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Landgericht Hamburg Urteil vom 26.04.2013 - 323 O 344/12 - Unfall eines Fahrzeugs mit einem auf einer Autobahnraststättenzufahrt verbotswidrig geparkten Lkw mit Anhänger

LG Hamburg v. 26.04.2013: Unfall eines Fahrzeugs mit einem auf einer Autobahnraststättenzufahrt verbotswidrig geparkten Lkw mit Anhänger


Das Landgericht Hamburg (Urteil vom 26.04.2013 - 323 O 344/12) hat entschieden:
Kollidiert ein Fahrzeug, nachdem es aus nicht geklärten Gründen zunächst auf den Grünstreifen geraten und mit einem Verkehrsschild und der Leitplanke kollidiert war, auf der Zufahrt zu einer Autobahnraststätte mit einem nach § 18 Abs. 8 StVO dort verbotswidrig parkenden Lkw mit Anhänger, so haftet der Lkw-Halter für die aus dem Unfall resultierenden Schäden zu 30%.


Siehe auch Parken im Zivilrecht und Die Mithaftung des verkehrswidrig parkenden Kfz-Halters und -Führers


Tatbestand:

Die Klägerin macht gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls geltend, der sich am 17.10.2009 in H. ereignete.

Die am ... geborene Klägerin befuhr an diesem Tag gegen 04.15 Uhr mit dem Lkw Fiat Ducato, amtliches Kennzeichen, die Bundesautobahn 7 Richtung Süden. In Höhe der Raststätte H. B. geriet die Klägerin mit der linken Fahrzeugseite auf den auf der linken Seite der Zufahrt zu der vorgenannten Raststätte gelegenen Grünstreifen, wo sie zunächst mit einem Verkehrsschild und der Leitplanke kollidierte. Sodann geriet das Fahrzeug wieder auf die Fahrbahn der Zufahrt, fuhr geradeaus und stieß dann im linken Bereich der Zufahrt ungebremst frontal gegen das Anhängerheck des dort abgestellten, bei dem Beklagten quasi-haftpflichtversicherten Lkw MAN, amtliches slowenisches Kennzeichen, dessen Fahrer zu diesem Zeitpunkt in der Zugmaschine schlief.

Die Klägerin wurde bei dem Unfall schwer verletzt (vgl. die Anlagen K 4 und 5). Sie befand sich bis zum 31.05.2010 in stationärer Behandlung.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 21.12.2011 machte die Klägerin Schadensersatzansprüche geltend. Mit Schreiben vom 28.01.2012 wurden Ansprüche zurückgewiesen.

Die Klägerin macht geltend, dass der Beklagte jedenfalls in Höhe von 30 % für die aufgrund des Verkehrsunfalls entstandenen Schäden hafte. Der Lkw sei verbotswidrig in der Zufahrt abgestellt worden. Das Halten sei in diesem Bereich bereits gemäß § 18 Abs. 8 StVO unzulässig, zudem befinde sich unmittelbar vor der Kollisionsstelle das Zeichen 283.

Sie habe zu den Gründen, aus denen sie beim Einfahren auf das Gelände der Raststätte die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren habe, keine Erinnerung.

Die Klägerin macht ein Schmerzensgeld von mindestens 50.000,00 € geltend. Sie habe neben den unmittelbaren Verletzungen durch den Unfall körperliche und psychische Dauerschäden erheblichen Ausmaßes erlitten (vgl. die Anlagen K 6 bis 11).

Insbesondere habe der Unfall zu einer starken Wesensveränderung infolge eines organischen Psychosyndroms geführt, aufgrund derer sie oft gereizt, introvertiert und unsicher sei, ihre Gedankengänge seien ungeordnet. Sie sei bei sämtlichen alltäglichen Verrichtungen auf Hilfe Dritter angewiesen.

Die Klägerin verlangt zudem die Erstattung von 30 % der von ihr behaupteten materiellen Schäden, wobei sie insofern einen Erwerbsschaden in Höhe von 968,25 €, einen Haushaltsführungsschaden in Höhe von 13.964,60 € und pauschal unfallbedingte Mehraufwendungen von 150,00 € in Ansatz bringt.

Sie begehrt schließlich die Feststellung, dass der Beklagte auch für weitere Schäden entsprechend einer Haftungsquote von 30 % einzustehen hat.

Die Klägerin beantragt,
  1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, das allerdings nicht unter 50.000,00 € liegen sollte, zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.01.2012 zu bezahlen,

  2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 4.524,85 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.01.2012 zu bezahlen,

  3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden, letztere soweit sie derzeit noch nicht vorhersehbar sind, aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 17.10.2009 zu 30 % zu ersetzen,

  4. den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin von der Inanspruchnahme durch den Rechtsanwalt D. S., E... Weg, H., aus dessen Kostenrechnung vom 23.10.2012 in Höhe von 2.994,28 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagzustellung freizustellen.
16 Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte macht geltend, dass eine Mithaftung des Beklagten aufgrund alleinigen Verschuldens der Klägerin ausscheide.

Er behauptet, die Klägerin sei bei einer Geschwindigkeit von ca. 100 km/h aus Übermüdung oder Unachtsamkeit langsam und kontinuierlich nach rechts abgedriftet und schließlich von der Fahrbahn abgekommen.

Hinsichtlich der Gesundheitsschäden wird insbesondere eine unfallbedingte starke Wesensveränderung bestritten. Die geltend gemachten materiellen Schäden werden bestritten.

Wegen des weitergehenden Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Die Ermittlungsakte mit dem Az. 2200 Js 1324/09 ist durch das Gericht beigezogen worden.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist hinsichtlich der Klaganträge zu 1., 2. und 4. dem Grunde nach begründet, bezüglich des Klagantrages zu 3. hat sie bereits jetzt in der Sache Erfolg.

1. Über den Grund der mit den Klaganträgen zu 1., 2. und 4. geltend gemachten Ansprüche wird gemäß § 304 ZPO vorab entschieden, da der Rechtsstreit insoweit zur Entscheidung reif ist, während über die Höhe der Ansprüche der Klägerin noch weitere Sachverhaltsaufklärung erforderlich ist, insbesondere durch Einholung medizinischer Sachverständigengutachten sowie nähere Aufklärung der behaupteten materiellen Schäden.

Die zulässige Klage ist insofern dem Grunde nach auch begründet. Der Klägerin stehen dem Grunde nach gegen den Beklagten Ansprüche auf Ersatz immateriellen und materiellen Schadens aus dem Verkehrsunfall vom 17.10.2009 aus §§ 7, 17, 18 StVG, § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 115 Abs. 1 VVG zu.

Die Beklagten trifft eine Haftung in Höhe einer Quote von 30 % für die aus dem

Unfall resultierenden Schäden. Der Unfall beruhte weder für die Klägerin noch für den Führer des bei dem Beklagten quasi-haftpflichtversicherte Fahrzeugs auf höherer Gewalt i. S. d. § 7 Abs. 2 StVG und war für beide auch nicht unabwendbar i. S. d. § 17 Abs. 3 StVG. Es ist im Hinblick auf beide Unfallbeteiligten jedenfalls nicht auszuschließen, dass ein besonders vorsichtiger Fahrzeugführer den Unfall vermieden hätte.

Steht die grundsätzliche Haftung der Parteien aus §§ 7, 17, 18 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 VVG fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß §§ 17, 18 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden überwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Für das Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Verhalten geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art herbeizuführen.

Die von beiden Teilen zu tragende Betriebsgefahr kann dabei durch das Verschulden der Beteiligten erhöht werden. Im Rahmen der Abwägung können zu Lasten einer Partei aber nur solche Tatsachen berücksichtigt werden, die als unfallursächlich feststehen.

Dem Fahrzeugführer des bei dem Beklagten quasi-haftpflichtversicherte Fahrzeugs ist ein Verkehrsverstoß zur Last zu legen, da er entgegen §18 Abs. 8 StVO im Bereich einer Autobahn gehalten hat. Das Haltverbot erstreckt sich auch auf die Zu- und Abfahrten, welche die durchgehende Fahrbahn mit Parkplätzen verbinden, da angesichts der hohen Geschwindigkeiten auf Autobahnen haltende Fahrzeuge auch in diesem Bereich Gefahren begründen können (BayObLG VRS 59, 54). Ob im fraglichen Bereich zusätzlich das Zeichen 283 aufgestellt war, kann daher dahinstehen.

Das verbotswidrige Halten ist auch für den Verkehrsunfall ursächlich gewesen. Eine Kausalität für den Unfall ergibt sich schon daraus, dass sich die Kollision nicht ereignet hätte, wenn der Lastzug nicht an dieser Stelle geparkt hätte. Es fehlt aber auch nicht an einem Schutzzweckzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die Regelung des § 18 Abs. 8 StVO und der Kollision der Fahrzeuge. Das strikte Haltverbot dient der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs in einem Bereich, der aufgrund der hohen Geschwindigkeiten der Fahrzeuge mit gesteigerten Gefahren verbunden und deshalb von möglichen Hindernissen freizuhalten ist. Dabei werden durch das umfassende Haltverbot gerade auch Ausweichmöglichkeiten für Fahrzeuge eröffnet, die nicht mehr ordnungsgemäß auf einer Fahrspur geführt werden können, oder jedenfalls eine Verringerung des Risiko von schwerwiegenden Kollisionen in solchen Fällen sichergestellt. Dass der Zweck des Haltverbots sich nicht darin erschöpft, einen - vorliegend unstreitig gegebenen - ausreichenden Fahrbereich neben oder zwischen haltenden Fahrzeugen freizuhalten, verdeutlicht das Verbot des Haltens auf den Seitenstreifen, welches für sich genommen den Verkehr auf den Fahrspuren zunächst nicht beeinträchtigt.

Dass die Klägerin vor der Kollision von der Fahrbahn abgekommen war, steht daher in keiner Weise der Annahme entgegen, dass das Haltverbot gerade auch der Verhinderung solcher Unfälle dient. Die Klägerin war in einem Hochgeschwindigkeitsbereich aus welchen Gründen auch immer in eine kritische Situation geraten, in der jedes Hindernis eine potentielle Gefahr erheblichen Ausmaßes darstellte. Im Übrigen fuhr die Klägerin nicht etwa von einem Grünstreifen aus kommend - also in möglicherweise völlig untypischer Weise - auf den Lkw zu. Vielmehr befand sich das Fahrzeug der Klägerin vor der Kollision unstreitig wieder vollständig auf der Fahrbahn der Zufahrt und stieß nach kurzem Geradeausfahren frontal gegen das Heck des Lastzuges.

Die von dem Beklagten - allerdings ohne Konkretisierung dieses Vortrages - behauptete Duldung des Parkens in diesem Bereich durch die Polizei nimmt einem solchen Verkehrsverhalten nicht seine Rechtswidrigkeit.

Angesichts dieses unfallursächlichen Verkehrsverstoßes ist bei Würdigung sämtlicher Umstände von einer Mithaftung des Beklagten auszugehen. Eine Alleinhaftung der Klägerin würde die durch das Verschulden des Fahrers noch gesteigerte Betriebsgefahr des bei dem Beklagten quasi-haftpflichtversicherten Lkw nicht hinreichend berücksichtigen.

Auf der anderen Seite ist die Haftung des Beklagten bei Abwägung der verschiedenen Verursachungsanteile aber auf eine Quote von 30 % zu begrenzen.

Dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass der Unfall maßgeblich durch das von der Klägerin geführte Fahrzeug verursacht wurde. Die Kollision hat sich nur deshalb ereignen können, weil die Klägerin aus Umständen, die dem Beklagten in keiner Weise zuzurechnen sind, die Kontrolle über ihr Fahrzeug vollständig verloren hatte. Der verbotswidrig abgestellte Lastzug stellte für ein ordnungsgemäß geführtes Fahrzeug keine Gefahr dar, sondern hat lediglich - wenn auch mit tragischem Ergebnis - das Risiko für ein Fahrzeug erhöht, das sich aufgrund eines anderen Ereignisses bereits in einer höchst risikoreichen Situation befand. Dies liegt zwar gerade nicht außerhalb des Schutzzwecks des § 18 Abs. 8 StVO, ist aber bei der Bewertung der Verursachungsanteile maßgeblich zu berücksichtigen.

Da diese objektiven Verursachungsanteile für die Bewertung vorliegend entscheidend sind, kommt es nicht darauf an, aus welchen - bislang ungeklärten - Gründen die Klägerin die Kontrolle über das Fahrzeug verlor.

Auch im Falle eines unverschuldeten Unglücks kommt eine höhere Haftung des Beklagten wegen der in erster Linie von dem Fahrzeug der Klägerin ausgehenden Gefahr nicht in Betracht. Andererseits hätte auch eine Verursachung des Unfalls durch Übermüdung oder Unaufmerksamkeit der Klägerin nicht zur Folge, dass die genannte Haftung des Beklagten entfiele. Es bliebe nämlich auch dann maßgeblich zu berücksichtigen, dass mit dem verbotswidrigen Halten mit Blick auf kritische Verkehrssituationen ein potentiell erhebliches Risiko durch Schaffung eines unüberwindlichen Hindernisses gesetzt wurde.

Der gemäß § 256 ZPO zulässige Feststellungsantrag ist bereits zum jetzigen Zeitpunkt entscheidungsreif i. S. d. § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO und hat auch in der Sache Erfolg.

Eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung eines Schädigers zum Ersatz künftiger Schäden ist nur dann zulässig, wenn jedenfalls die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht (vgl. BGHZ 116, 60; BGH NJW 2001, 1432). Ein Feststellungsinteresse ist hingegen zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH MDR 2007, 792).

Vorliegend ist angesichts der unstreitig eingetretenen schweren Verletzungen der Klägerin die Möglichkeit von weiteren Schäden infolge des Unfalls gegeben, die über die bislang geltend gemachten - derzeit bereits eingetretenen oder jedenfalls vorhersehbaren immateriellen sowie die nicht übergegangenen materiellen - Schäden hinausgehen.