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OLG Jena Beschluss vom 01.09.2011 - 1 Ss Bs 66/11 - Entbehrlichkeit von Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen bei vorsätzlichem Handeln

OLG Jena v. 01.09.2011: Entbehrlichkeit von Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen bei vorsätzlichem Handeln


Das OLG Jena (Beschluss vom 01.09.2011 - 1 Ss Bs 66/11) hat entschieden:
Mit § 3 Abs. 4a BKatV hat der Verordnungsgeber für die Fälle vorsätzlichen Handelns einen eigenständigen Regelsatz gebildet. Auch auf diesen eigenständigen Regelsatz für vorsätzliches Handeln ist die Rechtsprechung des Senats zur ausnahmsweisen Entbehrlichkeit von Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen bei Geldbußen bis 500 € anzuwenden. Es ist kein Grund ersichtlich, diese auf die Regelsätze für fahrlässiges Handeln zu beschränken.


Siehe auch Bemessung der Geldbuße - Bußgeldhöhe und Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen im Bußgeldverfahren


Gründe:

I.

Die Thüringer Polizei – Zentrale Bußgeldstelle – setzte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 29.9.2010 wegen einer am 5.9.2010 um 14.03 Uhr in G auf der Straße des F, Höhe Klinikum, begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften von 50 km/h um 42 km/h eine Geldbuße von 200 € fest. Außerdem verhängte sie für die Dauer von einem Monat ein Fahrverbot.

Gegen diesen ihm am 2.10.2010 zugestellten Bußgeldbescheid legte der Betroffene durch am nämlichen Tage eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers vom 4.10.2010 Einspruch ein. Daraufhin verurteilte ihn das Amtsgericht Gera in der Hauptverhandlung vom 7.4.2011 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 42 km/h zu einer Geldbuße von 400 €. Außerdem verhängte auch das Amtsgericht ein Fahrverbot von einem Monat Dauer und ordnete zugleich an, dass das Fahrverbot erst wirksam werde, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelange, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

Mit am 13.4.2011 eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom Vortage legte der Betroffene gegen dieses Urteil Rechtsbeschwerde ein, die er nach Zustellung des Urteils am 9.5.2011 mit am Folgetage eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom 18.5.2011 mit der näher ausgeführten Sachrüge begründete.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 3.8.2011, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Mit Beschluss vom 19.8.2011 hat der zuständige Einzelrichter die Sache zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.


II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. 1. Hinsichtlich des Schuldspruchs hält die angefochtene Entscheidung einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht auf die Sachrüge hin stand.

3. Auch im Rechtsfolgenausspruch führt die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf die Sachrüge nicht zur Aufdeckung von Rechtsfehlern zum Nachteil des Betroffenen.

a) Bei Verhängung eines Regelfahrverbots sind Ausführungen dazu, ob eine grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG gegeben ist, grundsätzlich entbehrlich.

Die in § 4 Abs. 1 BKatV und im Bußgeldkatalog (Anlage zu § 1 I BKatV) aufgeführten Tatbestände indizieren als Regelbeispiele das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung, die zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes bedarf (BGHSt 38, 125, 134; BayObLG NZV 1994, 370).

Auch wenn die Voraussetzungen eines Regelbeispiels gegeben sind, ist der Tatrichter zwar nicht der Prüfung enthoben, ob Umstände des konkreten Falles in objektiver oder subjektiver Hinsicht der Annahme eines Regelfalls entgegenstehen (BVerfG DAR 1996, 196). Dies setzt aber voraus, dass insoweit entsprechende Anhaltspunkte vorliegen. Das System des Bußgeldkatalogs würde insgesamt ins Wanken geraten, wenn der Grad der Vorwerfbarkeit und die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit in jedem Einzelfall detailliert untersucht und abgewogen werden müssten. Ungeachtet dessen hat der Tatrichter auch bei Regelfahrverboten in jedem Einzelfall zu prüfen, ob von der Verhängung eines Fahrverbots ausnahmsweise unter Erhöhung der Geldbuße abgesehen werden kann. Damit korrespondiert die Pflicht des Tatrichters, in den Urteilsgründen zu erkennen zu geben, dass er sich der Möglichkeit der Kompensation bewusst war. Eine Erörterung des Absehens vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße ist nur dann nicht erforderlich, wenn diese Möglichkeit weder aufgrund der vom Gericht selbst vorgenommenen Bewertung der Tat noch bei objektiver Würdigung in Betracht kommt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 24.3.2006, Az.: 1 Ss 57/06, vom 17.6.2004, Az.: 1 Ss 13/04).

Hier war sich das Amtsgericht der Möglichkeit bewusst, vom Regelfahrverbot abzusehen. Es hat ausgeführt, keine Anhaltspunkte dafür erkennen zu können, dass der Betroffene aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit existenznotwendig auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist.

b) Es ist auch nicht zu beanstanden, dass in dem Urteil nähere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen fehlen.

Entbehrlich sind solche Feststellungen gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 OWiG in der Regel bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten. Als geringfügig sieht der Senat in ständiger Rechtsprechung solche Ordnungswidrigkeiten an, die im konkreten Fall mit einer Geldbuße von nicht mehr als 250 € geahndet werden. Nach ebenfalls gefestigter Rechtsprechung des Senats sind konkrete Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen ausnahmsweise aber auch bei einer Geldbuße bis zu 500 € entbehrlich, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht erkennbar vom Durchschnitt abweichen, weil Anhaltspunkte für außergewöhnlich schlechte oder außergewöhnlich gute wirtschaftliche Verhältnisse fehlen, und es sich bei der festgesetzten Geldbuße um den im Bußgeldkatalog bestimmten Regelsatz handelt (vgl. nur Senatsbeschluss vom 22.12.2004, Az.: 1 Ss 282/04).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Die vom Amtsgericht festgesetzte Geldbuße (400 €) übersteigt 500 € nicht.

Sie hält sich auch im Rahmen des Regelsatzes. Zwar beläuft sich im Falle der Überschreitung der innerorts zulässigen Geschwindigkeit um mehr als 40 und weniger als 50 km/h der Regelsatz gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 BKatV in Verbindung mit Nr. 11.3 BKat und Nr. 11.3.7. der Tabelle 1c BKat auf 200 €. Dabei handelt es sich gemäß § 1 Abs. 2 BKatV allerdings um den für eine fahrlässige Begehung vorgesehenen Regelsatz. Dieser ist im Falle vorsätzlichen Handelns gemäß § 3 Abs. 4a BKatV zu verdoppeln.

Mit § 3 Abs. 4a BKatV hat der Verordnungsgeber für die Fälle vorsätzlichen Handelns einen eigenständigen Regelsatz gebildet. Auch auf diesen eigenständigen Regelsatz für vorsätzliches Handeln ist die vorerwähnte Rechtsprechung des Senats anzuwenden. Es ist kein Grund ersichtlich, diese auf die Regelsätze für fahrlässiges Handeln zu beschränken. Dafür spricht insbesondere nicht der Umstand, dass hinter der genannten Rechtsprechung des Senats die Erwägung steht, der Verordnungsgeber habe in den Tabellen zum Bußgeldkatalog diejenigen Regelsätze festgesetzt, die aus seiner Sicht von einem in durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Betroffenen zumutbarerweise getragen werden können. Insofern ist nämlich zu berücksichtigen, dass die genannte Rechtsprechung des Senats nur bis zur Grenze von 500 € gilt und der Verordnungsgeber für besonders gravierende Ordnungswidrigkeiten auch im Falle fahrlässiger Begehung Regelsätze von über 500 € festgelegt hat.

Anhaltspunkte für außergewöhnlich gute oder außergewöhnlich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen sind nicht ersichtlich.

3. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 473 StPO.