Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

BGH Urteil vom 08.03.1988 - VI ZR 234/87 - Klageänderung in der Berufungsinstanz

BGH v. 08.03.1988: Zur Klageänderung in der Berufungsinstanz


Der BGH (Urteil vom 08.03.1988 - VI ZR 234/87) hat entschieden:
Nimmt nach einem Verkehrsunfall der Geschädigte mit der Direktklage einen Kfz-Haftpflichtversicherer auf Grund der Einstandspflicht für einen bestimmten Unfallbeteiligten in Anspruch und stützt er nach Abweisung der Klage die gegen den Versicherer geführte Berufung allein auf dessen Einstandspflicht für einen anderen Unfallbeteiligten, so ist die Berufung wegen insoweit fehlender Beschwer unzulässig. Es handelt sich nicht um eine zulässige Klageänderung.


Siehe auch Klageänderung und Stichwörter zum Thema Zivilprozess


Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Erstbeklagten (im folgenden: die Beklagte) Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, bei dem er als Fahrer eines Leichtkraftrades verletzt worden ist. An dem Unfall waren der dabei tödlich verunglückte Walter Sch. und dessen Freund, der frühere Zweitbeklagte Joachim B., als Fahrer von Motorrädern beteiligt; ihre beiden Fahrzeuge waren bei der Beklagten haftpflichtversichert. Der Unfallhergang ist streitig. Nach dem Vortrag des Klägers ist er während eines Wendemanövers vom Motorrad des Walter Sch. erfasst und anschließend auch von Joachim B. angefahren worden.

In einem von den Eltern des verstorbenen Walter Sch. gegen den jetzigen Kläger und seinen Haftpflichtversicherer geführten Rechtsstreit ist den Eltern durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts vom 3. März 1986 (21 O 358/84) ein Anspruch auf Ersatz von 2/3 des geltend gemachten Schadens zugesprochen und der Verursachungsanteil des Walter Sch. auf 1/3 bemessen worden.

Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger ursprünglich neben der Beklagten auch Joachim B. als Beklagten zu 2) auf Ersatz seines vollen Schadens in Anspruch genommen. Dabei hat er zur Begründung der gegen die Beklagte gerichteten Klage im zweiten Absatz auf S. 3 der Klageschrift vorgetragen, sie sei Haftpflichtversicherer des von Walter Sch. gefahrenen Motorrades. Im Verhandlungstermin des Landgerichts vom 22. September 1986 ist sodann u.a. folgendes protokolliert worden:
"Rechtsanwältin H. (= die Prozessbevollmächtigte des Klägers) stellte klar, dass die Bekl. zu 1) als Haftpflichtversicherung des Herrn B., also des Bekl. zu 2), in Anspruch genommen werde.

Sie berichtigte insoweit den 2. Absatz auf S. 3 der Klageschrift.

Die Parteien sind damit einverstanden, dass die Feststellungen des Gerichts in dem Parallelverfahren 21 O 358/84 zugrundegelegt werden bei der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits."
Das Landgericht hat eine Haftung des Joachim B. verneint und mit dieser Begründung die Klage gegen beide Beklagten abgewiesen.

Mit seiner Berufung hat der Kläger die Abweisung der gegen Joachim B. gerichteten Klage nicht angegriffen, sondern allein die Verurteilung der Beklagten erstrebt, und zwar als Haftpflichtversicherer des Walter Sch. auf Ersatz nunmehr von 1/3 seines Schadens. Dazu hat er vorgetragen, an diesem schon ursprünglich mit der Klage verfolgten Prozessziel habe sich durch die Erklärung seiner Prozessbevollmächtigten im Termin vom 22. September 1986 nichts geändert. Eine Klageänderung sei nicht beabsichtigt gewesen; für sie habe, ebenso wie für die protokollierte "Klarstellung", keinerlei Anlass bestanden. Zumindest müsse er berechtigt sein, jetzt wieder auf die Haftung der Beklagten als Versicherer des Walter Sch. abzustellen. Die Beklagte hat der Inanspruchnahme auf dieser Grundlage als einer unzulässigen Klageänderung widersprochen.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Zurückverweisung der Sache erstrebt.


Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht meint, der Kläger sei durch das Urteil des Landgerichts nicht beschwert. Denn er verfolge mit seiner Berufung einen Anspruch, über den das Landgericht nicht entschieden habe. Die erforderliche Beschwer könne nicht erst durch Erweiterung der Klage um einen in erster Instanz nicht zur Entscheidung gestellten Anspruch geschaffen werden; sie müsse bereits bei Einlegung der Berufung vorhanden sein. Ein Beschwerdegrund des Klägers liege auch nicht darin, dass das Landgericht ihm die Entscheidung über eine gegen die Beklagte als Versicherer des Walter Sch. gerichtete Klage verweigert habe. Zwar sei die Beklagte in der Klageschrift zunächst in dieser Eigenschaft in Anspruch genommen worden; infolge der ihrem Inhalt nach eindeutigen Erklärung der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Termin vom 22. September 1986 sei aber aufgrund zulässiger Klageänderung Streitgegenstand nur noch die Haftung des Joachim B. und der Beklagten als dessen Haftpflichtversicherer gewesen.


II.

Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

Mit Recht hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers wegen fehlender Beschwer als unzulässig verworfen.

1. Der Kläger ist zwar durch das erstinstanzliche Urteil insoweit beschwert, als das Landgericht seine Klage gegen Joachim B. und gegen die Beklagte als dessen Haftpflichtversicherer abgewiesen hat. Das genügt jedoch nicht für die Zulässigkeit der von ihm eingelegten Berufung. Dazu ist vielmehr zusätzlich erforderlich, dass mit dem Rechtsmittel gerade die Beseitigung der durch das Urteil geschaffenen Beschwer erstrebt wird. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 13, 390, 394; 130, 100, 101) und des Bundesgerichtshofs (BGHZ 85, 140, 142f; Urteil vom 25. September 1986 - II ZR 31/86 - NJW-RR 1987, 124, 125). An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Wie nämlich der Kläger in seiner Berufungsbegründung ausdrücklich erklärt hat, sollte das Rechtsmittel nicht gegen Joachim B. durchgeführt werden. Mit der Berufung hat der Kläger auch nicht die Abweisung seiner Klage gegen die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Haftpflichtversicherer des Joachim B. angegriffen. Das folgt schon aus seinem Vorbringen, es sei nicht nachweisbar, dass Joachim B. für den Schaden des Klägers verantwortlich sei; denn nur auf der Grundlage einer solchen Verantwortlichkeit könnte eine Einstandspflicht der Beklagten für diesen Motorradfahrer bestehen (§ 3 Nr. 1 PflVG). Zudem hat der Kläger in der Berufungsbegründung auch eindeutig erklärt, er verfolge mit dem Rechtsmittel seinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Haftpflichtversicherer des Walter Sch.. Damit kann die für die Zulässigkeit der Berufung erforderliche Beschwer jedenfalls nicht aus der Abweisung der Klage gegen Joachim B. und gegen die Beklagte als dessen Haftpflichtversicherer hergeleitet werden (vgl. auch BGHZ 88, 360, 364). Das stellt letztlich auch die Revision nicht in Frage.

2. Ohne Erfolg muss aber auch die Rüge der Revision bleiben, der Kläger habe die Beklagte im ersten Rechtszug nicht nur als Versicherer des Joachim B., sondern auch als Haftpflichtversicherer des Walter Sch. in Anspruch genommen, und seine Beschwer liege darin, dass das Landgericht über diesen Teil des Streitgegenstandes nicht entschieden habe.

a) Richtig ist allerdings, dass der Kläger die Beklagte zunächst in ihrer Eigenschaft als Versicherer des Walter Sch. verklagt hatte. Denn sein Klagevorbringen, der Unfall sei auf das Verschulden sowohl des Walter Sch. als auch des Joachim B. zurückzuführen, war im Zusammenhang mit der Angabe, Walter Sch. sei bei der Beklagten haftpflichtversichert, in dieser Weise zu verstehen. Das haben auch das Landgericht und das Berufungsgericht nicht anders gesehen.

b) Rechtsfehlerfrei haben aber die Tatrichter beider Rechtszüge die Erklärung der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Verhandlungstermin vom 22. September 1986 als Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO dahin gewertet, dass fortan die Beklagte auf einer anderen tatsächlichen Grundlage, nämlich allein als Versicherer des Joachim B. für die von diesem gesetzten Unfallursachen in Anspruch genommen werden sollte. Diese Auslegung der prozessualen Erklärung vom 22. September 1986, die der Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt (BGHZ 4, 328, 334; BGH, Beschlüsse vom 7. Februar 1979 - IV ZB 58/78 - VersR 1979, 374 und vom 9. Juli 1986 - IVb ZB 55/86 - NJW-RR 1987, 376), hält den Angriffen der Revision stand.

aa) Entgegen dem von der Revision in Bezug genommenen Vorbringen des Klägers aus der Berufungsbegründung steht dem vorgenannten Verständnis der Prozesserklärung nicht das Argument entgegen, für die zu Protokoll erklärte "Klarstellung", in welcher Eigenschaft die Beklagte in Anspruch genommen werde, habe kein Bedürfnis bestanden; es sei nämlich auch ohnedies klar gewesen, dass sich die Inanspruchnahme des Beklagten auf ihre Einstandspflicht für Walter Sch. gründe. Das war zwar, wie gesagt, vor dem Verhandlungstermin vom 22. September 1986 der Fall. Die an diesem Tage abgegebene anwaltliche Erklärung ließ aber in dieser Hinsicht eine Klarstellung geboten erscheinen; denn durch die Erklärung wurde der Sachvortrag des Klägers im Sinne von § 138 Abs. 1 ZPO dahin ergänzt, dass die Beklagte auch Haftpflichtversicherer des Joachim B. war. Eine sich daraus etwa ergebende Unklarheit, für welchen der zwei Motorradfahrer oder ob gar für beide die Beklagte vom Kläger nunmehr in Anspruch genommen werde, wurde durch die anwaltliche Klarstellung im Termin beseitigt.

bb) Aus demselben Grunde geht auch die Rüge der Revision fehl, die vom Berufungsgericht vorgenommene Ausdeutung der Prozesserklärung verbiete sich deshalb, weil der zweite Absatz auf S. 3 der Klageschrift keiner "Berichtigung" zugänglich gewesen sei; denn die dortigen Ausführungen seien inhaltlich richtig gewesen. Auch dies war lediglich bis zu dem Verhandlungstermin vom 22. September 1986 der Fall. Nachdem der Kläger dort aber vorgetragen hatte, die Beklagte sei Versicherer beider Motorradfahrer, war das Vorbringen in der Klageschrift, sie sei Haftpflichtversicherer des Walter Sch., unvollständig geworden, so dass sich insoweit eine berichtigende Ergänzung anbot.

c) Dem der anwaltlichen Erklärung in den Vorinstanzen beigemessenen Gehalt steht ferner auch nicht, wie die Revision meint, der weitere Inhalt des Protokolls vom 22. September 1986 entgegen, die Parteien seien damit einverstanden, dass der Entscheidung die Feststellungen aus dem Verfahren 21 O 358/84 zugrundegelegt würden. Diesem Einverständnis kam nämlich nicht nur dann Bedeutung zu, wenn der Kläger die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Walter Sch. in Anspruch nahm, sondern auch dann, wenn sie allein für Joachim B. einstehen sollte. Denn die Feststellungen in dem genannten Parallelverfahren bezogen sich auf den gesamten Unfallhergang und damit auch auf das Fahrverhalten des Joachim B..

dd) Die Prozesserklärung der Rechtsanwältin des Klägers vom 22. September 1986 war schließlich auch nicht etwa unklar mit der Folge, dass das Landgericht gehalten gewesen wäre, von seiner Aufklärungs- und Hinweispflicht nach den §§ 139 Abs. 1 und 278 Abs. 3 ZPO Gebrauch zu machen. Die dahingehende Rüge der Revision läuft letztlich wiederum darauf hinaus, das Berufungsgericht habe verkannt, dass das Landgericht zu einer unzutreffenden Auslegung der von der Bevollmächtigten des Klägers abgegebenen Erklärung gelangt sei, und es habe diese fehlerhafte Auslegung auch seiner eigenen Entscheidung zugrundegelegt. Das ist, wie bereits ausgeführt, nicht richtig. Das Landgericht und mit ihm das Berufungsgericht haben die am 22. September 1986 abgegebene Erklärung nach ihrem sachlichen Gehalt auch ohne weitere Aufklärung für eindeutig gehalten, und zwar dahin, dass die Inanspruchnahme der Beklagten nunmehr allein auf ihre Eigenschaft als Haftpflichtversicherer des Joachim B. gestützt werde. Diese Auslegung lag nach den vorstehend erörterten Umständen nahe; sie ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Die Frage, aus welchen Motiven die Rechtsanwältin des Klägers die Erklärung abgegeben hatte, bedurfte keiner richterlichen Aufklärung.

3. Die Erklärung vom 22. September 1986 war als Prozesshandlung weder anfechtbar, noch aus besonderen Gründen widerruflich (vgl. dazu BGHZ 80, 389, 392ff; BGH, Beschluss vom 8. Mai 1985 - IVb ZB 56/84 - NJW 1985, 2334). Anderes macht auch die Revision nicht geltend.

4. Entgegen der Rüge der Revision war dem Kläger im Berufungsrechtszug schließlich auch nicht eine "Berichtigung" der Erklärung vom 22. September 1986 dahin möglich, dass die Beklagte nicht nur als Versicherer des Joachim B., sondern zugleich auch als Haftpflichtversicherer des Walter Sch. in Anspruch genommen werde. Zwar ist eine Berichtigung auch bei Prozesshandlungen nicht völlig ausgeschlossen; sie kommt aber nur in Fällen offensichtlicher Irrtümer in Betracht (vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO 20. Aufl., vor § 128 Rdn. 228; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 46. Aufl., Grundz. § 128 Anm. 5 D). An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Denn der Ansicht der Revision, es habe ein für das Landgericht auf der Hand liegender Irrtum vorgelegen, stehen die oben zur Auslegung der Erklärung erörterten Umstände entgegen.

5. War demnach der Kläger, wie dargelegt, durch das Urteil des Landgerichts nicht in einer Weise beschwert, gegen die er mit seiner Berufung Abhilfe suchte, so konnte er das Berufungsverfahren auch nicht dazu benutzen, seine Klage erneut zu ändern und nunmehr zu einem Begehren zurückzukehren, das er am Schluss der mündlichen Verhandlung vom 22. September 1986, auf die das erstinstanzliche Urteil ergangen ist, nicht mehr zur Entscheidung gestellt hatte. Denn durch eine zweitinstanzliche Änderung oder Erweiterung der Klage kann nicht die Beschwer geschaffen werden, deren es schon bei der Einlegung der Berufung bedarf, damit das Rechtsmittel zulässig ist. Nur eine zulässige Berufung kann aber die Grundlage dafür bilden, dass im zweiten Rechtszug die Klage geändert oder erweitert wird (vgl. RGZ 130, 100, 101; BGHZ 85, 140, 143; 88, 360, 363f.; BGH, Urteil vom 25. September 1986 = aaO; BAG, Urteil vom 29. Oktober 1960 - 5 AZR 581/59 - DB 1961, 920).