRS 85, 470; KG NZV 1994, 238 = VRS 87, 52 f.; OLG Köln NZV 1994, 41; OLG Oldenburg NZV 1995, 119 = VRS 88, 309; vgl. auch Jagusch/Hentschel a.a.O. § 25 StVG Rdnr. 14 m.w.N.). Jedoch ergibt sich aus den jeweils zugrundeliegenden, vom vorliegenden Geschehen deutlich abweichenden Sachverhalten, dass dort insoweit in erster Linie die konkrete Gefährdung verneint wurde. Eine solche setzt aber das Regelfahrverbot nach Nr 34.2 des Bußgeldkatalogs gerade nicht voraus (Senat a.a.O. S. 238 unter Hinweis auf die amtliche Begründung ; ausf. OLG Zweibrücken NZV 1994, 160 = VRS 86, 465 = DAR 1994, 164 m.w.N.; Himmelreich/Hentschel a.a.O.). Vielmehr stellt der Verordnungsgeber maßgebend auf die abstrakte Gefährdung des Querverkehrs ab.

Dass es nur darauf ankommt, zeigt auch die schärfere Regelung der Nr. 34.2.1 des Katalogs, die bei einer Berücksichtigung der fehlenden konkreten Gefährdung im Rahmen der Nr. 34.2 des Katalogs nicht verständlich wäre. Schließlich hält es der Senat unter Berücksichtigung des aus dem objektiven Verhalten folgenden subjektiven Tatbildes jedenfalls bei Kreuzungsfällen der vorliegenden Art für wenig sachgerecht, danach zu differenzieren, ob infolge der jeweils unterschiedlichen und zufälligen Ampelschaltung für den Querverkehr eine konkrete Gefahrenlage bestanden hat oder nicht. Auch der Bundesgerichtshof hat in seiner Grundentscheidung BGHSt 38, 125, 133 ausdrücklich auch auf die abstrakt gefährlichen Verstöße abgestellt, die einen gesteigerten Vorwurf und daher die Reaktion mit einem eindringlicheren Denkzettel rechtfertigen. Liegt ein solcher abstrakt gefährlicher Verstoß - wie hier - vor, ist die Annahme verfehlt, der Grundgedanke der verschärften Regelahndung käme nicht mehr zum Tragen (so aber ausdrücklich OLG Düsseldorf NZV 1993, 409 = VRS 85, 470). Auf diese Weise würde vielmehr die vom Verordnungsgeber in objektiver und subjektiver Hinsicht beschriebene und entsprechend vorbewertete Verhaltensweise bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß wieder beseitigt, was der auch für die Gerichte geltenden Bindungswirkung der Regelfallkonstruktion (BGHSt 38, 125, 132; 38, 231, 235) zuwiderlaufen würde.

Selbst wenn man der vom Beschwerdeführer und einem Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Auffassung im Ansatz folgen wollte, liegt im vorliegenden Fall jedoch angesichts des gesamten Verhaltens bei der Annäherung an die Kreuzung nicht nur eine bloße kurzzeitige Unaufmerksamkeit, sondern eindeutig ein gesteigertes grobes Verhalten vor, das die Verhängung der verschärften Regelsanktion rechtfertigt. Dass der Beschwerdeführer, wie er betont, die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei seinem Verhalten nicht überschritten hat, ist für den vorliegenden Fall im übrigen ohne Bedeutung.

2. Die Rüge, das Amtsgericht hätte sich nicht mit den in der Hauptverhandlung vorgetragenen beruflichen Auswirkungen des Fahrverbots befasst, die "über die übliche Inanspruchnahme eines Freiberuflers hinausgingen", stellt sich letztlich als die Behauptung der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Diese formelle Rüge ist aber unzulässig, weil gerade nicht dargelegt wird, was der Betroffene in der Hauptverhandlung an vom Amtsgericht nicht berücksichtigten Tatsachen vorgetragen haben will.

Das Amtsgericht hat im übrigen festgestellt (UAS 2 oben), dass der Betroffene von Beruf Rechtsanwalt und Sozius in einer Kanzlei ist und in dieser Eigenschaft "regelmäßig in der Woche auswärtige Termine wahrnimmt". Bei dieser Sachlage genügt die Bewertung des Tatrichters (UAS 6, 5. Absatz) , dass die "Möglichkeit beruflicher Nachteile aufgrund des Fahrverbots keine besondere Härte darstellt, die es rechtfertigen könnte, ausnahmsweise von einem Fahrverbot abzusehen". Es liegt auf der Hand, dass der Betroffene die beruflichen Nachteile des Fahrverbots durch andere Maßnahmen ausgleichen kann (Bestellung der Klienten in die Praxis; Vertretung durch seinen Sozius; Urlaub während der Zeit des Fahrverbots etc.). Von einer unzumutbaren Härte für den Betroffenen durch die Verhängung der Regelsanktion kann keine Rede sein.

Der Hinweis des Beschwerdeführers auf die im Wege der einstweiligen Anordnung ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26.10.1993 (NJW 1994, 573 f.; vgl. dazu Göhler NZV 1994, 343 f.; abschließende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.1994 über die Kosten des erledigten Verfahrens ) liegt angesichts der ausreichenden Urteilsfeststellungen zu seiner persönlichen und beruflichen Situation neben der Sache. Vorliegend war vielmehr die Feststellungsgrundlage vorhanden, auf der das Amtsgericht die Umstände des konkreten Falles in objektiver und subjektiver Hinsicht bei der Bewertung und Entscheidung berücksichtigen konnte. Damit war auch dem Senat die rechtliche Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung ausreichend ermöglicht.