Das Verkehrslexikon

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VGH München Beschluss vom 14.07.2014 - 11 ZB 14.808 - Abstinenznachweis und zeitliche Abfolge von Entgiftung und Entwöhnung

VGH München v. 14.07.2014: Zum Abstinenznachweis nach Drogenkonsum und zur zeitlichen Abfolge von Entgiftung und Entwöhnung


Der VGH München (Beschluss vom 14.07.2014 - 11 ZB 14.808) hat entschieden:
Eine Wiedergewinnung der Fahreignung setzt bei Betäubungsmittelabhängigkeit voraus, dass der Betroffene nach einer Entgiftung und Entwöhnung eine einjährige Drogenabstinenz geübt hat. Als für die Wiedergewinnung der Fahreignung relevanter Abstinenzzeitraum kommt dabei nur ein nach der Entgiftungs- und Entwöhnungsphase liegender Abstinenzzeitraum in Betracht. Die Entwöhnungsbehandlung ist dabei nicht zu verwechseln mit der Entzugsbehandlung, mit der die akute Entgiftung des Körpers vom Suchtstoff bewirkt wird. Eine Entgiftungsbehandlung kann auch innerhalb relativ kurzer Zeit (Tage/Wochen) erfolgen, wohingegen eine therapeutische Entwöhnungsbehandlung in aller Regel einen längeren Zeitraum von mindestens mehreren Monaten umfasst, während derer der Betroffene gezielt die Ursachen und Mechanismen seines Suchtverhaltens aufarbeitet und Strategien zur Bewältigung erlernt.


Siehe auch Wiedererteilung der Fahrerlaubnis - Wiedererlangung der Fahreignung und Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein


Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen BE und CE durch das Landratsamt Schweinfurt.

Im August 2012 erlangte die Fahrerlaubnisbehörde Kenntnis von einem Strafverfahren, in welchem dem Kläger Handel mit unerlaubten Betäubungsmitteln (1,5 kg Amphetamin und 0,5 kg Haschisch) angelastet wurde. In der Beschuldigtenvernehmung durch die Polizei am 24. April 2012, in der Vernehmung durch den Ermittlungsrichter am 25. April 2012 und in einem Gespräch mit einer psychiatrischen Sachverständigen am 7. November 2012 räumte der Kläger den Konsum von Haschisch und Amphetamin ein. Er gab an, täglich etwa drei bis fünf Joints zu rauchen und etwa 1 Gramm Speed zu schnupfen. Mit Bescheid vom 13. Juni 2013 entzog ihm die Fahrerlaubnisbehörde wegen seiner Abhängigkeit von Betäubungsmitteln die Fahrerlaubnis.

Den Widerspruch des Klägers wies die Regierung von Unterfranken mit Bescheid vom 30. Oktober 2013 zurück.

Die mit Schriftsatz vom 27. November 2013 beim Verwaltungsgericht Würzburg erhobene Klage gegen den Bescheid vom 13. Juni 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Unterfranken vom 30. Oktober 2013 wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 19. März 2014 ab. Der Kläger habe sich durch die gutachterlich festgestellte Abhängigkeit von Cannabinoiden und Stimulanzien als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen und eine Wiedererlangung der Fahreignung liege erst nach einer Entgiftung und Entwöhnung sowie einer mindestens einjährigen Drogenabstinenz vor. Eine vollständige Entgiftung und Entwöhnung sei nicht bewiesen.

Gegen das Urteil beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung.

Der Beklagte tritt dem Zulassungsantrag entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.


II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung war abzulehnen, weil der vorgetragene Zulassungsgrund nicht vorliegt.

Der Kläger macht ausschließlich eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes sind dann ausreichend dargelegt, wenn der Rechtsmittelführer eine bestimmte, obergerichtlich oder höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte Frage rechtlicher oder tatsächlicher Art herausarbeitet und formuliert, er die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage darlegt, er aufzeigt, dass diese Frage im konkreten Rechtsstreit klärungsfähig (insbesondere entscheidungserheblich) ist und sich aus der Antragsbegründung ergibt, dass der Beantwortung dieser Frage allgemeine, über den Fall hinausgehende Bedeutung zukommt (Meyer-​Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/ Bier, VwGO, § 124a Rn. 102 ff).

Als klärungsbedürftig bezeichnet der Zulassungsantrag die Frage, ob die verfahrensrechtliche Jahresfrist nach Feststellung einer fahreignungsrelevanten Betäubungsmittelproblematik erst ab dem erfolgreichen Abschluss einer Entgiftung und Entwöhnung beginnt oder ob von einer Wiedererlangung der Fahreignung gem. Ziffer 9.5 der Anlage 4 zur FeV bereits dann auszugehen ist, wenn der betreffende Fahrerlaubnisinhaber eine mindestens einjährige Abstinenz nachweisen kann.

Dieser Fragestellung kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung nicht zu, weil sich die Beantwortung unmittelbar aus den Bestimmungen der Anlage 4 zur FeV ergibt und dies in der Rechtsprechung des Gerichts auch bereits geklärt ist (1), weil beim Erlass des Widerspruchsbescheides mangels Entwöhnungsbehandlung eine einjährige Drogenabstinenz im Sinn der Ziffer 9.5 beim Kläger noch nicht vorlag (2) und weil der Kläger eine mindestens einjährige tatsächliche Drogenabstinenz nicht nachgewiesen hat (3).

1. Im Entziehungsverfahren ist für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen auf die Sach- und Rechtslage bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens, hier also beim Erlass des Widerspruchsbescheides der Regierung von Unterfranken am 30. Oktober 2013, abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 27.9.1995 – 11 C 34/94 – VRS 91, 221). Eine Wiedergewinnung der Fahreignung bis zu diesem Zeitpunkt setzt wegen der festgestellten Betäubungsmittelabhängigkeit des Klägers nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV voraus, dass er nach einer Entgiftung und Entwöhnung eine einjährige Drogenabstinenz geübt hat. Als für die Wiedergewinnung der Fahreignung relevanter Abstinenzzeitraum kommt dabei nur ein nach der Entgiftungs- und Entwöhnungsphase liegender Abstinenzzeitraum in Betracht (vgl. 3.12.1 der Begutachtungs-​Leitlinien zur Kraftfahreignung, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 115, S. 41 ff.; BayVGH, B.v. 9.1.2007 - 11 ZB 05.2087 – juris Rn 14, B.v. 9.1.2007 – 11 ZB 05.2087 – juris Rn. 14, B.v. 5.7.2012 – 11 CS 12.1321 – juris Rn. 17). Diese Frage ist in der Rechtsprechung des Gerichts bereits geklärt.

2. Die Entwöhnungsbehandlung ist dabei nicht zu verwechseln mit der Entzugsbehandlung, mit der die akute Entgiftung des Körpers vom Suchtstoff bewirkt wird. Eine Entgiftungsbehandlung kann auch innerhalb relativ kurzer Zeit (Tage/Wochen) erfolgen, wohingegen eine therapeutische Entwöhnungsbehandlung in aller Regel einen längeren Zeitraum von mindestens mehreren Monaten umfasst, während derer der Betroffene gezielt die Ursachen und Mechanismen seines Suchtverhaltens aufarbeitet und Strategien zur Bewältigung erlernt (vgl. BayVGH, B.v. 24.10.2013 – 11 C 13.1471 – juris Rn. 12). Nach Ziffer 3.12.1 der Begutachtungs-​Leitlinien zur Kraftfahreignung ist bei Betäubungsmittelabhängigkeit in der Regel eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung zu fordern, die stationär oder im Rahmen anderer Einrichtungen für Suchtkranke erfolgen kann. Laut dem psychiatrischen Gutachten vom 22. November 2012 ist beim Kläger eine solche Entwöhnungsbehandlung unverzichtbar, weil es sich bei seinem Konsumverhalten im weiteren Sinn um einen Selbstheilungsversuch für seine dauerhaften Schmerzzustände handelt. Dem dabei vom Cannabiskonsum ausgehenden Antriebsverlust hat der Kläger durch die Einnahme von Amphetaminen gegengesteuert, um wieder aktiv am Leben teilnehmen zu können (vgl. psychiatrisches Gutachten vom 22.11.2012, Beiakte I, Bl. 58). Nach der verständlichen und nachvollziehbaren Einschätzung der Gutachterin kann bei diesem Verlauf der Abhängigkeit eine dauerhafte Abstinenzkompetenz nur durch eine langzeittherapeutische Maßnahme in Kombination mit einer schmerztherapeutischen Behandlung erreicht werden. Ohne die erforderliche Entwöhnungsbehandlung konnte folglich die erforderliche Abstinenz im Sinn der Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV nicht beginnen.

Für die tatsächliche Durchführung einer Entwöhnungsbehandlung finden sich weder im Vorbringen des Klägers noch in den Akten ausreichende Anhaltspunkte. In der Widerspruchsbegründung vom 11. Juli 2013 wird vorgetragen, dass beim Missbrauch von Cannabinoiden und Stimulanzien eine erfolgreiche Entwöhnung schon dann vorliege, wenn ein Abstinenzzeitraum von über einem Jahr nachgewiesen werde. Eine Entgiftung sei bei diesem Zeitablauf anzunehmen. In der Klagebegründung vom 15. Januar 2014 wird erneut auf eine wegen der Inhaftierung gegebene, langfristig bestehende und umfassende Drogenabstinenz hingewiesen und es wird ein angeblich lückenloser Abstinenznachweis behauptet. In der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung vom 23. Mai 2014 ist erstmals davon die Rede, dass der Kläger während seiner Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt Schweinfurt mit der entsprechenden medizinischen Unterstützung eine Entgiftung und eine nachfolgende Entwöhnung absolviert haben soll. Er soll sich über mehrere Monate und damit einen für eine Entwöhnung ausreichenden Zeitraum auf der Krankenstation befunden haben. Für diesen erstmals im Zulassungsverfahren erfolgten Vortrag findet sich in den Akten jedoch keinerlei Bestätigung, denn der Kläger hat im Gespräch mit der psychiatrischen Gutachterin selbst angegeben, er habe sich nie in eine stationäre Behandlung zur Entgiftung begeben und er habe auch keine Langzeittherapie gemacht. Er habe nie entgiftet und auch keine Therapie gemacht. Er wolle allerdings in Zukunft ohne illegale Drogen auskommen. Entsprechend den Angaben des Klägers wird die Krankenakte der JVA Schweinfurt im psychiatrischen Gutachten nur mit einer eintägigen Medikamentengabe am 25. April 2012 zitiert, nicht aber mit einer Drogenentgiftung oder gar einer Drogenentwöhnung. Das Fehlen einer Entgiftungs- oder Entwöhnungsbehandlung bezeichnet das Gutachten auf Seite 19 ausdrücklich als prognostisch ungünstig.

3. Unabhängig davon hat der Kläger für den achtzehnmonatigen Zeitraum zwischen seiner Inhaftierung am 21. April 2012 und dem Erlass des Widerspruchsbescheides am 30. Oktober 2013 eine tatsächliche Drogenabstinenz weder ausreichend dargelegt noch hinreichend nachgewiesen. Aufenthalte im Gefängnis oder im Krankenhaus mögen zwar nach allgemeiner Lebenserfahrung den Konsum von Betäubungsmitteln erschweren, doch sind sie für sich allein kein ausreichender Beleg für eine tatsächliche Drogenabstinenz. Im Fall des Klägers haben diese Aufenthalte auch nur einen Zeitraum von etwa 6 Monaten in Anspruch genommen. Für den Zeitraum zwischen der Entlassung aus Frankenpark-​Klinik am 27. Oktober 2012 und dem Erlass des Widerspruchsbescheides am 30. Oktober 2013 ist lediglich ein weiterer kurzzeitiger Krankenhausaufenthalt vom 16. Februar 2013 bis zum 20. Februar 2013 dokumentiert und für die übrige Zeit fehlt es an jeglichem aussagekräftigen Abstinenznachweis. Der Kläger hat zwar einen einzelnen Nachweis über ein (negatives) Drogen-​Screening vom 8. Oktober 2013 vorgelegt, doch mangelt es diesem an jeglicher Aussagekraft. Das Testat enthält keine Angabe zur angewandten Untersuchungsmethode und es trifft auch keine Aussage zum Zeitraum seiner Geltung, so dass damit der erforderliche Nachweis über einen mindestens einjährigen Abstinenzzeitraum nicht geführt werden kann (vgl. BayVGH, B.v.24.10.2013 – 11 C 13.1471 – juris Rn. 12). Ziffer 3.12.1 der Begutachtungs-​Leitlinien für die Kraftfahrereignung sieht als Nachweis für einen einjährigen Abstinenzzeitraum mindesten vier unvorhersehbar anberaumte Laboruntersuchungen in unregelmäßigen Abständen vor.

4. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.

5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (http://www.bverwg.de/medien/pdf/streitwertkata-​log.pdf).

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).