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BGH Beschluss vom 10.06.1985 - 4 StR 153/85 - Gesamtstrafenbildung bei Strafbefehl

BGH v. 10.06.1985: Zur Gesamtstrafenbildung bei Strafbefehl


Der BGH (Beschluss vom 10.06.1985 - 4 StR 153/85) hat entschieden:
Aus einer Strafe für eine Straftat, die nach Erlass (Unterzeichnung), aber vor Zustellung eines Strafbefehls begangen wurde, und der im (rechtskräftigen) Strafbefehl verhängten Strafe kann keine Gesamtstrafe gebildet werden.


Siehe auch Strafbefehl und Strafbefehlsverfahren

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wie folgt verurteilt: Wegen Diebstahls in vier Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Münster vom 26. September 1983 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, wegen Raubes und Diebstahls unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Münster vom 29. November 1983 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten und schließlich wegen schwerer räuberischer Erpressung und Diebstahls unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Landgerichts Münster vom 8. März 1984 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts.

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Erörterung bedarf nur die vom Landgericht vorgenommene Gesamtstrafenbildung:

Die Strafkammer hat die Einzelstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe, die es gegen den Angeklagten wegen eines am 29. September 1983 begangenen Raubes verhängt hat, nicht in die erste Gesamtstrafe mit einbezogen, weil der - für die Gesamtstrafenbildung eine Zäsur bewirkende (BGHSt 32, 190, 193) - Strafbefehl bereits am 26. September 1983 erlassen worden ist; sie hat es somit als unerheblich angesehen, dass der Strafbefehl dem Angeklagten erst am 8. Oktober 1983, also nach der von ihm begangenen Raubtat, zugestellt worden ist. Das ist nicht rechtsfehlerhaft:

Zwar haben das Oberlandesgericht München (Beschluss vom 13. Mai 1974 - 1 Ws 336/74, mitgeteilt bei Remmele NJW 1974, 1855) und das Oberlandesgericht Schleswig (SchlHA 1982, 99) ausgesprochen, es sei für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung auf den Zeitpunkt der Zustellung des Strafbefehls abzustellen; diese Auffassung wird auch in der Literatur vertreten (Sieg NJW 1975, 530; Stree in Schönke/Schröder, 21. Aufl. § 55 StGB Rdnr. 10; Vogler in LK, 10. Aufl. § 55 StGB Rdnr. 3; a.A. aber Dreher/Tröndle, 42. Aufl. § 55 StGB Rdnr. 1; Remmele NJW 1974, 486 und 1855). Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.

Für die Frage der nachträglichen Gesamtstrafenbildung kommt es darauf an, welche Straftaten das Gericht, das zuerst eine Strafe verhängt hat, mit hätte aburteilen können, wenn sie ihm bekannt gewesen wären. Der danach entscheidende Richter muss sich bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung in die Lage des Richters versetzen, dessen Entscheidung für eine nachträgliche Einbeziehung in Frage kommt (BGHSt 32, 190, 193). Straftaten, die der Angeklagte erst nach der Entscheidung des zuerst tätig gewordenen Richters begangen hat, müssen demnach außer Betracht bleiben. Es ist also auf die Situation des Richters und nicht etwa auf die des Angeklagten abzustellen (Remmele NJW 1974, 486/487). Wenn demgegenüber das Oberlandesgericht München (aaO) darauf abhebt, ob der Strafbefehl gegenüber dem Angeklagten eine Warnfunktion entfalten konnte, so bringt es damit eine Erwägung in das Recht der Gesamtstrafenbildung, die den §§ 53 ff StGB fremd ist; denn hiernach soll nur sichergestellt werden, dass der Täter auch bei getrennter Aburteilung im Endergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist als bei einer gemeinsamen Aburteilung aller seiner Taten (BGHSt 7, 180 f; 8, 203 ff; 15, 66, 69; 17, 173, 175).

Der Zeitpunkt, in dem vom Richter geprüft werden muss und untersucht werden kann, ob der Angeklagte noch weitere Taten begangen hat, die nun gleichzeitig abzuurteilen sind (§ 53 Abs. 1 StGB), kann bei der Verurteilung durch Strafbefehl aber nur dessen (richterlicher) Erlass und nicht derjenige der (nichtrichterlichen) Zustellung sein. So wird auch in § 5 Abs. 1 Nr. 4 BZRG auf den Tag der Unterzeichnung des Strafbefehls durch den Richter und in § 78 c Abs. 2 StGB, § 33 Abs. 2 OWiG für die Frage der Verjährung (im Regelfall) auf den Zeitpunkt der Unterzeichnung der Anordnung oder Entscheidung abgestellt.

Dem steht die Entscheidung BGHSt 6, 122, 124 - wie der 1. Strafsenat auf Anfrage erklärt hat - nicht entgegen. Dort hat der Bundesgerichtshof zwar den Zeitpunkt der Zustellung des Strafbefehls mit dem der Verkündung des Urteils gleichgesetzt, ohne dies näher zu begründen. Dabei ging es aber darum, in welchem Umfang bei einer fortgesetzten Handlung durch einen Strafbefehl ein Strafklageverbrauch eintritt; mit der Frage, ob der Erlass oder die Zustellung des Strafbefehls als Zeitpunkt der früheren Verurteilung im Sinne des § 55 StGB (= § 79 StGB a.F.) anzusehen ist, setzt sich die Entscheidung nicht auseinander.

Bei einer Verurteilung durch Strafbefehl ist demnach eine Straftat im Sinne des § 55 Abs. 1 StGB vor der früheren Verurteilung nur dann begangen, wenn sie in die Zeit vor Unterzeichnung des Strafbefehls durch den Richter fällt.



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