Das Verkehrslexikon

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VGH München Beschluss vom 07.07.2010 - 11 CS 10.1452 - Ungenügende Beschwerdebegründung nach Fund von Ecstasy-Pillen

VGH München v. 07.07.2010: Ungenügende Beschwerdebegründung nach Fund von Ecstasy-Pillen


Der VGH München (Beschluss vom 07.07.2010 - 11 CS 10.1452) hat entschieden:
Werden bei einem Fahrerlaubnisinhaber in der Hosentasche 2 Ecstasy-Pillen gefunden und ihm daraufhin wegen Nichtbeibringung eines Fahreignungsgutachtens die Fahrerlaubnis entzogen, so genügt es den Anforderungen an eine Beschwerdebegründung gegen die Versagung der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht, wenn er lediglich behauptet, er sie ohne Schuld in den Besitz der Ecstasy-Pillen gelangt, weil diese ihm zugesteckt worden sein müssen.


Siehe auch Ecstasy (MDMA) im Fahrerlaubnisrecht und Stichwörter zum Thema Drogen


Gründe:

I.

Am 2. August 2009 um 1.15 Uhr unterzogen Polizeibeamte den Antragsteller, nachdem dieser eine Diskothek verlassen hatte, einer Kontrolle. Hierbei wurde u. a. festgestellt, dass sich in der linken Beintasche seiner Hose zwei Ecstasytabletten befanden. In der Wohnung des Antragstellers wurden in der gleichen Nacht ein "Snief-​Set" sowie Plastikschnupfröhrchen aufgefunden.

Bei seiner polizeilichen Einvernahme als Beschuldigter machte der Antragsteller keine Angaben. Durch rechtskräftig gewordenen Strafbefehl vom 3. November 2009 verhängte das Amtsgericht Ingolstadt gegen ihn wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen, da er am 2. August 2009 wissentlich und willentlich zwei Ecstasytabletten mit sich geführt habe, ohne die erforderliche Erlaubnis besessen zu haben.

Mit Schreiben vom 7. Dezember 2009 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller unter Bezugnahme auf diesen Strafbefehl und die am 2. August 2009 getroffenen Feststellungen auf, bis zum 17. Februar 2010 das Gutachten eines in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung tätigen Arztes darüber vorzulegen, ob er Betäubungsmittel im Sinn des Betäubungsmittelgesetzes oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe im Sinn des Straßenverkehrsgesetzes, durch die nach der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-​Verordnung die Fahreignung eingeschränkt wird, einnehme oder eingenommen habe. Die vom Antragsteller in der Folgezeit benannte Begutachtungsstelle reichte die ihr übersandten Akten mit Schreiben vom 26. Februar 2010 an die Antragsgegnerin zurück, ohne dass dieser ein Gutachten zuging. In einem am 1. März 2010 mit einem Amtsträger der Antragsgegnerin geführten Telefongespräch gab der Antragsteller nach Aktenlage an, ein bei ihm durchgeführtes Drogenscreening habe einen positiven Befund gezeitigt.

Durch Bescheid vom 6. April 2010 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen A, BE und C1E einschließlich der darin enthaltenen Unterklassen (Nr. 1 des Bescheidstenors). Dieser Ausspruch wurde für sofort vollziehbar erklärt. Gleichzeitig gab die Antragsgegnerin dem Antragsteller unter Zwangsgeldandrohung auf, seinen näher bezeichneten Führerschein innerhalb einer Woche nach der Zustellung des Bescheids bei ihr abzuliefern. Auf die Bescheidsgründe wird Bezug genommen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller nach Aktenlage am 20. April 2010 Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht München.

Den am gleichen Tag gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, lehnte das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 20. Mai 2010 ab. Die an den Antragsteller gerichtete Anordnung, ein Gutachten beizubringen, sei rechtmäßig gewesen, da die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV erfüllt gewesen seien. Durch den Strafbefehl vom 3. November 2009 werde der Nachweis erbracht, dass der Antragsteller Betäubungsmittel vorsätzlich und widerrechtlich besessen habe. In einem auf Entziehung der Fahrerlaubnis gerichteten Verwaltungsverfahren müsse ein Kraftfahrer den in einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung festgestellten Sachverhalt gegen sich gelten lassen, sofern nicht gewichtige Anhaltspunkte gegen die Richtigkeit dieser Feststellungen sprächen. Solche Anhaltspunkte bestünden im Fall des Antragstellers nicht.

Mit der gegen diese Entscheidung eingelegten Beschwerde beantragt der Antragsteller, den Beschluss vom 20. Mai 2010 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nummer 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 6. April 2010 wiederherzustellen. Zur Begründung macht er geltend, seiner Auffassung nach müsse auch festgestellt werden, dass der widerrechtliche Besitz schuldhaft gewesen sei. Er habe jedoch bereits im Klageverfahren vorgetragen, dass ihm die Ecstasytabletten ohne sein Wissen zugesteckt worden seien, und dass er dies bereits gegenüber der Polizei angegeben habe. Im Verfahren vor dem Amtsgericht sei dieser Gesichtspunkt nie geprüft worden, da der Strafbefehl rechtskräftig geworden sei, ohne dass eine mündliche Verhandlung stattgefunden habe. Einen Einspruch gegen den Strafbefehl habe er deshalb nicht eingelegt, da man ihm erklärt habe, die Sache würde sich hierdurch "nur verteuern". Über die Frage des schuldhaft-​widerrechtlichen Besitzes müsse das Verwaltungsgericht im anhängigen Erkenntnisverfahren eigenständig befinden. Vor einer mündlichen Verhandlung könne deshalb nicht von fehlenden Erfolgsaussichten der Klage ausgegangen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und den vom Verwaltungsgericht beigezogenen Vorgang der Antragsgegnerin verwiesen.


II.

Die Beschwerde war gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht in einer den Erfordernissen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Weise begründet wurde.

Eine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung liegt nur vor, wenn sich aus den fristgerecht vorgetragenen Gesichtspunkten die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses ergibt (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, RdNr. 41 zu § 146; Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, RdNr. 22 zu § 146). Ausgehend von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts muss der Beschwerdeführer aufzeigen, in welchen Punkten und weshalb die hierfür gegebene Begründung aus seiner Sicht nicht tragfähig ist. Das setzt voraus, dass er den Streitstoff prüft, sichtet und rechtlich durchdringt und sich mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses befasst (Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, RdNr. 76 zu § 146). An der nötigen inhaltlichen Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung fehlt es, wenn nur pauschale, formelhafte Rügen vorgebracht werden (OVG SH vom 31.7.2002, NJW 2003, 158; Guckelberger, a.a.O., RdNr. 77 zu § 146). Vielmehr müssen ein die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechtssatz oder eine dafür erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (VGH BW vom 1.7.2002 NVwZ 2002, 1388/1389).

Diesen Anforderungen genügt der Inhalt der Beschwerdebegründung vom 11. Juni 2010 auch unter Berücksichtigung des Gebots, dass die Darlegungslast nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht überspannt werden darf, nicht.

1. In diesem Schriftsatz stellen die Bevollmächtigten des Antragstellers im Anschluss an eine knappe Wiedergabe des Inhalts der angefochtenen Entscheidung zunächst der Sache nach die These auf, die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV seien nicht bereits dann erfüllt, wenn eine Person Betäubungsmittel widerrechtlich besessen habe; es müsse darüber hinaus auch festgestellt werden, dass der widerrechtliche Besitz schuldhaft gewesen sei. Darlegungen, warum § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV in dieser Weise ausgelegt werden müsse, fehlen jedoch zur Gänze. Eine "Begründung", wie sie dem Beschwerdeführer nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO abverlangt wird, stellt sowohl begrifflich als auch von der Sache her ein aliud gegenüber einer bloßen "Behauptung" dar. Der Beschwerdeführer darf sich nicht damit begnügen, geltend zu machen, "dass" eine bestimmte tatsächliche oder rechtliche Gegebenheit sich so darstellt, wie er das vorträgt; er muss vielmehr Argumente dafür anführen, "warum" es sich so verhält, wie er es behauptet (vgl. zur mangelnden Eignung der in einem einzigen Satz apodiktisch formulierten Aussage, nach Meinung des Bevollmächtigten des Rechtsmittelführers sei eine Rechtsfrage anders zu beantworten, als es das Verwaltungsgericht getan habe, den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO gerecht zu werden, BayVGH vom 24.11.2008 Az. 11 CS 08.2882, RdNr. 13; Guckelberger, a.a.O., RdNr. 77).

In besonderem Maß besteht die Notwendigkeit, Gründe zur Stützung einer Rechtsbehauptung vorzutragen, dann, wenn der Beschwerdeführer eine bestimmte Auslegung einer entscheidungserheblichen Vorschrift für geboten erachtet. Da die Richtigkeit einer Norminterpretation, die ein Rechtsschutzsuchender - wie hier der Fall - in seinem eigenen Interesse vornimmt, nicht ohne weiteres auf der Hand liegt, muss er aufzeigen, dass die anerkannten Auslegungsregeln das von ihm befürwortete Gesetzesverständnis gebieten. Ob es auch genügt, wenn lediglich nachgewiesen wird, dass die vom Rechtsmittelführer für zutreffend erachtete Auslegung in der Rechtsprechung oder in der Rechtswissenschaft bereits in gewissem Umfang Anerkennung gefunden hat, kann dahinstehen, da der Antragsteller auch insoweit nichts vorgetragen hat.

In nochmals gesteigertem Umfang besteht die Notwendigkeit, eine Rechtsbehauptung der inmitten stehenden Art zu substantiierten, dann, wenn ein Beschwerdeführer - wie hier - eine vom Wortlaut abweichende Auslegung einer Bestimmung für angezeigt erachtet. Das in § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV enthaltene Tatbestandsmerkmal der "Widerrechtlichkeit" ist nach allgemeinem rechtlichem Sprachgebrauch bereits dann erfüllt, wenn eine Handlung oder ein Zustand objektiv nicht mit der Rechtsordnung in Einklang steht (vgl. zu diesem Bedeutungsgehalt des Begriffs "widerrechtlich" z.B. § 530 Abs. 2 oder § 823 Abs. 1 BGB). Deshalb und da das Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (hierzu gehört auch das Fahrerlaubnisrecht) Maßnahmen der Gefahrenabwehr und Gefahrerforschungseingriffe zumindest in aller Regel nicht davon abhängig macht, dass eine Person schuldhaft gehandelt hat, hätte der Antragsteller nicht darauf verzichten dürfen, Gründe dafür vorzubringen, warum eine "berichtigende" Auslegung des § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV durch Aufnahme eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals in der Gestalt schuldhaften Handelns geboten sei.

2. Dahinstehen kann, ob die Ausführungen, mit denen der Antragsteller in tatsächlicher Hinsicht dartun will, ihm sei nicht bewusst gewesen, dass er am 2. August 2009 Betäubungsmittel mit sich geführt hat, schon deshalb unbehelflich sind, weil nicht in rechtlich beachtlicher Weise aufgezeigt wurde, dass es auf die Frage eines schuldhaften Verhaltens im Rahmen des § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV überhaupt ankommt. Denn auch dann, wenn den diesbezüglichen Ausführungen unabhängig von der vom Antragsteller für geboten erachteten "berichtigenden" Auslegung dieser Bestimmung (z.B. unter dem Blickwinkel des für einen Besitz erforderlichen Besitzwillens) Bedeutung zukommen sollte, würde dieser Teil des Beschwerdevorbringens nicht dem sich aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ergebenden Gebot genügen, dass sich eine Beschwerdebegründung mit der angefochtenen Entscheidung "auseinanderzusetzen" hat. Die drei Argumente, die der Antragsteller insoweit vorbringt (nämlich die Einlassung, die Betäubungsmittel seien ihm ohne sein Wissen "zugesteckt" worden, er habe dies bereits gegenüber der Polizei behauptet, und durch den ihm gegenüber ergangenen Strafbefehl werde ein schuldhafter Besitz nicht erwiesen), hat ausnahmslos bereits das Verwaltungsgericht gewürdigt (vgl. die Ausführungen ab Seite 10 Mitte bis Seite 11 unten des angefochtenen Beschlusses). Es genügt vor diesem Hintergrund nicht, dass der Antragsteller Gesichtspunkte, die er bereits im ersten Rechtszug (bzw. in dem von ihm betriebenen Klageverfahren) vorgebracht hat, lediglich wiederholt. Den Vorgaben des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO wäre in einer solchen Fallgestaltung nur Rechnung getragen, wenn er substantiiert aufgezeigt hätte, warum die in der angefochtenen Entscheidung vorgenommene Würdigung seiner bisherigen Einlassungen unzutreffend ist. Das ist nicht einmal ansatzweise geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit den Empfehlungen in den Abschnitten II.1.5 Satz 1, II.46.1, II.46.5 und II.46.8 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327).